Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.Czernin Dieser Ausgang scheint mir in Ansehung der Person des Ministers und seiner Wir Reichsdeutsche stehen dem Grafen Czernin mit gemischten Gefühlen Czernin Dieser Ausgang scheint mir in Ansehung der Person des Ministers und seiner Wir Reichsdeutsche stehen dem Grafen Czernin mit gemischten Gefühlen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333583"/> <fw type="header" place="top"> Czernin</fw><lb/> <p xml:id="ID_333" prev="#ID_332"> Dieser Ausgang scheint mir in Ansehung der Person des Ministers und seiner<lb/> politischen Vergangenheit der einzig verständliche. Sollte sich über dem berüchtigten<lb/> Kaiserbrief zwischen Czernin und seinem Kaiserlichen Herrn ein so tiefes Zerwürfnis<lb/> heraus entwickelt haben, daß Czernin zurücktreten mußte, dann freilich hätten wir<lb/> es doch mit einer jener unverständlichen Überraschungen zu tun, die wie ein<lb/> blinder Zufall anmutet.</p><lb/> <p xml:id="ID_334"> Wir Reichsdeutsche stehen dem Grafen Czernin mit gemischten Gefühlen<lb/> gegenüber. Wo er persönlich aufgetreten ist, besonders bei den Stäben der Armeen,<lb/> die er besuchte, hat seine ritterliche Art, sein überlegenes und frisches und doch die<lb/> Abstände scharf markierendes Wesen ungelenke Sympathie geweckt, wie es Führer¬<lb/> naturen unter Menschen leicht gelingt, die ein feines Verständnis für wahre<lb/> Aristokratie haben. Aus solchen Erfahrungen ist es begreiflich, wenn sich dem<lb/> politischen Wettbewerber gegenüber das Bedauern regte, daß er nicht in den<lb/> Reihen unserer eigenen Staatsmänner stand. Aber auch über das persönliche<lb/> Moment hinaus können wir seinen Rücktritt nur bedauern. Wir verlieren nicht<lb/> nur einen Maßstab, wie er für unsere eigenen Diplomaten wünschenswert wäre. Mit<lb/> Czernins Rücktritt geriet unsere Hoffnung ins Wanken, daß sich die inneröster¬<lb/> reichischen Verhältnisse in absehbarer Zeit auf den Weg der Gesundung begeben.<lb/> Graf Czernin hat gerade unter den Deutschen Österreichs einen großen Anhang<lb/> gefunden, weil er die Monarchie zu Selbstbewußtsein aufrüttelte und die richtigen<lb/> Wege zu zeigen wußte, die zur völligen Wiederherstellung eines mächtigen Staates<lb/> führen, eines Staates, dem anzugehören Lust und Ehre ist, trotzdem er die<lb/> Nationalitäten beschränkte. Ein innerlich gesundes Österreich-Ungarn ist eine<lb/> wichtige Vorbedingung unserer eigenen Zukunft. Bei Czernins Auffassung von<lb/> den Staatsnotwendigkeiten in wirtschaftlicher und politischer Beziehung war er<lb/> der natürliche Bundesgenosse des Reiches. Ein Österreich-Ungarn, in dem Deutsche<lb/> und Ungarn dem Staat ihren Stempel durch die Sprache sowohl wie durch die<lb/> Tüchtigkeit ihrer Armee und Verwaltung aufdrücken, kann eine slawische Gefahr<lb/> kaum so stark werden lassen, daß wir in absehbarer Zeit schon gezwungen sein<lb/> könnten, uns mit ihr auseinanderzusetzen. Das von Czernin so scharf verurteilte<lb/> Österreich der Unklarheit und UnWahrhaftigkeit muß dagegen früher oder später<lb/> als eine brennende Gefahr vor uns hintreten. So eigenwillig und herrisch<lb/> Graf Czernin seine Meinungen auch vertreten mag, so groß selbst sein Ehrgeiz<lb/> sein mag, das Haus Habsburg zur führenden Dynastie im mitteleuropäischen<lb/> Staatenverbande zu machen, sein Wollen wird immer, beschränkt sein durch die<lb/> tatsächlichen Kräfteverhältnisse hüben und drüben. Deutschland braucht nicht zu<lb/> fürchten, seine führende Stellung in Mitteleuropa einzubüßen, wenn Österreich-<lb/> Ungarn von hervorragenden Staatsmännern geleitet wird, wohl aber, wenn wir<lb/> selbst keine entsprechenden Kräfte auf den rechten Platz zu bringen vermögen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0100]
Czernin
Dieser Ausgang scheint mir in Ansehung der Person des Ministers und seiner
politischen Vergangenheit der einzig verständliche. Sollte sich über dem berüchtigten
Kaiserbrief zwischen Czernin und seinem Kaiserlichen Herrn ein so tiefes Zerwürfnis
heraus entwickelt haben, daß Czernin zurücktreten mußte, dann freilich hätten wir
es doch mit einer jener unverständlichen Überraschungen zu tun, die wie ein
blinder Zufall anmutet.
Wir Reichsdeutsche stehen dem Grafen Czernin mit gemischten Gefühlen
gegenüber. Wo er persönlich aufgetreten ist, besonders bei den Stäben der Armeen,
die er besuchte, hat seine ritterliche Art, sein überlegenes und frisches und doch die
Abstände scharf markierendes Wesen ungelenke Sympathie geweckt, wie es Führer¬
naturen unter Menschen leicht gelingt, die ein feines Verständnis für wahre
Aristokratie haben. Aus solchen Erfahrungen ist es begreiflich, wenn sich dem
politischen Wettbewerber gegenüber das Bedauern regte, daß er nicht in den
Reihen unserer eigenen Staatsmänner stand. Aber auch über das persönliche
Moment hinaus können wir seinen Rücktritt nur bedauern. Wir verlieren nicht
nur einen Maßstab, wie er für unsere eigenen Diplomaten wünschenswert wäre. Mit
Czernins Rücktritt geriet unsere Hoffnung ins Wanken, daß sich die inneröster¬
reichischen Verhältnisse in absehbarer Zeit auf den Weg der Gesundung begeben.
Graf Czernin hat gerade unter den Deutschen Österreichs einen großen Anhang
gefunden, weil er die Monarchie zu Selbstbewußtsein aufrüttelte und die richtigen
Wege zu zeigen wußte, die zur völligen Wiederherstellung eines mächtigen Staates
führen, eines Staates, dem anzugehören Lust und Ehre ist, trotzdem er die
Nationalitäten beschränkte. Ein innerlich gesundes Österreich-Ungarn ist eine
wichtige Vorbedingung unserer eigenen Zukunft. Bei Czernins Auffassung von
den Staatsnotwendigkeiten in wirtschaftlicher und politischer Beziehung war er
der natürliche Bundesgenosse des Reiches. Ein Österreich-Ungarn, in dem Deutsche
und Ungarn dem Staat ihren Stempel durch die Sprache sowohl wie durch die
Tüchtigkeit ihrer Armee und Verwaltung aufdrücken, kann eine slawische Gefahr
kaum so stark werden lassen, daß wir in absehbarer Zeit schon gezwungen sein
könnten, uns mit ihr auseinanderzusetzen. Das von Czernin so scharf verurteilte
Österreich der Unklarheit und UnWahrhaftigkeit muß dagegen früher oder später
als eine brennende Gefahr vor uns hintreten. So eigenwillig und herrisch
Graf Czernin seine Meinungen auch vertreten mag, so groß selbst sein Ehrgeiz
sein mag, das Haus Habsburg zur führenden Dynastie im mitteleuropäischen
Staatenverbande zu machen, sein Wollen wird immer, beschränkt sein durch die
tatsächlichen Kräfteverhältnisse hüben und drüben. Deutschland braucht nicht zu
fürchten, seine führende Stellung in Mitteleuropa einzubüßen, wenn Österreich-
Ungarn von hervorragenden Staatsmännern geleitet wird, wohl aber, wenn wir
selbst keine entsprechenden Kräfte auf den rechten Platz zu bringen vermögen.
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