Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Znnere Politik in Oesterreich und Bündnis

werden die von uns an die Bereinigung des Baltikums zu einem großen Staats¬
wesen geknüpften Hoffnungen um so eher in Erfüllung gehen, je gefestigter dieser
Staat innerlich ausgebaut und je größere Vorteile er allen seinen Bewohnern
zu bieten vermag, Vorteile, für die es sich lohnte im äußersten Falle auch das
Schwert zu ziehn, sei es gegen die Moskowiter, sei es gegen die Polen oder
eine von England vorgeschobene Macht. Ob der Weg, der der Regierung gegen¬
wärtig durch jene Kurländer gezeigt wird, die dem Könige von Preußen den
kurischen Herzogshut anboten, der richtige ist, läßt sich solange nicht über¬
sehen, wie das Schicksal Litauens unbekannt bleibt. Einen Staat lediglich
nach den Wünschen einer Nationalität bilden zu wollen, wodurch alle andern von
vornherein in den Gegensatz zu diesem Staate getrieben würden, wäre entschieden zu
verwerfen. Dünaland sollte innerlich so eingerichtet sein, daß alle seine Be¬
wohner gleichen Anteil an seinem wirtschaftlichen Aufschwung nehmen können.
Im übrigen sollte es so in das oft- und nordeuropäische Wirtschaftssystem einge¬
baut werden, daß es, des neuen Nußland Welthandel zusammen mit dem deutschen
fördernd, dies niemals reizte, sich seiner zu bemächtigen. Dem Grafen v. Keyserling!
als Reichskommissar wird aus diesen Zusammenhängen heraus eine hochbedeutsame
und schöne Aufgabe, wie sie wenigen Staatsmännern in der Geschichte gestellt worden
ist. Möge er eine glückliche Hand haben! Von seiner Arbeit am Bau hängt das
Schicksal von Millionen unserer Kinder mit ab.




Innere Politik in (Österreich und Bündnis
Karl Hermann von

le letzten vier Wochen waren eine besonders gute Schule für das
Verständnis des Bündnisses zwischen den Mittemächten und für
die verborgenen und sehr wichtigen Beziehungen, die zwischen ihm
und der inneren österreichischen Politik bestehen. An der Ober¬
fläche sah man wieder einmal eine Parlamentskrise, als die unmittelbar
^ sichtbaren Ursachen dafür zeigten sich die enttäuschten großpolnischen
Hoffnungen, die polnische "Nationaltrauer" sowie die von der Gefühlspolitik der
Massen klug gestützte, viel erprobte Kuhhandelroutine des Polenklubs. Ganz zu
unterst aber, und dem flüchtigen Blick verborgen, ruht das dauernde, ungelöste
und wohl unlösbare österreichische Verfassungsproblem, von dem viele behaupten,
daß man es als ein Verwaltungsproluem ansehen müsse, wenn man ihm über¬
haupt irgendwie beikommen wolle. Denn die polnischen Drohungen wären
natürlich nicht imstande gewesen, selbst nicht mit Hilfe der maximalistisch-
doktrinären Sozialdemokratie, den Kricgshaushalt des Staates und seine gesetz¬
mäßige Bewilligung in Frage zu stellen, wenn nicht die Regierungsmehrheit
in diesem Parlament (und in diesem Falle ist es wirklich ein Spiegelbild der
Bevölkerung), immer in einem labilen, auf äußerst gewagten Kompromissen
ruhenden Gleichgewicht sich befände. Daß dieser Gleichgewichtszustand trotzdem


Znnere Politik in Oesterreich und Bündnis

werden die von uns an die Bereinigung des Baltikums zu einem großen Staats¬
wesen geknüpften Hoffnungen um so eher in Erfüllung gehen, je gefestigter dieser
Staat innerlich ausgebaut und je größere Vorteile er allen seinen Bewohnern
zu bieten vermag, Vorteile, für die es sich lohnte im äußersten Falle auch das
Schwert zu ziehn, sei es gegen die Moskowiter, sei es gegen die Polen oder
eine von England vorgeschobene Macht. Ob der Weg, der der Regierung gegen¬
wärtig durch jene Kurländer gezeigt wird, die dem Könige von Preußen den
kurischen Herzogshut anboten, der richtige ist, läßt sich solange nicht über¬
sehen, wie das Schicksal Litauens unbekannt bleibt. Einen Staat lediglich
nach den Wünschen einer Nationalität bilden zu wollen, wodurch alle andern von
vornherein in den Gegensatz zu diesem Staate getrieben würden, wäre entschieden zu
verwerfen. Dünaland sollte innerlich so eingerichtet sein, daß alle seine Be¬
wohner gleichen Anteil an seinem wirtschaftlichen Aufschwung nehmen können.
Im übrigen sollte es so in das oft- und nordeuropäische Wirtschaftssystem einge¬
baut werden, daß es, des neuen Nußland Welthandel zusammen mit dem deutschen
fördernd, dies niemals reizte, sich seiner zu bemächtigen. Dem Grafen v. Keyserling!
als Reichskommissar wird aus diesen Zusammenhängen heraus eine hochbedeutsame
und schöne Aufgabe, wie sie wenigen Staatsmännern in der Geschichte gestellt worden
ist. Möge er eine glückliche Hand haben! Von seiner Arbeit am Bau hängt das
Schicksal von Millionen unserer Kinder mit ab.




Innere Politik in (Österreich und Bündnis
Karl Hermann von

le letzten vier Wochen waren eine besonders gute Schule für das
Verständnis des Bündnisses zwischen den Mittemächten und für
die verborgenen und sehr wichtigen Beziehungen, die zwischen ihm
und der inneren österreichischen Politik bestehen. An der Ober¬
fläche sah man wieder einmal eine Parlamentskrise, als die unmittelbar
^ sichtbaren Ursachen dafür zeigten sich die enttäuschten großpolnischen
Hoffnungen, die polnische „Nationaltrauer" sowie die von der Gefühlspolitik der
Massen klug gestützte, viel erprobte Kuhhandelroutine des Polenklubs. Ganz zu
unterst aber, und dem flüchtigen Blick verborgen, ruht das dauernde, ungelöste
und wohl unlösbare österreichische Verfassungsproblem, von dem viele behaupten,
daß man es als ein Verwaltungsproluem ansehen müsse, wenn man ihm über¬
haupt irgendwie beikommen wolle. Denn die polnischen Drohungen wären
natürlich nicht imstande gewesen, selbst nicht mit Hilfe der maximalistisch-
doktrinären Sozialdemokratie, den Kricgshaushalt des Staates und seine gesetz¬
mäßige Bewilligung in Frage zu stellen, wenn nicht die Regierungsmehrheit
in diesem Parlament (und in diesem Falle ist es wirklich ein Spiegelbild der
Bevölkerung), immer in einem labilen, auf äußerst gewagten Kompromissen
ruhenden Gleichgewicht sich befände. Daß dieser Gleichgewichtszustand trotzdem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0330" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333427"/>
          <fw type="header" place="top"> Znnere Politik in Oesterreich und Bündnis</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1224" prev="#ID_1223"> werden die von uns an die Bereinigung des Baltikums zu einem großen Staats¬<lb/>
wesen geknüpften Hoffnungen um so eher in Erfüllung gehen, je gefestigter dieser<lb/>
Staat innerlich ausgebaut und je größere Vorteile er allen seinen Bewohnern<lb/>
zu bieten vermag, Vorteile, für die es sich lohnte im äußersten Falle auch das<lb/>
Schwert zu ziehn, sei es gegen die Moskowiter, sei es gegen die Polen oder<lb/>
eine von England vorgeschobene Macht. Ob der Weg, der der Regierung gegen¬<lb/>
wärtig durch jene Kurländer gezeigt wird, die dem Könige von Preußen den<lb/>
kurischen Herzogshut anboten, der richtige ist, läßt sich solange nicht über¬<lb/>
sehen, wie das Schicksal Litauens unbekannt bleibt. Einen Staat lediglich<lb/>
nach den Wünschen einer Nationalität bilden zu wollen, wodurch alle andern von<lb/>
vornherein in den Gegensatz zu diesem Staate getrieben würden, wäre entschieden zu<lb/>
verwerfen. Dünaland sollte innerlich so eingerichtet sein, daß alle seine Be¬<lb/>
wohner gleichen Anteil an seinem wirtschaftlichen Aufschwung nehmen können.<lb/>
Im übrigen sollte es so in das oft- und nordeuropäische Wirtschaftssystem einge¬<lb/>
baut werden, daß es, des neuen Nußland Welthandel zusammen mit dem deutschen<lb/>
fördernd, dies niemals reizte, sich seiner zu bemächtigen. Dem Grafen v. Keyserling!<lb/>
als Reichskommissar wird aus diesen Zusammenhängen heraus eine hochbedeutsame<lb/>
und schöne Aufgabe, wie sie wenigen Staatsmännern in der Geschichte gestellt worden<lb/>
ist. Möge er eine glückliche Hand haben! Von seiner Arbeit am Bau hängt das<lb/>
Schicksal von Millionen unserer Kinder mit ab.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Innere Politik in (Österreich und Bündnis<lb/><note type="byline"> Karl Hermann</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1225" next="#ID_1226"> le letzten vier Wochen waren eine besonders gute Schule für das<lb/>
Verständnis des Bündnisses zwischen den Mittemächten und für<lb/>
die verborgenen und sehr wichtigen Beziehungen, die zwischen ihm<lb/>
und der inneren österreichischen Politik bestehen. An der Ober¬<lb/>
fläche sah man wieder einmal eine Parlamentskrise, als die unmittelbar<lb/>
^ sichtbaren Ursachen dafür zeigten sich die enttäuschten großpolnischen<lb/>
Hoffnungen, die polnische &#x201E;Nationaltrauer" sowie die von der Gefühlspolitik der<lb/>
Massen klug gestützte, viel erprobte Kuhhandelroutine des Polenklubs. Ganz zu<lb/>
unterst aber, und dem flüchtigen Blick verborgen, ruht das dauernde, ungelöste<lb/>
und wohl unlösbare österreichische Verfassungsproblem, von dem viele behaupten,<lb/>
daß man es als ein Verwaltungsproluem ansehen müsse, wenn man ihm über¬<lb/>
haupt irgendwie beikommen wolle. Denn die polnischen Drohungen wären<lb/>
natürlich nicht imstande gewesen, selbst nicht mit Hilfe der maximalistisch-<lb/>
doktrinären Sozialdemokratie, den Kricgshaushalt des Staates und seine gesetz¬<lb/>
mäßige Bewilligung in Frage zu stellen, wenn nicht die Regierungsmehrheit<lb/>
in diesem Parlament (und in diesem Falle ist es wirklich ein Spiegelbild der<lb/>
Bevölkerung), immer in einem labilen, auf äußerst gewagten Kompromissen<lb/>
ruhenden Gleichgewicht sich befände.  Daß dieser Gleichgewichtszustand trotzdem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0330] Znnere Politik in Oesterreich und Bündnis werden die von uns an die Bereinigung des Baltikums zu einem großen Staats¬ wesen geknüpften Hoffnungen um so eher in Erfüllung gehen, je gefestigter dieser Staat innerlich ausgebaut und je größere Vorteile er allen seinen Bewohnern zu bieten vermag, Vorteile, für die es sich lohnte im äußersten Falle auch das Schwert zu ziehn, sei es gegen die Moskowiter, sei es gegen die Polen oder eine von England vorgeschobene Macht. Ob der Weg, der der Regierung gegen¬ wärtig durch jene Kurländer gezeigt wird, die dem Könige von Preußen den kurischen Herzogshut anboten, der richtige ist, läßt sich solange nicht über¬ sehen, wie das Schicksal Litauens unbekannt bleibt. Einen Staat lediglich nach den Wünschen einer Nationalität bilden zu wollen, wodurch alle andern von vornherein in den Gegensatz zu diesem Staate getrieben würden, wäre entschieden zu verwerfen. Dünaland sollte innerlich so eingerichtet sein, daß alle seine Be¬ wohner gleichen Anteil an seinem wirtschaftlichen Aufschwung nehmen können. Im übrigen sollte es so in das oft- und nordeuropäische Wirtschaftssystem einge¬ baut werden, daß es, des neuen Nußland Welthandel zusammen mit dem deutschen fördernd, dies niemals reizte, sich seiner zu bemächtigen. Dem Grafen v. Keyserling! als Reichskommissar wird aus diesen Zusammenhängen heraus eine hochbedeutsame und schöne Aufgabe, wie sie wenigen Staatsmännern in der Geschichte gestellt worden ist. Möge er eine glückliche Hand haben! Von seiner Arbeit am Bau hängt das Schicksal von Millionen unserer Kinder mit ab. Innere Politik in (Österreich und Bündnis Karl Hermann von le letzten vier Wochen waren eine besonders gute Schule für das Verständnis des Bündnisses zwischen den Mittemächten und für die verborgenen und sehr wichtigen Beziehungen, die zwischen ihm und der inneren österreichischen Politik bestehen. An der Ober¬ fläche sah man wieder einmal eine Parlamentskrise, als die unmittelbar ^ sichtbaren Ursachen dafür zeigten sich die enttäuschten großpolnischen Hoffnungen, die polnische „Nationaltrauer" sowie die von der Gefühlspolitik der Massen klug gestützte, viel erprobte Kuhhandelroutine des Polenklubs. Ganz zu unterst aber, und dem flüchtigen Blick verborgen, ruht das dauernde, ungelöste und wohl unlösbare österreichische Verfassungsproblem, von dem viele behaupten, daß man es als ein Verwaltungsproluem ansehen müsse, wenn man ihm über¬ haupt irgendwie beikommen wolle. Denn die polnischen Drohungen wären natürlich nicht imstande gewesen, selbst nicht mit Hilfe der maximalistisch- doktrinären Sozialdemokratie, den Kricgshaushalt des Staates und seine gesetz¬ mäßige Bewilligung in Frage zu stellen, wenn nicht die Regierungsmehrheit in diesem Parlament (und in diesem Falle ist es wirklich ein Spiegelbild der Bevölkerung), immer in einem labilen, auf äußerst gewagten Kompromissen ruhenden Gleichgewicht sich befände. Daß dieser Gleichgewichtszustand trotzdem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/330
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/330>, abgerufen am 29.06.2024.