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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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"Lark Jentsch und die Grenzbsten

Fragen; vielfach erörtert*). Seine Stellung zu dem Buche der Bücher, dessen
wundersamer Entstehung er mehrere Aufsätze deZ 1893er Jahrganges (I) widmet,
kennzeichnen folgende, auch für den Menschen Jentsch charakteristische Worte
(Seite 398):

"Aber wenn man, wie ich, allen Autoritäten den Rücken gekehrt, mit den
Dogmen gebrochen, alle angelernten Meinungen und alles Anempfundene ausge-
gefegt und beschlossen hat, ein Narr auf eigne Faust zu sein und niemandem zu
folgen als der Stimme der eigenen Natur und Vernunft, und wenn man dann
beim Bibellesen das Buch weder langweilig noch dumm findet, sondern erst
seinen wahren Wert und seine ganze Größe entdeckt, dann hat man den Beweis
in den Händen, daß sie nicht ein Buch ist wie andere Bücher". -- "Konfession
und Wirtschaftsleben" (1907, III) deutet auf das national-ökonomische Interesse
von Carl Jentsch zurück. Die Jesuitenfrage, in der er -- Gegner aller Aus-
nahmegesetze -- Aufhebung des Ausschlusses der Jesuiten aus Deutschland forderte, er¬
fuhr durch ihn eine vielseitige Erörterung, sowohl in historischer als auch in politischer
Beziehung"). Auch für ausgesprochene Latliolic-a fand sich Raum, z. B. "Katho¬
lische Belletristik" (1899, I) oder "Die katholische Moral" (1903, I), wie ja die
..Grenzboten" dem Katholizismus von jeher objektiv gerecht und keineswegs ab-
lehnend gegenüber gestanden haben. Sie fanden sich in dieser Objektivität mit
Jentsch zusammen, der die drei christlichen Konfessionen für völlig gleichberechtigte
Ausgestaltungen des einen Christentums hielt. Daß sie sich gegenseitig als solche
anerkennen möchten, war sein sehnlichster Wünscht) Der evangelische Bund wie
die Katholikentage wurden, als diesem Gleichberechtigungsstreben abhold, von
Jentsch bekämpft, wodurch den "Grenzboten" Gegnerschaft von zwei Seiten erwuchs.
Sie haben sie im Bewußtsein des rechten Weges geruhig ertragen.

Die christliche Religion ist im tiefsten Wesen Ethik. Grunow wie Jentsch
waren echt christliche Naturen. Die ethischen Fragen besaßen darum ihr
volles Interesse; ich nenne einen Beitrag für mehrere: "Gibt es
einen sittlichen Fortschritt und worin besteht er?" (1890, III).
Moralische Ansichten und Maxime bedingten auch Jentschs Stellungnahme zur
Kunst. So bestritt er in "Das Theater als Kirche" (1908, IV) wohl keineswegs
die häufige didaktische Wirkung guter dramatischer Dichtung, doch wäre diese nie¬
mals vergleichbar mit der des Gottesdienstes, und nie würde das Theater die
Kirche ersetzen können. Von berühmten Dichtern fesselte ihn am meisten Ibsen,
dessen Lebenswerk er zahlreiche Aufsätze gewidmet hat (vgl. Jahrg. 1900, II--IV;
1906, 1908,1910), freilich mehr von dem philosophischen als von dem künstlerischen
Gehalt angezogen und zur Kritik gereizt. Grunow forderte den Fnund gelegentlich
auf, auch die Rezension rein belletristischer Sachen zu übernehmen. Beim ersten
Male holte er sich eine Absage. Jentsch meinte, seine Stellungnahme würde der
der lesenden Köchin gleichen, die sich die Hände reibt, wenn ein Bubenstreich
glückt, die jubelt, wenn sie sich kriegen, die weint, wenn der Held allzu Schweres
erdulden muß und die die Faust ballt gegen jeden Quälgeist ihres Romanlieblings.
Na, und das würde wohl kaum die richtige Einstellung für einen Grenzboten-





") Historisch bzw. philosophisch geben sich "Hellenentum und Christentum" (1901, IV
und 1902, I--IV; in Buchform 1903), "Der Sinn des Christentums" (1900, I), "Die
christliche Mystik und die Religion der Zukunft" l1904, III), "Das Heidentum in der römi¬
schen Kirche" (1890, III), "Kirche und Staat in Frankreich" (1908, I). "Katholizismus und
Kultur" (1912, IV). Das Kirchendogma erfährt eine kritische Würdigung (1902, I) desgl.
Zölibat, Brevier, Meszstipendien und Klosterwesen (190ö, IV). Reformbestrebungen finden
ein verständnisvolles Eingehen (1899, IV; 1906 I usw.).
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) Es seien erwähnt: "Zur Jesuitenfrage (1893, II u. III), "Die Mission der Jesu¬
iten in Paraguay" (1893, IV), "Jesuitenfrage und konfessionelle Polemik" (1905, I), "Die
Jesuiten in Deutschland" (1908, I).
***
) In diesem Sinne wirken will die aus dem Manuskriptnachlasse von mir edierte
Broschüre: "Wie dem Protestantismus Aufklärung über den Katholizismus nottut und ge¬
geben werden soll" (1917 bet Fr. Wilh. Grunow, Leipzig, erschienen).
«Lark Jentsch und die Grenzbsten

Fragen; vielfach erörtert*). Seine Stellung zu dem Buche der Bücher, dessen
wundersamer Entstehung er mehrere Aufsätze deZ 1893er Jahrganges (I) widmet,
kennzeichnen folgende, auch für den Menschen Jentsch charakteristische Worte
(Seite 398):

„Aber wenn man, wie ich, allen Autoritäten den Rücken gekehrt, mit den
Dogmen gebrochen, alle angelernten Meinungen und alles Anempfundene ausge-
gefegt und beschlossen hat, ein Narr auf eigne Faust zu sein und niemandem zu
folgen als der Stimme der eigenen Natur und Vernunft, und wenn man dann
beim Bibellesen das Buch weder langweilig noch dumm findet, sondern erst
seinen wahren Wert und seine ganze Größe entdeckt, dann hat man den Beweis
in den Händen, daß sie nicht ein Buch ist wie andere Bücher". — „Konfession
und Wirtschaftsleben" (1907, III) deutet auf das national-ökonomische Interesse
von Carl Jentsch zurück. Die Jesuitenfrage, in der er — Gegner aller Aus-
nahmegesetze — Aufhebung des Ausschlusses der Jesuiten aus Deutschland forderte, er¬
fuhr durch ihn eine vielseitige Erörterung, sowohl in historischer als auch in politischer
Beziehung"). Auch für ausgesprochene Latliolic-a fand sich Raum, z. B. „Katho¬
lische Belletristik" (1899, I) oder „Die katholische Moral" (1903, I), wie ja die
..Grenzboten" dem Katholizismus von jeher objektiv gerecht und keineswegs ab-
lehnend gegenüber gestanden haben. Sie fanden sich in dieser Objektivität mit
Jentsch zusammen, der die drei christlichen Konfessionen für völlig gleichberechtigte
Ausgestaltungen des einen Christentums hielt. Daß sie sich gegenseitig als solche
anerkennen möchten, war sein sehnlichster Wünscht) Der evangelische Bund wie
die Katholikentage wurden, als diesem Gleichberechtigungsstreben abhold, von
Jentsch bekämpft, wodurch den „Grenzboten" Gegnerschaft von zwei Seiten erwuchs.
Sie haben sie im Bewußtsein des rechten Weges geruhig ertragen.

Die christliche Religion ist im tiefsten Wesen Ethik. Grunow wie Jentsch
waren echt christliche Naturen. Die ethischen Fragen besaßen darum ihr
volles Interesse; ich nenne einen Beitrag für mehrere: „Gibt es
einen sittlichen Fortschritt und worin besteht er?" (1890, III).
Moralische Ansichten und Maxime bedingten auch Jentschs Stellungnahme zur
Kunst. So bestritt er in „Das Theater als Kirche" (1908, IV) wohl keineswegs
die häufige didaktische Wirkung guter dramatischer Dichtung, doch wäre diese nie¬
mals vergleichbar mit der des Gottesdienstes, und nie würde das Theater die
Kirche ersetzen können. Von berühmten Dichtern fesselte ihn am meisten Ibsen,
dessen Lebenswerk er zahlreiche Aufsätze gewidmet hat (vgl. Jahrg. 1900, II—IV;
1906, 1908,1910), freilich mehr von dem philosophischen als von dem künstlerischen
Gehalt angezogen und zur Kritik gereizt. Grunow forderte den Fnund gelegentlich
auf, auch die Rezension rein belletristischer Sachen zu übernehmen. Beim ersten
Male holte er sich eine Absage. Jentsch meinte, seine Stellungnahme würde der
der lesenden Köchin gleichen, die sich die Hände reibt, wenn ein Bubenstreich
glückt, die jubelt, wenn sie sich kriegen, die weint, wenn der Held allzu Schweres
erdulden muß und die die Faust ballt gegen jeden Quälgeist ihres Romanlieblings.
Na, und das würde wohl kaum die richtige Einstellung für einen Grenzboten-





«) Historisch bzw. philosophisch geben sich „Hellenentum und Christentum" (1901, IV
und 1902, I—IV; in Buchform 1903), „Der Sinn des Christentums" (1900, I), „Die
christliche Mystik und die Religion der Zukunft" l1904, III), „Das Heidentum in der römi¬
schen Kirche" (1890, III), „Kirche und Staat in Frankreich" (1908, I). „Katholizismus und
Kultur" (1912, IV). Das Kirchendogma erfährt eine kritische Würdigung (1902, I) desgl.
Zölibat, Brevier, Meszstipendien und Klosterwesen (190ö, IV). Reformbestrebungen finden
ein verständnisvolles Eingehen (1899, IV; 1906 I usw.).
**'
) Es seien erwähnt: „Zur Jesuitenfrage (1893, II u. III), „Die Mission der Jesu¬
iten in Paraguay" (1893, IV), „Jesuitenfrage und konfessionelle Polemik" (1905, I), „Die
Jesuiten in Deutschland" (1908, I).
***
) In diesem Sinne wirken will die aus dem Manuskriptnachlasse von mir edierte
Broschüre: „Wie dem Protestantismus Aufklärung über den Katholizismus nottut und ge¬
geben werden soll" (1917 bet Fr. Wilh. Grunow, Leipzig, erschienen).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/181>, abgerufen am 22.07.2024.