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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Dcsterreichisch - ungarische Landwirtschaft

fast 50 Prozent, von der Haferernte ebenfalls 50 Prozent, von der Gersten¬
ernte 61 i/z Prozent. Vom Hopfen wachsen in Böhmen allein 80 Prozent,
der in seiner Güte von keinem anderen Hopfen der Welt erreicht wird. Auch
in Galizien und in der Bukowina, die 40 Prozent der gesamten Ackerfläche
der österreichischen Reichshälfte umfassen, gibt es vorzügliche Böden. Die Ge¬
treideproduktion Galiziens allein macht etwa ein Drittel der gesamten Getreide¬
ernte der österreichischen Reichshälfte aus.

Die geringeren Erträge der Donaumonarchie im Verhältnis zu anderen
Ländern sind mithin weniger auf natürliche Schwierigkeiten als vielmehr auf
den unbefriedigender Zustand der Betriebsweise zurückzuführen. Die Schwierig¬
keiten werden noch vermehrt durch die hohen Kunstdüngerpreise, durch die
teueren landwirtschaftlichen Maschinen und die hohe Grundsteuer. Die Aus¬
lagen für Kunstdünger, Geräte und Maschinen sind durchweg höher als in
Deutschland. Nach Professor Ballod waren Superphosphat und Thomasmehl
vor dem Kriege bereits in Böhmen um etwa 20 bis 25 Prozent höher als
bei uns und um 40 bis 50 Prozent höher als in Nußland oder Amerika.
Dieselbe amerikanische Mähmaschine, die in Rußland 300 Kronen kostete, wurde
in Österreich um 700 Kronen, also um mehr als das Doppelte, verkauft. Der
Grund ist einerseits der hohe Maschinenzoll und anderseits der Umstand, daß
die Verkaufsagenturen syndiziert sind und die Preise noch über den Bettag des
Zolles hochhalten.

5. Die Regelung der Besitzverhältnisse. Gleich wichtig oder vielleicht noch
wichtiger als die Verbesserung der Wirtschaftsweise ist die Regelung der land¬
wirtschaftlichen Besitzverhältniffe. die besonders in Galizien und in Ungarn
einer durchgreifenden Änderung bedürfen. Die Hauptmasse der Betriebe gehört
in der Monarchie dem Zwergbesitz an (43.6 Prozent); die Kleinbetriebe um¬
fassen 28,3 Prozent, die mittelbäuerlichen 22,3 Prozent, die großbäuerlichen
5,2 Prozent und die Großbetriebe 0,7 Prozent der Gesamtzahl der Betriebe.
Danach sind die eigentlichen Bauernwirtschaften, die leistungsfähigen Mittel¬
betriebe viel zu wenig vertreten. Hinzu kommt vielfach eine außerordentliche
Zersplitterung des Besitzes, wodurch die Bewirtschaftung naturgemäß sehr be¬
nachteiligt wird. Am stärksten ist die Parzellenwirtschaft und der Streubefitz
in den Nordostländern, in Galizien und der Bukowina, ausgebildet. Die
beiden Länder sind fast ausschließlich Agrarländer mit äußerst dichter Bevölkerung;
sie bedecken fast ein Drittel der Fläche der österreichischen Reichshälfte, und
rund ein Drittel deren Bevölkerung hat dort ihren Wohnsitz. Trotz großer
Fruchtbarkeit des Bodens bleiben jedoch die Nordostländer durchweg hinter den
Gesamterträgen Österreich-Ungarns zurück. Diese Rückständigkeit ist nicht zuletzt
auf die übergroße Zahl der Zwergbetriebe zurückzuführen. In Galizien muß
der weitaus größte Teil der meist sehr kinderreichen Bauernfamilien mit einem
Zwergbesitz von 1 bis 4 Hektar auskommen, und selbst dieses kleine Stück Land
ist gewöhnlich derart mit Schulden belastet, daß der von Wucherern geplagte.


Dcsterreichisch - ungarische Landwirtschaft

fast 50 Prozent, von der Haferernte ebenfalls 50 Prozent, von der Gersten¬
ernte 61 i/z Prozent. Vom Hopfen wachsen in Böhmen allein 80 Prozent,
der in seiner Güte von keinem anderen Hopfen der Welt erreicht wird. Auch
in Galizien und in der Bukowina, die 40 Prozent der gesamten Ackerfläche
der österreichischen Reichshälfte umfassen, gibt es vorzügliche Böden. Die Ge¬
treideproduktion Galiziens allein macht etwa ein Drittel der gesamten Getreide¬
ernte der österreichischen Reichshälfte aus.

Die geringeren Erträge der Donaumonarchie im Verhältnis zu anderen
Ländern sind mithin weniger auf natürliche Schwierigkeiten als vielmehr auf
den unbefriedigender Zustand der Betriebsweise zurückzuführen. Die Schwierig¬
keiten werden noch vermehrt durch die hohen Kunstdüngerpreise, durch die
teueren landwirtschaftlichen Maschinen und die hohe Grundsteuer. Die Aus¬
lagen für Kunstdünger, Geräte und Maschinen sind durchweg höher als in
Deutschland. Nach Professor Ballod waren Superphosphat und Thomasmehl
vor dem Kriege bereits in Böhmen um etwa 20 bis 25 Prozent höher als
bei uns und um 40 bis 50 Prozent höher als in Nußland oder Amerika.
Dieselbe amerikanische Mähmaschine, die in Rußland 300 Kronen kostete, wurde
in Österreich um 700 Kronen, also um mehr als das Doppelte, verkauft. Der
Grund ist einerseits der hohe Maschinenzoll und anderseits der Umstand, daß
die Verkaufsagenturen syndiziert sind und die Preise noch über den Bettag des
Zolles hochhalten.

5. Die Regelung der Besitzverhältnisse. Gleich wichtig oder vielleicht noch
wichtiger als die Verbesserung der Wirtschaftsweise ist die Regelung der land¬
wirtschaftlichen Besitzverhältniffe. die besonders in Galizien und in Ungarn
einer durchgreifenden Änderung bedürfen. Die Hauptmasse der Betriebe gehört
in der Monarchie dem Zwergbesitz an (43.6 Prozent); die Kleinbetriebe um¬
fassen 28,3 Prozent, die mittelbäuerlichen 22,3 Prozent, die großbäuerlichen
5,2 Prozent und die Großbetriebe 0,7 Prozent der Gesamtzahl der Betriebe.
Danach sind die eigentlichen Bauernwirtschaften, die leistungsfähigen Mittel¬
betriebe viel zu wenig vertreten. Hinzu kommt vielfach eine außerordentliche
Zersplitterung des Besitzes, wodurch die Bewirtschaftung naturgemäß sehr be¬
nachteiligt wird. Am stärksten ist die Parzellenwirtschaft und der Streubefitz
in den Nordostländern, in Galizien und der Bukowina, ausgebildet. Die
beiden Länder sind fast ausschließlich Agrarländer mit äußerst dichter Bevölkerung;
sie bedecken fast ein Drittel der Fläche der österreichischen Reichshälfte, und
rund ein Drittel deren Bevölkerung hat dort ihren Wohnsitz. Trotz großer
Fruchtbarkeit des Bodens bleiben jedoch die Nordostländer durchweg hinter den
Gesamterträgen Österreich-Ungarns zurück. Diese Rückständigkeit ist nicht zuletzt
auf die übergroße Zahl der Zwergbetriebe zurückzuführen. In Galizien muß
der weitaus größte Teil der meist sehr kinderreichen Bauernfamilien mit einem
Zwergbesitz von 1 bis 4 Hektar auskommen, und selbst dieses kleine Stück Land
ist gewöhnlich derart mit Schulden belastet, daß der von Wucherern geplagte.


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[0073] Dcsterreichisch - ungarische Landwirtschaft fast 50 Prozent, von der Haferernte ebenfalls 50 Prozent, von der Gersten¬ ernte 61 i/z Prozent. Vom Hopfen wachsen in Böhmen allein 80 Prozent, der in seiner Güte von keinem anderen Hopfen der Welt erreicht wird. Auch in Galizien und in der Bukowina, die 40 Prozent der gesamten Ackerfläche der österreichischen Reichshälfte umfassen, gibt es vorzügliche Böden. Die Ge¬ treideproduktion Galiziens allein macht etwa ein Drittel der gesamten Getreide¬ ernte der österreichischen Reichshälfte aus. Die geringeren Erträge der Donaumonarchie im Verhältnis zu anderen Ländern sind mithin weniger auf natürliche Schwierigkeiten als vielmehr auf den unbefriedigender Zustand der Betriebsweise zurückzuführen. Die Schwierig¬ keiten werden noch vermehrt durch die hohen Kunstdüngerpreise, durch die teueren landwirtschaftlichen Maschinen und die hohe Grundsteuer. Die Aus¬ lagen für Kunstdünger, Geräte und Maschinen sind durchweg höher als in Deutschland. Nach Professor Ballod waren Superphosphat und Thomasmehl vor dem Kriege bereits in Böhmen um etwa 20 bis 25 Prozent höher als bei uns und um 40 bis 50 Prozent höher als in Nußland oder Amerika. Dieselbe amerikanische Mähmaschine, die in Rußland 300 Kronen kostete, wurde in Österreich um 700 Kronen, also um mehr als das Doppelte, verkauft. Der Grund ist einerseits der hohe Maschinenzoll und anderseits der Umstand, daß die Verkaufsagenturen syndiziert sind und die Preise noch über den Bettag des Zolles hochhalten. 5. Die Regelung der Besitzverhältnisse. Gleich wichtig oder vielleicht noch wichtiger als die Verbesserung der Wirtschaftsweise ist die Regelung der land¬ wirtschaftlichen Besitzverhältniffe. die besonders in Galizien und in Ungarn einer durchgreifenden Änderung bedürfen. Die Hauptmasse der Betriebe gehört in der Monarchie dem Zwergbesitz an (43.6 Prozent); die Kleinbetriebe um¬ fassen 28,3 Prozent, die mittelbäuerlichen 22,3 Prozent, die großbäuerlichen 5,2 Prozent und die Großbetriebe 0,7 Prozent der Gesamtzahl der Betriebe. Danach sind die eigentlichen Bauernwirtschaften, die leistungsfähigen Mittel¬ betriebe viel zu wenig vertreten. Hinzu kommt vielfach eine außerordentliche Zersplitterung des Besitzes, wodurch die Bewirtschaftung naturgemäß sehr be¬ nachteiligt wird. Am stärksten ist die Parzellenwirtschaft und der Streubefitz in den Nordostländern, in Galizien und der Bukowina, ausgebildet. Die beiden Länder sind fast ausschließlich Agrarländer mit äußerst dichter Bevölkerung; sie bedecken fast ein Drittel der Fläche der österreichischen Reichshälfte, und rund ein Drittel deren Bevölkerung hat dort ihren Wohnsitz. Trotz großer Fruchtbarkeit des Bodens bleiben jedoch die Nordostländer durchweg hinter den Gesamterträgen Österreich-Ungarns zurück. Diese Rückständigkeit ist nicht zuletzt auf die übergroße Zahl der Zwergbetriebe zurückzuführen. In Galizien muß der weitaus größte Teil der meist sehr kinderreichen Bauernfamilien mit einem Zwergbesitz von 1 bis 4 Hektar auskommen, und selbst dieses kleine Stück Land ist gewöhnlich derart mit Schulden belastet, daß der von Wucherern geplagte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/73>, abgerufen am 01.09.2024.