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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Randglossen zu Brest-Litowsk

unter ihnen einer die Auflösung erzwingen, unter ihnen einer Dämon sein, der mitleidslos
ist, damit er Gutes wirken kann.

Ist es in England, Frankreich, Italien, in Deutschland, Österreich, Bulgarien?
Seht, hier sind alle unrein; denn sie wollen Beute heimbringen oder von ihrer Gesellschafts¬
ordnung retten, was noch zu retten ist. Sie wollen sich nicht trennen, so oder so, von Zielen
oder von Zuständen; sie sind alle der Politik verschrieben, keiner der Idee.

Soviel Kräfte des Materiellen sind entfesselt, daß keine Verschiebung innerhalb ihrer,
wie sie auch sei, den Frieden entbinden wird. Dieser Frieden wird nur aus dem reinen
Willen, dem Fanatismus, dem Befehl und Gebot geboren werden, aus einem Zustand des
Denkens, dem der Zusammenbruch der Gesellschaft gleichgültig ist; es sei denn etwa, daß er
sie sogar beschleunigt und voll Unerbittlichkeit vollends herbeiführt.

In dem Land der Kriegführenden selbst wird das geschehen, wo der Zusammenbruch
der materiellen Grundlagen so fortgeschritten ist, daß Platz wurde für die Idee; in dem
Land, wo Phasen des Sozialismus, die anderswo noch nicht gewagt werden, Wirklichkeit
geworden sind; im Land des Extremen, Radikalen und Äußersten -- in Rußland.

Seht, wie unwahr Franzosen sind, die doch auch einmal eine Periode hatten, in der
die Prinzipielle Idee wütete und mitleidslos aus dein Weg räumte, was ihr nicht gehorchte.
Seht, wie beschränkt ober jetzt selbst Engländer sind, die nicht anders können, als den
Gedanken des Irrationalen verachten, und seht, wie Deutsche der Vorstellungskraft ermangeln.
Weil sie glauben, das da drüben im Osten gehe sie nur insofern an, als dadurch ihr Vater¬
land gewinne. Aber es ist in diesem Kriege schon viel geschehen, was niemand für möglich
gehalten hätte, und es wird der Augenblick kommen, wo der Name dessen, der den Frieden
erzwingt, ins Legendenhafte, Unvergeßliche, in die Phantasie und Herzen der Welt wächst.

Es ist ein Name zu vergeben. Neutrale, Stockholmer und der Papst griffen nach ihn.
Keines Kraft reichte so weit. Aber in Nußland ist einer, der zwei Dinge zu Ende dachte,
den Krieg und den urchristlichon Gedanken: er knüpft sie zusammen, indem er den einen
durch den andern erzwingt. Vielleicht ist er nicht Christ im kirchlichen Sinne, denn er ist
Sozialist; aber er ist es im Sinne des Slawen. Protestantismus versagte ganz, an der
Schwelle des fünften Jahrhunderts der Reformation: wie verherrlicht er den Krieg -- so
sehr, daß man hinter seinem christlichen Gott den alten deutschen Wotan zu sehen glaubt.
Katholizismus besann sich tiefer; aber er ist vorsichtig und will Erworbenes nicht gefährden.
Dem Slawen allein ist der Schoß der Dinge geöffnet, aus dem die Idee sich ringt.

Noch weiß man wenig von den Zügen dieses Mannes, doch schon etwas von dem
Dunkel, das ihn überschattet. Gedrungen und breitnackig soll er sein -- er paßt gut zu
dem zähen Trotz und der Entschlossenheit, die ihn leiten müssen. Die Phantasie der Völker
wartet wie ein lebender Muttermund auf den Namen, der sie befruchten wird. Ewiger
noch als der Name der Feldherren, die ihr Land retteten, wird der des Einen sein, der den
Frieden brachte, denn jener ist eine nationale Angelegenheit, dieser eine der Welt. Wie
beschränkt an Kraft, wie national gebunden sind die Männer aller kriegführenden Völker
außerhalb dieses einen Rußland, denn sie sind außerstande, sich über ihre eigene Not
zu erheben. Wie national, wie technisch, wie unmythisch sind sie alle, die Wohl den
Krieg organisieren, ihn aber nicht in sich überwinden können. Einer trat auf und wollte
Schiedsrichter aller sein; er ließ sich hineinziehen, Wilson; einer blieb außerhalb, aber nur,
weil er ohne weltliche Macht ist, er meinte es gut. Als dieser zu den Völkern sprach, der
Papst, träumte man den Großen nach, die seine Vorgänger waren: sie hatten den Bann
gebraucht, der bei allen Völkern verfehmte. Konnte dieser Späte nicht auch den äußersten
Machtspruch wagen, selbst auf die Gefahr, Märtyrer zu werden? Er gebrauchte ihn nicht,
die großen Zeiten der Kirche sind tot. Nur ein Sozialist kann ähnliches versuchen, und es
verschlägt wenig, daß die Sozialisten aller Länder versichern, daß sie seinen Extremismus
nicht anerkennen oder nicht für anwendbar in ihren Völkern halten; dieser Extremismus


Randglossen zu Brest-Litowsk

unter ihnen einer die Auflösung erzwingen, unter ihnen einer Dämon sein, der mitleidslos
ist, damit er Gutes wirken kann.

Ist es in England, Frankreich, Italien, in Deutschland, Österreich, Bulgarien?
Seht, hier sind alle unrein; denn sie wollen Beute heimbringen oder von ihrer Gesellschafts¬
ordnung retten, was noch zu retten ist. Sie wollen sich nicht trennen, so oder so, von Zielen
oder von Zuständen; sie sind alle der Politik verschrieben, keiner der Idee.

Soviel Kräfte des Materiellen sind entfesselt, daß keine Verschiebung innerhalb ihrer,
wie sie auch sei, den Frieden entbinden wird. Dieser Frieden wird nur aus dem reinen
Willen, dem Fanatismus, dem Befehl und Gebot geboren werden, aus einem Zustand des
Denkens, dem der Zusammenbruch der Gesellschaft gleichgültig ist; es sei denn etwa, daß er
sie sogar beschleunigt und voll Unerbittlichkeit vollends herbeiführt.

In dem Land der Kriegführenden selbst wird das geschehen, wo der Zusammenbruch
der materiellen Grundlagen so fortgeschritten ist, daß Platz wurde für die Idee; in dem
Land, wo Phasen des Sozialismus, die anderswo noch nicht gewagt werden, Wirklichkeit
geworden sind; im Land des Extremen, Radikalen und Äußersten — in Rußland.

Seht, wie unwahr Franzosen sind, die doch auch einmal eine Periode hatten, in der
die Prinzipielle Idee wütete und mitleidslos aus dein Weg räumte, was ihr nicht gehorchte.
Seht, wie beschränkt ober jetzt selbst Engländer sind, die nicht anders können, als den
Gedanken des Irrationalen verachten, und seht, wie Deutsche der Vorstellungskraft ermangeln.
Weil sie glauben, das da drüben im Osten gehe sie nur insofern an, als dadurch ihr Vater¬
land gewinne. Aber es ist in diesem Kriege schon viel geschehen, was niemand für möglich
gehalten hätte, und es wird der Augenblick kommen, wo der Name dessen, der den Frieden
erzwingt, ins Legendenhafte, Unvergeßliche, in die Phantasie und Herzen der Welt wächst.

Es ist ein Name zu vergeben. Neutrale, Stockholmer und der Papst griffen nach ihn.
Keines Kraft reichte so weit. Aber in Nußland ist einer, der zwei Dinge zu Ende dachte,
den Krieg und den urchristlichon Gedanken: er knüpft sie zusammen, indem er den einen
durch den andern erzwingt. Vielleicht ist er nicht Christ im kirchlichen Sinne, denn er ist
Sozialist; aber er ist es im Sinne des Slawen. Protestantismus versagte ganz, an der
Schwelle des fünften Jahrhunderts der Reformation: wie verherrlicht er den Krieg — so
sehr, daß man hinter seinem christlichen Gott den alten deutschen Wotan zu sehen glaubt.
Katholizismus besann sich tiefer; aber er ist vorsichtig und will Erworbenes nicht gefährden.
Dem Slawen allein ist der Schoß der Dinge geöffnet, aus dem die Idee sich ringt.

Noch weiß man wenig von den Zügen dieses Mannes, doch schon etwas von dem
Dunkel, das ihn überschattet. Gedrungen und breitnackig soll er sein — er paßt gut zu
dem zähen Trotz und der Entschlossenheit, die ihn leiten müssen. Die Phantasie der Völker
wartet wie ein lebender Muttermund auf den Namen, der sie befruchten wird. Ewiger
noch als der Name der Feldherren, die ihr Land retteten, wird der des Einen sein, der den
Frieden brachte, denn jener ist eine nationale Angelegenheit, dieser eine der Welt. Wie
beschränkt an Kraft, wie national gebunden sind die Männer aller kriegführenden Völker
außerhalb dieses einen Rußland, denn sie sind außerstande, sich über ihre eigene Not
zu erheben. Wie national, wie technisch, wie unmythisch sind sie alle, die Wohl den
Krieg organisieren, ihn aber nicht in sich überwinden können. Einer trat auf und wollte
Schiedsrichter aller sein; er ließ sich hineinziehen, Wilson; einer blieb außerhalb, aber nur,
weil er ohne weltliche Macht ist, er meinte es gut. Als dieser zu den Völkern sprach, der
Papst, träumte man den Großen nach, die seine Vorgänger waren: sie hatten den Bann
gebraucht, der bei allen Völkern verfehmte. Konnte dieser Späte nicht auch den äußersten
Machtspruch wagen, selbst auf die Gefahr, Märtyrer zu werden? Er gebrauchte ihn nicht,
die großen Zeiten der Kirche sind tot. Nur ein Sozialist kann ähnliches versuchen, und es
verschlägt wenig, daß die Sozialisten aller Länder versichern, daß sie seinen Extremismus
nicht anerkennen oder nicht für anwendbar in ihren Völkern halten; dieser Extremismus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/40>, abgerufen am 24.08.2024.