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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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(vesterreichisch - ungarische Landwirtschaft

Verhältnisse für den Gartenbau, aber keine einzige Fachschule besitzt, erreicht
nicht einmal ein Fünftel des Neinertrages pro Hektar von Mähren (51 Fach¬
schulen) und bleibt noch beträchtlich hinter der Bukowina (3 Fachschulen) und
Galizien (neunzehn Fachschulen) zurück, obwohl diese Länder weniger günstige
Bedingungen für den Gartenbau aufzuweisen haben. Dieselbe Aufstellung zeigt
auch, daß die Reinertrage pro Kopf der landwirtschaftlichen Bevölkerung in
demselben Maße abnehmen, wie die Kopfzahl der Analphabeten in den einzelnen
Landesteilen zunimmt.

7. Die Ungunst der Verkehrs Verhältnisse. Die europäische Mittellage der
österreichisch-ungarischen Monarchie läßt bei flüchtiger Beurteilung einen großen
Durchfuhrverkehr erwarten. Die Lage zwischen der Schweiz. Deutschland und
Rußland einerseits, Italien und den Balkanstaaten anderseits, also zwischen
Ländern mit sehr verschiedenen Produktionsverhältnissen und dementsprechend
starken Austauschbedürfnissen, scheint dafür zu sprechen. Aber es darf nicht
vergessen werden, daß für den nicht Raschheit der Beförderung, sondern nur
Billigkeit anstrebenden Verkehr von Massengütern die durch Österreich-Ungarn
führenden Wege vom Westen nach Osten und vom Norden nach Süden durch
die Schiffahrtsstraßen im Mittelländischen Meer umgangen werden. Das Ge¬
treide aus den südrussischen, rumänischen und bulgarischen Produktionsgebieten,
aus der Pontischen Kornkammer nimmt den Weg nicht durch, sondern um
Europa herum nach den atlantischen Hafenplätzen.

Ein erschwerender Umstand liegt ferner in der geringen Ausdehnung der
Meeresküste. Die Monarchie besitzt nur eine einzige Seeküste, und deren Länge
am Asiatischen Meer betrügt bloß 1700 Kilometer. Sie verfügt nur über
einen größeren internationalen Hafen, nämlich Trieft. Beachtenswert ist dabei,
daß der geringe Küstenanteil durch ein ziemlich unproduktives Hinterland noch
an Wert einbüßt. Die landwirtschaftlichen Hauptgebiete Österreichs liegen
weitab von den Gestaden der Adria, und ihre Verbindung mit dem Welt¬
verkehr wird in den meisten Fällen bequemer und schneller durch deutsche Häfen
erreicht. Jedoch entbehrt die Habsburger Monarchie nicht bloß der Lage an?
Meer, sondern sie hat auch verhältnismäßig wenig große, von Natur aus
schiffbare Ströme. Dem Hauptstrom, der Donau, tut es vom Gesichtspunkt
des internationalen Handels Abbruch, daß er in einem so abgelegenen Winkel
mündet, wie es das Meerbecken des Pontus ist. Der Weg zum freien Meer
geht von dort nur durch die Dardanellen. Die geringe Ausdehnung der natür¬
lichen Wasserwege in Österreich zeigt sich darin, daß bloß 2577 Kilometer der
Flüsse schiffbar sind, während das Deutsche Reich über natürliche schiffbare
Flußläufe in Länge von 9292 Kilometer verfügt.

Österreich ist ferner unter allen Staaten Europas, nächst der Schweiz, am
gebirgigsten. Fast Dreiviertel seiner Fläche sind von Gebirgen oder von Berg¬
land bedeckt, wodurch die Verkehrsschwierigkeiten naturgemäß noch erhöht werden.
Der vielfach undurchlässige Boden und Perioden heftiger Regengüsse, die Menge


(vesterreichisch - ungarische Landwirtschaft

Verhältnisse für den Gartenbau, aber keine einzige Fachschule besitzt, erreicht
nicht einmal ein Fünftel des Neinertrages pro Hektar von Mähren (51 Fach¬
schulen) und bleibt noch beträchtlich hinter der Bukowina (3 Fachschulen) und
Galizien (neunzehn Fachschulen) zurück, obwohl diese Länder weniger günstige
Bedingungen für den Gartenbau aufzuweisen haben. Dieselbe Aufstellung zeigt
auch, daß die Reinertrage pro Kopf der landwirtschaftlichen Bevölkerung in
demselben Maße abnehmen, wie die Kopfzahl der Analphabeten in den einzelnen
Landesteilen zunimmt.

7. Die Ungunst der Verkehrs Verhältnisse. Die europäische Mittellage der
österreichisch-ungarischen Monarchie läßt bei flüchtiger Beurteilung einen großen
Durchfuhrverkehr erwarten. Die Lage zwischen der Schweiz. Deutschland und
Rußland einerseits, Italien und den Balkanstaaten anderseits, also zwischen
Ländern mit sehr verschiedenen Produktionsverhältnissen und dementsprechend
starken Austauschbedürfnissen, scheint dafür zu sprechen. Aber es darf nicht
vergessen werden, daß für den nicht Raschheit der Beförderung, sondern nur
Billigkeit anstrebenden Verkehr von Massengütern die durch Österreich-Ungarn
führenden Wege vom Westen nach Osten und vom Norden nach Süden durch
die Schiffahrtsstraßen im Mittelländischen Meer umgangen werden. Das Ge¬
treide aus den südrussischen, rumänischen und bulgarischen Produktionsgebieten,
aus der Pontischen Kornkammer nimmt den Weg nicht durch, sondern um
Europa herum nach den atlantischen Hafenplätzen.

Ein erschwerender Umstand liegt ferner in der geringen Ausdehnung der
Meeresküste. Die Monarchie besitzt nur eine einzige Seeküste, und deren Länge
am Asiatischen Meer betrügt bloß 1700 Kilometer. Sie verfügt nur über
einen größeren internationalen Hafen, nämlich Trieft. Beachtenswert ist dabei,
daß der geringe Küstenanteil durch ein ziemlich unproduktives Hinterland noch
an Wert einbüßt. Die landwirtschaftlichen Hauptgebiete Österreichs liegen
weitab von den Gestaden der Adria, und ihre Verbindung mit dem Welt¬
verkehr wird in den meisten Fällen bequemer und schneller durch deutsche Häfen
erreicht. Jedoch entbehrt die Habsburger Monarchie nicht bloß der Lage an?
Meer, sondern sie hat auch verhältnismäßig wenig große, von Natur aus
schiffbare Ströme. Dem Hauptstrom, der Donau, tut es vom Gesichtspunkt
des internationalen Handels Abbruch, daß er in einem so abgelegenen Winkel
mündet, wie es das Meerbecken des Pontus ist. Der Weg zum freien Meer
geht von dort nur durch die Dardanellen. Die geringe Ausdehnung der natür¬
lichen Wasserwege in Österreich zeigt sich darin, daß bloß 2577 Kilometer der
Flüsse schiffbar sind, während das Deutsche Reich über natürliche schiffbare
Flußläufe in Länge von 9292 Kilometer verfügt.

Österreich ist ferner unter allen Staaten Europas, nächst der Schweiz, am
gebirgigsten. Fast Dreiviertel seiner Fläche sind von Gebirgen oder von Berg¬
land bedeckt, wodurch die Verkehrsschwierigkeiten naturgemäß noch erhöht werden.
Der vielfach undurchlässige Boden und Perioden heftiger Regengüsse, die Menge


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[0075] (vesterreichisch - ungarische Landwirtschaft Verhältnisse für den Gartenbau, aber keine einzige Fachschule besitzt, erreicht nicht einmal ein Fünftel des Neinertrages pro Hektar von Mähren (51 Fach¬ schulen) und bleibt noch beträchtlich hinter der Bukowina (3 Fachschulen) und Galizien (neunzehn Fachschulen) zurück, obwohl diese Länder weniger günstige Bedingungen für den Gartenbau aufzuweisen haben. Dieselbe Aufstellung zeigt auch, daß die Reinertrage pro Kopf der landwirtschaftlichen Bevölkerung in demselben Maße abnehmen, wie die Kopfzahl der Analphabeten in den einzelnen Landesteilen zunimmt. 7. Die Ungunst der Verkehrs Verhältnisse. Die europäische Mittellage der österreichisch-ungarischen Monarchie läßt bei flüchtiger Beurteilung einen großen Durchfuhrverkehr erwarten. Die Lage zwischen der Schweiz. Deutschland und Rußland einerseits, Italien und den Balkanstaaten anderseits, also zwischen Ländern mit sehr verschiedenen Produktionsverhältnissen und dementsprechend starken Austauschbedürfnissen, scheint dafür zu sprechen. Aber es darf nicht vergessen werden, daß für den nicht Raschheit der Beförderung, sondern nur Billigkeit anstrebenden Verkehr von Massengütern die durch Österreich-Ungarn führenden Wege vom Westen nach Osten und vom Norden nach Süden durch die Schiffahrtsstraßen im Mittelländischen Meer umgangen werden. Das Ge¬ treide aus den südrussischen, rumänischen und bulgarischen Produktionsgebieten, aus der Pontischen Kornkammer nimmt den Weg nicht durch, sondern um Europa herum nach den atlantischen Hafenplätzen. Ein erschwerender Umstand liegt ferner in der geringen Ausdehnung der Meeresküste. Die Monarchie besitzt nur eine einzige Seeküste, und deren Länge am Asiatischen Meer betrügt bloß 1700 Kilometer. Sie verfügt nur über einen größeren internationalen Hafen, nämlich Trieft. Beachtenswert ist dabei, daß der geringe Küstenanteil durch ein ziemlich unproduktives Hinterland noch an Wert einbüßt. Die landwirtschaftlichen Hauptgebiete Österreichs liegen weitab von den Gestaden der Adria, und ihre Verbindung mit dem Welt¬ verkehr wird in den meisten Fällen bequemer und schneller durch deutsche Häfen erreicht. Jedoch entbehrt die Habsburger Monarchie nicht bloß der Lage an? Meer, sondern sie hat auch verhältnismäßig wenig große, von Natur aus schiffbare Ströme. Dem Hauptstrom, der Donau, tut es vom Gesichtspunkt des internationalen Handels Abbruch, daß er in einem so abgelegenen Winkel mündet, wie es das Meerbecken des Pontus ist. Der Weg zum freien Meer geht von dort nur durch die Dardanellen. Die geringe Ausdehnung der natür¬ lichen Wasserwege in Österreich zeigt sich darin, daß bloß 2577 Kilometer der Flüsse schiffbar sind, während das Deutsche Reich über natürliche schiffbare Flußläufe in Länge von 9292 Kilometer verfügt. Österreich ist ferner unter allen Staaten Europas, nächst der Schweiz, am gebirgigsten. Fast Dreiviertel seiner Fläche sind von Gebirgen oder von Berg¬ land bedeckt, wodurch die Verkehrsschwierigkeiten naturgemäß noch erhöht werden. Der vielfach undurchlässige Boden und Perioden heftiger Regengüsse, die Menge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/75>, abgerufen am 01.09.2024.