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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Die polnische Frage von Juni bis September 591?

veröffentlichte am 3. August einen Aufruf, in dem er in phrasenreicher Sprache
alle Polen zum Eintritt in die Armee auffordert, um an der Seite des heroischen
und unsterblichen Frankreich zu kämpfen.

Es ist selbstverständlich, daß alle diese Pläne in den Ententestaaten nur
im Interesse dieser Mächte selbst erörtert werden; ebenso wie schon Napoleon
die Polen nur für seine Zwecke mißbraucht hat. Die Westmächte haben ihre
Aufmerksamkeit Polen erst zugewendet, nachdem die Zentralmächte durch den
Akt vom 5. November ihren Entschluß kundgetan hatten. Aber auch gegen¬
wärtig, solange Rußland an ihrer Seite kämpft, müssen die offiziellen Kreise
der Entente ihre Anschauung der russischen anpassen. Sie erklären daher auch
stets die polnische Frage als eine innere russische Angelegenheit. Dies alles
weiß man genau in den nüchtern denkenden polnischen Kreisen und daher treten
auch die Blätter dieser Richtung gegen das Treiben der Emigranten und der
Ententemächte auf. Wie der "Kraj", so tritt auch der Krakauer "Czas" gegen
die Lausanner Agentur und die ententeseindliche Wühlarbeit gewisser polnischer
Kreise auf. Sehr scharf verurteilt auch der "Dziennik Narodown" (Petrikau)
diese Richtung. Anläßlich der Pläne der Polen in der Schweiz, eine polnische
Regierung außerhalb Polens zu errichten, bemerkt diese Zeitschrift (14. Juli),
daß das alles nur möglich sei, weil der Staatsrat gegenüber solchen "buben-
haften" Richtungen zu tolerant sei. "Eine größere Entschiedenheit und Kon¬
sequenz in den Handlungen würde vielen Versuchen und Ansinnen ein Ende
setzen, die entweder dem bösen Willen oder dem Fehlen des Verantwortlichkeits¬
gefühls zuzuschreiben sind." Geht es so iveiter, bemerkt das Blatt, so wird
es drei polnische Regierungen geben: eine, die es mit den Zentralmächten hält,
eine ententefreundliche und endlich eine, die für die strenge Neutralität Polens
eintritt und etwa in einem neutralen Staate ihren Sitz aufschlägt. Dazu sei
bemerkt, daß tatsächlich die drei angedeuteten Richtungen unter den Polen be-
stehen: die den Mittelmächten zuneigende ist die aktivistische, die die Bildung
des polnischen Staates jetzt vollziehen will und für die sofortige Bildung einer
polnischen Armee war. die an der Seite der Zentralmächte ankämpfen soll.
Ihr gegenüber stehen die ententefreundliche und die neutrale oder passivistische.
Die erstere will mit der Entente Polen errichten; letztere hofft, daß ihr Polen
ohne tätigen Anteil zufallen wird, da doch alle Staaten die Unabhängigkeit
Polens anerkannt haben, es also notwendig nach dem Kriege entstehen muß.
Im Gegensatz zu den Aktivisten verschieben die beiden letzten Parteien die Er¬
richtung Polens auf die künftige Kongreßzeit.

Kann man sich wohl kläglichere Verhältnisse vorstellen, als die es sind,
die aus den Zitaten polnischer Blätterstimmen sich ergeben I Wir ersehen, daß
die Führer der Polen wie seit Jahrhunderten unter sich uneinig sind, daß sie
von fremden Mächten sich gewinnen lassen und gegeneinander wühlen*). Der



*) Man vgl. mein "Polen".
6*
Die polnische Frage von Juni bis September 591?

veröffentlichte am 3. August einen Aufruf, in dem er in phrasenreicher Sprache
alle Polen zum Eintritt in die Armee auffordert, um an der Seite des heroischen
und unsterblichen Frankreich zu kämpfen.

Es ist selbstverständlich, daß alle diese Pläne in den Ententestaaten nur
im Interesse dieser Mächte selbst erörtert werden; ebenso wie schon Napoleon
die Polen nur für seine Zwecke mißbraucht hat. Die Westmächte haben ihre
Aufmerksamkeit Polen erst zugewendet, nachdem die Zentralmächte durch den
Akt vom 5. November ihren Entschluß kundgetan hatten. Aber auch gegen¬
wärtig, solange Rußland an ihrer Seite kämpft, müssen die offiziellen Kreise
der Entente ihre Anschauung der russischen anpassen. Sie erklären daher auch
stets die polnische Frage als eine innere russische Angelegenheit. Dies alles
weiß man genau in den nüchtern denkenden polnischen Kreisen und daher treten
auch die Blätter dieser Richtung gegen das Treiben der Emigranten und der
Ententemächte auf. Wie der „Kraj", so tritt auch der Krakauer „Czas" gegen
die Lausanner Agentur und die ententeseindliche Wühlarbeit gewisser polnischer
Kreise auf. Sehr scharf verurteilt auch der „Dziennik Narodown" (Petrikau)
diese Richtung. Anläßlich der Pläne der Polen in der Schweiz, eine polnische
Regierung außerhalb Polens zu errichten, bemerkt diese Zeitschrift (14. Juli),
daß das alles nur möglich sei, weil der Staatsrat gegenüber solchen „buben-
haften" Richtungen zu tolerant sei. „Eine größere Entschiedenheit und Kon¬
sequenz in den Handlungen würde vielen Versuchen und Ansinnen ein Ende
setzen, die entweder dem bösen Willen oder dem Fehlen des Verantwortlichkeits¬
gefühls zuzuschreiben sind." Geht es so iveiter, bemerkt das Blatt, so wird
es drei polnische Regierungen geben: eine, die es mit den Zentralmächten hält,
eine ententefreundliche und endlich eine, die für die strenge Neutralität Polens
eintritt und etwa in einem neutralen Staate ihren Sitz aufschlägt. Dazu sei
bemerkt, daß tatsächlich die drei angedeuteten Richtungen unter den Polen be-
stehen: die den Mittelmächten zuneigende ist die aktivistische, die die Bildung
des polnischen Staates jetzt vollziehen will und für die sofortige Bildung einer
polnischen Armee war. die an der Seite der Zentralmächte ankämpfen soll.
Ihr gegenüber stehen die ententefreundliche und die neutrale oder passivistische.
Die erstere will mit der Entente Polen errichten; letztere hofft, daß ihr Polen
ohne tätigen Anteil zufallen wird, da doch alle Staaten die Unabhängigkeit
Polens anerkannt haben, es also notwendig nach dem Kriege entstehen muß.
Im Gegensatz zu den Aktivisten verschieben die beiden letzten Parteien die Er¬
richtung Polens auf die künftige Kongreßzeit.

Kann man sich wohl kläglichere Verhältnisse vorstellen, als die es sind,
die aus den Zitaten polnischer Blätterstimmen sich ergeben I Wir ersehen, daß
die Führer der Polen wie seit Jahrhunderten unter sich uneinig sind, daß sie
von fremden Mächten sich gewinnen lassen und gegeneinander wühlen*). Der



*) Man vgl. mein „Polen".
6*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/95>, abgerufen am 01.09.2024.