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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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bleiben, da nur der äußerste Südwesten Suwalkis, Grodno aber gar keine Polen
beherbergt.

Das eigentliche bisherige Russisch-Polen, das den Kern Neu-Polens zu
bilden hat, besteht aus den Gouvernements Kalisch, Kielze, Lomza. Ludim. Pe-
tnkau. Plozk. Raton, Suwalki und Warschau. Zu ihnen würde nach den bis¬
herigen Nachrichten also Galizien treten, ohne daß indes die territoriale Ab¬
grenzung des galizischen Zuwachses bereits näher gekennzeichnet wäre. Bor allem
ist die Zuweisung des ruthenischen Ostgalizien noch völlig unentschieden. Geschieht
sie, so würde damit im Südosten die Einheit des polnischen Nationalstaates durch
ein unruhiges, bedenkliches Element arg gestört sein.

Demnach wird zunächst das Ausmaß Polens in folgenden Zahlen zu fassen
sein (nach "Goth. Hofkal." 1917):

Kalisch..... 11374 qlcm. 1342 400 Einwohner
Kielze..... 10 093 " 1029800
Lomza..... 10 442 " 819700
Ludim..... 14 331 " 1481000
Petrikau..... 12 249 " 2097900
Plozk...... 9 446 " 786000
Raton.....12 3S2 " 1 180200
Suwalki.....12S61 " 718 000
Warschau .... 17520 "_2 792 600
Russisch-Polen*) . , 113 819 qkm, 12 247 600 Einwohner

Dazu treten unter den angedeuteten Vorbehalten:

Galizien..... 78 500 qkm, 8 211 770 Einwohner
Gouvernem. Grodno . 38 669 " 2 048 200

Polen Würde in diesem Umfange von mehr als 230 000 Quadratkilometern
etwa der Größe des linkselb'löcher Deutschland nördlich der Main-Nahe-Linie
gleichkommen. Seine Bewohnerzahl von mehr als 22 Millionen würde ungefähr
der der fünf linkselbischen preußischen Provinzen und eine Dichte von 98 auf
1 Quadratkilometer ergeben, die die Bayerns (91) übertreffen würde. Polen wird
also in die Reihe der mittelräumigen europäischen Staaten eintreten, von denen
ihm Bulgarien und Ungarn mit Siebenbürgen beiderseits am nächsten stehen werden.

Das bemerkenswerteste räumliche Kennzeichen des neuen Staates ist, gleich¬
viel, welche der oben genannten Teile noch ausgeschieden werden, seine voll¬
kommene Binncnlage, die es unter den größerräumigen Staaten Europas, wenn
Man von dem eng mit Österreich verbundenen Ungarn absieht, nur mit der
Schweiz und mit dem alten Serbien teilt. Nichts als diese Tatsache vermag
schärfer seine innere Abhängigkeit von den großen Nachbarn zu kennzeichnen, eine
Abhängigkeit, die nach dem bisherigen Entscheid der Mittelmächte einseitig öster¬
reichisch sein soll. Aber es ist klar, daß diese einseitige Festlegung nicht organisch
ist. weil einem Binnenstaat naturgemäß immer die Gefahr droht, von allen seinen



*) Zu den neun Gouvernements wird vielfach noch Sjedlez als zehntes hinzugefügt.
6s ist aber zu bemerken, daß 1913 seine Aufteilung erfolgte, und zwar nach dem Natio¬
nalitätenprinzip: der westliche, polnische Teil kam zu Ludim, der östliche russische wurde mit
dem gleichfalls östlichen russischen Teil von Ludim zum russischen, also auszerpolnischen Gou¬
vernement Chota vereinigt.
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bleiben, da nur der äußerste Südwesten Suwalkis, Grodno aber gar keine Polen
beherbergt.

Das eigentliche bisherige Russisch-Polen, das den Kern Neu-Polens zu
bilden hat, besteht aus den Gouvernements Kalisch, Kielze, Lomza. Ludim. Pe-
tnkau. Plozk. Raton, Suwalki und Warschau. Zu ihnen würde nach den bis¬
herigen Nachrichten also Galizien treten, ohne daß indes die territoriale Ab¬
grenzung des galizischen Zuwachses bereits näher gekennzeichnet wäre. Bor allem
ist die Zuweisung des ruthenischen Ostgalizien noch völlig unentschieden. Geschieht
sie, so würde damit im Südosten die Einheit des polnischen Nationalstaates durch
ein unruhiges, bedenkliches Element arg gestört sein.

Demnach wird zunächst das Ausmaß Polens in folgenden Zahlen zu fassen
sein (nach „Goth. Hofkal." 1917):

Kalisch..... 11374 qlcm. 1342 400 Einwohner
Kielze..... 10 093 „ 1029800
Lomza..... 10 442 „ 819700
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Petrikau..... 12 249 „ 2097900
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Russisch-Polen*) . , 113 819 qkm, 12 247 600 Einwohner

Dazu treten unter den angedeuteten Vorbehalten:

Galizien..... 78 500 qkm, 8 211 770 Einwohner
Gouvernem. Grodno . 38 669 „ 2 048 200

Polen Würde in diesem Umfange von mehr als 230 000 Quadratkilometern
etwa der Größe des linkselb'löcher Deutschland nördlich der Main-Nahe-Linie
gleichkommen. Seine Bewohnerzahl von mehr als 22 Millionen würde ungefähr
der der fünf linkselbischen preußischen Provinzen und eine Dichte von 98 auf
1 Quadratkilometer ergeben, die die Bayerns (91) übertreffen würde. Polen wird
also in die Reihe der mittelräumigen europäischen Staaten eintreten, von denen
ihm Bulgarien und Ungarn mit Siebenbürgen beiderseits am nächsten stehen werden.

Das bemerkenswerteste räumliche Kennzeichen des neuen Staates ist, gleich¬
viel, welche der oben genannten Teile noch ausgeschieden werden, seine voll¬
kommene Binncnlage, die es unter den größerräumigen Staaten Europas, wenn
Man von dem eng mit Österreich verbundenen Ungarn absieht, nur mit der
Schweiz und mit dem alten Serbien teilt. Nichts als diese Tatsache vermag
schärfer seine innere Abhängigkeit von den großen Nachbarn zu kennzeichnen, eine
Abhängigkeit, die nach dem bisherigen Entscheid der Mittelmächte einseitig öster¬
reichisch sein soll. Aber es ist klar, daß diese einseitige Festlegung nicht organisch
ist. weil einem Binnenstaat naturgemäß immer die Gefahr droht, von allen seinen



*) Zu den neun Gouvernements wird vielfach noch Sjedlez als zehntes hinzugefügt.
6s ist aber zu bemerken, daß 1913 seine Aufteilung erfolgte, und zwar nach dem Natio¬
nalitätenprinzip: der westliche, polnische Teil kam zu Ludim, der östliche russische wurde mit
dem gleichfalls östlichen russischen Teil von Ludim zum russischen, also auszerpolnischen Gou¬
vernement Chota vereinigt.
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[0331] Polen in xolitisch-geograxhischcr Beleuchtung bleiben, da nur der äußerste Südwesten Suwalkis, Grodno aber gar keine Polen beherbergt. Das eigentliche bisherige Russisch-Polen, das den Kern Neu-Polens zu bilden hat, besteht aus den Gouvernements Kalisch, Kielze, Lomza. Ludim. Pe- tnkau. Plozk. Raton, Suwalki und Warschau. Zu ihnen würde nach den bis¬ herigen Nachrichten also Galizien treten, ohne daß indes die territoriale Ab¬ grenzung des galizischen Zuwachses bereits näher gekennzeichnet wäre. Bor allem ist die Zuweisung des ruthenischen Ostgalizien noch völlig unentschieden. Geschieht sie, so würde damit im Südosten die Einheit des polnischen Nationalstaates durch ein unruhiges, bedenkliches Element arg gestört sein. Demnach wird zunächst das Ausmaß Polens in folgenden Zahlen zu fassen sein (nach „Goth. Hofkal." 1917): Kalisch..... 11374 qlcm. 1342 400 Einwohner Kielze..... 10 093 „ 1029800 Lomza..... 10 442 „ 819700 Ludim..... 14 331 „ 1481000 Petrikau..... 12 249 „ 2097900 Plozk...... 9 446 „ 786000 Raton.....12 3S2 „ 1 180200 Suwalki.....12S61 „ 718 000 Warschau .... 17520 „_2 792 600 Russisch-Polen*) . , 113 819 qkm, 12 247 600 Einwohner Dazu treten unter den angedeuteten Vorbehalten: Galizien..... 78 500 qkm, 8 211 770 Einwohner Gouvernem. Grodno . 38 669 „ 2 048 200 Polen Würde in diesem Umfange von mehr als 230 000 Quadratkilometern etwa der Größe des linkselb'löcher Deutschland nördlich der Main-Nahe-Linie gleichkommen. Seine Bewohnerzahl von mehr als 22 Millionen würde ungefähr der der fünf linkselbischen preußischen Provinzen und eine Dichte von 98 auf 1 Quadratkilometer ergeben, die die Bayerns (91) übertreffen würde. Polen wird also in die Reihe der mittelräumigen europäischen Staaten eintreten, von denen ihm Bulgarien und Ungarn mit Siebenbürgen beiderseits am nächsten stehen werden. Das bemerkenswerteste räumliche Kennzeichen des neuen Staates ist, gleich¬ viel, welche der oben genannten Teile noch ausgeschieden werden, seine voll¬ kommene Binncnlage, die es unter den größerräumigen Staaten Europas, wenn Man von dem eng mit Österreich verbundenen Ungarn absieht, nur mit der Schweiz und mit dem alten Serbien teilt. Nichts als diese Tatsache vermag schärfer seine innere Abhängigkeit von den großen Nachbarn zu kennzeichnen, eine Abhängigkeit, die nach dem bisherigen Entscheid der Mittelmächte einseitig öster¬ reichisch sein soll. Aber es ist klar, daß diese einseitige Festlegung nicht organisch ist. weil einem Binnenstaat naturgemäß immer die Gefahr droht, von allen seinen *) Zu den neun Gouvernements wird vielfach noch Sjedlez als zehntes hinzugefügt. 6s ist aber zu bemerken, daß 1913 seine Aufteilung erfolgte, und zwar nach dem Natio¬ nalitätenprinzip: der westliche, polnische Teil kam zu Ludim, der östliche russische wurde mit dem gleichfalls östlichen russischen Teil von Ludim zum russischen, also auszerpolnischen Gou¬ vernement Chota vereinigt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/331>, abgerufen am 01.09.2024.