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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Hjalmar Brantings Sieg

in dem Sinne gefördert, als er der Einkreisung der Mittelmächte dienlich sein
konnte. Das Hauptziel der Konferenz, zu einem baldigen sozialistischen Frieden
zu kommen, dessen Erreichung ohne ein lebensfähiges demokratisches Rußland
sehr in Frage gestellt ist, hat er völlig beiseite geschoben, indem er jeden Ver¬
such, auf dem Wege über einen Separatfrieden zum allgemeinen Frieden zu
gelangen, scheitern ließ. Branting hat es verstanden, auch die Sozialisten¬
führer der neutralen Länder zu überzeugen, daß die Internationale die Hand
und Hilfe zu Sonderfriedensbestrebüngen nicht geben dürfe. Die Vorbereitungen
zu der inzwischen gescheiterten Sozialistenkonferenz haben Branting den Dienst
für die Wahlen geleistet, dessen er bedürfte: sein Gefolge ist durch die Nieder¬
lage Lindhagens um elf Abgeordnete vergrößert und das in Petersburg in
französischer Sprache erscheinende Blatt "l'Entente" begrüßt seinen Sieg mit
den Worten: "Ebenso wie wir niemals an Griechenland verzweifelten, solange
die große Seele des Hellenismus an Venizelos ihren Fürsprecher hatte, ebenso
wollen wir Schweden seine bis zum Verbrechen gehende Neutralität, seine
Dienste, die es Deutschland geleistet hat, verzeihen, weil es vermocht hat, über
seinen egoistischen Interessen Brantings mächtige Stimme ertönen und über
die schmerzerfüllte Welt hinrollen zu lassen."




Branting ist somit scheinbar ein achtunggebietender Machtfaktor auch
zwischen den weltpolitischen Zusammenhängen, wie sie der Krieg gezeigt hat,
geworden. Noch beruht tatsächlich seine Bedeutung auf dem Schein. Die Stufen
zu seinem Aufstieg sind morsch. Die Internationale ist dank der Politik der
Entente, der Branting die ausschlaggebende Geltung verschaffte, zusammen¬
gebrochen in dem Augenblick, wo sie im Namen der Menschheit den größten
Triumph erleben konnte. Die inneren Gründe des Zusammenbruchs sollen hier
erörtert werden, sobald die Denkschrift über die Tätigkeit des internationalen
Bureaus, an die Herr Troelstm eben die letzte Hand legt, der Öffentlichkeit
zugeht. Heute nur ein Hinweis: Branting hat sich die Kriegsleidenschaften der
Frieden suchenden Genossen, die sich in Belgien und Rußland aus den unab¬
wendbaren Kriegstatsachen heraus gegen die Mittelmächte richten, nutzbar ge¬
macht, um die Fortsetzung des Krieges zu bewirken, ohne Rücksicht darauf zu
nehmen, daß das Geschick durchaus zugunsten der mitteleuropäischen Krieg¬
führung arbeitete. Immerhin kann er dafür bei seinen Genossen Entschuldigung
finden, denn er wäre nicht der einzige, der Deutschlands und seiner Verbündete"
geschlossene Kraft unterschätzte. Ohne Entschuldigung aber ist er in seiner
Stellungnahme zur russischen Revolution. Bei dem reichhaltigen Material, das
ihm über die Entwicklung in Rußland zur Verfügung stand und steht, mußte
er erkennen, daß sie sich in ihrem eigenen Feuer verzehrte, daß sie zusammen-


Hjalmar Brantings Sieg

in dem Sinne gefördert, als er der Einkreisung der Mittelmächte dienlich sein
konnte. Das Hauptziel der Konferenz, zu einem baldigen sozialistischen Frieden
zu kommen, dessen Erreichung ohne ein lebensfähiges demokratisches Rußland
sehr in Frage gestellt ist, hat er völlig beiseite geschoben, indem er jeden Ver¬
such, auf dem Wege über einen Separatfrieden zum allgemeinen Frieden zu
gelangen, scheitern ließ. Branting hat es verstanden, auch die Sozialisten¬
führer der neutralen Länder zu überzeugen, daß die Internationale die Hand
und Hilfe zu Sonderfriedensbestrebüngen nicht geben dürfe. Die Vorbereitungen
zu der inzwischen gescheiterten Sozialistenkonferenz haben Branting den Dienst
für die Wahlen geleistet, dessen er bedürfte: sein Gefolge ist durch die Nieder¬
lage Lindhagens um elf Abgeordnete vergrößert und das in Petersburg in
französischer Sprache erscheinende Blatt „l'Entente" begrüßt seinen Sieg mit
den Worten: „Ebenso wie wir niemals an Griechenland verzweifelten, solange
die große Seele des Hellenismus an Venizelos ihren Fürsprecher hatte, ebenso
wollen wir Schweden seine bis zum Verbrechen gehende Neutralität, seine
Dienste, die es Deutschland geleistet hat, verzeihen, weil es vermocht hat, über
seinen egoistischen Interessen Brantings mächtige Stimme ertönen und über
die schmerzerfüllte Welt hinrollen zu lassen."




Branting ist somit scheinbar ein achtunggebietender Machtfaktor auch
zwischen den weltpolitischen Zusammenhängen, wie sie der Krieg gezeigt hat,
geworden. Noch beruht tatsächlich seine Bedeutung auf dem Schein. Die Stufen
zu seinem Aufstieg sind morsch. Die Internationale ist dank der Politik der
Entente, der Branting die ausschlaggebende Geltung verschaffte, zusammen¬
gebrochen in dem Augenblick, wo sie im Namen der Menschheit den größten
Triumph erleben konnte. Die inneren Gründe des Zusammenbruchs sollen hier
erörtert werden, sobald die Denkschrift über die Tätigkeit des internationalen
Bureaus, an die Herr Troelstm eben die letzte Hand legt, der Öffentlichkeit
zugeht. Heute nur ein Hinweis: Branting hat sich die Kriegsleidenschaften der
Frieden suchenden Genossen, die sich in Belgien und Rußland aus den unab¬
wendbaren Kriegstatsachen heraus gegen die Mittelmächte richten, nutzbar ge¬
macht, um die Fortsetzung des Krieges zu bewirken, ohne Rücksicht darauf zu
nehmen, daß das Geschick durchaus zugunsten der mitteleuropäischen Krieg¬
führung arbeitete. Immerhin kann er dafür bei seinen Genossen Entschuldigung
finden, denn er wäre nicht der einzige, der Deutschlands und seiner Verbündete«
geschlossene Kraft unterschätzte. Ohne Entschuldigung aber ist er in seiner
Stellungnahme zur russischen Revolution. Bei dem reichhaltigen Material, das
ihm über die Entwicklung in Rußland zur Verfügung stand und steht, mußte
er erkennen, daß sie sich in ihrem eigenen Feuer verzehrte, daß sie zusammen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/49>, abgerufen am 01.09.2024.