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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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vor hundert Jahren

"Wir haben nicht zu hoffen auf die Tugenden der Väter: die haben sich
gelebt; nicht auf das Blut der Brüder: die sind sich gestorben groß und schön.
Uns ist alles gegeben. In dieser Stunde der Weihe geloben wir, eines
hoffenden Volkes Lehrer, Verwalter seiner heiligen Sache, Zeugen seiner
Menschenwürde zu sein. Suchen wir der echten Geistesbildung teilhaftig zu
werden. Vergessen wir nie, daß alle Wissenschaft dem Vaterland dienen soll
und dem Leben der Menschheit. Eins aber tut uns gar not, was alles
Strebens Ziel und Preis zugleich ist: der feste Charakter der Ehre und der
Gerechtigkeit. Es geht das Wort der Ehre an jeden einzelnen, das Wort der
Gerechtigkeit an den Gemeingeist unseres Burschenlebens!"

"Deutsche wollen wir sein in Sprache und Sitte. Ungesucht entfaltet sich
das Volkstümliche wie eine unsichtbare Blume. Von Jahr zu Jahr wachse
und verjünge sich unser Bruderbund, Ströme erfrischend und segensvoll aus den
Quellen des Lichtes und der Wärme über alles deutsche Volk."

An Tiefe der Empfindung reicht diese zweite und letzte der von der Fest¬
leitung vorgesehenen Reden an die Riemanns vom Vormittag nicht heran. Mit
ihrer schwülen Unbestimmtheit aber und mit ihrer lodernden Begeisterung für
eine bessere Zukunft gab sie der Gärung, die sich der akademischen Jugend seit
1814 bemächtigt hatte, treffsicheren Ausdruck. "Wie das Jubelfeuer in einer
Flamme zusammenschlug und gen Himmel emporwogte, so trafen sich alle
Jugendgeister, und alle schlugen zusammen in der Flammenglut der frommen
Vaterlandsliebe, froh und warm; alle Herzen glühten zum Himmel empor":
so schildert einer der umstehenden Burschen den Eindruck, den die Rede am
Feuer hervorrief.

Die eigentliche Feier war damit zu Ende. Die Mehrzahl der Zuschauer
flüchtete vor der empfindlich kalten Nachtluft in die Stadt zurück. Nur vor
einer kleinen Schar ging das Satyrspiel vor sich, das in der Überlieferung den
wunderbar zarten Eindruck des Wartburgfestes vergröbert und verfälscht hat.

In Nachahmung von Luthers Verbrennung der päpstlichen Bannbulle
schleppten einige Turner Papierballen und Makulatur herbei, um ein Feuer¬
gericht über die literarischen und politischen Gegner der neuen nationalen Be¬
wegung abzuhalten, zu der sich die Schüler Jahns und Fries' allesamt freudig
bekannten. Ähnlich hatten schon die Tübinger Romantiker und die Brüder
Grimm in Kassel in den Jahren zuvor ihre Widersacher im Bilde vernichtet,
so daß auch die älteren, erfahrenen Freunde der jungen Burschen wohl ehr¬
lichen Sinnes ihre Zustimmung zu dem bevorstehenden Studentenulke gegeben
hatten. Nicht ohne ihren Rat war auch die Auswahl der Stücke getroffen.
Neben den Schriften eines Kamptz und Schmalz wurden andere Flugschriften
ausgerufen, die die beginnende Reaktion unterstützten. Selbst dickleibige wissen¬
schaftliche Werke, wie Hallers Restauration der Staatswissenschaften und Kotzebues
Geschichte des Deutschen Reiches fehlten nicht. Alles flog unter lautem Jubel
in die Flammen. Unter passenden Spottversen folgten ihnen die Zeichen des


vor hundert Jahren

„Wir haben nicht zu hoffen auf die Tugenden der Väter: die haben sich
gelebt; nicht auf das Blut der Brüder: die sind sich gestorben groß und schön.
Uns ist alles gegeben. In dieser Stunde der Weihe geloben wir, eines
hoffenden Volkes Lehrer, Verwalter seiner heiligen Sache, Zeugen seiner
Menschenwürde zu sein. Suchen wir der echten Geistesbildung teilhaftig zu
werden. Vergessen wir nie, daß alle Wissenschaft dem Vaterland dienen soll
und dem Leben der Menschheit. Eins aber tut uns gar not, was alles
Strebens Ziel und Preis zugleich ist: der feste Charakter der Ehre und der
Gerechtigkeit. Es geht das Wort der Ehre an jeden einzelnen, das Wort der
Gerechtigkeit an den Gemeingeist unseres Burschenlebens!"

„Deutsche wollen wir sein in Sprache und Sitte. Ungesucht entfaltet sich
das Volkstümliche wie eine unsichtbare Blume. Von Jahr zu Jahr wachse
und verjünge sich unser Bruderbund, Ströme erfrischend und segensvoll aus den
Quellen des Lichtes und der Wärme über alles deutsche Volk."

An Tiefe der Empfindung reicht diese zweite und letzte der von der Fest¬
leitung vorgesehenen Reden an die Riemanns vom Vormittag nicht heran. Mit
ihrer schwülen Unbestimmtheit aber und mit ihrer lodernden Begeisterung für
eine bessere Zukunft gab sie der Gärung, die sich der akademischen Jugend seit
1814 bemächtigt hatte, treffsicheren Ausdruck. „Wie das Jubelfeuer in einer
Flamme zusammenschlug und gen Himmel emporwogte, so trafen sich alle
Jugendgeister, und alle schlugen zusammen in der Flammenglut der frommen
Vaterlandsliebe, froh und warm; alle Herzen glühten zum Himmel empor":
so schildert einer der umstehenden Burschen den Eindruck, den die Rede am
Feuer hervorrief.

Die eigentliche Feier war damit zu Ende. Die Mehrzahl der Zuschauer
flüchtete vor der empfindlich kalten Nachtluft in die Stadt zurück. Nur vor
einer kleinen Schar ging das Satyrspiel vor sich, das in der Überlieferung den
wunderbar zarten Eindruck des Wartburgfestes vergröbert und verfälscht hat.

In Nachahmung von Luthers Verbrennung der päpstlichen Bannbulle
schleppten einige Turner Papierballen und Makulatur herbei, um ein Feuer¬
gericht über die literarischen und politischen Gegner der neuen nationalen Be¬
wegung abzuhalten, zu der sich die Schüler Jahns und Fries' allesamt freudig
bekannten. Ähnlich hatten schon die Tübinger Romantiker und die Brüder
Grimm in Kassel in den Jahren zuvor ihre Widersacher im Bilde vernichtet,
so daß auch die älteren, erfahrenen Freunde der jungen Burschen wohl ehr¬
lichen Sinnes ihre Zustimmung zu dem bevorstehenden Studentenulke gegeben
hatten. Nicht ohne ihren Rat war auch die Auswahl der Stücke getroffen.
Neben den Schriften eines Kamptz und Schmalz wurden andere Flugschriften
ausgerufen, die die beginnende Reaktion unterstützten. Selbst dickleibige wissen¬
schaftliche Werke, wie Hallers Restauration der Staatswissenschaften und Kotzebues
Geschichte des Deutschen Reiches fehlten nicht. Alles flog unter lautem Jubel
in die Flammen. Unter passenden Spottversen folgten ihnen die Zeichen des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/88>, abgerufen am 01.09.2024.