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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Rcichsgcmalt und Landesverfassung im Roichslande

gesetzes bedürfen, dagegen durch einfaches Neichsgesetz die Einverleibung des
Landes in einen deutschen Bundesstaat usw. bestimmt werden können. Ein
durchaus unbefriedigendes Ergebnis; der sehr viel weitergehende Eingriff, der
dem Lande alle ihm gewährte Selbständigkeit nähme, wäre erleichtert gegen¬
über der Entziehung eines einzelnen, wenn auch bedeutsamen Rechtes. Viel¬
mehr ist das Verständnis des Gesetzes dem Grunde zu entnehmen, der für den
Gesetzgeber bestimmend war. Elsaß-Lothringen harte Jahrzehnte hindurch als
Reichsland dem Reiche angehört und der so gegebene Zusammenhang schien
dem Reichsgesetzgeber nun in dem Maße gefestigt zu sein, daß diesem Reichs¬
lande wie einem Bundesstaate Stimmrecht, wenn auch mit bestimmten Ein¬
schränkungen, gewährt werden könne. Der Sinn ist also der: Elsaß-Lothringen
wird als Reichsland stimmberechtigtes Glied des Reiches, nicht nur das Stimm¬
recht unter der Bedingung der Reichslandeigenschaft, sondern auch das Bestehen
dieser Bedingung hat die verfassungsmäßige Anerkennung für sich. Sonach
kann nur durch verfassungsänderndes Reichsgesetz, also nicht, wenn vierzehn
Stimmen im Bundesrate entgegen sind, dem Lande der Charakter als Reichs¬
land genommen werden. Und weil eine Änderung der Reich-Verfassung in
Frage steht, so ist Elsaß-Lothringen selbst an der Abstimmung im Bundesrate
nicht beteiligt, Art. 6a Abs. 2.

Auch für die weiteren Stimmrechtsvoraussetzungen, Statthalter an der
Spitze der Negierung des Landes, ernannt vom Kaiser, Ernennung und
Jnstruierung der Bundesratsbevollmächtigten durch den Statthalter, greift die
gleiche Auslegung durch. Der Bestand dieser Einrichtungen ist gleichfalls unter
die Garantie der Reichsverfassung gestellt. Sie werden nicht nur als Bedingungen
des Stimmrechtes erwähnt, sondern als gegeben anerkannt. Demnach können
auch sie bei fortbestehender Reichslandeigenschaft Elsaß-Lothringens nur durch
verfassungsänderndes Reichsgesetz aufgehoben werden; sie fallen aber von selbst
weg, wenn das Land aufhört, Reichsland zu sein.

Ein Recht auf Zugehörigkeit zum Reiche als Reichsland ist Elsaß-Loth¬
ringen durch die ihm gegebene Verfassung nicht erwachsen. Wenn Art. 78
Abs. 2 Reichsverfassung Zustimmung des berechtigten Bundesstaates erfordert
zur Abänderung solcher Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche bestimmte
Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältnis zur Gesamtheit festgestellt
sind, so ist diese Bestimmung auf Elsaß-Lothringen, das Bundesstaat nicht ist,
schlechthin, in allen Beziehungen unanwendbar. Speziell im Hinblick auf Be¬
seitigung der Reichslandeigenschaft schlösse die Heranziehung des Art. 78 Abs. 2
zudem einen schweren logischen Fehler in sich. Wie könnte Schaffung eines
Bundesstaates abhängig sein von der Zustimmung dieses erst zu begründenden
Staatswesens? Und Eingliederung eines deutschen Einzelstaates in einen
anderen hat ihren Rechtsgrund doch nicht in Änderung der Reichsverfassung,
sondern im Vertrag zwischen den Staaten, Erbgang usw.; mit der Wirksamkeit
dieses staatsrechtlichen Tatbestandes für den betroffenen Staat stände in vollem


Rcichsgcmalt und Landesverfassung im Roichslande

gesetzes bedürfen, dagegen durch einfaches Neichsgesetz die Einverleibung des
Landes in einen deutschen Bundesstaat usw. bestimmt werden können. Ein
durchaus unbefriedigendes Ergebnis; der sehr viel weitergehende Eingriff, der
dem Lande alle ihm gewährte Selbständigkeit nähme, wäre erleichtert gegen¬
über der Entziehung eines einzelnen, wenn auch bedeutsamen Rechtes. Viel¬
mehr ist das Verständnis des Gesetzes dem Grunde zu entnehmen, der für den
Gesetzgeber bestimmend war. Elsaß-Lothringen harte Jahrzehnte hindurch als
Reichsland dem Reiche angehört und der so gegebene Zusammenhang schien
dem Reichsgesetzgeber nun in dem Maße gefestigt zu sein, daß diesem Reichs¬
lande wie einem Bundesstaate Stimmrecht, wenn auch mit bestimmten Ein¬
schränkungen, gewährt werden könne. Der Sinn ist also der: Elsaß-Lothringen
wird als Reichsland stimmberechtigtes Glied des Reiches, nicht nur das Stimm¬
recht unter der Bedingung der Reichslandeigenschaft, sondern auch das Bestehen
dieser Bedingung hat die verfassungsmäßige Anerkennung für sich. Sonach
kann nur durch verfassungsänderndes Reichsgesetz, also nicht, wenn vierzehn
Stimmen im Bundesrate entgegen sind, dem Lande der Charakter als Reichs¬
land genommen werden. Und weil eine Änderung der Reich-Verfassung in
Frage steht, so ist Elsaß-Lothringen selbst an der Abstimmung im Bundesrate
nicht beteiligt, Art. 6a Abs. 2.

Auch für die weiteren Stimmrechtsvoraussetzungen, Statthalter an der
Spitze der Negierung des Landes, ernannt vom Kaiser, Ernennung und
Jnstruierung der Bundesratsbevollmächtigten durch den Statthalter, greift die
gleiche Auslegung durch. Der Bestand dieser Einrichtungen ist gleichfalls unter
die Garantie der Reichsverfassung gestellt. Sie werden nicht nur als Bedingungen
des Stimmrechtes erwähnt, sondern als gegeben anerkannt. Demnach können
auch sie bei fortbestehender Reichslandeigenschaft Elsaß-Lothringens nur durch
verfassungsänderndes Reichsgesetz aufgehoben werden; sie fallen aber von selbst
weg, wenn das Land aufhört, Reichsland zu sein.

Ein Recht auf Zugehörigkeit zum Reiche als Reichsland ist Elsaß-Loth¬
ringen durch die ihm gegebene Verfassung nicht erwachsen. Wenn Art. 78
Abs. 2 Reichsverfassung Zustimmung des berechtigten Bundesstaates erfordert
zur Abänderung solcher Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche bestimmte
Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältnis zur Gesamtheit festgestellt
sind, so ist diese Bestimmung auf Elsaß-Lothringen, das Bundesstaat nicht ist,
schlechthin, in allen Beziehungen unanwendbar. Speziell im Hinblick auf Be¬
seitigung der Reichslandeigenschaft schlösse die Heranziehung des Art. 78 Abs. 2
zudem einen schweren logischen Fehler in sich. Wie könnte Schaffung eines
Bundesstaates abhängig sein von der Zustimmung dieses erst zu begründenden
Staatswesens? Und Eingliederung eines deutschen Einzelstaates in einen
anderen hat ihren Rechtsgrund doch nicht in Änderung der Reichsverfassung,
sondern im Vertrag zwischen den Staaten, Erbgang usw.; mit der Wirksamkeit
dieses staatsrechtlichen Tatbestandes für den betroffenen Staat stände in vollem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/38>, abgerufen am 01.09.2024.