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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Hjalmar Brantmgs Sieg

daß Branting im Augenblick gar nicht humanitäre, sondern ganz bestimmte
politische Machtfragen ins Auge gefaßt hat. Damit aber tritt er, der Erwähnte
des Volkes, nicht nur in direkten Gegensatz zu den wirklichen Interessen seiner
Wähler, sondern er erschüttert auch die Hoffnungen, die sich in der ganzen
Welt um den internationalen Gedanken des Sozialismus zu sammeln begannen.
Denn für Schweden gilt im Augenblick wie für die Völker aller Erdteile als
erste und oberste Aufgabe: Herabminderung der vielfachen Nöte, die der Welt¬
krieg hervorgebracht hat und täglich neu erzeugt.

Was kann Branting wollen? Ich folge nicht gern solchen Auffassungen,
die das Handeln von führenden Männern durch Eitelkeit und persönlichen Ehr¬
geiz erklären wollen. Gewiß: Führer ohne die stärkenden Eigenschaften des
Ehrgeizes sind keine Führer; aber ein starker Ehrgeiz, wie der Brantmgs kann
doch nur getragen sein von einer den Menschen ganz ausfüllenden Idee. Oder
glaubt jemand im Ernst, es könne für Brantmgs Streben ein Endziel sein,
Minister und selbst Ministerpräsident zu werden? Dazu ist Branting zum
mindesten zu jung an Jahren I Als er vor einigen Wochen im Wahlkampf
von einem Gegner mit Venizelos verglichen wurde, antwortete er am 8. August
im "Sozialdemokraten": "In der ganzen weiten Welt außerhalb der Mittel¬
mächte wird der griechische Staatsmann schon lange als der erste Bürger seines
Landes und als Vaterlandsfreund betrachtet. Man mag also gern fortfahren,
mich Venizelos zu nennen". Venizelos aber hat sich, einmal zur Macht ge¬
langt, zum Herrn über das Land mit Einschluß des Königs aufgeworfen, indem
er die Ziele der "ganzen weiten Welt außerhalb der Mittelmächte", also der
Entente, zu den seinigen machte. Es wird mir zugegeben werden, daß dies
unter den heutigen Verhältnissen, wo der Advokat Kerenski sich zum Überwinder
des Zarismus und Diktator über ein Volk von hundertfünfzig Millionen Menschen
aufwerfen konnte, ein erstrebenswertes Ziel für den Führer der schwedischen
Sozialdemokraten sein kann, besonders wenn man die politischen Hilfsmittel
berücksichtigt, die ihni mit der Führerschaft der internationalen Bewegung zu¬
gefallen sind, seit der Plan einer internationalen Sozialistenkonferenz auftauchte.

Es ist bekannt, daß Herr Branting sich anfangs, das ist bald nach glück¬
lichem Gelingen des Umsturzes in Rußland, ablehnend dazu verhielt, d. h. den
Standpunkt der Ententeregierungen einnahm. Nach langen Polemiken in der
Sozialistenpresse aller Länder hat er sich schließlich bereit erklärt, für das Zu¬
standekommen der Konferenz zu wirken, aber, nicht um der Konferenz willen,
sondern wegen der bevorstehenden Wahlen. Das wird von schwedischen und
anderen Sozialdemokraten ganz offen ausgesprochen, wie es ebenfalls zugegeben
wird, daß Brantmgs Wahlapparat aus Ententemitteln ganz erhebliche Ver¬
stärkung erfahren hat. Den Konferenzgedanken hat Branting im übrigen nur


Hjalmar Brantmgs Sieg

daß Branting im Augenblick gar nicht humanitäre, sondern ganz bestimmte
politische Machtfragen ins Auge gefaßt hat. Damit aber tritt er, der Erwähnte
des Volkes, nicht nur in direkten Gegensatz zu den wirklichen Interessen seiner
Wähler, sondern er erschüttert auch die Hoffnungen, die sich in der ganzen
Welt um den internationalen Gedanken des Sozialismus zu sammeln begannen.
Denn für Schweden gilt im Augenblick wie für die Völker aller Erdteile als
erste und oberste Aufgabe: Herabminderung der vielfachen Nöte, die der Welt¬
krieg hervorgebracht hat und täglich neu erzeugt.

Was kann Branting wollen? Ich folge nicht gern solchen Auffassungen,
die das Handeln von führenden Männern durch Eitelkeit und persönlichen Ehr¬
geiz erklären wollen. Gewiß: Führer ohne die stärkenden Eigenschaften des
Ehrgeizes sind keine Führer; aber ein starker Ehrgeiz, wie der Brantmgs kann
doch nur getragen sein von einer den Menschen ganz ausfüllenden Idee. Oder
glaubt jemand im Ernst, es könne für Brantmgs Streben ein Endziel sein,
Minister und selbst Ministerpräsident zu werden? Dazu ist Branting zum
mindesten zu jung an Jahren I Als er vor einigen Wochen im Wahlkampf
von einem Gegner mit Venizelos verglichen wurde, antwortete er am 8. August
im „Sozialdemokraten": „In der ganzen weiten Welt außerhalb der Mittel¬
mächte wird der griechische Staatsmann schon lange als der erste Bürger seines
Landes und als Vaterlandsfreund betrachtet. Man mag also gern fortfahren,
mich Venizelos zu nennen". Venizelos aber hat sich, einmal zur Macht ge¬
langt, zum Herrn über das Land mit Einschluß des Königs aufgeworfen, indem
er die Ziele der „ganzen weiten Welt außerhalb der Mittelmächte", also der
Entente, zu den seinigen machte. Es wird mir zugegeben werden, daß dies
unter den heutigen Verhältnissen, wo der Advokat Kerenski sich zum Überwinder
des Zarismus und Diktator über ein Volk von hundertfünfzig Millionen Menschen
aufwerfen konnte, ein erstrebenswertes Ziel für den Führer der schwedischen
Sozialdemokraten sein kann, besonders wenn man die politischen Hilfsmittel
berücksichtigt, die ihni mit der Führerschaft der internationalen Bewegung zu¬
gefallen sind, seit der Plan einer internationalen Sozialistenkonferenz auftauchte.

Es ist bekannt, daß Herr Branting sich anfangs, das ist bald nach glück¬
lichem Gelingen des Umsturzes in Rußland, ablehnend dazu verhielt, d. h. den
Standpunkt der Ententeregierungen einnahm. Nach langen Polemiken in der
Sozialistenpresse aller Länder hat er sich schließlich bereit erklärt, für das Zu¬
standekommen der Konferenz zu wirken, aber, nicht um der Konferenz willen,
sondern wegen der bevorstehenden Wahlen. Das wird von schwedischen und
anderen Sozialdemokraten ganz offen ausgesprochen, wie es ebenfalls zugegeben
wird, daß Brantmgs Wahlapparat aus Ententemitteln ganz erhebliche Ver¬
stärkung erfahren hat. Den Konferenzgedanken hat Branting im übrigen nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/48>, abgerufen am 01.09.2024.