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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Die ruthcnischc Frage 59 < 6 und 595?

hätten. Ja, noch im August 1917 hat nach der "Nowoje Wremja" der Metropolit
Graf Szyptycki an Kaiser Karl eine Kundgebung gerichtet, daß beim Betreten der
russischen Ukraina durch die siegreichen österreichischen Armeen die militärischen,
rechtlichen und kirchlichen Fragen geordnet werden müssen: die Ukraina sollte ein
vollkommen unabhängiger Staat werden; den hervorragendsten populärsten öster¬
reichischen Feldherrn könnte Kaiser Karl zum Helenen der Ukraina ernennen.
Immer wieder las man, daß ^ sterreich sür die Nuthenen eine Zufluchtsstätte vor
der russischen Verfolgung gewesen sei. "Die nationalen Fortschritte der öster¬
reichischen Ukrainer - - führte die Ukrainische Korrespondenz im Juni 1916 aus --
fanden in Rußland lauten Widerhall und feuerten die Stammesgenossen immer
wieder zum Kampf aus. Jede nationale Errungenschaft in Osterreich festigte eines
die Position der Ukrainer und ließ sie mit nationalen Ansprüchen an die russische
Regierung herantreten. Letztere suchte die ukrainische Nativnalidee an ihrem
Hauptherde in Galizien durch eine großzügige Agitation, durch Kauf und
Anleitung zu Verrat und Empörung zu treffen. Die immer unverblümteren
Übergriffe,.auf galizischen Boden verschärften die ohnedies gespannten Beziehungen
zwischen Österreich und Rußland, die schließlich im gegenwärtigen Kriege ihre
gewaltsame Auslösung fanden." Ebenso haben die Ukrainer Wolhyniens, sobald
die russischen Heere von uns verdrängt worden waren, an die Ruthenen in
Galizien und der Bukowina eine Adresse gerichtet, in der sie deren Tätigkeit auch
als Rettungswerk für sie begrüßten. Andererseits wurden stets wieder harte
Anklagen gegen Rußland laut. In allen ruthenischen Schriften und Zeitungen
wurden stets die härtesten Vorwürfe gegen Rußland erhoben, die Greueltaten der
Russen im ruthenischen KriegSgebiet und dessen Russifizierung erzählt, die Be¬
drückung der griechisch-katholischen Ruthenen und ihre zwangsweise Bekehrung zur
Orthodoxie geschildert. Ein im "Ukrainischen Korrespondenzblatt" vom 21. Juli
1916 abgedruckter Artikel über das Verhalten der Ruthenen zu Nußland ist "Un-
ausgleichbare Gegensätze" überschrieben und schließt mit den Bemerkungen: "Die
ukrainische Frage ist längst eine Frage der internationalen Politik geworden. Alle
Versuche, Rußlands Macht für immer einzudämmen, laufen konzentrisch in der
Notwendigkeit zusammen, die Ukraina, das Kräftereservoir Rußlands, von Mosko-
witien abzulösen. Die Größe ihres Gebietes, die natürliche Abgeschlossenheit ihres
politischen und wirtschaftlichen Territoriums, der Reichtum und die Fruchtbarkeit
des Bodens, der in seinen Stromsystemen zugleich die billigsten Verkehrswege
liefert, endlich die sprachliche, kulturelle und stellenweise religiöse Sonderheit des
ukrainischen Volkes verbürgen die Lebensfähigkeit eines selbständigen ukrainischen
Staates. Die uuausgleichbare Gegensätzlichkeit zu Rußland, die sowohl wirt¬
schaftlicher wie politischer und kultureller Natur ist, gibt ihm für immer die
Orientierung nach der Seite der Zentralmächte." Nach all dem hat man anzu¬
nehmen geglaubt, daß die Befreiung der Ukraina nur durch völlige Lossagung
von Nußland und im engsten Anschlusse an die Mittemächte erfolgen könnte.

Inzwischen glimmte in der Ukraina die revolutionäre Bewegung. Man
hatte in manchen Kreisen auf sie große Hoffnung gesetzt und war über das lange
Ausbleiben einer inneren Bewegung in Rußland enttäuscht. Polnische Politiker
suchten die Ukrainer überhaupt politisch und kulturell tot zu sagen, so vor allen
A. Bruckner in seiner Schrift "Die Slawen und der Weltkrieg" (1916). Aber
schon im Sommer 1916 brachten die Zeitungen die Nachricht, daß die russische
Polizei einer ukrainischen Verschwörung auf die Spur gekommen sei. In Petersburg
und inKijew wurden ukrainische politische Vereinigungen entdeckt, die unter dem
Verdacht standen, einen bewaffneten Aufstand der gesamten Ukraina angestrebt zu
haben. Ein Komitee gab seit Monaten Agitationsschriften für die Selbständigkeit
der Ukrainer heraus. Sie enthielten die dringende Forderung, das kleinrnssische
Gebiet als Randstaat von Rußland loszulösen. In einem Manifest soll darauf verwie¬
sen worden sein, daß der Großfürst Nikolai Nikolajewitsch wohl den Polen Autonomie
zugesagt, den Ruthenen in Galizien aber völlige Russifizierung in Aussicht gestellt
hätte. Man wird nicht irren, wenn man dieses stärkere Hervortreten der Bewegung


Die ruthcnischc Frage 59 < 6 und 595?

hätten. Ja, noch im August 1917 hat nach der „Nowoje Wremja" der Metropolit
Graf Szyptycki an Kaiser Karl eine Kundgebung gerichtet, daß beim Betreten der
russischen Ukraina durch die siegreichen österreichischen Armeen die militärischen,
rechtlichen und kirchlichen Fragen geordnet werden müssen: die Ukraina sollte ein
vollkommen unabhängiger Staat werden; den hervorragendsten populärsten öster¬
reichischen Feldherrn könnte Kaiser Karl zum Helenen der Ukraina ernennen.
Immer wieder las man, daß ^ sterreich sür die Nuthenen eine Zufluchtsstätte vor
der russischen Verfolgung gewesen sei. „Die nationalen Fortschritte der öster¬
reichischen Ukrainer - - führte die Ukrainische Korrespondenz im Juni 1916 aus —
fanden in Rußland lauten Widerhall und feuerten die Stammesgenossen immer
wieder zum Kampf aus. Jede nationale Errungenschaft in Osterreich festigte eines
die Position der Ukrainer und ließ sie mit nationalen Ansprüchen an die russische
Regierung herantreten. Letztere suchte die ukrainische Nativnalidee an ihrem
Hauptherde in Galizien durch eine großzügige Agitation, durch Kauf und
Anleitung zu Verrat und Empörung zu treffen. Die immer unverblümteren
Übergriffe,.auf galizischen Boden verschärften die ohnedies gespannten Beziehungen
zwischen Österreich und Rußland, die schließlich im gegenwärtigen Kriege ihre
gewaltsame Auslösung fanden." Ebenso haben die Ukrainer Wolhyniens, sobald
die russischen Heere von uns verdrängt worden waren, an die Ruthenen in
Galizien und der Bukowina eine Adresse gerichtet, in der sie deren Tätigkeit auch
als Rettungswerk für sie begrüßten. Andererseits wurden stets wieder harte
Anklagen gegen Rußland laut. In allen ruthenischen Schriften und Zeitungen
wurden stets die härtesten Vorwürfe gegen Rußland erhoben, die Greueltaten der
Russen im ruthenischen KriegSgebiet und dessen Russifizierung erzählt, die Be¬
drückung der griechisch-katholischen Ruthenen und ihre zwangsweise Bekehrung zur
Orthodoxie geschildert. Ein im „Ukrainischen Korrespondenzblatt" vom 21. Juli
1916 abgedruckter Artikel über das Verhalten der Ruthenen zu Nußland ist „Un-
ausgleichbare Gegensätze" überschrieben und schließt mit den Bemerkungen: „Die
ukrainische Frage ist längst eine Frage der internationalen Politik geworden. Alle
Versuche, Rußlands Macht für immer einzudämmen, laufen konzentrisch in der
Notwendigkeit zusammen, die Ukraina, das Kräftereservoir Rußlands, von Mosko-
witien abzulösen. Die Größe ihres Gebietes, die natürliche Abgeschlossenheit ihres
politischen und wirtschaftlichen Territoriums, der Reichtum und die Fruchtbarkeit
des Bodens, der in seinen Stromsystemen zugleich die billigsten Verkehrswege
liefert, endlich die sprachliche, kulturelle und stellenweise religiöse Sonderheit des
ukrainischen Volkes verbürgen die Lebensfähigkeit eines selbständigen ukrainischen
Staates. Die uuausgleichbare Gegensätzlichkeit zu Rußland, die sowohl wirt¬
schaftlicher wie politischer und kultureller Natur ist, gibt ihm für immer die
Orientierung nach der Seite der Zentralmächte." Nach all dem hat man anzu¬
nehmen geglaubt, daß die Befreiung der Ukraina nur durch völlige Lossagung
von Nußland und im engsten Anschlusse an die Mittemächte erfolgen könnte.

Inzwischen glimmte in der Ukraina die revolutionäre Bewegung. Man
hatte in manchen Kreisen auf sie große Hoffnung gesetzt und war über das lange
Ausbleiben einer inneren Bewegung in Rußland enttäuscht. Polnische Politiker
suchten die Ukrainer überhaupt politisch und kulturell tot zu sagen, so vor allen
A. Bruckner in seiner Schrift „Die Slawen und der Weltkrieg" (1916). Aber
schon im Sommer 1916 brachten die Zeitungen die Nachricht, daß die russische
Polizei einer ukrainischen Verschwörung auf die Spur gekommen sei. In Petersburg
und inKijew wurden ukrainische politische Vereinigungen entdeckt, die unter dem
Verdacht standen, einen bewaffneten Aufstand der gesamten Ukraina angestrebt zu
haben. Ein Komitee gab seit Monaten Agitationsschriften für die Selbständigkeit
der Ukrainer heraus. Sie enthielten die dringende Forderung, das kleinrnssische
Gebiet als Randstaat von Rußland loszulösen. In einem Manifest soll darauf verwie¬
sen worden sein, daß der Großfürst Nikolai Nikolajewitsch wohl den Polen Autonomie
zugesagt, den Ruthenen in Galizien aber völlige Russifizierung in Aussicht gestellt
hätte. Man wird nicht irren, wenn man dieses stärkere Hervortreten der Bewegung


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[0134] Die ruthcnischc Frage 59 < 6 und 595? hätten. Ja, noch im August 1917 hat nach der „Nowoje Wremja" der Metropolit Graf Szyptycki an Kaiser Karl eine Kundgebung gerichtet, daß beim Betreten der russischen Ukraina durch die siegreichen österreichischen Armeen die militärischen, rechtlichen und kirchlichen Fragen geordnet werden müssen: die Ukraina sollte ein vollkommen unabhängiger Staat werden; den hervorragendsten populärsten öster¬ reichischen Feldherrn könnte Kaiser Karl zum Helenen der Ukraina ernennen. Immer wieder las man, daß ^ sterreich sür die Nuthenen eine Zufluchtsstätte vor der russischen Verfolgung gewesen sei. „Die nationalen Fortschritte der öster¬ reichischen Ukrainer - - führte die Ukrainische Korrespondenz im Juni 1916 aus — fanden in Rußland lauten Widerhall und feuerten die Stammesgenossen immer wieder zum Kampf aus. Jede nationale Errungenschaft in Osterreich festigte eines die Position der Ukrainer und ließ sie mit nationalen Ansprüchen an die russische Regierung herantreten. Letztere suchte die ukrainische Nativnalidee an ihrem Hauptherde in Galizien durch eine großzügige Agitation, durch Kauf und Anleitung zu Verrat und Empörung zu treffen. Die immer unverblümteren Übergriffe,.auf galizischen Boden verschärften die ohnedies gespannten Beziehungen zwischen Österreich und Rußland, die schließlich im gegenwärtigen Kriege ihre gewaltsame Auslösung fanden." Ebenso haben die Ukrainer Wolhyniens, sobald die russischen Heere von uns verdrängt worden waren, an die Ruthenen in Galizien und der Bukowina eine Adresse gerichtet, in der sie deren Tätigkeit auch als Rettungswerk für sie begrüßten. Andererseits wurden stets wieder harte Anklagen gegen Rußland laut. In allen ruthenischen Schriften und Zeitungen wurden stets die härtesten Vorwürfe gegen Rußland erhoben, die Greueltaten der Russen im ruthenischen KriegSgebiet und dessen Russifizierung erzählt, die Be¬ drückung der griechisch-katholischen Ruthenen und ihre zwangsweise Bekehrung zur Orthodoxie geschildert. Ein im „Ukrainischen Korrespondenzblatt" vom 21. Juli 1916 abgedruckter Artikel über das Verhalten der Ruthenen zu Nußland ist „Un- ausgleichbare Gegensätze" überschrieben und schließt mit den Bemerkungen: „Die ukrainische Frage ist längst eine Frage der internationalen Politik geworden. Alle Versuche, Rußlands Macht für immer einzudämmen, laufen konzentrisch in der Notwendigkeit zusammen, die Ukraina, das Kräftereservoir Rußlands, von Mosko- witien abzulösen. Die Größe ihres Gebietes, die natürliche Abgeschlossenheit ihres politischen und wirtschaftlichen Territoriums, der Reichtum und die Fruchtbarkeit des Bodens, der in seinen Stromsystemen zugleich die billigsten Verkehrswege liefert, endlich die sprachliche, kulturelle und stellenweise religiöse Sonderheit des ukrainischen Volkes verbürgen die Lebensfähigkeit eines selbständigen ukrainischen Staates. Die uuausgleichbare Gegensätzlichkeit zu Rußland, die sowohl wirt¬ schaftlicher wie politischer und kultureller Natur ist, gibt ihm für immer die Orientierung nach der Seite der Zentralmächte." Nach all dem hat man anzu¬ nehmen geglaubt, daß die Befreiung der Ukraina nur durch völlige Lossagung von Nußland und im engsten Anschlusse an die Mittemächte erfolgen könnte. Inzwischen glimmte in der Ukraina die revolutionäre Bewegung. Man hatte in manchen Kreisen auf sie große Hoffnung gesetzt und war über das lange Ausbleiben einer inneren Bewegung in Rußland enttäuscht. Polnische Politiker suchten die Ukrainer überhaupt politisch und kulturell tot zu sagen, so vor allen A. Bruckner in seiner Schrift „Die Slawen und der Weltkrieg" (1916). Aber schon im Sommer 1916 brachten die Zeitungen die Nachricht, daß die russische Polizei einer ukrainischen Verschwörung auf die Spur gekommen sei. In Petersburg und inKijew wurden ukrainische politische Vereinigungen entdeckt, die unter dem Verdacht standen, einen bewaffneten Aufstand der gesamten Ukraina angestrebt zu haben. Ein Komitee gab seit Monaten Agitationsschriften für die Selbständigkeit der Ukrainer heraus. Sie enthielten die dringende Forderung, das kleinrnssische Gebiet als Randstaat von Rußland loszulösen. In einem Manifest soll darauf verwie¬ sen worden sein, daß der Großfürst Nikolai Nikolajewitsch wohl den Polen Autonomie zugesagt, den Ruthenen in Galizien aber völlige Russifizierung in Aussicht gestellt hätte. Man wird nicht irren, wenn man dieses stärkere Hervortreten der Bewegung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/134>, abgerufen am 22.07.2024.