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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

Widerspruch, wenn die Vereinigung von seiner Zustimmung zur Änderung der
Reichsverfassung abhängig gemacht wurde.

Di? elsaß-lothringische Landesverfassung fällt in sich zusammen, sobald die
Reichslandeigenschaft des Landes reichsgesetzlich aufgehoben wird, mag das
zwecks Bildung eines neuen Einzelstaates oder zwecks Einverleibung in einen
anderen Einzelstaat geschehen. Der elsaß-lothringische Landtag, die prekaristische
Autonomie des Landes sind dann verschwunden. Eine Abstimmung der elsa߬
lothringischen Stände über Beseitigung oder Aufrechterhaltung der Reichslands¬
eigenschaft würde somit ohne Rechtswert sein. Elsaß-Lothringen empfängt sein
Daseinsgesetz vom Reiche. Die Befragung wäre nicht durch den staatsrecht¬
lichen Beruf der Stände, Ausübung der in und mit der Landesverfassung
gegebenen Autonomie des Landes, gedeckt.

Das verfassungsändernde Reichsgesetz, das dem Lande die Reichslands¬
eigenschaft entzieht, hat zugleich die Erhebung des Gebietes zum Bundesstaat
oder seine Zuweisung an einen oder mehrere Einzelstaaten auszusprechen.
Denn das eine oder andere muß an die Stelle treten, wenn Elsaß-Lothringen
aufhört. Reichsland zu sein. Aber unverkennbar wird die positive Änderung
durch die negative. Wegfall der Reichslandseigenschaft. logisch bedingt. Da die
letztere der Zustimmung des elsaß-lothringischen Landtages nicht bedarf und
diesen rechtlich beseitigt, so kann dessen Einverständnis mit der positiven Um¬
bildung erst recht nicht erforderlich sein.

Vor Gewährung voller einzelstaatlicher Selbständigkeit erst noch den bis¬
herigen Landtag zu befragen, hätte auch politisch nicht die mindeste Bedeutung,
denn diesem Geschenke wäre die Annahme gewiß. Der Annexton hingegen
würden die Stände zweifellos nicht zustimmen; hält man die Maßnahme für
politisch unerläßlich, so wird man sich nicht ganz unnötigerweise in einem
Dissens des bisherigen Landtages eine politische Erschwerung ihrer Durchführung
schaffen.

Auf die Art und Weise, wie der neue Bundesstaat auszugestalten, ins¬
besondere sein Oberhaupt zu bestimmen wäre, näher einzugehen, erübrigt sich.
Festgestellt sei nur. daß Überlassung der Wahl des Landesherrn an die elsa߬
lothringischen Stände diese im Wege besonderer reichsgesetzlicher Ermächtigung
zur Wahlkörperschaft machen würde, nicht in rechtlichem Zusammenhang mit
ihrem von der Reichslandseigenschaft abhängigen landesverfassungsmäßigen
Beruf stände.

2. Für den Erlaß des verfassungsändernden Gesetzes genügt im Reichs¬
tage einfache Mehrheit. Nur bei der Abstimmung im Bundesrate wird höhere
Stimmenzahl erfordert (vierzehn Nein bringen nach Art. 78 Abs. 1 Reichs¬
verfassung die Vorlage zu Fall).

Nicht ist einhellige Zustimmung aller Bundesstaaten zu fordern. Gewiß
bildet Elsaß-Lothringen als Reichsland einen gemeinsamen Besitz aller Bundes¬
glieder. Aber es kann im Rahmen der Reichszugehörigkeit und unter Wahrung


Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

Widerspruch, wenn die Vereinigung von seiner Zustimmung zur Änderung der
Reichsverfassung abhängig gemacht wurde.

Di? elsaß-lothringische Landesverfassung fällt in sich zusammen, sobald die
Reichslandeigenschaft des Landes reichsgesetzlich aufgehoben wird, mag das
zwecks Bildung eines neuen Einzelstaates oder zwecks Einverleibung in einen
anderen Einzelstaat geschehen. Der elsaß-lothringische Landtag, die prekaristische
Autonomie des Landes sind dann verschwunden. Eine Abstimmung der elsa߬
lothringischen Stände über Beseitigung oder Aufrechterhaltung der Reichslands¬
eigenschaft würde somit ohne Rechtswert sein. Elsaß-Lothringen empfängt sein
Daseinsgesetz vom Reiche. Die Befragung wäre nicht durch den staatsrecht¬
lichen Beruf der Stände, Ausübung der in und mit der Landesverfassung
gegebenen Autonomie des Landes, gedeckt.

Das verfassungsändernde Reichsgesetz, das dem Lande die Reichslands¬
eigenschaft entzieht, hat zugleich die Erhebung des Gebietes zum Bundesstaat
oder seine Zuweisung an einen oder mehrere Einzelstaaten auszusprechen.
Denn das eine oder andere muß an die Stelle treten, wenn Elsaß-Lothringen
aufhört. Reichsland zu sein. Aber unverkennbar wird die positive Änderung
durch die negative. Wegfall der Reichslandseigenschaft. logisch bedingt. Da die
letztere der Zustimmung des elsaß-lothringischen Landtages nicht bedarf und
diesen rechtlich beseitigt, so kann dessen Einverständnis mit der positiven Um¬
bildung erst recht nicht erforderlich sein.

Vor Gewährung voller einzelstaatlicher Selbständigkeit erst noch den bis¬
herigen Landtag zu befragen, hätte auch politisch nicht die mindeste Bedeutung,
denn diesem Geschenke wäre die Annahme gewiß. Der Annexton hingegen
würden die Stände zweifellos nicht zustimmen; hält man die Maßnahme für
politisch unerläßlich, so wird man sich nicht ganz unnötigerweise in einem
Dissens des bisherigen Landtages eine politische Erschwerung ihrer Durchführung
schaffen.

Auf die Art und Weise, wie der neue Bundesstaat auszugestalten, ins¬
besondere sein Oberhaupt zu bestimmen wäre, näher einzugehen, erübrigt sich.
Festgestellt sei nur. daß Überlassung der Wahl des Landesherrn an die elsa߬
lothringischen Stände diese im Wege besonderer reichsgesetzlicher Ermächtigung
zur Wahlkörperschaft machen würde, nicht in rechtlichem Zusammenhang mit
ihrem von der Reichslandseigenschaft abhängigen landesverfassungsmäßigen
Beruf stände.

2. Für den Erlaß des verfassungsändernden Gesetzes genügt im Reichs¬
tage einfache Mehrheit. Nur bei der Abstimmung im Bundesrate wird höhere
Stimmenzahl erfordert (vierzehn Nein bringen nach Art. 78 Abs. 1 Reichs¬
verfassung die Vorlage zu Fall).

Nicht ist einhellige Zustimmung aller Bundesstaaten zu fordern. Gewiß
bildet Elsaß-Lothringen als Reichsland einen gemeinsamen Besitz aller Bundes¬
glieder. Aber es kann im Rahmen der Reichszugehörigkeit und unter Wahrung


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[0039] Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande Widerspruch, wenn die Vereinigung von seiner Zustimmung zur Änderung der Reichsverfassung abhängig gemacht wurde. Di? elsaß-lothringische Landesverfassung fällt in sich zusammen, sobald die Reichslandeigenschaft des Landes reichsgesetzlich aufgehoben wird, mag das zwecks Bildung eines neuen Einzelstaates oder zwecks Einverleibung in einen anderen Einzelstaat geschehen. Der elsaß-lothringische Landtag, die prekaristische Autonomie des Landes sind dann verschwunden. Eine Abstimmung der elsa߬ lothringischen Stände über Beseitigung oder Aufrechterhaltung der Reichslands¬ eigenschaft würde somit ohne Rechtswert sein. Elsaß-Lothringen empfängt sein Daseinsgesetz vom Reiche. Die Befragung wäre nicht durch den staatsrecht¬ lichen Beruf der Stände, Ausübung der in und mit der Landesverfassung gegebenen Autonomie des Landes, gedeckt. Das verfassungsändernde Reichsgesetz, das dem Lande die Reichslands¬ eigenschaft entzieht, hat zugleich die Erhebung des Gebietes zum Bundesstaat oder seine Zuweisung an einen oder mehrere Einzelstaaten auszusprechen. Denn das eine oder andere muß an die Stelle treten, wenn Elsaß-Lothringen aufhört. Reichsland zu sein. Aber unverkennbar wird die positive Änderung durch die negative. Wegfall der Reichslandseigenschaft. logisch bedingt. Da die letztere der Zustimmung des elsaß-lothringischen Landtages nicht bedarf und diesen rechtlich beseitigt, so kann dessen Einverständnis mit der positiven Um¬ bildung erst recht nicht erforderlich sein. Vor Gewährung voller einzelstaatlicher Selbständigkeit erst noch den bis¬ herigen Landtag zu befragen, hätte auch politisch nicht die mindeste Bedeutung, denn diesem Geschenke wäre die Annahme gewiß. Der Annexton hingegen würden die Stände zweifellos nicht zustimmen; hält man die Maßnahme für politisch unerläßlich, so wird man sich nicht ganz unnötigerweise in einem Dissens des bisherigen Landtages eine politische Erschwerung ihrer Durchführung schaffen. Auf die Art und Weise, wie der neue Bundesstaat auszugestalten, ins¬ besondere sein Oberhaupt zu bestimmen wäre, näher einzugehen, erübrigt sich. Festgestellt sei nur. daß Überlassung der Wahl des Landesherrn an die elsa߬ lothringischen Stände diese im Wege besonderer reichsgesetzlicher Ermächtigung zur Wahlkörperschaft machen würde, nicht in rechtlichem Zusammenhang mit ihrem von der Reichslandseigenschaft abhängigen landesverfassungsmäßigen Beruf stände. 2. Für den Erlaß des verfassungsändernden Gesetzes genügt im Reichs¬ tage einfache Mehrheit. Nur bei der Abstimmung im Bundesrate wird höhere Stimmenzahl erfordert (vierzehn Nein bringen nach Art. 78 Abs. 1 Reichs¬ verfassung die Vorlage zu Fall). Nicht ist einhellige Zustimmung aller Bundesstaaten zu fordern. Gewiß bildet Elsaß-Lothringen als Reichsland einen gemeinsamen Besitz aller Bundes¬ glieder. Aber es kann im Rahmen der Reichszugehörigkeit und unter Wahrung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/39>, abgerufen am 01.09.2024.