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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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österreichisch - ungarische Ariegszielpolitik
v Georg Lleinow on

>n Brest - Litowsk verhandeln der deutsche und der österreichisch¬
ungarische Minister in einer Einmütigkeit über die Sicherung un¬
serer Ostgrenze, d. h. über ein in erster Linie reichsdeutsches Kriegs-
ziel, daß man annehmen sollte, es bestehe zwischen beiden auch volle
I Übereinstimmung über die Gesamtheit der Kriegsziele der Ver¬
bündeten überhaupt. Daneben' wissen wir bestimmt, daß in einer Frage, die
eben hierdurch zu einer Hauptfrage des Friedensabschlusses werden konnte, von
einer völligen Übereinstimmung nicht die Rede sein kann: in der Polsnfrage.
Dieser Instand ist nicht geeignet, uns in Ruhe über die Gestaltung der Friedens-
gmndlagen im allgemeinen und der östlichen Grenzsicherungen im besonderen zu
wiegen, weil die geschichtliche Entwicklung Deutschlands, die eine Fortsetzung der¬
jenigen Preußens ist, die Bedeutung der Polensrage für uns ganz anders ge¬
staltet hat, wie für unsere Verbündeten von der Donau. Außerdem sind in den
letzten Wochen Verhältnisse zutage getreten, die es schwer machen zu übersehen, wohin
eigentlich die Gesamtpolitik unseres größten Verbündeten steuert und in welcher
Richtung sowie in welchem Umfange wir aus praktischen Erwägungen heraus
gezwungen sein könnten, den Interessen unserer Bundesgenossen den Vortritt vor
den unseren lassen zu müssen. Wenn Gustav Stolper die polnische Frage jüngst
als die Lebensfrage der Monarchie schlechthin ') bezeichnen zu müssen glaubte und
ausführen kann, der Krieg habe für die Monarchie als südslawischer begonnen,
habe sich aber zum nordslawischen gewendet**), so sind das Auffassungen, die jenen
Gedankengängen entsprochen und uns aufhorchen machen. Nicht eben beruhigend
muß auch die immer deutlicher ein die politische Oberfläche tretende Tatsache
wirken, daß im Habsburgischen Lager eine Spaltung zwischen Österreich und
Ungarn von einer solchen Tiefe sich aufgetan hat, daß die sonst in ähnlichen
Fragen sehr zurückhaltende Presse Wiens offen darauf hinweist und Freiherr
von Chlumecky in der "Osterreichischen Rundschau" ^*) persönlich sowie durch mehrere





") "Europäische Staats- und Wirtschafts-Zeituno/ III. Jahrg. Heft 3 S, 46.
'*) ebenda Heft 4 S. 64.
**-") Heft 6 v. 15. Dez. 1917: "Unteilbar und untrennbar".
Grenzboten l 19!8 et


österreichisch - ungarische Ariegszielpolitik
v Georg Lleinow on

>n Brest - Litowsk verhandeln der deutsche und der österreichisch¬
ungarische Minister in einer Einmütigkeit über die Sicherung un¬
serer Ostgrenze, d. h. über ein in erster Linie reichsdeutsches Kriegs-
ziel, daß man annehmen sollte, es bestehe zwischen beiden auch volle
I Übereinstimmung über die Gesamtheit der Kriegsziele der Ver¬
bündeten überhaupt. Daneben' wissen wir bestimmt, daß in einer Frage, die
eben hierdurch zu einer Hauptfrage des Friedensabschlusses werden konnte, von
einer völligen Übereinstimmung nicht die Rede sein kann: in der Polsnfrage.
Dieser Instand ist nicht geeignet, uns in Ruhe über die Gestaltung der Friedens-
gmndlagen im allgemeinen und der östlichen Grenzsicherungen im besonderen zu
wiegen, weil die geschichtliche Entwicklung Deutschlands, die eine Fortsetzung der¬
jenigen Preußens ist, die Bedeutung der Polensrage für uns ganz anders ge¬
staltet hat, wie für unsere Verbündeten von der Donau. Außerdem sind in den
letzten Wochen Verhältnisse zutage getreten, die es schwer machen zu übersehen, wohin
eigentlich die Gesamtpolitik unseres größten Verbündeten steuert und in welcher
Richtung sowie in welchem Umfange wir aus praktischen Erwägungen heraus
gezwungen sein könnten, den Interessen unserer Bundesgenossen den Vortritt vor
den unseren lassen zu müssen. Wenn Gustav Stolper die polnische Frage jüngst
als die Lebensfrage der Monarchie schlechthin ') bezeichnen zu müssen glaubte und
ausführen kann, der Krieg habe für die Monarchie als südslawischer begonnen,
habe sich aber zum nordslawischen gewendet**), so sind das Auffassungen, die jenen
Gedankengängen entsprochen und uns aufhorchen machen. Nicht eben beruhigend
muß auch die immer deutlicher ein die politische Oberfläche tretende Tatsache
wirken, daß im Habsburgischen Lager eine Spaltung zwischen Österreich und
Ungarn von einer solchen Tiefe sich aufgetan hat, daß die sonst in ähnlichen
Fragen sehr zurückhaltende Presse Wiens offen darauf hinweist und Freiherr
von Chlumecky in der „Osterreichischen Rundschau" ^*) persönlich sowie durch mehrere





") „Europäische Staats- und Wirtschafts-Zeituno/ III. Jahrg. Heft 3 S, 46.
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[0157] [Abbildung] österreichisch - ungarische Ariegszielpolitik v Georg Lleinow on >n Brest - Litowsk verhandeln der deutsche und der österreichisch¬ ungarische Minister in einer Einmütigkeit über die Sicherung un¬ serer Ostgrenze, d. h. über ein in erster Linie reichsdeutsches Kriegs- ziel, daß man annehmen sollte, es bestehe zwischen beiden auch volle I Übereinstimmung über die Gesamtheit der Kriegsziele der Ver¬ bündeten überhaupt. Daneben' wissen wir bestimmt, daß in einer Frage, die eben hierdurch zu einer Hauptfrage des Friedensabschlusses werden konnte, von einer völligen Übereinstimmung nicht die Rede sein kann: in der Polsnfrage. Dieser Instand ist nicht geeignet, uns in Ruhe über die Gestaltung der Friedens- gmndlagen im allgemeinen und der östlichen Grenzsicherungen im besonderen zu wiegen, weil die geschichtliche Entwicklung Deutschlands, die eine Fortsetzung der¬ jenigen Preußens ist, die Bedeutung der Polensrage für uns ganz anders ge¬ staltet hat, wie für unsere Verbündeten von der Donau. Außerdem sind in den letzten Wochen Verhältnisse zutage getreten, die es schwer machen zu übersehen, wohin eigentlich die Gesamtpolitik unseres größten Verbündeten steuert und in welcher Richtung sowie in welchem Umfange wir aus praktischen Erwägungen heraus gezwungen sein könnten, den Interessen unserer Bundesgenossen den Vortritt vor den unseren lassen zu müssen. Wenn Gustav Stolper die polnische Frage jüngst als die Lebensfrage der Monarchie schlechthin ') bezeichnen zu müssen glaubte und ausführen kann, der Krieg habe für die Monarchie als südslawischer begonnen, habe sich aber zum nordslawischen gewendet**), so sind das Auffassungen, die jenen Gedankengängen entsprochen und uns aufhorchen machen. Nicht eben beruhigend muß auch die immer deutlicher ein die politische Oberfläche tretende Tatsache wirken, daß im Habsburgischen Lager eine Spaltung zwischen Österreich und Ungarn von einer solchen Tiefe sich aufgetan hat, daß die sonst in ähnlichen Fragen sehr zurückhaltende Presse Wiens offen darauf hinweist und Freiherr von Chlumecky in der „Osterreichischen Rundschau" ^*) persönlich sowie durch mehrere ") „Europäische Staats- und Wirtschafts-Zeituno/ III. Jahrg. Heft 3 S, 46. '*) ebenda Heft 4 S. 64. **-») Heft 6 v. 15. Dez. 1917: „Unteilbar und untrennbar". Grenzboten l 19!8 et

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/157>, abgerufen am 24.08.2024.