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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Zur litauischen Frage

ist das erst vor kurzem herausgekommen" Buch von M. Aschmies "Land und
Leute in Litauen" (Breslau 1917; Verlagsbuchhandlung Priebatsch), das über
alles Wichtige und Wesentliche in ruhiger und sachlicher Darstellung Aufschluß
gibt, das Wirtschafts- und das Geistesleben eingehender behandelt, einen Abriß
der Geschichte Litauens bis auf unsere Tage bietet und uns mit dem Lande und
seiner sich aus sechs Völkern zusammensetzenden Bevölkerung bekannt macht.

Wer vor dem Weltkriege unvoreingenommen beobachtete, konnte wahrnehmen,
daß die Reichsleitung für gewisse Eventualitäten im Osten gewisse Vorbereitungen
traf und Richtlinien festlegte. Vor allem trat "Berlin" damals mit einer kleinen
Gruppe verhandlungsfähiger Polen in Verkehr und stellte ihr die Wiederherstellung
eines polnischen Staates im Gebiet der mittleren Weichsel, durch die Erwägung
der Notwendigkeit einer erheblich kürzeren Verteidigungsfront gegen ein nur um
Kongreßpolen gekürztes Nußland mitbestimmt, in Aussicht. Darüber hinaus wird
es aber auch bereits damals mit dem Fall gerechnet haben, daß das Schicksal
uns schon in diesem Kriege zwingen könne, die ostslawische Frage restlos zu lösen,
die ostpreußische Gefahr für immer zu beseitigen und die Randvölker, in aller¬
erster Linie die Ukrainer, durch Errichtung von Nationalstaaten für die dauernde
Verbindung mit Mitteleuropa zu gewinnen. Wenngleich "Berlin" im Verlauf
des Krieges dann und wann geschwankt, mehrmals an vorzeitigen Friedensschluß
mit Rußland, andererseits auch an Erwerb des so notwendigen Rentamtes für
deutsche Siedlungszwecke gedacht hat, im großen und ganzen war unsere Kultur¬
diplomatie zyn Verzichtsfrieden bereit, hielt am Nationalitätsprinzip, wie man es
heute nennt, am Selbstbestimmungsrecht der Völker fest und hat sich jetzt, nach
der russischen Revolution, für dessen ausnahmslose Durchführung entschieden; sie
hat deshalb vor kurzem aus dem ethnographischen Polen daS Cholmerland heraus¬
gelöst und der Ukraine zugewiesen: sie erkennt den von den Polen historisch mit
"ein Eroberungsrecht begründeten Anspruch aus alle ehemals zu Polen gehörigen
fremdsprachigen Länder, in denen es ein bodenständiges Polentum nicht gibt, nicht
mehr an, sondern zieht die Grenzen nach ethnographischen Gesichtspunkten, trennt
also das neue Königreich von dem neuen Großrußland durch ein breites Zwischen¬
gebiet in anderen Händen, nimmt ihm seine Wichtigkeit und Gefährlichkeit, ja
macht es fast zur czuantite neZIiZesble. Doch ich schweife ab, statt mich auf
Litauen zu beschränken.

Die Litauer haben spätestens gelegentlich der Einberufung des litauischen
Landesrats erfahren, daß ihnen, mehr als sie wohl hoffen durften, ein unabhän¬
giges Großfürstentum Litauen, also eine politisch-territoriale, statt der erwarteten
national-kulturellen, Autonomie gewährt werden würde. Sie gründeten damals
am 1. Oktober die in Berlin dreimal im Monat erscheinende Zeitung "Das neue
Litauen", dann, nachdem der Präsident d?s litauischen Landesrats Smetona am
13. November einen staatsmännisch abgetöntem Vortrag "Die litauische Frage"
vor einer Versammlung deutscher Politiker im Hotel Adlon gehalten hatte, am
30. November, in Anwesenheit von Mitgliedern aller deutschen Parteien, namentlich
aber der drei Parteien der Verzichtsfriedensresolulion, die Deutsch-litauische Ge¬
sellschaft und wählten Herrn Erzberger zum Vorsitzenden. Obgleich nicht zu ver¬
kennen ist, daß der Zug des Herzens zwischen Njemen und Dura viele nach der
russischen Seite hinführt, und daß die Mißvergnügten, die in der Schweiz die Monats¬
schrift "pro lltkuania" in französischer Sprache herausgeben, zurEntente schwören, den
deutschen Sieger hassen und z, B. die Beseitigung des Deutschen als Unterrichts¬
gegenstand aus den litauischen Volksschulen verlangen, so ist doch mehr als wahr¬
scheinlich, daß es den im litauischen Landesrat vereinigten Notabeln gelingen wird,
ihre Bolschewik niederzuhalten, ein monarchisches Staatswesen, den Wünschen der
Geistlichkeit entsprechend, auf christlich.konservativer Grundlage zu schaffen und die
große Masse für die dauernde Orientierung nach Mitteleuropa zu gewinnen.
Bestimmend wirkten auf sie einerseits die Gefahr, daß Litauen, wenn es sich dem
deutschen Sieger nicht fügt, dem polnischen Nachbar preisgegeben werden könnte,
der seinen Anspruch auf ganz Litauen ja immer wieder in Erinnerung bringt,


Zur litauischen Frage

ist das erst vor kurzem herausgekommen« Buch von M. Aschmies „Land und
Leute in Litauen" (Breslau 1917; Verlagsbuchhandlung Priebatsch), das über
alles Wichtige und Wesentliche in ruhiger und sachlicher Darstellung Aufschluß
gibt, das Wirtschafts- und das Geistesleben eingehender behandelt, einen Abriß
der Geschichte Litauens bis auf unsere Tage bietet und uns mit dem Lande und
seiner sich aus sechs Völkern zusammensetzenden Bevölkerung bekannt macht.

Wer vor dem Weltkriege unvoreingenommen beobachtete, konnte wahrnehmen,
daß die Reichsleitung für gewisse Eventualitäten im Osten gewisse Vorbereitungen
traf und Richtlinien festlegte. Vor allem trat „Berlin" damals mit einer kleinen
Gruppe verhandlungsfähiger Polen in Verkehr und stellte ihr die Wiederherstellung
eines polnischen Staates im Gebiet der mittleren Weichsel, durch die Erwägung
der Notwendigkeit einer erheblich kürzeren Verteidigungsfront gegen ein nur um
Kongreßpolen gekürztes Nußland mitbestimmt, in Aussicht. Darüber hinaus wird
es aber auch bereits damals mit dem Fall gerechnet haben, daß das Schicksal
uns schon in diesem Kriege zwingen könne, die ostslawische Frage restlos zu lösen,
die ostpreußische Gefahr für immer zu beseitigen und die Randvölker, in aller¬
erster Linie die Ukrainer, durch Errichtung von Nationalstaaten für die dauernde
Verbindung mit Mitteleuropa zu gewinnen. Wenngleich „Berlin" im Verlauf
des Krieges dann und wann geschwankt, mehrmals an vorzeitigen Friedensschluß
mit Rußland, andererseits auch an Erwerb des so notwendigen Rentamtes für
deutsche Siedlungszwecke gedacht hat, im großen und ganzen war unsere Kultur¬
diplomatie zyn Verzichtsfrieden bereit, hielt am Nationalitätsprinzip, wie man es
heute nennt, am Selbstbestimmungsrecht der Völker fest und hat sich jetzt, nach
der russischen Revolution, für dessen ausnahmslose Durchführung entschieden; sie
hat deshalb vor kurzem aus dem ethnographischen Polen daS Cholmerland heraus¬
gelöst und der Ukraine zugewiesen: sie erkennt den von den Polen historisch mit
»ein Eroberungsrecht begründeten Anspruch aus alle ehemals zu Polen gehörigen
fremdsprachigen Länder, in denen es ein bodenständiges Polentum nicht gibt, nicht
mehr an, sondern zieht die Grenzen nach ethnographischen Gesichtspunkten, trennt
also das neue Königreich von dem neuen Großrußland durch ein breites Zwischen¬
gebiet in anderen Händen, nimmt ihm seine Wichtigkeit und Gefährlichkeit, ja
macht es fast zur czuantite neZIiZesble. Doch ich schweife ab, statt mich auf
Litauen zu beschränken.

Die Litauer haben spätestens gelegentlich der Einberufung des litauischen
Landesrats erfahren, daß ihnen, mehr als sie wohl hoffen durften, ein unabhän¬
giges Großfürstentum Litauen, also eine politisch-territoriale, statt der erwarteten
national-kulturellen, Autonomie gewährt werden würde. Sie gründeten damals
am 1. Oktober die in Berlin dreimal im Monat erscheinende Zeitung „Das neue
Litauen", dann, nachdem der Präsident d?s litauischen Landesrats Smetona am
13. November einen staatsmännisch abgetöntem Vortrag „Die litauische Frage"
vor einer Versammlung deutscher Politiker im Hotel Adlon gehalten hatte, am
30. November, in Anwesenheit von Mitgliedern aller deutschen Parteien, namentlich
aber der drei Parteien der Verzichtsfriedensresolulion, die Deutsch-litauische Ge¬
sellschaft und wählten Herrn Erzberger zum Vorsitzenden. Obgleich nicht zu ver¬
kennen ist, daß der Zug des Herzens zwischen Njemen und Dura viele nach der
russischen Seite hinführt, und daß die Mißvergnügten, die in der Schweiz die Monats¬
schrift „pro lltkuania" in französischer Sprache herausgeben, zurEntente schwören, den
deutschen Sieger hassen und z, B. die Beseitigung des Deutschen als Unterrichts¬
gegenstand aus den litauischen Volksschulen verlangen, so ist doch mehr als wahr¬
scheinlich, daß es den im litauischen Landesrat vereinigten Notabeln gelingen wird,
ihre Bolschewik niederzuhalten, ein monarchisches Staatswesen, den Wünschen der
Geistlichkeit entsprechend, auf christlich.konservativer Grundlage zu schaffen und die
große Masse für die dauernde Orientierung nach Mitteleuropa zu gewinnen.
Bestimmend wirkten auf sie einerseits die Gefahr, daß Litauen, wenn es sich dem
deutschen Sieger nicht fügt, dem polnischen Nachbar preisgegeben werden könnte,
der seinen Anspruch auf ganz Litauen ja immer wieder in Erinnerung bringt,


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[0290] Zur litauischen Frage ist das erst vor kurzem herausgekommen« Buch von M. Aschmies „Land und Leute in Litauen" (Breslau 1917; Verlagsbuchhandlung Priebatsch), das über alles Wichtige und Wesentliche in ruhiger und sachlicher Darstellung Aufschluß gibt, das Wirtschafts- und das Geistesleben eingehender behandelt, einen Abriß der Geschichte Litauens bis auf unsere Tage bietet und uns mit dem Lande und seiner sich aus sechs Völkern zusammensetzenden Bevölkerung bekannt macht. Wer vor dem Weltkriege unvoreingenommen beobachtete, konnte wahrnehmen, daß die Reichsleitung für gewisse Eventualitäten im Osten gewisse Vorbereitungen traf und Richtlinien festlegte. Vor allem trat „Berlin" damals mit einer kleinen Gruppe verhandlungsfähiger Polen in Verkehr und stellte ihr die Wiederherstellung eines polnischen Staates im Gebiet der mittleren Weichsel, durch die Erwägung der Notwendigkeit einer erheblich kürzeren Verteidigungsfront gegen ein nur um Kongreßpolen gekürztes Nußland mitbestimmt, in Aussicht. Darüber hinaus wird es aber auch bereits damals mit dem Fall gerechnet haben, daß das Schicksal uns schon in diesem Kriege zwingen könne, die ostslawische Frage restlos zu lösen, die ostpreußische Gefahr für immer zu beseitigen und die Randvölker, in aller¬ erster Linie die Ukrainer, durch Errichtung von Nationalstaaten für die dauernde Verbindung mit Mitteleuropa zu gewinnen. Wenngleich „Berlin" im Verlauf des Krieges dann und wann geschwankt, mehrmals an vorzeitigen Friedensschluß mit Rußland, andererseits auch an Erwerb des so notwendigen Rentamtes für deutsche Siedlungszwecke gedacht hat, im großen und ganzen war unsere Kultur¬ diplomatie zyn Verzichtsfrieden bereit, hielt am Nationalitätsprinzip, wie man es heute nennt, am Selbstbestimmungsrecht der Völker fest und hat sich jetzt, nach der russischen Revolution, für dessen ausnahmslose Durchführung entschieden; sie hat deshalb vor kurzem aus dem ethnographischen Polen daS Cholmerland heraus¬ gelöst und der Ukraine zugewiesen: sie erkennt den von den Polen historisch mit »ein Eroberungsrecht begründeten Anspruch aus alle ehemals zu Polen gehörigen fremdsprachigen Länder, in denen es ein bodenständiges Polentum nicht gibt, nicht mehr an, sondern zieht die Grenzen nach ethnographischen Gesichtspunkten, trennt also das neue Königreich von dem neuen Großrußland durch ein breites Zwischen¬ gebiet in anderen Händen, nimmt ihm seine Wichtigkeit und Gefährlichkeit, ja macht es fast zur czuantite neZIiZesble. Doch ich schweife ab, statt mich auf Litauen zu beschränken. Die Litauer haben spätestens gelegentlich der Einberufung des litauischen Landesrats erfahren, daß ihnen, mehr als sie wohl hoffen durften, ein unabhän¬ giges Großfürstentum Litauen, also eine politisch-territoriale, statt der erwarteten national-kulturellen, Autonomie gewährt werden würde. Sie gründeten damals am 1. Oktober die in Berlin dreimal im Monat erscheinende Zeitung „Das neue Litauen", dann, nachdem der Präsident d?s litauischen Landesrats Smetona am 13. November einen staatsmännisch abgetöntem Vortrag „Die litauische Frage" vor einer Versammlung deutscher Politiker im Hotel Adlon gehalten hatte, am 30. November, in Anwesenheit von Mitgliedern aller deutschen Parteien, namentlich aber der drei Parteien der Verzichtsfriedensresolulion, die Deutsch-litauische Ge¬ sellschaft und wählten Herrn Erzberger zum Vorsitzenden. Obgleich nicht zu ver¬ kennen ist, daß der Zug des Herzens zwischen Njemen und Dura viele nach der russischen Seite hinführt, und daß die Mißvergnügten, die in der Schweiz die Monats¬ schrift „pro lltkuania" in französischer Sprache herausgeben, zurEntente schwören, den deutschen Sieger hassen und z, B. die Beseitigung des Deutschen als Unterrichts¬ gegenstand aus den litauischen Volksschulen verlangen, so ist doch mehr als wahr¬ scheinlich, daß es den im litauischen Landesrat vereinigten Notabeln gelingen wird, ihre Bolschewik niederzuhalten, ein monarchisches Staatswesen, den Wünschen der Geistlichkeit entsprechend, auf christlich.konservativer Grundlage zu schaffen und die große Masse für die dauernde Orientierung nach Mitteleuropa zu gewinnen. Bestimmend wirkten auf sie einerseits die Gefahr, daß Litauen, wenn es sich dem deutschen Sieger nicht fügt, dem polnischen Nachbar preisgegeben werden könnte, der seinen Anspruch auf ganz Litauen ja immer wieder in Erinnerung bringt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/290>, abgerufen am 22.07.2024.