Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.Die ruthenische Frage <9<K und Wenden wir uns nun der ruthemschen Frage in Österreich zu, die selbst¬ Seit 1848 trachten die Ruthenen Galiziens das zumeist von ihnen bewohnte Es ist kaum nötig zu betonen, daß diese erhöhten Forderungen der Ruthenen ") Ihr Memorandum von 1848 findet man in meiner Quellensammlung "Polen" (Teubner Leipzig). Die andere Literatur über diese Bewegung und eine zusammenfassende Darstellung in "Polen und die polnisch-ruthenische Frage" (ebenda). **' ) Vgl. meinen Aufsatz in Grenzboten 1!)16 Ur. 50. Die Beschlüsse des am 26. und 26. Dezember in Lemberg gehaltenen Kongresses
sind infolge des Eingreifens der Zensur bisher nicht vollständig bekannt. Vgl. Ukrainisches Korre¬ spondenzblatt No. 3 (U)13). Die ruthenische Frage <9<K und Wenden wir uns nun der ruthemschen Frage in Österreich zu, die selbst¬ Seit 1848 trachten die Ruthenen Galiziens das zumeist von ihnen bewohnte Es ist kaum nötig zu betonen, daß diese erhöhten Forderungen der Ruthenen ") Ihr Memorandum von 1848 findet man in meiner Quellensammlung „Polen" (Teubner Leipzig). Die andere Literatur über diese Bewegung und eine zusammenfassende Darstellung in „Polen und die polnisch-ruthenische Frage" (ebenda). **' ) Vgl. meinen Aufsatz in Grenzboten 1!)16 Ur. 50. Die Beschlüsse des am 26. und 26. Dezember in Lemberg gehaltenen Kongresses
sind infolge des Eingreifens der Zensur bisher nicht vollständig bekannt. Vgl. Ukrainisches Korre¬ spondenzblatt No. 3 (U)13). <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333237"/> <fw type="header" place="top"> Die ruthenische Frage <9<K und</fw><lb/> <p xml:id="ID_491"> Wenden wir uns nun der ruthemschen Frage in Österreich zu, die selbst¬<lb/> verständlich zur ukrainischen in engen Beziehungen steht.</p><lb/> <p xml:id="ID_492"> Seit 1848 trachten die Ruthenen Galiziens das zumeist von ihnen bewohnte<lb/> Ostgalizien zu einer autonomen Provinz Österreichs umzugestalten, um es dem<lb/> polnischen Einflüsse zu entziehen.") Die Polen haben stets dieses Bestreben auf<lb/> das schärfste bekämpft und unterstützten gegen diese „jungruthemschen" Pläne lieber<lb/> die „Altruthenen", die den Anschluß an Rußland wünschten, weil dieses Streben<lb/> ihnen ungefährlicher schien. Nach Ausbruch des Krieges haben die Ruthenen<lb/> wieder ihre Forderungen auf die Abtrennung Ostgaliziens erhoben, und seither<lb/> oft betont. Besonders scharf wurde dieser Kampf, als durch das Patent vom<lb/> 5. November 1910 eine erhöhte Sonderstellung Galiziens (zugunsten der Polen)<lb/> in Aussicht gestellt wurde""). Das hatte zur Folge, daß die Ruthenen sofort<lb/> „Verwahrung gegen eventuelle Einverleibung der von Nußland befreiten ukrai¬<lb/> nischen Länder (Cholmlaud, Podlachien->Podlesien. Wolhynien) in das neuge¬<lb/> schaffene Königreich Polen" einlegten, gegen „die Sonderstellung Galiziens unter<lb/> polnischer Herrschaft" protestierten und wieder „die Bildung eines besonderen<lb/> ukramischen Kronlandes im Nahmen Österreichs" forderten. Neue Erregung be¬<lb/> mächtigte sich der Rutheneu, als am 6. April 1917 der Polnische Staatsrat auf<lb/> die „ethnographisch zwischen Polen und Rußland liegenden Länder, die in alter<lb/> Schicksalsbeziehung zu Polen stehen", Anspruch erhob. Dagegen hat am 21. April<lb/> die ruthenische parlamentarische Vertretung eine Verwahrung eingelegt. (Vgl.<lb/> Ukrainische Korrespondenz Ur. 15,1t>, Seite 15.) Als Ende Mai der österreichische<lb/> Reichsrat zusammentrat, hat dieselbe Vertretung sofort in der Eröffnungssitzung<lb/> (M Mai) kräftige Kundgebungen veranlaßt, in der sie ihre Wünsche betreffs Ostgalizien<lb/> erneuerten und sich gegen die Vereinigung selbst der kleinsten Teile ukrainischer<lb/> Gebiete von Cholmland,' Podlesien und Wohlynien mit dem Königreich Polen<lb/> aussprachen. Am 12. Mai forderte der Obmann der Ruthemschen parlamentarischen<lb/> Vereinigung „zum mindesten die Vereinigung Ostgaliziens, nach Abtrennung des<lb/> polnischen Westgaliziens, mit der ukrainischen nordöstlichen Bukowina zu einer<lb/> besonderen, mit eigener Selbstverwaltung ausgestatteten Provinz, und bei etwaiger<lb/> Neugestaltung in der ganzen Monarchie die Angliederung des ukramischen nord¬<lb/> östlichen Teiles von Ungarn an diese Provinz, damit die Ukrainer Österreich-<lb/> Ungarns in diesem neuen, aber zugleich auf alten historischen Grundlagen auf¬<lb/> gebauten Galizien sich ihren Volksgenossen in der russischen Ukraina nicht nach¬<lb/> gesetzt fühlen dürfen." In rascher Folge folgten dann die Forderungen nach<lb/> Errichtung der ruthemschen Universität in Lemverg, „nationalterritoriale Selbst¬<lb/> verwaltung," Anstellung ruthenischer Beamter in Ostgalizien, ja es ist jetzt<lb/> (Januar 1918) schon die Rede von der Durchführung einer Agrarreform durch<lb/> Aufteilung des meist polnischen Großgrundbesitzes an die Bauern. Gleichzeitig<lb/> traten die ruthemschen Abgeordneten zur Negierung in Opposition, verweigerten<lb/> das Budget und traten mit Tschechen, Südslawen, Italienern und Rumänen in<lb/> Verbindung."**)</p><lb/> <p xml:id="ID_493" next="#ID_494"> Es ist kaum nötig zu betonen, daß diese erhöhten Forderungen der Ruthenen<lb/> unter dem Einflüsse der russischen Revolution stehen. Die sehr gemäßigten Buko-<lb/> winer Ruthenen begleiteten ihre Forderung nach der Schaffung einer ruthemschen<lb/> Provinz aus allen ruthemschen Gebieten der Monarchie mit der Bemerkung:<lb/> „daß die Führer der ukrainischen Bewegung in Rußland nur dann aus ihren<lb/> Zukunftsplänen die österreichischen Ukrainer ausschalten werden, wenn sie dieselben<lb/> von polnischer Bedrückung frei als wirkliche gleichberechtigte Bürger dieses Staates</p><lb/> <note xml:id="FID_48" place="foot"> ") Ihr Memorandum von 1848 findet man in meiner Quellensammlung „Polen"<lb/> (Teubner Leipzig). Die andere Literatur über diese Bewegung und eine zusammenfassende<lb/> Darstellung in „Polen und die polnisch-ruthenische Frage" (ebenda).<lb/> **'</note><lb/> <note xml:id="FID_49" place="foot"> ) Vgl. meinen Aufsatz in Grenzboten 1!)16 Ur. 50.</note><lb/> <note xml:id="FID_50" place="foot"> Die Beschlüsse des am 26. und 26. 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Die ruthenische Frage <9<K und
Wenden wir uns nun der ruthemschen Frage in Österreich zu, die selbst¬
verständlich zur ukrainischen in engen Beziehungen steht.
Seit 1848 trachten die Ruthenen Galiziens das zumeist von ihnen bewohnte
Ostgalizien zu einer autonomen Provinz Österreichs umzugestalten, um es dem
polnischen Einflüsse zu entziehen.") Die Polen haben stets dieses Bestreben auf
das schärfste bekämpft und unterstützten gegen diese „jungruthemschen" Pläne lieber
die „Altruthenen", die den Anschluß an Rußland wünschten, weil dieses Streben
ihnen ungefährlicher schien. Nach Ausbruch des Krieges haben die Ruthenen
wieder ihre Forderungen auf die Abtrennung Ostgaliziens erhoben, und seither
oft betont. Besonders scharf wurde dieser Kampf, als durch das Patent vom
5. November 1910 eine erhöhte Sonderstellung Galiziens (zugunsten der Polen)
in Aussicht gestellt wurde""). Das hatte zur Folge, daß die Ruthenen sofort
„Verwahrung gegen eventuelle Einverleibung der von Nußland befreiten ukrai¬
nischen Länder (Cholmlaud, Podlachien->Podlesien. Wolhynien) in das neuge¬
schaffene Königreich Polen" einlegten, gegen „die Sonderstellung Galiziens unter
polnischer Herrschaft" protestierten und wieder „die Bildung eines besonderen
ukramischen Kronlandes im Nahmen Österreichs" forderten. Neue Erregung be¬
mächtigte sich der Rutheneu, als am 6. April 1917 der Polnische Staatsrat auf
die „ethnographisch zwischen Polen und Rußland liegenden Länder, die in alter
Schicksalsbeziehung zu Polen stehen", Anspruch erhob. Dagegen hat am 21. April
die ruthenische parlamentarische Vertretung eine Verwahrung eingelegt. (Vgl.
Ukrainische Korrespondenz Ur. 15,1t>, Seite 15.) Als Ende Mai der österreichische
Reichsrat zusammentrat, hat dieselbe Vertretung sofort in der Eröffnungssitzung
(M Mai) kräftige Kundgebungen veranlaßt, in der sie ihre Wünsche betreffs Ostgalizien
erneuerten und sich gegen die Vereinigung selbst der kleinsten Teile ukrainischer
Gebiete von Cholmland,' Podlesien und Wohlynien mit dem Königreich Polen
aussprachen. Am 12. Mai forderte der Obmann der Ruthemschen parlamentarischen
Vereinigung „zum mindesten die Vereinigung Ostgaliziens, nach Abtrennung des
polnischen Westgaliziens, mit der ukrainischen nordöstlichen Bukowina zu einer
besonderen, mit eigener Selbstverwaltung ausgestatteten Provinz, und bei etwaiger
Neugestaltung in der ganzen Monarchie die Angliederung des ukramischen nord¬
östlichen Teiles von Ungarn an diese Provinz, damit die Ukrainer Österreich-
Ungarns in diesem neuen, aber zugleich auf alten historischen Grundlagen auf¬
gebauten Galizien sich ihren Volksgenossen in der russischen Ukraina nicht nach¬
gesetzt fühlen dürfen." In rascher Folge folgten dann die Forderungen nach
Errichtung der ruthemschen Universität in Lemverg, „nationalterritoriale Selbst¬
verwaltung," Anstellung ruthenischer Beamter in Ostgalizien, ja es ist jetzt
(Januar 1918) schon die Rede von der Durchführung einer Agrarreform durch
Aufteilung des meist polnischen Großgrundbesitzes an die Bauern. Gleichzeitig
traten die ruthemschen Abgeordneten zur Negierung in Opposition, verweigerten
das Budget und traten mit Tschechen, Südslawen, Italienern und Rumänen in
Verbindung."**)
Es ist kaum nötig zu betonen, daß diese erhöhten Forderungen der Ruthenen
unter dem Einflüsse der russischen Revolution stehen. Die sehr gemäßigten Buko-
winer Ruthenen begleiteten ihre Forderung nach der Schaffung einer ruthemschen
Provinz aus allen ruthemschen Gebieten der Monarchie mit der Bemerkung:
„daß die Führer der ukrainischen Bewegung in Rußland nur dann aus ihren
Zukunftsplänen die österreichischen Ukrainer ausschalten werden, wenn sie dieselben
von polnischer Bedrückung frei als wirkliche gleichberechtigte Bürger dieses Staates
") Ihr Memorandum von 1848 findet man in meiner Quellensammlung „Polen"
(Teubner Leipzig). Die andere Literatur über diese Bewegung und eine zusammenfassende
Darstellung in „Polen und die polnisch-ruthenische Frage" (ebenda).
**'
) Vgl. meinen Aufsatz in Grenzboten 1!)16 Ur. 50.
Die Beschlüsse des am 26. und 26. Dezember in Lemberg gehaltenen Kongresses
sind infolge des Eingreifens der Zensur bisher nicht vollständig bekannt. Vgl. Ukrainisches Korre¬
spondenzblatt No. 3 (U)13).
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