Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die polnische Frage von Juni bis September

schritten, begann die Konkurrenzarbeit. Im April fand eine Konferenz in
London statt, die der schon genannte Schöpfer des rufsophilen Neoslawismus
Dmowski leitete. Der Beschluß dieser von der englischen Regierung geförderten
Konferenz geht dahin, ein großes Polen von Meer zu Meer (mit Kurland,
Litauen, Ukraina. Galizien) zu bilden, das an Stelle des zerrütteten Rußland
als treuer Verbündeter Englands dem Drang Deutschlands nach dem Osten
ein Ziel setzen soll. Dieses Polen hofft auch auf die Mitwirkung der Slawen
Österreichs. Nach der "Gazeta Poranna" (8. Juli) hat ein Artikel im
"Fortnightln Review" die Ansicht vertreten, daß zur Herstellung des europäischen
Gleichsgewichtes ein Großpolen mit Posen und Danzig (vgl. die Maibeschlüsse
der österreichischen PolenI) und ein tschechisch-slawisches Reich gebildet werden
müsse. Man sieht, daß diese Pläne schon mit dem Zusammenbruche Rußlands
infolge der Revolution rechnen, aber auch die Slawisierung Österreichs zur
Voraussetzung haben. Ähnliches berichtet der Krakauer "Czas" vom 9. August.
Auch nach diesen Ausführungen hat England früher die Unterordnung Polens
unter Rußland gewünscht und das ist auch jetzt noch die offizielle Anschauung.
In der Presse wird aber immer häufiger mit einem selbständigen Polen ge¬
rechnet, das nach dem Falle Rußlands ein Bindeglied in der Umzingelung
Deutschlands sein soll. Österreich soll bestehen bleiben, jedoch für die Ziele
Englands gewonnen werden, das das Protektorat über die westlichen Slawen
übernehmen will. Die politische Macht Österreich-Ungarns soll gebrochen
werden. Dazu müßte Polen helfen, das auch bei der Slawisierung Österreichs
Handlangerdienste zu leisten hätte.

Sehr rührig sind die polnischen Emigranten in der Schweiz. Am 24. Juni
fand beim Mausoleum in Rcipperswyl eine polnische Feier statt, bei der die
Bildung eines aus allen drei gewaltsam voneinander getrennten Teilen Polens
geeinigten unabhängigen Staates mit freiem Zugang zum Meer mit Danzig
gefordert wurde. Im Juli lief durch die Blätter die Nachricht, daß die Polen
in der Schweiz das Programm eines großslawischen Reiches ausgearbeitet hätten,
welchem die Russen, Polen und Tschechen angehören sollen, also auf der neo-
slawistischen Grundlage Dmowskis. In Lausanne arbeitet eine polnische Agentur,
die nach den Ausführungen des in Lissa erscheinenden "Kraj" das "staats¬
schaffende Lager" in Polen diskreditiert und sich demnächst zur polnischen Re¬
gierung im Ausland ausrufen wird. Den Staatsrat erklärt diese Agentur, zu
deren vorzüglichen Vertretern die Nationaldemokraten Dmowski, Piltz und Sayola
gehören, als Verräter. Gegen dieses Treiben sollte, nach der Meinung des
"Kraj", der polnische Staatsrat scharfen Protest erheben.

In jüngster Zeit (Anfang September) hören wir nun tatsächlich, daß sich
in Frankreich eine polnische Negierung, mit Dmowski an der Spitze, gebildet
hat. Zugleich hat der Präsident der Republik eine polnische "Armee" ins
Leben gerufen, die sich aus polnischen Staatsangehörigen Amerikas rekrutieren
soll. Der unter den französischen Emigranten in Paris bekannte Dr. Zielinski


Die polnische Frage von Juni bis September

schritten, begann die Konkurrenzarbeit. Im April fand eine Konferenz in
London statt, die der schon genannte Schöpfer des rufsophilen Neoslawismus
Dmowski leitete. Der Beschluß dieser von der englischen Regierung geförderten
Konferenz geht dahin, ein großes Polen von Meer zu Meer (mit Kurland,
Litauen, Ukraina. Galizien) zu bilden, das an Stelle des zerrütteten Rußland
als treuer Verbündeter Englands dem Drang Deutschlands nach dem Osten
ein Ziel setzen soll. Dieses Polen hofft auch auf die Mitwirkung der Slawen
Österreichs. Nach der „Gazeta Poranna" (8. Juli) hat ein Artikel im
„Fortnightln Review" die Ansicht vertreten, daß zur Herstellung des europäischen
Gleichsgewichtes ein Großpolen mit Posen und Danzig (vgl. die Maibeschlüsse
der österreichischen PolenI) und ein tschechisch-slawisches Reich gebildet werden
müsse. Man sieht, daß diese Pläne schon mit dem Zusammenbruche Rußlands
infolge der Revolution rechnen, aber auch die Slawisierung Österreichs zur
Voraussetzung haben. Ähnliches berichtet der Krakauer „Czas" vom 9. August.
Auch nach diesen Ausführungen hat England früher die Unterordnung Polens
unter Rußland gewünscht und das ist auch jetzt noch die offizielle Anschauung.
In der Presse wird aber immer häufiger mit einem selbständigen Polen ge¬
rechnet, das nach dem Falle Rußlands ein Bindeglied in der Umzingelung
Deutschlands sein soll. Österreich soll bestehen bleiben, jedoch für die Ziele
Englands gewonnen werden, das das Protektorat über die westlichen Slawen
übernehmen will. Die politische Macht Österreich-Ungarns soll gebrochen
werden. Dazu müßte Polen helfen, das auch bei der Slawisierung Österreichs
Handlangerdienste zu leisten hätte.

Sehr rührig sind die polnischen Emigranten in der Schweiz. Am 24. Juni
fand beim Mausoleum in Rcipperswyl eine polnische Feier statt, bei der die
Bildung eines aus allen drei gewaltsam voneinander getrennten Teilen Polens
geeinigten unabhängigen Staates mit freiem Zugang zum Meer mit Danzig
gefordert wurde. Im Juli lief durch die Blätter die Nachricht, daß die Polen
in der Schweiz das Programm eines großslawischen Reiches ausgearbeitet hätten,
welchem die Russen, Polen und Tschechen angehören sollen, also auf der neo-
slawistischen Grundlage Dmowskis. In Lausanne arbeitet eine polnische Agentur,
die nach den Ausführungen des in Lissa erscheinenden „Kraj" das „staats¬
schaffende Lager" in Polen diskreditiert und sich demnächst zur polnischen Re¬
gierung im Ausland ausrufen wird. Den Staatsrat erklärt diese Agentur, zu
deren vorzüglichen Vertretern die Nationaldemokraten Dmowski, Piltz und Sayola
gehören, als Verräter. Gegen dieses Treiben sollte, nach der Meinung des
„Kraj", der polnische Staatsrat scharfen Protest erheben.

In jüngster Zeit (Anfang September) hören wir nun tatsächlich, daß sich
in Frankreich eine polnische Negierung, mit Dmowski an der Spitze, gebildet
hat. Zugleich hat der Präsident der Republik eine polnische „Armee" ins
Leben gerufen, die sich aus polnischen Staatsangehörigen Amerikas rekrutieren
soll. Der unter den französischen Emigranten in Paris bekannte Dr. Zielinski


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332809"/>
          <fw type="header" place="top"> Die polnische Frage von Juni bis September</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_350" prev="#ID_349"> schritten, begann die Konkurrenzarbeit. Im April fand eine Konferenz in<lb/>
London statt, die der schon genannte Schöpfer des rufsophilen Neoslawismus<lb/>
Dmowski leitete. Der Beschluß dieser von der englischen Regierung geförderten<lb/>
Konferenz geht dahin, ein großes Polen von Meer zu Meer (mit Kurland,<lb/>
Litauen, Ukraina. Galizien) zu bilden, das an Stelle des zerrütteten Rußland<lb/>
als treuer Verbündeter Englands dem Drang Deutschlands nach dem Osten<lb/>
ein Ziel setzen soll. Dieses Polen hofft auch auf die Mitwirkung der Slawen<lb/>
Österreichs. Nach der &#x201E;Gazeta Poranna" (8. Juli) hat ein Artikel im<lb/>
&#x201E;Fortnightln Review" die Ansicht vertreten, daß zur Herstellung des europäischen<lb/>
Gleichsgewichtes ein Großpolen mit Posen und Danzig (vgl. die Maibeschlüsse<lb/>
der österreichischen PolenI) und ein tschechisch-slawisches Reich gebildet werden<lb/>
müsse. Man sieht, daß diese Pläne schon mit dem Zusammenbruche Rußlands<lb/>
infolge der Revolution rechnen, aber auch die Slawisierung Österreichs zur<lb/>
Voraussetzung haben. Ähnliches berichtet der Krakauer &#x201E;Czas" vom 9. August.<lb/>
Auch nach diesen Ausführungen hat England früher die Unterordnung Polens<lb/>
unter Rußland gewünscht und das ist auch jetzt noch die offizielle Anschauung.<lb/>
In der Presse wird aber immer häufiger mit einem selbständigen Polen ge¬<lb/>
rechnet, das nach dem Falle Rußlands ein Bindeglied in der Umzingelung<lb/>
Deutschlands sein soll. Österreich soll bestehen bleiben, jedoch für die Ziele<lb/>
Englands gewonnen werden, das das Protektorat über die westlichen Slawen<lb/>
übernehmen will. Die politische Macht Österreich-Ungarns soll gebrochen<lb/>
werden. Dazu müßte Polen helfen, das auch bei der Slawisierung Österreichs<lb/>
Handlangerdienste zu leisten hätte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_351"> Sehr rührig sind die polnischen Emigranten in der Schweiz. Am 24. Juni<lb/>
fand beim Mausoleum in Rcipperswyl eine polnische Feier statt, bei der die<lb/>
Bildung eines aus allen drei gewaltsam voneinander getrennten Teilen Polens<lb/>
geeinigten unabhängigen Staates mit freiem Zugang zum Meer mit Danzig<lb/>
gefordert wurde. Im Juli lief durch die Blätter die Nachricht, daß die Polen<lb/>
in der Schweiz das Programm eines großslawischen Reiches ausgearbeitet hätten,<lb/>
welchem die Russen, Polen und Tschechen angehören sollen, also auf der neo-<lb/>
slawistischen Grundlage Dmowskis. In Lausanne arbeitet eine polnische Agentur,<lb/>
die nach den Ausführungen des in Lissa erscheinenden &#x201E;Kraj" das &#x201E;staats¬<lb/>
schaffende Lager" in Polen diskreditiert und sich demnächst zur polnischen Re¬<lb/>
gierung im Ausland ausrufen wird. Den Staatsrat erklärt diese Agentur, zu<lb/>
deren vorzüglichen Vertretern die Nationaldemokraten Dmowski, Piltz und Sayola<lb/>
gehören, als Verräter. Gegen dieses Treiben sollte, nach der Meinung des<lb/>
&#x201E;Kraj", der polnische Staatsrat scharfen Protest erheben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_352" next="#ID_353"> In jüngster Zeit (Anfang September) hören wir nun tatsächlich, daß sich<lb/>
in Frankreich eine polnische Negierung, mit Dmowski an der Spitze, gebildet<lb/>
hat. Zugleich hat der Präsident der Republik eine polnische &#x201E;Armee" ins<lb/>
Leben gerufen, die sich aus polnischen Staatsangehörigen Amerikas rekrutieren<lb/>
soll. Der unter den französischen Emigranten in Paris bekannte Dr. Zielinski</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0094] Die polnische Frage von Juni bis September schritten, begann die Konkurrenzarbeit. Im April fand eine Konferenz in London statt, die der schon genannte Schöpfer des rufsophilen Neoslawismus Dmowski leitete. Der Beschluß dieser von der englischen Regierung geförderten Konferenz geht dahin, ein großes Polen von Meer zu Meer (mit Kurland, Litauen, Ukraina. Galizien) zu bilden, das an Stelle des zerrütteten Rußland als treuer Verbündeter Englands dem Drang Deutschlands nach dem Osten ein Ziel setzen soll. Dieses Polen hofft auch auf die Mitwirkung der Slawen Österreichs. Nach der „Gazeta Poranna" (8. Juli) hat ein Artikel im „Fortnightln Review" die Ansicht vertreten, daß zur Herstellung des europäischen Gleichsgewichtes ein Großpolen mit Posen und Danzig (vgl. die Maibeschlüsse der österreichischen PolenI) und ein tschechisch-slawisches Reich gebildet werden müsse. Man sieht, daß diese Pläne schon mit dem Zusammenbruche Rußlands infolge der Revolution rechnen, aber auch die Slawisierung Österreichs zur Voraussetzung haben. Ähnliches berichtet der Krakauer „Czas" vom 9. August. Auch nach diesen Ausführungen hat England früher die Unterordnung Polens unter Rußland gewünscht und das ist auch jetzt noch die offizielle Anschauung. In der Presse wird aber immer häufiger mit einem selbständigen Polen ge¬ rechnet, das nach dem Falle Rußlands ein Bindeglied in der Umzingelung Deutschlands sein soll. Österreich soll bestehen bleiben, jedoch für die Ziele Englands gewonnen werden, das das Protektorat über die westlichen Slawen übernehmen will. Die politische Macht Österreich-Ungarns soll gebrochen werden. Dazu müßte Polen helfen, das auch bei der Slawisierung Österreichs Handlangerdienste zu leisten hätte. Sehr rührig sind die polnischen Emigranten in der Schweiz. Am 24. Juni fand beim Mausoleum in Rcipperswyl eine polnische Feier statt, bei der die Bildung eines aus allen drei gewaltsam voneinander getrennten Teilen Polens geeinigten unabhängigen Staates mit freiem Zugang zum Meer mit Danzig gefordert wurde. Im Juli lief durch die Blätter die Nachricht, daß die Polen in der Schweiz das Programm eines großslawischen Reiches ausgearbeitet hätten, welchem die Russen, Polen und Tschechen angehören sollen, also auf der neo- slawistischen Grundlage Dmowskis. In Lausanne arbeitet eine polnische Agentur, die nach den Ausführungen des in Lissa erscheinenden „Kraj" das „staats¬ schaffende Lager" in Polen diskreditiert und sich demnächst zur polnischen Re¬ gierung im Ausland ausrufen wird. Den Staatsrat erklärt diese Agentur, zu deren vorzüglichen Vertretern die Nationaldemokraten Dmowski, Piltz und Sayola gehören, als Verräter. Gegen dieses Treiben sollte, nach der Meinung des „Kraj", der polnische Staatsrat scharfen Protest erheben. In jüngster Zeit (Anfang September) hören wir nun tatsächlich, daß sich in Frankreich eine polnische Negierung, mit Dmowski an der Spitze, gebildet hat. Zugleich hat der Präsident der Republik eine polnische „Armee" ins Leben gerufen, die sich aus polnischen Staatsangehörigen Amerikas rekrutieren soll. Der unter den französischen Emigranten in Paris bekannte Dr. Zielinski

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/94
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/94>, abgerufen am 06.10.2024.