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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Gesterreichisch-ungarische Landwirtschaft

in Geldsachen unerfahrene Bauer lieber das Bündel schnürt und auswandert,
als durch angestrengte Arbeit einen Einnahmeüberschuß zu erzielen, der dann
doch dem fremden Geldverleiher anheimfallen würde. Aus diesen Verhältnissen
erklärt sich auch zu einem großen Teile die starke Auswanderung der Monarchie,
die sich durchschnittlich auf 250 000 bis 300 000 Menschen stellt. Deutschland,
das bei weit kleinerer Fläche 68 Millionen Einwohner zählt, hat eine jährliche
Auswanderung von etwa nur 20 000, und dieser geringen Auswanderung steht
eine viel größere Einwanderung und der Zugang von Saisonarbeitern für die
Ernte gegenüber. Dagegen gingen aus Österreich-Ungarn alljährlich auch noch
mindestens 300 000 Saisonarbeiter ins Ausland.

Dem Zwergbesitz auf der einen Seite steht vielfach anderswo ein über¬
mäßig ausgedehnter Großbesitz gegenüber. Besonders in Ungarn tritt die
Latifundienwirtschaft stark in die Erscheinung. Dort werden 45 Prozent des
Ackerbodens von Wirtschaften mit über 100 Hektar bearbeitet, 31 Prozent von
solchen mit über 1000 Hektar. Fast 10 Millionen Hektar, das ist rund
35 Prozent des ganzen bebauten Bodens, sind gebundener Besitz. 135200 Hektar
gehören im Fideikommisse 91 Familien. Die Großgrundbesitzer in Deutschland
haben ein Zehntel des bebauten Landes inne, die ungarischen aber drei Zehntel.
Daß eine solche einseitige Besitzverteilung, vorherrschender Zwergbesitz auf der
einen und Latifundienbesitz auf der anderen Seite, einer rationellen Bewirt¬
schaftung und Ertragssteigerung sehr hinderlich im Wege steht, bedarf keiner
besonderen Hervorhebung.

6. Der Ausbau des Bildungswesens. Ein weiteres Hemmnis für den
Fortschritt liegt in dem geringeren Bildungsstand. Ganz Österreich nennt
219 landwirtschaftliche Schulen sein eigen, das nur wenig größere Preußen
dagegen 4212. Mit der Errichtung landwirtschaftlicher Schulen allein wäre
es jedoch nicht getan, weil die Wurzel des Übels schon im mangelnden Volks¬
schulunterricht zu suchen ist. Österreich besaß nach der letzten Volkszählung
16^/2 Prozent Analphabeten, aber auf die Landwirtschaft entfallen weit mehr,
weil die Analphabeten nicht in den Städten, sondern auf dem Lande zu suchen
sind. Das vorwiegende Ackerbauland Galizien weist denn auch 40,6 Prozent
Schreibunkundige auf, die Bukowina 53.9 Prozent, Dalmatien gar 62,6 Prozent.
Wie sehr das Bildungswesen auf den Fortschritt in der Landwirtschaft ein¬
zuwirken geeignet ist. zeigt eine Aufstellung über den Zusammenhang zwischen
Volksbildung und Bodenkultur, welche die k. k. österreichische Statistische Zentral¬
kommission vor dem Kriege vorgenommen hat. Die Aufstellung ergibt, daß die
größere Verbreitung allgemeiner und sachlicher Bildung immer auch eine bessere
und ertragreichere Bodenbewirtschaftung zur Folge hat. Aus den angegebenen
Zahlen tritt mit voller Deutlichkeit der große Vorsprung der Landesteile mit
vielen Schulen in die Erscheinung. Am meisten kommt die Rückwirkung der
Pflege des landwirtschaftlichen Schulwesens in der Gartenwirtschaft zum Aus¬
druck. Dalmatien, das infolge seiner südlichen Lage die günstigsten natürlichen


Gesterreichisch-ungarische Landwirtschaft

in Geldsachen unerfahrene Bauer lieber das Bündel schnürt und auswandert,
als durch angestrengte Arbeit einen Einnahmeüberschuß zu erzielen, der dann
doch dem fremden Geldverleiher anheimfallen würde. Aus diesen Verhältnissen
erklärt sich auch zu einem großen Teile die starke Auswanderung der Monarchie,
die sich durchschnittlich auf 250 000 bis 300 000 Menschen stellt. Deutschland,
das bei weit kleinerer Fläche 68 Millionen Einwohner zählt, hat eine jährliche
Auswanderung von etwa nur 20 000, und dieser geringen Auswanderung steht
eine viel größere Einwanderung und der Zugang von Saisonarbeitern für die
Ernte gegenüber. Dagegen gingen aus Österreich-Ungarn alljährlich auch noch
mindestens 300 000 Saisonarbeiter ins Ausland.

Dem Zwergbesitz auf der einen Seite steht vielfach anderswo ein über¬
mäßig ausgedehnter Großbesitz gegenüber. Besonders in Ungarn tritt die
Latifundienwirtschaft stark in die Erscheinung. Dort werden 45 Prozent des
Ackerbodens von Wirtschaften mit über 100 Hektar bearbeitet, 31 Prozent von
solchen mit über 1000 Hektar. Fast 10 Millionen Hektar, das ist rund
35 Prozent des ganzen bebauten Bodens, sind gebundener Besitz. 135200 Hektar
gehören im Fideikommisse 91 Familien. Die Großgrundbesitzer in Deutschland
haben ein Zehntel des bebauten Landes inne, die ungarischen aber drei Zehntel.
Daß eine solche einseitige Besitzverteilung, vorherrschender Zwergbesitz auf der
einen und Latifundienbesitz auf der anderen Seite, einer rationellen Bewirt¬
schaftung und Ertragssteigerung sehr hinderlich im Wege steht, bedarf keiner
besonderen Hervorhebung.

6. Der Ausbau des Bildungswesens. Ein weiteres Hemmnis für den
Fortschritt liegt in dem geringeren Bildungsstand. Ganz Österreich nennt
219 landwirtschaftliche Schulen sein eigen, das nur wenig größere Preußen
dagegen 4212. Mit der Errichtung landwirtschaftlicher Schulen allein wäre
es jedoch nicht getan, weil die Wurzel des Übels schon im mangelnden Volks¬
schulunterricht zu suchen ist. Österreich besaß nach der letzten Volkszählung
16^/2 Prozent Analphabeten, aber auf die Landwirtschaft entfallen weit mehr,
weil die Analphabeten nicht in den Städten, sondern auf dem Lande zu suchen
sind. Das vorwiegende Ackerbauland Galizien weist denn auch 40,6 Prozent
Schreibunkundige auf, die Bukowina 53.9 Prozent, Dalmatien gar 62,6 Prozent.
Wie sehr das Bildungswesen auf den Fortschritt in der Landwirtschaft ein¬
zuwirken geeignet ist. zeigt eine Aufstellung über den Zusammenhang zwischen
Volksbildung und Bodenkultur, welche die k. k. österreichische Statistische Zentral¬
kommission vor dem Kriege vorgenommen hat. Die Aufstellung ergibt, daß die
größere Verbreitung allgemeiner und sachlicher Bildung immer auch eine bessere
und ertragreichere Bodenbewirtschaftung zur Folge hat. Aus den angegebenen
Zahlen tritt mit voller Deutlichkeit der große Vorsprung der Landesteile mit
vielen Schulen in die Erscheinung. Am meisten kommt die Rückwirkung der
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[0074] Gesterreichisch-ungarische Landwirtschaft in Geldsachen unerfahrene Bauer lieber das Bündel schnürt und auswandert, als durch angestrengte Arbeit einen Einnahmeüberschuß zu erzielen, der dann doch dem fremden Geldverleiher anheimfallen würde. Aus diesen Verhältnissen erklärt sich auch zu einem großen Teile die starke Auswanderung der Monarchie, die sich durchschnittlich auf 250 000 bis 300 000 Menschen stellt. Deutschland, das bei weit kleinerer Fläche 68 Millionen Einwohner zählt, hat eine jährliche Auswanderung von etwa nur 20 000, und dieser geringen Auswanderung steht eine viel größere Einwanderung und der Zugang von Saisonarbeitern für die Ernte gegenüber. Dagegen gingen aus Österreich-Ungarn alljährlich auch noch mindestens 300 000 Saisonarbeiter ins Ausland. Dem Zwergbesitz auf der einen Seite steht vielfach anderswo ein über¬ mäßig ausgedehnter Großbesitz gegenüber. Besonders in Ungarn tritt die Latifundienwirtschaft stark in die Erscheinung. Dort werden 45 Prozent des Ackerbodens von Wirtschaften mit über 100 Hektar bearbeitet, 31 Prozent von solchen mit über 1000 Hektar. Fast 10 Millionen Hektar, das ist rund 35 Prozent des ganzen bebauten Bodens, sind gebundener Besitz. 135200 Hektar gehören im Fideikommisse 91 Familien. Die Großgrundbesitzer in Deutschland haben ein Zehntel des bebauten Landes inne, die ungarischen aber drei Zehntel. Daß eine solche einseitige Besitzverteilung, vorherrschender Zwergbesitz auf der einen und Latifundienbesitz auf der anderen Seite, einer rationellen Bewirt¬ schaftung und Ertragssteigerung sehr hinderlich im Wege steht, bedarf keiner besonderen Hervorhebung. 6. Der Ausbau des Bildungswesens. Ein weiteres Hemmnis für den Fortschritt liegt in dem geringeren Bildungsstand. Ganz Österreich nennt 219 landwirtschaftliche Schulen sein eigen, das nur wenig größere Preußen dagegen 4212. Mit der Errichtung landwirtschaftlicher Schulen allein wäre es jedoch nicht getan, weil die Wurzel des Übels schon im mangelnden Volks¬ schulunterricht zu suchen ist. Österreich besaß nach der letzten Volkszählung 16^/2 Prozent Analphabeten, aber auf die Landwirtschaft entfallen weit mehr, weil die Analphabeten nicht in den Städten, sondern auf dem Lande zu suchen sind. Das vorwiegende Ackerbauland Galizien weist denn auch 40,6 Prozent Schreibunkundige auf, die Bukowina 53.9 Prozent, Dalmatien gar 62,6 Prozent. Wie sehr das Bildungswesen auf den Fortschritt in der Landwirtschaft ein¬ zuwirken geeignet ist. zeigt eine Aufstellung über den Zusammenhang zwischen Volksbildung und Bodenkultur, welche die k. k. österreichische Statistische Zentral¬ kommission vor dem Kriege vorgenommen hat. Die Aufstellung ergibt, daß die größere Verbreitung allgemeiner und sachlicher Bildung immer auch eine bessere und ertragreichere Bodenbewirtschaftung zur Folge hat. Aus den angegebenen Zahlen tritt mit voller Deutlichkeit der große Vorsprung der Landesteile mit vielen Schulen in die Erscheinung. Am meisten kommt die Rückwirkung der Pflege des landwirtschaftlichen Schulwesens in der Gartenwirtschaft zum Aus¬ druck. Dalmatien, das infolge seiner südlichen Lage die günstigsten natürlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/74>, abgerufen am 01.09.2024.