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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Die rnthenische Frage 5956 und >Z;?

in der Ukraina mit den Siegen der Zentralmächte in Verbindung bringt. Wohl
sind wir nicht bis in die eigentliche Ukraina gedrungen, aber der Sieg unserer
Waffen hat nicht nur den Polen, sondern auch den Ukrainern die Freiheit gebracht.
Ohne das Niederringen der russischen Heere wäre es nicht zur Revolution, nicht
zum Sturz des Zarentums, und damit auch nicht zum Gelingen der ukrainischen
Bewegung gekommen. Diese ist also von uns nicht nur moralisch unterstützt,
sondern auch auf dem Schlachtfelde gefördert worden. Die Zertrümmerung des
Zarismus war durchaus nicht so ganz ein Werk der inneren Revolution, wie jetzt
gern behauptet wird. Ein anderer Grund des Gelingens der Bewegung in der
Ukraina ist, daß sie wie die allgemein russische überwiegend sozial ist.

In welchem engeren Verhältnisse die revolutionären Kreise in der Ukraine
zu dem "Bunde zur Befreiung der Ukraina" und dessen Förderern standen, läßt
sich vorläufig uicht feststellen. Jedenfalls finden wir in diesen Kreisen Männer,
die aus der Ukraina stammen und daraus kein Hehl machen. So rühren zahlreiche
Artikel, die stets scharf gegen Rußland und für den Anschluß an die Mittemächte
eintreten, von einem ehemaligen Hochschullehrer in Kijew her. In der Ukraina
selbst hat- freilich stets eine Partei bestanden, die nicht alle Brücken, die nach
Petersburg führten, abbrach. Auch die russische Öffentlichkeit sollte für die Be¬
rechtigung der ukrainischen Forderungen gewonnen werden. Diesem Zwecke diente
z. B. ein Aufsatz über die nationale Wiedergeburt der ukrainischen Nation im
Petersburger "Rjetsch" (Juni 1916), den die "Ukrainische Korrespondenz" im
September in Übersetzung brachte. Dieser Artikel tritt sehr kräftig gegen die Be-
drückung der Ukrainer und für ihre Rechte ein: daß aber die Erfüllung dieser
Forderung nur durch Losreißung von Nußland erfolgen könnte, wird nicht mit
einem Worte angedeutet. Wie maßgebend diese Richtung in der Ukraina war,
lehrten die Ereignisse nach dem Ausbruch der Revolution: die Ukrainer entschieden
sich für den Verbleib bei Rußland. Die andere Richtung (selbständige Ukraina im
Anschluß an die Mitternächte) hätte nur den Sieg davongetragen, wenn wir die
Ukraina (wie Polen) mit Waffengewalt befreit hätten. Unrichtig ist die Behauptung/')
daß auf diesen Ausgang die Haltung der Mittemächte den Polen und öster¬
reichischen Ruthenen gegenüber einen entscheidenden Einfluß geübt hätte.

Die sofort in der Ukraina mit großer Stärke hervortretende Bewegung war
auf die nationale Autonomie und soziale Reformen (Bauernkongresse, Aufteilung
von Grund und Boden!), nicht aber auf die Losreißung von Rußland gerichtet.
Gleich in den ersten Tagen der Revolution bildete sich in Kijew aus Abgeordneten
aller ukrainischen Parteien der "Ukrainische Zentralrat", dessen Obmann der be¬
kannte Lemberger Professor Michael Hrnschewskyj wurde. Der Zentralrat leitete
die Bewegung und berief den ukrainischen Nationalkongreß ein, der vom 19. bis
21. April in Kijew tagte. Dieser sprach sich, wie die Petersburger Telegraphen¬
agentur schon am 21. April meldete, für die russische demokratische Bundesrepublik
aus, in der der Ukraina eine allerdings weitgehende Autonomie eingeräumt werden
sollte. Der einzuberufende russische konstituierende Reichstag sollte diese Beschlüsse
nur bestätigen dürfen. Der "Ukrainische Zentralrat" wurde entsprechend erweitert;
Aufnahme fanden Vertreter der ukrainischen Gouvernements, der Großstädte, der
verschiedenen Parteien, der Geistlichkeit, Studentenschaft und Arbeiter. Die
laufenden Geschäfte übernahm ein Exekutivkomitee (Hruschewskyj, Jefremiv und
Wynnytschenko). Der Zentralrat hatte für den weiteren Ausbau der Verwaltung
zu sorgen. Die provisorische russische Regierung war klug genug, auf diese
Forderung einzugehen und so wurde die ukrainische Sprache sofort gesetzlich an¬
erkannt. Der Ausbau der ukrainischen Republik nahm unter der Führung des
Zentralratcs raschen Fortgang. Überall traten nun Ukrainer an die Spitze der
Verwaltung, die ukrainische Sprache fand überall Eingang, ukrainische Vereine
und Organisationen bildeten sich in rascher Folge, ukrainische Zeitungen (darunter
das Hauptblatt "Nowa Nada") erschienen, eine ukrainische Miliz entstand und



*) Z. B. M. Losinskyj, die revolutionäre Ukraina (Wien 1917).
Die rnthenische Frage 5956 und >Z;?

in der Ukraina mit den Siegen der Zentralmächte in Verbindung bringt. Wohl
sind wir nicht bis in die eigentliche Ukraina gedrungen, aber der Sieg unserer
Waffen hat nicht nur den Polen, sondern auch den Ukrainern die Freiheit gebracht.
Ohne das Niederringen der russischen Heere wäre es nicht zur Revolution, nicht
zum Sturz des Zarentums, und damit auch nicht zum Gelingen der ukrainischen
Bewegung gekommen. Diese ist also von uns nicht nur moralisch unterstützt,
sondern auch auf dem Schlachtfelde gefördert worden. Die Zertrümmerung des
Zarismus war durchaus nicht so ganz ein Werk der inneren Revolution, wie jetzt
gern behauptet wird. Ein anderer Grund des Gelingens der Bewegung in der
Ukraina ist, daß sie wie die allgemein russische überwiegend sozial ist.

In welchem engeren Verhältnisse die revolutionären Kreise in der Ukraine
zu dem „Bunde zur Befreiung der Ukraina" und dessen Förderern standen, läßt
sich vorläufig uicht feststellen. Jedenfalls finden wir in diesen Kreisen Männer,
die aus der Ukraina stammen und daraus kein Hehl machen. So rühren zahlreiche
Artikel, die stets scharf gegen Rußland und für den Anschluß an die Mittemächte
eintreten, von einem ehemaligen Hochschullehrer in Kijew her. In der Ukraina
selbst hat- freilich stets eine Partei bestanden, die nicht alle Brücken, die nach
Petersburg führten, abbrach. Auch die russische Öffentlichkeit sollte für die Be¬
rechtigung der ukrainischen Forderungen gewonnen werden. Diesem Zwecke diente
z. B. ein Aufsatz über die nationale Wiedergeburt der ukrainischen Nation im
Petersburger „Rjetsch" (Juni 1916), den die „Ukrainische Korrespondenz" im
September in Übersetzung brachte. Dieser Artikel tritt sehr kräftig gegen die Be-
drückung der Ukrainer und für ihre Rechte ein: daß aber die Erfüllung dieser
Forderung nur durch Losreißung von Nußland erfolgen könnte, wird nicht mit
einem Worte angedeutet. Wie maßgebend diese Richtung in der Ukraina war,
lehrten die Ereignisse nach dem Ausbruch der Revolution: die Ukrainer entschieden
sich für den Verbleib bei Rußland. Die andere Richtung (selbständige Ukraina im
Anschluß an die Mitternächte) hätte nur den Sieg davongetragen, wenn wir die
Ukraina (wie Polen) mit Waffengewalt befreit hätten. Unrichtig ist die Behauptung/')
daß auf diesen Ausgang die Haltung der Mittemächte den Polen und öster¬
reichischen Ruthenen gegenüber einen entscheidenden Einfluß geübt hätte.

Die sofort in der Ukraina mit großer Stärke hervortretende Bewegung war
auf die nationale Autonomie und soziale Reformen (Bauernkongresse, Aufteilung
von Grund und Boden!), nicht aber auf die Losreißung von Rußland gerichtet.
Gleich in den ersten Tagen der Revolution bildete sich in Kijew aus Abgeordneten
aller ukrainischen Parteien der „Ukrainische Zentralrat", dessen Obmann der be¬
kannte Lemberger Professor Michael Hrnschewskyj wurde. Der Zentralrat leitete
die Bewegung und berief den ukrainischen Nationalkongreß ein, der vom 19. bis
21. April in Kijew tagte. Dieser sprach sich, wie die Petersburger Telegraphen¬
agentur schon am 21. April meldete, für die russische demokratische Bundesrepublik
aus, in der der Ukraina eine allerdings weitgehende Autonomie eingeräumt werden
sollte. Der einzuberufende russische konstituierende Reichstag sollte diese Beschlüsse
nur bestätigen dürfen. Der „Ukrainische Zentralrat" wurde entsprechend erweitert;
Aufnahme fanden Vertreter der ukrainischen Gouvernements, der Großstädte, der
verschiedenen Parteien, der Geistlichkeit, Studentenschaft und Arbeiter. Die
laufenden Geschäfte übernahm ein Exekutivkomitee (Hruschewskyj, Jefremiv und
Wynnytschenko). Der Zentralrat hatte für den weiteren Ausbau der Verwaltung
zu sorgen. Die provisorische russische Regierung war klug genug, auf diese
Forderung einzugehen und so wurde die ukrainische Sprache sofort gesetzlich an¬
erkannt. Der Ausbau der ukrainischen Republik nahm unter der Führung des
Zentralratcs raschen Fortgang. Überall traten nun Ukrainer an die Spitze der
Verwaltung, die ukrainische Sprache fand überall Eingang, ukrainische Vereine
und Organisationen bildeten sich in rascher Folge, ukrainische Zeitungen (darunter
das Hauptblatt „Nowa Nada") erschienen, eine ukrainische Miliz entstand und



*) Z. B. M. Losinskyj, die revolutionäre Ukraina (Wien 1917).
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[0135] Die rnthenische Frage 5956 und >Z;? in der Ukraina mit den Siegen der Zentralmächte in Verbindung bringt. Wohl sind wir nicht bis in die eigentliche Ukraina gedrungen, aber der Sieg unserer Waffen hat nicht nur den Polen, sondern auch den Ukrainern die Freiheit gebracht. Ohne das Niederringen der russischen Heere wäre es nicht zur Revolution, nicht zum Sturz des Zarentums, und damit auch nicht zum Gelingen der ukrainischen Bewegung gekommen. Diese ist also von uns nicht nur moralisch unterstützt, sondern auch auf dem Schlachtfelde gefördert worden. Die Zertrümmerung des Zarismus war durchaus nicht so ganz ein Werk der inneren Revolution, wie jetzt gern behauptet wird. Ein anderer Grund des Gelingens der Bewegung in der Ukraina ist, daß sie wie die allgemein russische überwiegend sozial ist. In welchem engeren Verhältnisse die revolutionären Kreise in der Ukraine zu dem „Bunde zur Befreiung der Ukraina" und dessen Förderern standen, läßt sich vorläufig uicht feststellen. Jedenfalls finden wir in diesen Kreisen Männer, die aus der Ukraina stammen und daraus kein Hehl machen. So rühren zahlreiche Artikel, die stets scharf gegen Rußland und für den Anschluß an die Mittemächte eintreten, von einem ehemaligen Hochschullehrer in Kijew her. In der Ukraina selbst hat- freilich stets eine Partei bestanden, die nicht alle Brücken, die nach Petersburg führten, abbrach. Auch die russische Öffentlichkeit sollte für die Be¬ rechtigung der ukrainischen Forderungen gewonnen werden. Diesem Zwecke diente z. B. ein Aufsatz über die nationale Wiedergeburt der ukrainischen Nation im Petersburger „Rjetsch" (Juni 1916), den die „Ukrainische Korrespondenz" im September in Übersetzung brachte. Dieser Artikel tritt sehr kräftig gegen die Be- drückung der Ukrainer und für ihre Rechte ein: daß aber die Erfüllung dieser Forderung nur durch Losreißung von Nußland erfolgen könnte, wird nicht mit einem Worte angedeutet. Wie maßgebend diese Richtung in der Ukraina war, lehrten die Ereignisse nach dem Ausbruch der Revolution: die Ukrainer entschieden sich für den Verbleib bei Rußland. Die andere Richtung (selbständige Ukraina im Anschluß an die Mitternächte) hätte nur den Sieg davongetragen, wenn wir die Ukraina (wie Polen) mit Waffengewalt befreit hätten. Unrichtig ist die Behauptung/') daß auf diesen Ausgang die Haltung der Mittemächte den Polen und öster¬ reichischen Ruthenen gegenüber einen entscheidenden Einfluß geübt hätte. Die sofort in der Ukraina mit großer Stärke hervortretende Bewegung war auf die nationale Autonomie und soziale Reformen (Bauernkongresse, Aufteilung von Grund und Boden!), nicht aber auf die Losreißung von Rußland gerichtet. Gleich in den ersten Tagen der Revolution bildete sich in Kijew aus Abgeordneten aller ukrainischen Parteien der „Ukrainische Zentralrat", dessen Obmann der be¬ kannte Lemberger Professor Michael Hrnschewskyj wurde. Der Zentralrat leitete die Bewegung und berief den ukrainischen Nationalkongreß ein, der vom 19. bis 21. April in Kijew tagte. Dieser sprach sich, wie die Petersburger Telegraphen¬ agentur schon am 21. April meldete, für die russische demokratische Bundesrepublik aus, in der der Ukraina eine allerdings weitgehende Autonomie eingeräumt werden sollte. Der einzuberufende russische konstituierende Reichstag sollte diese Beschlüsse nur bestätigen dürfen. Der „Ukrainische Zentralrat" wurde entsprechend erweitert; Aufnahme fanden Vertreter der ukrainischen Gouvernements, der Großstädte, der verschiedenen Parteien, der Geistlichkeit, Studentenschaft und Arbeiter. Die laufenden Geschäfte übernahm ein Exekutivkomitee (Hruschewskyj, Jefremiv und Wynnytschenko). Der Zentralrat hatte für den weiteren Ausbau der Verwaltung zu sorgen. Die provisorische russische Regierung war klug genug, auf diese Forderung einzugehen und so wurde die ukrainische Sprache sofort gesetzlich an¬ erkannt. Der Ausbau der ukrainischen Republik nahm unter der Führung des Zentralratcs raschen Fortgang. Überall traten nun Ukrainer an die Spitze der Verwaltung, die ukrainische Sprache fand überall Eingang, ukrainische Vereine und Organisationen bildeten sich in rascher Folge, ukrainische Zeitungen (darunter das Hauptblatt „Nowa Nada") erschienen, eine ukrainische Miliz entstand und *) Z. B. M. Losinskyj, die revolutionäre Ukraina (Wien 1917).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/135>, abgerufen am 22.07.2024.