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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Randglossen zu Brest-Litowsk

lung fremdländischer Lyrik neben Victor Hugos Herbstblättern verzeichnet der
Katalog der "Bibliothek für alle" Ibsens Gedichte. Mir will scheinen, auch darin
trete wieder deutlich zutage, daß die breite Vorherrschaft der Franzosen im
rumänischen Geistesleben sich keineswegs mit zwingender Notwendigkeit aus der
Veranlagung des Volkes ergibt, sondern daß sich schon heute neben den Göttern
von der Seine auch durchaus andersgeartete behaupten können, vielleicht sogar
mit der Aussicht, ihr Gebiet mit der Zeit nicht unwesentlich zu erweitern.

Darüber, ob diese Möglichkeit zur Wirklichkeit werden wird, läßt sich in
unseren Tagen wohl noch weniger etwas voraussagen als sonst. Erwünscht wäre
eine breitere Einwirkung germanischen und vor allem deutschen Geisteslebens schon
deshalb, weil, wie gerade Rumäniens Verhältnis zu Frankreich lehrt, starke
kulturelle Einflüsse leicht entsprechende politische nach sich ziehen. Aber ob die
führenden Schichten Rumäniens sich nach dem Kriege grollend von Deutschland
abwenden oder ob sie, der Stimme wahrlich nicht der Schlechtesten aus dem
eigenen Volke folgend, ihre Ansicht einer gründlichen Durchsicht unterziehen und
die zum guten Teil sehr fruchtbaren früheren Beziehungen zu dem Lande ihrer
Besieger wieder anknüpfen werden, steht dahin. Wir können die Entscheidung
mit gelassener Zurückhaltung abwarten. Zur Liebe kann man niemand zwingen
und in Geschmackssachen entscheiden erst recht keine Machtsprüche. Rumänien selbst
aber würde bei einer Entscheidung im neuen Sinne schwerlich übel fahren.




Randglossen zu Vrest-Litowsk

nseren Unterhändlern den Rücken stärken, heißt nicht alles gut heißen,
was sie zustande bringen. Wenn die Dinge in Brest-Litowsk in
Bahnen gleiten, die uns verhängnisvoll scheinen, so müssen und
werden wir es sagen. Die Personen der Unterhändler interessieren
uns dabei nur soweit, als wir annehmen können, daß sie auch be¬
fähigt sind, die schwierige, ihnen von der Geschichte zugewiesene Aufgabe zu be¬
wältigen. Die richtigen Männer an den richtigen Platz zu stellen, ist Sache des
verantwortlichen Leiters der Reichspolitik. Daß die Aufgabe ganz besonders
schwierig ist, wird von keiner Seite bestritten. Unsere Diplomaten müssen heute
mit Verhältnissen arbeiten, für die sie nicht nur nichts können, sondern gegen die
sie zum Teil angekämpft hatten. Sie haben nicht nur das moralische Kapital der
militärischen Siege als Bundesgenossen, sondern auch die Fehler der Auslands¬
politik mancher Jahre als drückende Last hinter sich. Das wird ihnen gern zu¬
gute gehalten.

Nichtsdestoweniger brauchten sie sich nicht in die Sackgasse führen zu lassen,
in die sie geraten sind durch die Forderung der Russen, wir sollten die besetzten


Randglossen zu Brest-Litowsk

lung fremdländischer Lyrik neben Victor Hugos Herbstblättern verzeichnet der
Katalog der „Bibliothek für alle" Ibsens Gedichte. Mir will scheinen, auch darin
trete wieder deutlich zutage, daß die breite Vorherrschaft der Franzosen im
rumänischen Geistesleben sich keineswegs mit zwingender Notwendigkeit aus der
Veranlagung des Volkes ergibt, sondern daß sich schon heute neben den Göttern
von der Seine auch durchaus andersgeartete behaupten können, vielleicht sogar
mit der Aussicht, ihr Gebiet mit der Zeit nicht unwesentlich zu erweitern.

Darüber, ob diese Möglichkeit zur Wirklichkeit werden wird, läßt sich in
unseren Tagen wohl noch weniger etwas voraussagen als sonst. Erwünscht wäre
eine breitere Einwirkung germanischen und vor allem deutschen Geisteslebens schon
deshalb, weil, wie gerade Rumäniens Verhältnis zu Frankreich lehrt, starke
kulturelle Einflüsse leicht entsprechende politische nach sich ziehen. Aber ob die
führenden Schichten Rumäniens sich nach dem Kriege grollend von Deutschland
abwenden oder ob sie, der Stimme wahrlich nicht der Schlechtesten aus dem
eigenen Volke folgend, ihre Ansicht einer gründlichen Durchsicht unterziehen und
die zum guten Teil sehr fruchtbaren früheren Beziehungen zu dem Lande ihrer
Besieger wieder anknüpfen werden, steht dahin. Wir können die Entscheidung
mit gelassener Zurückhaltung abwarten. Zur Liebe kann man niemand zwingen
und in Geschmackssachen entscheiden erst recht keine Machtsprüche. Rumänien selbst
aber würde bei einer Entscheidung im neuen Sinne schwerlich übel fahren.




Randglossen zu Vrest-Litowsk

nseren Unterhändlern den Rücken stärken, heißt nicht alles gut heißen,
was sie zustande bringen. Wenn die Dinge in Brest-Litowsk in
Bahnen gleiten, die uns verhängnisvoll scheinen, so müssen und
werden wir es sagen. Die Personen der Unterhändler interessieren
uns dabei nur soweit, als wir annehmen können, daß sie auch be¬
fähigt sind, die schwierige, ihnen von der Geschichte zugewiesene Aufgabe zu be¬
wältigen. Die richtigen Männer an den richtigen Platz zu stellen, ist Sache des
verantwortlichen Leiters der Reichspolitik. Daß die Aufgabe ganz besonders
schwierig ist, wird von keiner Seite bestritten. Unsere Diplomaten müssen heute
mit Verhältnissen arbeiten, für die sie nicht nur nichts können, sondern gegen die
sie zum Teil angekämpft hatten. Sie haben nicht nur das moralische Kapital der
militärischen Siege als Bundesgenossen, sondern auch die Fehler der Auslands¬
politik mancher Jahre als drückende Last hinter sich. Das wird ihnen gern zu¬
gute gehalten.

Nichtsdestoweniger brauchten sie sich nicht in die Sackgasse führen zu lassen,
in die sie geraten sind durch die Forderung der Russen, wir sollten die besetzten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/38>, abgerufen am 22.07.2024.