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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Flurbereinigung

Die Vereinheitlichung, so führen die erwähnten Vorschläge aus, werde Er¬
sparnis von Arbeitskräften, von Zeit, Nerven und Geld und Kraftgewinn bringen.
Berechtigtes gelte es pfleglich zu erhalten, überlebtes zu beseitigen mit Schützen-
grabengeistl "Die Heranziehung aller Schichten unseres Volkes zur politischen
Mitarbeit in Staat und Gemeinde" ist daher auch den Führern dieser thüringi¬
schen Bewegung das Wichtigste: ein Spiegelbild der preußisch-deutschen Be¬
strebungen von Verwaltungs- und- Wahlrechtsreform! Zur Vorbereitung wünscht
man "ein großzügiges Teilungs- und Austauschverfahren zum Zwecke der Zu"
sammenlegung Thüringens zu abgerundeten Staatsgebieten", so daß sich organisch
über den Gemeinden der Kreis, darüber die Staatsregierung und als letzte Instanz
der "Verband Thüringen" erhebe.

Trotz dieser weitgehenden unitarischen Forderung rechnen die Führer der
bürgerlichen Parteien, wie es scheint, ernsthaft mit der Möglichkeit, die Souveränität
der Einzelstaaten unberührt lassen zu können. Wohl war die dynastische
Anhänglichkeit einzelner Länder, die erst nach dem politischen Erwachen der deutschen
Einheitsbewegung ihr Fürstenhaus wechselten, nie sehr groß. In anderen, wie
in Weimar und Meiningen, ist dieser Zusammenhang in den letzten Jahren stark
gelockert worden. Trotzdem besteht allenthalben ein natürliches Staatsgcfühl, das
mehr oder weniger auf der Anhänglichkeit des Thüringers an dem heimischen
Boden beruht. Diese Stimmung nun suchen die an die Öffentlichkeit dringenden
Stimmen dadurch zu schonen, daß sie einen Staatenbund als Zwischenstelle
zwischen Reich und Bundesstciaten einschieben. Als Sitz des "Verbandes" soll
keine der Landesyauptstädte. sondern sozusagen nur ein neutraler Ort inmitten
des Landes -- genannt wird Arnstadt -- in Frage kommen. Zugleich lehnt der
Landesausschuß der nationalliberalen Partei in Thüringen als das Organ der
bürgerlichen Einigungsfreunde jeden Eingriff der Reichsgesetzgebung in die Ver¬
fassung der thüringischen Staaten als der Bundesverfassung und dem Bundes¬
charakter widersprechend auf das bestimmteste ab.

Wer die geschichtlichen Zusammenhänge der thüringischen Einheitsfrage
kennt, wird dieser Forderung nicht zustimmen können. Sie erinnert gar zu sehr
an die überkünstlichen Entwürfe der Märztage 1848. die wie Spreu vor der
Wucht der großen Ereignisse in Frankfurt, in Wien und Berlin verflogen. Die
politische Formulierung der Einigungswünsche, die in der Bevölkerung nur
unbewußt und ohne selbständige Expansionskraft wurzeln, hängt heute wie vor
zwei Menschenaltern in allen wesentlichen Stücken von der verfassungsrechtlichen
Stimmung im Reich ab. Schon die Vereinigung beider Reuß und Schwarzburg
haben diesen Ländern ein ganz unverhältnismäßig großes Gewicht im Bundesrat
verschafft. Ein "Verband Thüringen" würde die Stimmenkumulationen der
Kleinstaaten, die bereits Bismarck unwillig genug empfand, staatsrechtlich sanktio¬
nieren. De, hündische Charakter des Reiches wäre aufs empfindlichste bedroht,
wenn "Thüringen" mit seinen knapp anderthalb Millionen Einwohnern in der
Vertretung der Einzelstaaten seine acht Stimmen mit gleichem Erfolge in die
Wagschale werfen dürfte, wie die vereinigten Königreiche Sachsen und Württemberg
mit ihren sieben Millionen Einwohnern und einem mehr als anderthalbmal
größeren Landbesitz. Sollte vor allem Preußen ruhig zusehen, wie an wichtigster
Durchgangsstelle ein neuer Mittelstaat entsteht? Ein Mittelstaat, der 'die
preußischen Gebietsteile Thüringens vom Hauptteil der Monarchie abdrängt,
während bisher umgekehrt die thüringischen Einzelstaaten Enklaven im preußischen
Gesamtstaat waren?

Das alles sind Fragen, die bereits weit hinausweisen über die innere Flur¬
bereinigung Thüringens. -- Es ist nicht anders: Wie 1815 und wie 1848 hängt
auch heute die sogenannte Mediatisierungsfrage, die in diesen thüringischen
Einigungswünschen lebendig ist, aufs engste mit der preußisch ° deutschen Frage
zusammen, mag sich auch äußerlich beider Charakter inzwischen wesentlich geändert
haben. "Erst eine neue Lösung des deutschen Einheitsproblems kann auch dem
thüringischen Einheitsgedanken Erfüllung bringen."




Deutsche Flurbereinigung

Die Vereinheitlichung, so führen die erwähnten Vorschläge aus, werde Er¬
sparnis von Arbeitskräften, von Zeit, Nerven und Geld und Kraftgewinn bringen.
Berechtigtes gelte es pfleglich zu erhalten, überlebtes zu beseitigen mit Schützen-
grabengeistl „Die Heranziehung aller Schichten unseres Volkes zur politischen
Mitarbeit in Staat und Gemeinde" ist daher auch den Führern dieser thüringi¬
schen Bewegung das Wichtigste: ein Spiegelbild der preußisch-deutschen Be¬
strebungen von Verwaltungs- und- Wahlrechtsreform! Zur Vorbereitung wünscht
man „ein großzügiges Teilungs- und Austauschverfahren zum Zwecke der Zu»
sammenlegung Thüringens zu abgerundeten Staatsgebieten", so daß sich organisch
über den Gemeinden der Kreis, darüber die Staatsregierung und als letzte Instanz
der „Verband Thüringen" erhebe.

Trotz dieser weitgehenden unitarischen Forderung rechnen die Führer der
bürgerlichen Parteien, wie es scheint, ernsthaft mit der Möglichkeit, die Souveränität
der Einzelstaaten unberührt lassen zu können. Wohl war die dynastische
Anhänglichkeit einzelner Länder, die erst nach dem politischen Erwachen der deutschen
Einheitsbewegung ihr Fürstenhaus wechselten, nie sehr groß. In anderen, wie
in Weimar und Meiningen, ist dieser Zusammenhang in den letzten Jahren stark
gelockert worden. Trotzdem besteht allenthalben ein natürliches Staatsgcfühl, das
mehr oder weniger auf der Anhänglichkeit des Thüringers an dem heimischen
Boden beruht. Diese Stimmung nun suchen die an die Öffentlichkeit dringenden
Stimmen dadurch zu schonen, daß sie einen Staatenbund als Zwischenstelle
zwischen Reich und Bundesstciaten einschieben. Als Sitz des „Verbandes" soll
keine der Landesyauptstädte. sondern sozusagen nur ein neutraler Ort inmitten
des Landes — genannt wird Arnstadt — in Frage kommen. Zugleich lehnt der
Landesausschuß der nationalliberalen Partei in Thüringen als das Organ der
bürgerlichen Einigungsfreunde jeden Eingriff der Reichsgesetzgebung in die Ver¬
fassung der thüringischen Staaten als der Bundesverfassung und dem Bundes¬
charakter widersprechend auf das bestimmteste ab.

Wer die geschichtlichen Zusammenhänge der thüringischen Einheitsfrage
kennt, wird dieser Forderung nicht zustimmen können. Sie erinnert gar zu sehr
an die überkünstlichen Entwürfe der Märztage 1848. die wie Spreu vor der
Wucht der großen Ereignisse in Frankfurt, in Wien und Berlin verflogen. Die
politische Formulierung der Einigungswünsche, die in der Bevölkerung nur
unbewußt und ohne selbständige Expansionskraft wurzeln, hängt heute wie vor
zwei Menschenaltern in allen wesentlichen Stücken von der verfassungsrechtlichen
Stimmung im Reich ab. Schon die Vereinigung beider Reuß und Schwarzburg
haben diesen Ländern ein ganz unverhältnismäßig großes Gewicht im Bundesrat
verschafft. Ein „Verband Thüringen" würde die Stimmenkumulationen der
Kleinstaaten, die bereits Bismarck unwillig genug empfand, staatsrechtlich sanktio¬
nieren. De, hündische Charakter des Reiches wäre aufs empfindlichste bedroht,
wenn „Thüringen" mit seinen knapp anderthalb Millionen Einwohnern in der
Vertretung der Einzelstaaten seine acht Stimmen mit gleichem Erfolge in die
Wagschale werfen dürfte, wie die vereinigten Königreiche Sachsen und Württemberg
mit ihren sieben Millionen Einwohnern und einem mehr als anderthalbmal
größeren Landbesitz. Sollte vor allem Preußen ruhig zusehen, wie an wichtigster
Durchgangsstelle ein neuer Mittelstaat entsteht? Ein Mittelstaat, der 'die
preußischen Gebietsteile Thüringens vom Hauptteil der Monarchie abdrängt,
während bisher umgekehrt die thüringischen Einzelstaaten Enklaven im preußischen
Gesamtstaat waren?

Das alles sind Fragen, die bereits weit hinausweisen über die innere Flur¬
bereinigung Thüringens. — Es ist nicht anders: Wie 1815 und wie 1848 hängt
auch heute die sogenannte Mediatisierungsfrage, die in diesen thüringischen
Einigungswünschen lebendig ist, aufs engste mit der preußisch ° deutschen Frage
zusammen, mag sich auch äußerlich beider Charakter inzwischen wesentlich geändert
haben. „Erst eine neue Lösung des deutschen Einheitsproblems kann auch dem
thüringischen Einheitsgedanken Erfüllung bringen."




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[0286] Deutsche Flurbereinigung Die Vereinheitlichung, so führen die erwähnten Vorschläge aus, werde Er¬ sparnis von Arbeitskräften, von Zeit, Nerven und Geld und Kraftgewinn bringen. Berechtigtes gelte es pfleglich zu erhalten, überlebtes zu beseitigen mit Schützen- grabengeistl „Die Heranziehung aller Schichten unseres Volkes zur politischen Mitarbeit in Staat und Gemeinde" ist daher auch den Führern dieser thüringi¬ schen Bewegung das Wichtigste: ein Spiegelbild der preußisch-deutschen Be¬ strebungen von Verwaltungs- und- Wahlrechtsreform! Zur Vorbereitung wünscht man „ein großzügiges Teilungs- und Austauschverfahren zum Zwecke der Zu» sammenlegung Thüringens zu abgerundeten Staatsgebieten", so daß sich organisch über den Gemeinden der Kreis, darüber die Staatsregierung und als letzte Instanz der „Verband Thüringen" erhebe. Trotz dieser weitgehenden unitarischen Forderung rechnen die Führer der bürgerlichen Parteien, wie es scheint, ernsthaft mit der Möglichkeit, die Souveränität der Einzelstaaten unberührt lassen zu können. Wohl war die dynastische Anhänglichkeit einzelner Länder, die erst nach dem politischen Erwachen der deutschen Einheitsbewegung ihr Fürstenhaus wechselten, nie sehr groß. In anderen, wie in Weimar und Meiningen, ist dieser Zusammenhang in den letzten Jahren stark gelockert worden. Trotzdem besteht allenthalben ein natürliches Staatsgcfühl, das mehr oder weniger auf der Anhänglichkeit des Thüringers an dem heimischen Boden beruht. Diese Stimmung nun suchen die an die Öffentlichkeit dringenden Stimmen dadurch zu schonen, daß sie einen Staatenbund als Zwischenstelle zwischen Reich und Bundesstciaten einschieben. Als Sitz des „Verbandes" soll keine der Landesyauptstädte. sondern sozusagen nur ein neutraler Ort inmitten des Landes — genannt wird Arnstadt — in Frage kommen. Zugleich lehnt der Landesausschuß der nationalliberalen Partei in Thüringen als das Organ der bürgerlichen Einigungsfreunde jeden Eingriff der Reichsgesetzgebung in die Ver¬ fassung der thüringischen Staaten als der Bundesverfassung und dem Bundes¬ charakter widersprechend auf das bestimmteste ab. Wer die geschichtlichen Zusammenhänge der thüringischen Einheitsfrage kennt, wird dieser Forderung nicht zustimmen können. Sie erinnert gar zu sehr an die überkünstlichen Entwürfe der Märztage 1848. die wie Spreu vor der Wucht der großen Ereignisse in Frankfurt, in Wien und Berlin verflogen. Die politische Formulierung der Einigungswünsche, die in der Bevölkerung nur unbewußt und ohne selbständige Expansionskraft wurzeln, hängt heute wie vor zwei Menschenaltern in allen wesentlichen Stücken von der verfassungsrechtlichen Stimmung im Reich ab. Schon die Vereinigung beider Reuß und Schwarzburg haben diesen Ländern ein ganz unverhältnismäßig großes Gewicht im Bundesrat verschafft. Ein „Verband Thüringen" würde die Stimmenkumulationen der Kleinstaaten, die bereits Bismarck unwillig genug empfand, staatsrechtlich sanktio¬ nieren. De, hündische Charakter des Reiches wäre aufs empfindlichste bedroht, wenn „Thüringen" mit seinen knapp anderthalb Millionen Einwohnern in der Vertretung der Einzelstaaten seine acht Stimmen mit gleichem Erfolge in die Wagschale werfen dürfte, wie die vereinigten Königreiche Sachsen und Württemberg mit ihren sieben Millionen Einwohnern und einem mehr als anderthalbmal größeren Landbesitz. Sollte vor allem Preußen ruhig zusehen, wie an wichtigster Durchgangsstelle ein neuer Mittelstaat entsteht? Ein Mittelstaat, der 'die preußischen Gebietsteile Thüringens vom Hauptteil der Monarchie abdrängt, während bisher umgekehrt die thüringischen Einzelstaaten Enklaven im preußischen Gesamtstaat waren? Das alles sind Fragen, die bereits weit hinausweisen über die innere Flur¬ bereinigung Thüringens. — Es ist nicht anders: Wie 1815 und wie 1848 hängt auch heute die sogenannte Mediatisierungsfrage, die in diesen thüringischen Einigungswünschen lebendig ist, aufs engste mit der preußisch ° deutschen Frage zusammen, mag sich auch äußerlich beider Charakter inzwischen wesentlich geändert haben. „Erst eine neue Lösung des deutschen Einheitsproblems kann auch dem thüringischen Einheitsgedanken Erfüllung bringen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/286>, abgerufen am 22.07.2024.