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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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vor hundert Jahren

verhaßten Gamaschendienstes: ein preußischer Ulanenschnürleib. ein hessischer
Zopf und ein österreichischer Korporalstock.

Da lediglich der 18. Oktober im Einladungsschreiben als Festtag bestimmt
war, blieben am nächsten Tag nur die Vertreter der Hochschulen in Eisenach,
um unter dem unmittelbaren, zwingenden Eindruck der Wartburgfeier den Bund
der deutschen Studentenschaft dauernd zu festigen. Im Rittersaal der Wartburg
kam es zu lebhaften Verhandlungen, die mit einer allgemeinen Verbrüderung
endigten. Zur Annahme bestimmter, allgemeiner Grundgesetze aber konnte man
sich auch jetzt noch nicht entschließen. Vorerst sollte nur eine von Jena aus
geleitete studentische Zeitschrift eine neue "Verständigung über Gesetz und
Sitte, die in der Burschengemeine herrschen solle", vorbereiten.

Ein gemeinsamer Kirchgang mit Abendmahlsfeier am Nachmittag des
19. Oktober und abends ein letzter Umtrunk im kleinen Kreise der Führer der
burschenschaftlichen Bewegung beschloß die Festtage in Eisenach. August von Binzers
ewig-junges Lied "Stoßt an. Eisenach lebe"! erklang hier zum ersten Male. Gedich¬
tet wurde es nach der Überlieferung beim Einzug der Burschen in die gastliche Lutherstadt.

Die Tage des Wartburgfestes waren vorüber, doch die Erinnerung an
das Erlebte, an den Austausch von Gedanken und Stimmung unter den empfäng¬
lichen Jünglingen aus allen deutschen Gauen vom Elsaß bis hinauf nach Kur¬
land und Livland blieb unauslöschlich in den Herzen der Teilnehmer verankert.
"Noch nie", urteilt Kieser mit Recht in seiner Beschreibung, "wurde ein Volks¬
fest, zu welchem Deutschland seine edelsten Söhne, den geistigen Kern seines
Volkes, die Hoffnung künftiger Geschlechter und die Blüte der begeisterten Jugend
gesandt hatte, mit mehr Andacht, Frieden und Frömmigkeit gefeiert." Von
vornherein war das Wartburgfest eben mehr als eine Jubelfeier der Reformation.
Katholische Studenten empfanden in gleicher Stärke und mit gleicher Hingebung
den ganzen Zauber tiefinnerlicher nationaler Begeisterung wie ihre protestan¬
tischen Kommilitonen. Es war das erste Fest, das ganz Deutschland in seiner
Jugend im neuen Gefühl engster Gemeinschaft beging!

Im Hochgefühl des Erlebten trugen die heimkehrenden Studenten die Kunde
von der wunderbaren Feier an ihre Hochschulen. Allenthalben erstarkte die
burschenschaftliche Bewegung. Schon Ostern 1818 beschlossen in Jena Ab¬
geordnete von Berlin, Halle. Heidelberg, Jena, Kiel, Königsberg, Leipzig.
Marburg und Rostock einen engeren Zusammenschluß. Im Herbst 1818,
gerade ein Jahr nach dem Wartbmgfest. erhielt, ebenfalls in Jena, die "all¬
gemeine deutsche Burschenschaft" endgültig ihre Weihe. Ihre Verfassung aber
wiederholte in Sinn und Grundstimmung deutlich und wirkungsvoll die An¬
sichten und Meinungen, die in Eisenach am 18. Oktober 1817 in den Herzen
der Teilnehmer Wurzel geschlagen hatten.

Schon unmittelbar nach dem Wartburgfest hatte vor allem der Festredner,
Heinrich Riemann, mit einer kleinen Schar Gesinnungsgenossen den Versuch


vor hundert Jahren

verhaßten Gamaschendienstes: ein preußischer Ulanenschnürleib. ein hessischer
Zopf und ein österreichischer Korporalstock.

Da lediglich der 18. Oktober im Einladungsschreiben als Festtag bestimmt
war, blieben am nächsten Tag nur die Vertreter der Hochschulen in Eisenach,
um unter dem unmittelbaren, zwingenden Eindruck der Wartburgfeier den Bund
der deutschen Studentenschaft dauernd zu festigen. Im Rittersaal der Wartburg
kam es zu lebhaften Verhandlungen, die mit einer allgemeinen Verbrüderung
endigten. Zur Annahme bestimmter, allgemeiner Grundgesetze aber konnte man
sich auch jetzt noch nicht entschließen. Vorerst sollte nur eine von Jena aus
geleitete studentische Zeitschrift eine neue „Verständigung über Gesetz und
Sitte, die in der Burschengemeine herrschen solle", vorbereiten.

Ein gemeinsamer Kirchgang mit Abendmahlsfeier am Nachmittag des
19. Oktober und abends ein letzter Umtrunk im kleinen Kreise der Führer der
burschenschaftlichen Bewegung beschloß die Festtage in Eisenach. August von Binzers
ewig-junges Lied „Stoßt an. Eisenach lebe"! erklang hier zum ersten Male. Gedich¬
tet wurde es nach der Überlieferung beim Einzug der Burschen in die gastliche Lutherstadt.

Die Tage des Wartburgfestes waren vorüber, doch die Erinnerung an
das Erlebte, an den Austausch von Gedanken und Stimmung unter den empfäng¬
lichen Jünglingen aus allen deutschen Gauen vom Elsaß bis hinauf nach Kur¬
land und Livland blieb unauslöschlich in den Herzen der Teilnehmer verankert.
„Noch nie", urteilt Kieser mit Recht in seiner Beschreibung, „wurde ein Volks¬
fest, zu welchem Deutschland seine edelsten Söhne, den geistigen Kern seines
Volkes, die Hoffnung künftiger Geschlechter und die Blüte der begeisterten Jugend
gesandt hatte, mit mehr Andacht, Frieden und Frömmigkeit gefeiert." Von
vornherein war das Wartburgfest eben mehr als eine Jubelfeier der Reformation.
Katholische Studenten empfanden in gleicher Stärke und mit gleicher Hingebung
den ganzen Zauber tiefinnerlicher nationaler Begeisterung wie ihre protestan¬
tischen Kommilitonen. Es war das erste Fest, das ganz Deutschland in seiner
Jugend im neuen Gefühl engster Gemeinschaft beging!

Im Hochgefühl des Erlebten trugen die heimkehrenden Studenten die Kunde
von der wunderbaren Feier an ihre Hochschulen. Allenthalben erstarkte die
burschenschaftliche Bewegung. Schon Ostern 1818 beschlossen in Jena Ab¬
geordnete von Berlin, Halle. Heidelberg, Jena, Kiel, Königsberg, Leipzig.
Marburg und Rostock einen engeren Zusammenschluß. Im Herbst 1818,
gerade ein Jahr nach dem Wartbmgfest. erhielt, ebenfalls in Jena, die „all¬
gemeine deutsche Burschenschaft" endgültig ihre Weihe. Ihre Verfassung aber
wiederholte in Sinn und Grundstimmung deutlich und wirkungsvoll die An¬
sichten und Meinungen, die in Eisenach am 18. Oktober 1817 in den Herzen
der Teilnehmer Wurzel geschlagen hatten.

Schon unmittelbar nach dem Wartburgfest hatte vor allem der Festredner,
Heinrich Riemann, mit einer kleinen Schar Gesinnungsgenossen den Versuch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/89>, abgerufen am 01.09.2024.