Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Carl Jentsch und die Grenzboten

und Bedeutungsvolle am Altreichskanzler voll und ganz an, ja er hatte si h sogar
eine Zeitlang von ihm mit fortreißen lassen, wie er selbst berichtet in den bereits
genannten "Wandlungen" (seiner ebenso interessanten wie unterhaltsamer Auto-
biographie. die unter dem Titel "Wandlungen des Ich im Zeitenstrome" 1894,
III bis 1896, I annonym erschien und ab 1897, I weiter geführt wurde in mehreren
Teilen: "Jenseits der Mainlinie", "München und Konstanz", "Religionsunterricht",
"Endlich den Beruf gefunden". Die Buchausgabe, -- bei Fr. Wilh. Grunow,
Leipzig 1896 und 1905, -- in 2 Bänden, enthält noch zur Ergänzung Aufsätze
über Nietzsche aus dem Grenzbotenjahrgang 1898, Ibsen aus dem Jahrg. 1900,
sowie über Hilty aus dem gleichen Jahrgang). Jentschs kühlkritische Stellung¬
nahme kam der Objektivität der "Grenzboten" ober doch zugute. Wie hätten
sie sonst schreiben können (Jahrg. 1895. IV): "Es ist uns leid als alten Bismarckianern
und den treuesten Bismarckianern, es nuszusprechen, aber wir sagen es: daß wir
uns für bismarckisch halten mehr als jeden, der jetzt auf seinen Namen pocht,
wenn wir uns seitab stellen von -- seinen Leuten. Eins steht uns eben höher
als alles andere, als alte Liebe und altes Vasallentum, das sind Kaiser
und Reich". --

Die im vorstehenden geschilderte rege politische und volkswirtschaftliche
Mitarbeit erschöpft bei weitem nicht den geistigen Anteil Carl Jentschs an den
"Grenzboten". Schon die Themen zeigen -- wie bereits angedeutet wurde -- den
ganzen vielseitigenJentsch. Geschichte, Philosophie, Psychologie, Kirche und Konfession,
Kunst und Literatur wurden nicht weniger als die Politik gepflegt. Die große Aufsatz¬
reihe "Geschichtsphilosophische Gedanken" zog die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf die
"Grenzboten", freilich hauptsächlich erst durch die Buchausgabe, die Johannes
Grunow zu des Verfassers Rberraschung zu unternehmen vorschlug. Jentsch --
in seiner Bescheidenheit -- begriff ihn nicht, wie er sich selbst darum bemühen
könnte, "reingelegt" zu werden. Er war sehr skeptisch wegen des Erfolgs und
"lachte aus, falls der Absatz nicht die honorarfreie Zahl überschritte, er doch
wenigstens eine (!) Mark erhalten sollte, soviel gedächte er nämlich auf einen
guten Schluck zu Ehren seines ersten "Kindes" anzuwenden. (Brief vom 26. Mai
1892.) Das Buch hat 1903 die zweite Auflage erlebt, -- Plato. Giordano
Bruno, Pascal, Leibniz, .Kant, Hegel, .Herbart, Spencer, Nietzsche, Eduard von
Hartmann, Wundt erfahren mehrfach eine Interpretation durch Jentsch, sowie die
naturphilosophischen Systeme etwa Haeckels und anderer. Dabei spielten eine
bedeutsame Rolle biologische Fragen, aus die Jentsch durch E. von Hartmanns
"Irrtum und Wahrheit im Darwinismus" geführt worden war. Jahrelang hat
er philosophische und psychologische Neuerscheinungen in den "Grenzboten"
besprochen. Ja, sogar ein philosophisches Märchen hat Jentsch geschrieben: "Homun-
culus und Herr Nemo" (Jahrg. 1891, III). Es ist dies eine treffliche Satire auf
den Materialismus, die Jentschs eigene Meinung von seiner Unfähigkeit, novel¬
listisch schassen zu können, in etwas Lügen.straft. Die kleine Geschichte ist ebenso
amüsant, wie fesselnd zu lesen. -- Von dein Riesenstoffgebiet der Historie besaß
vornehmlich sein Interesse: das römische Reich, das Mittelalter, die florentinische
Geschichte und die Zeit der Reformation*). Die Vorliebe für die Reformations¬
zeit gründet sich natürlich auf den Bildungsgang des ehemaligen Pfarrers, der der
alten Kirche untreu geworden, Wege zum Besseren suchte. Vom ersten Bande
der Mitarbeit an bis 1912 hat er in den "Grenzboten" religiöse, konfessionelle



*) Hier sind unter anderen zu nennen die Abhandlungen: "Der Untergang der an¬
tiken Welt" (Jahrg. l896, l), "Der Römerstcmt" (1.399, II--IV), "Verwaltung und Polizei
im spätrömischen Reich" (1901, I), "Eine Kulturgeschichte des Römerreiches" (190S, IV),
"Die Sklaverei bei den antiken Dichtern" (1394, l u. II; enthalten mit dem eben genannten
"Römerstaat" in dem 1990 erschienenen Werke: "Drei Spaziergänge eines Laien ins
klassische Altertum"), "Geschichtsphilosophische Gedanken", Teil 10 u. 11 (1893, III), "Zur
mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte" (1397, I), "Mittelalterliches Bauernleben" (1898, III),
"Eine Geschichte von Florenz" (1897, I).
Carl Jentsch und die Grenzboten

und Bedeutungsvolle am Altreichskanzler voll und ganz an, ja er hatte si h sogar
eine Zeitlang von ihm mit fortreißen lassen, wie er selbst berichtet in den bereits
genannten „Wandlungen" (seiner ebenso interessanten wie unterhaltsamer Auto-
biographie. die unter dem Titel „Wandlungen des Ich im Zeitenstrome" 1894,
III bis 1896, I annonym erschien und ab 1897, I weiter geführt wurde in mehreren
Teilen: „Jenseits der Mainlinie", „München und Konstanz", „Religionsunterricht",
„Endlich den Beruf gefunden". Die Buchausgabe, — bei Fr. Wilh. Grunow,
Leipzig 1896 und 1905, — in 2 Bänden, enthält noch zur Ergänzung Aufsätze
über Nietzsche aus dem Grenzbotenjahrgang 1898, Ibsen aus dem Jahrg. 1900,
sowie über Hilty aus dem gleichen Jahrgang). Jentschs kühlkritische Stellung¬
nahme kam der Objektivität der „Grenzboten" ober doch zugute. Wie hätten
sie sonst schreiben können (Jahrg. 1895. IV): „Es ist uns leid als alten Bismarckianern
und den treuesten Bismarckianern, es nuszusprechen, aber wir sagen es: daß wir
uns für bismarckisch halten mehr als jeden, der jetzt auf seinen Namen pocht,
wenn wir uns seitab stellen von — seinen Leuten. Eins steht uns eben höher
als alles andere, als alte Liebe und altes Vasallentum, das sind Kaiser
und Reich". —

Die im vorstehenden geschilderte rege politische und volkswirtschaftliche
Mitarbeit erschöpft bei weitem nicht den geistigen Anteil Carl Jentschs an den
„Grenzboten". Schon die Themen zeigen — wie bereits angedeutet wurde — den
ganzen vielseitigenJentsch. Geschichte, Philosophie, Psychologie, Kirche und Konfession,
Kunst und Literatur wurden nicht weniger als die Politik gepflegt. Die große Aufsatz¬
reihe „Geschichtsphilosophische Gedanken" zog die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf die
„Grenzboten", freilich hauptsächlich erst durch die Buchausgabe, die Johannes
Grunow zu des Verfassers Rberraschung zu unternehmen vorschlug. Jentsch —
in seiner Bescheidenheit — begriff ihn nicht, wie er sich selbst darum bemühen
könnte, „reingelegt" zu werden. Er war sehr skeptisch wegen des Erfolgs und
»lachte aus, falls der Absatz nicht die honorarfreie Zahl überschritte, er doch
wenigstens eine (!) Mark erhalten sollte, soviel gedächte er nämlich auf einen
guten Schluck zu Ehren seines ersten „Kindes" anzuwenden. (Brief vom 26. Mai
1892.) Das Buch hat 1903 die zweite Auflage erlebt, — Plato. Giordano
Bruno, Pascal, Leibniz, .Kant, Hegel, .Herbart, Spencer, Nietzsche, Eduard von
Hartmann, Wundt erfahren mehrfach eine Interpretation durch Jentsch, sowie die
naturphilosophischen Systeme etwa Haeckels und anderer. Dabei spielten eine
bedeutsame Rolle biologische Fragen, aus die Jentsch durch E. von Hartmanns
„Irrtum und Wahrheit im Darwinismus" geführt worden war. Jahrelang hat
er philosophische und psychologische Neuerscheinungen in den „Grenzboten"
besprochen. Ja, sogar ein philosophisches Märchen hat Jentsch geschrieben: „Homun-
culus und Herr Nemo" (Jahrg. 1891, III). Es ist dies eine treffliche Satire auf
den Materialismus, die Jentschs eigene Meinung von seiner Unfähigkeit, novel¬
listisch schassen zu können, in etwas Lügen.straft. Die kleine Geschichte ist ebenso
amüsant, wie fesselnd zu lesen. — Von dein Riesenstoffgebiet der Historie besaß
vornehmlich sein Interesse: das römische Reich, das Mittelalter, die florentinische
Geschichte und die Zeit der Reformation*). Die Vorliebe für die Reformations¬
zeit gründet sich natürlich auf den Bildungsgang des ehemaligen Pfarrers, der der
alten Kirche untreu geworden, Wege zum Besseren suchte. Vom ersten Bande
der Mitarbeit an bis 1912 hat er in den „Grenzboten" religiöse, konfessionelle



*) Hier sind unter anderen zu nennen die Abhandlungen: „Der Untergang der an¬
tiken Welt" (Jahrg. l896, l), „Der Römerstcmt" (1.399, II—IV), „Verwaltung und Polizei
im spätrömischen Reich" (1901, I), „Eine Kulturgeschichte des Römerreiches" (190S, IV),
„Die Sklaverei bei den antiken Dichtern" (1394, l u. II; enthalten mit dem eben genannten
„Römerstaat" in dem 1990 erschienenen Werke: „Drei Spaziergänge eines Laien ins
klassische Altertum"), „Geschichtsphilosophische Gedanken", Teil 10 u. 11 (1893, III), „Zur
mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte" (1397, I), „Mittelalterliches Bauernleben" (1898, III),
„Eine Geschichte von Florenz" (1897, I).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333277"/>
          <fw type="header" place="top"> Carl Jentsch und die Grenzboten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_621" prev="#ID_620"> und Bedeutungsvolle am Altreichskanzler voll und ganz an, ja er hatte si h sogar<lb/>
eine Zeitlang von ihm mit fortreißen lassen, wie er selbst berichtet in den bereits<lb/>
genannten &#x201E;Wandlungen" (seiner ebenso interessanten wie unterhaltsamer Auto-<lb/>
biographie. die unter dem Titel &#x201E;Wandlungen des Ich im Zeitenstrome" 1894,<lb/>
III bis 1896, I annonym erschien und ab 1897, I weiter geführt wurde in mehreren<lb/>
Teilen: &#x201E;Jenseits der Mainlinie", &#x201E;München und Konstanz", &#x201E;Religionsunterricht",<lb/>
&#x201E;Endlich den Beruf gefunden". Die Buchausgabe, &#x2014; bei Fr. Wilh. Grunow,<lb/>
Leipzig 1896 und 1905, &#x2014; in 2 Bänden, enthält noch zur Ergänzung Aufsätze<lb/>
über Nietzsche aus dem Grenzbotenjahrgang 1898, Ibsen aus dem Jahrg. 1900,<lb/>
sowie über Hilty aus dem gleichen Jahrgang). Jentschs kühlkritische Stellung¬<lb/>
nahme kam der Objektivität der &#x201E;Grenzboten" ober doch zugute. Wie hätten<lb/>
sie sonst schreiben können (Jahrg. 1895. IV): &#x201E;Es ist uns leid als alten Bismarckianern<lb/>
und den treuesten Bismarckianern, es nuszusprechen, aber wir sagen es: daß wir<lb/>
uns für bismarckisch halten mehr als jeden, der jetzt auf seinen Namen pocht,<lb/>
wenn wir uns seitab stellen von &#x2014; seinen Leuten. Eins steht uns eben höher<lb/>
als alles andere, als alte Liebe und altes Vasallentum, das sind Kaiser<lb/>
und Reich". &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_622" next="#ID_623"> Die im vorstehenden geschilderte rege politische und volkswirtschaftliche<lb/>
Mitarbeit erschöpft bei weitem nicht den geistigen Anteil Carl Jentschs an den<lb/>
&#x201E;Grenzboten". Schon die Themen zeigen &#x2014; wie bereits angedeutet wurde &#x2014; den<lb/>
ganzen vielseitigenJentsch. Geschichte, Philosophie, Psychologie, Kirche und Konfession,<lb/>
Kunst und Literatur wurden nicht weniger als die Politik gepflegt. Die große Aufsatz¬<lb/>
reihe &#x201E;Geschichtsphilosophische Gedanken" zog die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf die<lb/>
&#x201E;Grenzboten", freilich hauptsächlich erst durch die Buchausgabe, die Johannes<lb/>
Grunow zu des Verfassers Rberraschung zu unternehmen vorschlug. Jentsch &#x2014;<lb/>
in seiner Bescheidenheit &#x2014; begriff ihn nicht, wie er sich selbst darum bemühen<lb/>
könnte, &#x201E;reingelegt" zu werden. Er war sehr skeptisch wegen des Erfolgs und<lb/>
»lachte aus, falls der Absatz nicht die honorarfreie Zahl überschritte, er doch<lb/>
wenigstens eine (!) Mark erhalten sollte, soviel gedächte er nämlich auf einen<lb/>
guten Schluck zu Ehren seines ersten &#x201E;Kindes" anzuwenden. (Brief vom 26. Mai<lb/>
1892.) Das Buch hat 1903 die zweite Auflage erlebt, &#x2014; Plato. Giordano<lb/>
Bruno, Pascal, Leibniz, .Kant, Hegel, .Herbart, Spencer, Nietzsche, Eduard von<lb/>
Hartmann, Wundt erfahren mehrfach eine Interpretation durch Jentsch, sowie die<lb/>
naturphilosophischen Systeme etwa Haeckels und anderer. Dabei spielten eine<lb/>
bedeutsame Rolle biologische Fragen, aus die Jentsch durch E. von Hartmanns<lb/>
&#x201E;Irrtum und Wahrheit im Darwinismus" geführt worden war. Jahrelang hat<lb/>
er philosophische und psychologische Neuerscheinungen in den &#x201E;Grenzboten"<lb/>
besprochen. Ja, sogar ein philosophisches Märchen hat Jentsch geschrieben: &#x201E;Homun-<lb/>
culus und Herr Nemo" (Jahrg. 1891, III). Es ist dies eine treffliche Satire auf<lb/>
den Materialismus, die Jentschs eigene Meinung von seiner Unfähigkeit, novel¬<lb/>
listisch schassen zu können, in etwas Lügen.straft. Die kleine Geschichte ist ebenso<lb/>
amüsant, wie fesselnd zu lesen. &#x2014; Von dein Riesenstoffgebiet der Historie besaß<lb/>
vornehmlich sein Interesse: das römische Reich, das Mittelalter, die florentinische<lb/>
Geschichte und die Zeit der Reformation*). Die Vorliebe für die Reformations¬<lb/>
zeit gründet sich natürlich auf den Bildungsgang des ehemaligen Pfarrers, der der<lb/>
alten Kirche untreu geworden, Wege zum Besseren suchte. Vom ersten Bande<lb/>
der Mitarbeit an bis 1912 hat er in den &#x201E;Grenzboten" religiöse, konfessionelle</p><lb/>
          <note xml:id="FID_77" place="foot"> *) Hier sind unter anderen zu nennen die Abhandlungen: &#x201E;Der Untergang der an¬<lb/>
tiken Welt" (Jahrg. l896, l), &#x201E;Der Römerstcmt" (1.399, II&#x2014;IV), &#x201E;Verwaltung und Polizei<lb/>
im spätrömischen Reich" (1901, I), &#x201E;Eine Kulturgeschichte des Römerreiches" (190S, IV),<lb/>
&#x201E;Die Sklaverei bei den antiken Dichtern" (1394, l u. II; enthalten mit dem eben genannten<lb/>
&#x201E;Römerstaat" in dem 1990 erschienenen Werke: &#x201E;Drei Spaziergänge eines Laien ins<lb/>
klassische Altertum"), &#x201E;Geschichtsphilosophische Gedanken", Teil 10 u. 11 (1893, III), &#x201E;Zur<lb/>
mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte" (1397, I), &#x201E;Mittelalterliches Bauernleben" (1898, III),<lb/>
&#x201E;Eine Geschichte von Florenz" (1897, I).</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0180] Carl Jentsch und die Grenzboten und Bedeutungsvolle am Altreichskanzler voll und ganz an, ja er hatte si h sogar eine Zeitlang von ihm mit fortreißen lassen, wie er selbst berichtet in den bereits genannten „Wandlungen" (seiner ebenso interessanten wie unterhaltsamer Auto- biographie. die unter dem Titel „Wandlungen des Ich im Zeitenstrome" 1894, III bis 1896, I annonym erschien und ab 1897, I weiter geführt wurde in mehreren Teilen: „Jenseits der Mainlinie", „München und Konstanz", „Religionsunterricht", „Endlich den Beruf gefunden". Die Buchausgabe, — bei Fr. Wilh. Grunow, Leipzig 1896 und 1905, — in 2 Bänden, enthält noch zur Ergänzung Aufsätze über Nietzsche aus dem Grenzbotenjahrgang 1898, Ibsen aus dem Jahrg. 1900, sowie über Hilty aus dem gleichen Jahrgang). Jentschs kühlkritische Stellung¬ nahme kam der Objektivität der „Grenzboten" ober doch zugute. Wie hätten sie sonst schreiben können (Jahrg. 1895. IV): „Es ist uns leid als alten Bismarckianern und den treuesten Bismarckianern, es nuszusprechen, aber wir sagen es: daß wir uns für bismarckisch halten mehr als jeden, der jetzt auf seinen Namen pocht, wenn wir uns seitab stellen von — seinen Leuten. Eins steht uns eben höher als alles andere, als alte Liebe und altes Vasallentum, das sind Kaiser und Reich". — Die im vorstehenden geschilderte rege politische und volkswirtschaftliche Mitarbeit erschöpft bei weitem nicht den geistigen Anteil Carl Jentschs an den „Grenzboten". Schon die Themen zeigen — wie bereits angedeutet wurde — den ganzen vielseitigenJentsch. Geschichte, Philosophie, Psychologie, Kirche und Konfession, Kunst und Literatur wurden nicht weniger als die Politik gepflegt. Die große Aufsatz¬ reihe „Geschichtsphilosophische Gedanken" zog die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf die „Grenzboten", freilich hauptsächlich erst durch die Buchausgabe, die Johannes Grunow zu des Verfassers Rberraschung zu unternehmen vorschlug. Jentsch — in seiner Bescheidenheit — begriff ihn nicht, wie er sich selbst darum bemühen könnte, „reingelegt" zu werden. Er war sehr skeptisch wegen des Erfolgs und »lachte aus, falls der Absatz nicht die honorarfreie Zahl überschritte, er doch wenigstens eine (!) Mark erhalten sollte, soviel gedächte er nämlich auf einen guten Schluck zu Ehren seines ersten „Kindes" anzuwenden. (Brief vom 26. Mai 1892.) Das Buch hat 1903 die zweite Auflage erlebt, — Plato. Giordano Bruno, Pascal, Leibniz, .Kant, Hegel, .Herbart, Spencer, Nietzsche, Eduard von Hartmann, Wundt erfahren mehrfach eine Interpretation durch Jentsch, sowie die naturphilosophischen Systeme etwa Haeckels und anderer. Dabei spielten eine bedeutsame Rolle biologische Fragen, aus die Jentsch durch E. von Hartmanns „Irrtum und Wahrheit im Darwinismus" geführt worden war. Jahrelang hat er philosophische und psychologische Neuerscheinungen in den „Grenzboten" besprochen. Ja, sogar ein philosophisches Märchen hat Jentsch geschrieben: „Homun- culus und Herr Nemo" (Jahrg. 1891, III). Es ist dies eine treffliche Satire auf den Materialismus, die Jentschs eigene Meinung von seiner Unfähigkeit, novel¬ listisch schassen zu können, in etwas Lügen.straft. Die kleine Geschichte ist ebenso amüsant, wie fesselnd zu lesen. — Von dein Riesenstoffgebiet der Historie besaß vornehmlich sein Interesse: das römische Reich, das Mittelalter, die florentinische Geschichte und die Zeit der Reformation*). Die Vorliebe für die Reformations¬ zeit gründet sich natürlich auf den Bildungsgang des ehemaligen Pfarrers, der der alten Kirche untreu geworden, Wege zum Besseren suchte. Vom ersten Bande der Mitarbeit an bis 1912 hat er in den „Grenzboten" religiöse, konfessionelle *) Hier sind unter anderen zu nennen die Abhandlungen: „Der Untergang der an¬ tiken Welt" (Jahrg. l896, l), „Der Römerstcmt" (1.399, II—IV), „Verwaltung und Polizei im spätrömischen Reich" (1901, I), „Eine Kulturgeschichte des Römerreiches" (190S, IV), „Die Sklaverei bei den antiken Dichtern" (1394, l u. II; enthalten mit dem eben genannten „Römerstaat" in dem 1990 erschienenen Werke: „Drei Spaziergänge eines Laien ins klassische Altertum"), „Geschichtsphilosophische Gedanken", Teil 10 u. 11 (1893, III), „Zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte" (1397, I), „Mittelalterliches Bauernleben" (1898, III), „Eine Geschichte von Florenz" (1897, I).

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/180
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/180>, abgerufen am 22.07.2024.