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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Sind die Franzosen die echten Lrben althellenischer Geistes?

ArLkitecturgl. Denn das logisch-mathematische Denken fordert vor allem anderen
vom Kunstwerk klare Übersichtlichkeit und ruhiges Ebenmaß der führenden Linien,
und verstattet der Laune und freien Gestaltung, nur die Flächen mit buntem
Beiwerk zu füllen.

Noch einmal, in der großen künstlerischen Revolution Frankreichs, genannt
Romantische Schule, durchbrachen Phantasie und Gefühl die Schranken des Ratio¬
nalismus. Gewiß hat diese Erneuerung des Schaffens und Forschens nachgewirkt
bis heute. Aber das eigentlich Wesentliche dieser Bewegung, la libsrte ete I'^re,
hat sich dem französischen Gesamtgeist auf die Dauer nicht mitgeteilt. Schon der
Parnaß lenkte offenkundig zum Hellenismus zurück. Und neuerdings (1908) hat
ein Schüler von Maurras und der Jüngsten einer, Pierre Lasserre, eine zornige
Streitschrift gegen die Romantik geschrieben, gegen diesen Pantheismus aus ger¬
manischen Landen, gegen die Verdrängung der Alleinherrscherin Vernunft aus
ihrer Allgewalt. Auch die Romantik, so wünscht man in diesen Kreisen, soll ein
bloßes Zwischenspiel bleiben.

Und dabei hat man es in Frankreich lange genug, von Ronsard bis Voltaire,
als einen Mangel empfunden, daß die Fähigkeit zur Epopöe, la töte öpiczue, der
Nation versagt bleiben solle. Und man kennt die unfreiwillige Lächerlichkeit der
Versuche, die diesem Mangel abhelfen sollten, der Pucelle eines Chapelain, den
Franciade und Henriade und anderer unglückseliger Allegorien. Aber nicht jeder
erkannte bis jetzt in Frankreich die unfreiwillige Lächerlichkeit, in die sich die Ver¬
nunft freiwillig begibt, wenn sie selber zu schaffen bemüht ist, was ihr ewig ver¬
sagt bleibt, und im gleichen Atem die echte und große Eigendichtung der eigenen
Vorzeit verwirft.

Eben damals, in den Zeitaltern der Gotik und der Romantik, waren die
führenden Geister des Landes der Dichtung eines Homer oder Sophokles und
der Kunst eines Phidias nahegekommen. Das ist geschehen nicht trotzdem, sondern
weil man unabhängig von der Antike auf eigenen Wegen dem Geistigen Sinnbild
und Ausdruck suchte. Neuere Forschung hat ein Ergebnis gefunden, das nur den
un Klassizismus Befangenen überraschen kann. Es hat sich gezeigt, daß in der
gotischen Plastik dieselben rhythmischen Beziehungen wirksam geworden sind, wie
ur den Bildwerken der besten hellenischen Zeit. Und diese gotischen Skulpturen
haben sich in die Statik und Dynamik der Dome und Rathäuser so sicher einge¬
paßt, wie die Götterbilder des Phidias in den athenischen Parthenon und in
den Zeustempel von Olympia. So hat die Gotik auf anderen Wegen und in
anderer Art dieselbe Vollendung gewonnen, wie AlthellaS in perikleischer Zeit.

Immer dringender wird unsere Schlutzfrage, die wir freilich nur stellen,
und eine Antwort, die wir freilich nur andeuten können. Was sind die geschicht¬
lichen Ursachen dafür, daß gerade in Gallien-Frankreich mehr als irgendwo sonst
der Hellenismus zum Schicksal des geistigen Lebens geworden ist? Gemeinschaft
des Blutes kann es nicht fein, trotz Massaua - Marseille, der Handels- und
späteren Hochschulstadt, und anderer griechischer Pflanzstädte am Mittelmeer und
Rhonethal, und trotz der syrischen, d. h. levantinischen Kaufleute, die im mitt¬
leren Rhonethal die ersten christlichen Gemeinden gegründet haben. Auch der
rhetorische Unterricht, solange er dauerte und so wirksam er war, erklärt für sich
allein noch nicht diese wunderbare Erscheinung.

Eine eigentümliche und verwandte Neigung und Anlage in dem gallisch-
ugurischen Mischvolk muß es gewesen sein, was die Söhne des Adels und der
Druidengeschlechter mit so viel Eifer und Erfolg in die Schulen der griechisch-
romischen Rhetoren trieb. So dürftige Zeugnisse uns von den alten Galliern
berichten, in einigen Zügen scheint eine unleugbare Ähnlichkeit mit dem Griechen-
Volk vorzuliegen. Daraufhin konnte es noch der jüngste Geschichtschreiber der
Gallier. Camille Jullian, in seinem großangelegten Buche wagen, das wenige, was
wir wissen und was zu einem Charaktergemälde kaum ausreicht, nach dem Vor-
vud der Hellenen zu ergänzen. Freilich, wer bürgt uns dafür, daß die griechischen
Geographen und Historiker, auf deren Mitteilungen wir vorzugsweise angewiesen


Sind die Franzosen die echten Lrben althellenischer Geistes?

ArLkitecturgl. Denn das logisch-mathematische Denken fordert vor allem anderen
vom Kunstwerk klare Übersichtlichkeit und ruhiges Ebenmaß der führenden Linien,
und verstattet der Laune und freien Gestaltung, nur die Flächen mit buntem
Beiwerk zu füllen.

Noch einmal, in der großen künstlerischen Revolution Frankreichs, genannt
Romantische Schule, durchbrachen Phantasie und Gefühl die Schranken des Ratio¬
nalismus. Gewiß hat diese Erneuerung des Schaffens und Forschens nachgewirkt
bis heute. Aber das eigentlich Wesentliche dieser Bewegung, la libsrte ete I'^re,
hat sich dem französischen Gesamtgeist auf die Dauer nicht mitgeteilt. Schon der
Parnaß lenkte offenkundig zum Hellenismus zurück. Und neuerdings (1908) hat
ein Schüler von Maurras und der Jüngsten einer, Pierre Lasserre, eine zornige
Streitschrift gegen die Romantik geschrieben, gegen diesen Pantheismus aus ger¬
manischen Landen, gegen die Verdrängung der Alleinherrscherin Vernunft aus
ihrer Allgewalt. Auch die Romantik, so wünscht man in diesen Kreisen, soll ein
bloßes Zwischenspiel bleiben.

Und dabei hat man es in Frankreich lange genug, von Ronsard bis Voltaire,
als einen Mangel empfunden, daß die Fähigkeit zur Epopöe, la töte öpiczue, der
Nation versagt bleiben solle. Und man kennt die unfreiwillige Lächerlichkeit der
Versuche, die diesem Mangel abhelfen sollten, der Pucelle eines Chapelain, den
Franciade und Henriade und anderer unglückseliger Allegorien. Aber nicht jeder
erkannte bis jetzt in Frankreich die unfreiwillige Lächerlichkeit, in die sich die Ver¬
nunft freiwillig begibt, wenn sie selber zu schaffen bemüht ist, was ihr ewig ver¬
sagt bleibt, und im gleichen Atem die echte und große Eigendichtung der eigenen
Vorzeit verwirft.

Eben damals, in den Zeitaltern der Gotik und der Romantik, waren die
führenden Geister des Landes der Dichtung eines Homer oder Sophokles und
der Kunst eines Phidias nahegekommen. Das ist geschehen nicht trotzdem, sondern
weil man unabhängig von der Antike auf eigenen Wegen dem Geistigen Sinnbild
und Ausdruck suchte. Neuere Forschung hat ein Ergebnis gefunden, das nur den
un Klassizismus Befangenen überraschen kann. Es hat sich gezeigt, daß in der
gotischen Plastik dieselben rhythmischen Beziehungen wirksam geworden sind, wie
ur den Bildwerken der besten hellenischen Zeit. Und diese gotischen Skulpturen
haben sich in die Statik und Dynamik der Dome und Rathäuser so sicher einge¬
paßt, wie die Götterbilder des Phidias in den athenischen Parthenon und in
den Zeustempel von Olympia. So hat die Gotik auf anderen Wegen und in
anderer Art dieselbe Vollendung gewonnen, wie AlthellaS in perikleischer Zeit.

Immer dringender wird unsere Schlutzfrage, die wir freilich nur stellen,
und eine Antwort, die wir freilich nur andeuten können. Was sind die geschicht¬
lichen Ursachen dafür, daß gerade in Gallien-Frankreich mehr als irgendwo sonst
der Hellenismus zum Schicksal des geistigen Lebens geworden ist? Gemeinschaft
des Blutes kann es nicht fein, trotz Massaua - Marseille, der Handels- und
späteren Hochschulstadt, und anderer griechischer Pflanzstädte am Mittelmeer und
Rhonethal, und trotz der syrischen, d. h. levantinischen Kaufleute, die im mitt¬
leren Rhonethal die ersten christlichen Gemeinden gegründet haben. Auch der
rhetorische Unterricht, solange er dauerte und so wirksam er war, erklärt für sich
allein noch nicht diese wunderbare Erscheinung.

Eine eigentümliche und verwandte Neigung und Anlage in dem gallisch-
ugurischen Mischvolk muß es gewesen sein, was die Söhne des Adels und der
Druidengeschlechter mit so viel Eifer und Erfolg in die Schulen der griechisch-
romischen Rhetoren trieb. So dürftige Zeugnisse uns von den alten Galliern
berichten, in einigen Zügen scheint eine unleugbare Ähnlichkeit mit dem Griechen-
Volk vorzuliegen. Daraufhin konnte es noch der jüngste Geschichtschreiber der
Gallier. Camille Jullian, in seinem großangelegten Buche wagen, das wenige, was
wir wissen und was zu einem Charaktergemälde kaum ausreicht, nach dem Vor-
vud der Hellenen zu ergänzen. Freilich, wer bürgt uns dafür, daß die griechischen
Geographen und Historiker, auf deren Mitteilungen wir vorzugsweise angewiesen


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[0137] Sind die Franzosen die echten Lrben althellenischer Geistes? ArLkitecturgl. Denn das logisch-mathematische Denken fordert vor allem anderen vom Kunstwerk klare Übersichtlichkeit und ruhiges Ebenmaß der führenden Linien, und verstattet der Laune und freien Gestaltung, nur die Flächen mit buntem Beiwerk zu füllen. Noch einmal, in der großen künstlerischen Revolution Frankreichs, genannt Romantische Schule, durchbrachen Phantasie und Gefühl die Schranken des Ratio¬ nalismus. Gewiß hat diese Erneuerung des Schaffens und Forschens nachgewirkt bis heute. Aber das eigentlich Wesentliche dieser Bewegung, la libsrte ete I'^re, hat sich dem französischen Gesamtgeist auf die Dauer nicht mitgeteilt. Schon der Parnaß lenkte offenkundig zum Hellenismus zurück. Und neuerdings (1908) hat ein Schüler von Maurras und der Jüngsten einer, Pierre Lasserre, eine zornige Streitschrift gegen die Romantik geschrieben, gegen diesen Pantheismus aus ger¬ manischen Landen, gegen die Verdrängung der Alleinherrscherin Vernunft aus ihrer Allgewalt. Auch die Romantik, so wünscht man in diesen Kreisen, soll ein bloßes Zwischenspiel bleiben. Und dabei hat man es in Frankreich lange genug, von Ronsard bis Voltaire, als einen Mangel empfunden, daß die Fähigkeit zur Epopöe, la töte öpiczue, der Nation versagt bleiben solle. Und man kennt die unfreiwillige Lächerlichkeit der Versuche, die diesem Mangel abhelfen sollten, der Pucelle eines Chapelain, den Franciade und Henriade und anderer unglückseliger Allegorien. Aber nicht jeder erkannte bis jetzt in Frankreich die unfreiwillige Lächerlichkeit, in die sich die Ver¬ nunft freiwillig begibt, wenn sie selber zu schaffen bemüht ist, was ihr ewig ver¬ sagt bleibt, und im gleichen Atem die echte und große Eigendichtung der eigenen Vorzeit verwirft. Eben damals, in den Zeitaltern der Gotik und der Romantik, waren die führenden Geister des Landes der Dichtung eines Homer oder Sophokles und der Kunst eines Phidias nahegekommen. Das ist geschehen nicht trotzdem, sondern weil man unabhängig von der Antike auf eigenen Wegen dem Geistigen Sinnbild und Ausdruck suchte. Neuere Forschung hat ein Ergebnis gefunden, das nur den un Klassizismus Befangenen überraschen kann. Es hat sich gezeigt, daß in der gotischen Plastik dieselben rhythmischen Beziehungen wirksam geworden sind, wie ur den Bildwerken der besten hellenischen Zeit. Und diese gotischen Skulpturen haben sich in die Statik und Dynamik der Dome und Rathäuser so sicher einge¬ paßt, wie die Götterbilder des Phidias in den athenischen Parthenon und in den Zeustempel von Olympia. So hat die Gotik auf anderen Wegen und in anderer Art dieselbe Vollendung gewonnen, wie AlthellaS in perikleischer Zeit. Immer dringender wird unsere Schlutzfrage, die wir freilich nur stellen, und eine Antwort, die wir freilich nur andeuten können. Was sind die geschicht¬ lichen Ursachen dafür, daß gerade in Gallien-Frankreich mehr als irgendwo sonst der Hellenismus zum Schicksal des geistigen Lebens geworden ist? Gemeinschaft des Blutes kann es nicht fein, trotz Massaua - Marseille, der Handels- und späteren Hochschulstadt, und anderer griechischer Pflanzstädte am Mittelmeer und Rhonethal, und trotz der syrischen, d. h. levantinischen Kaufleute, die im mitt¬ leren Rhonethal die ersten christlichen Gemeinden gegründet haben. Auch der rhetorische Unterricht, solange er dauerte und so wirksam er war, erklärt für sich allein noch nicht diese wunderbare Erscheinung. Eine eigentümliche und verwandte Neigung und Anlage in dem gallisch- ugurischen Mischvolk muß es gewesen sein, was die Söhne des Adels und der Druidengeschlechter mit so viel Eifer und Erfolg in die Schulen der griechisch- romischen Rhetoren trieb. So dürftige Zeugnisse uns von den alten Galliern berichten, in einigen Zügen scheint eine unleugbare Ähnlichkeit mit dem Griechen- Volk vorzuliegen. Daraufhin konnte es noch der jüngste Geschichtschreiber der Gallier. Camille Jullian, in seinem großangelegten Buche wagen, das wenige, was wir wissen und was zu einem Charaktergemälde kaum ausreicht, nach dem Vor- vud der Hellenen zu ergänzen. Freilich, wer bürgt uns dafür, daß die griechischen Geographen und Historiker, auf deren Mitteilungen wir vorzugsweise angewiesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/137>, abgerufen am 03.07.2024.