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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Martin Luther, der deutsch" Reformator

fliehen", innerweltliche Askese, ist die Signatur der spezifisch lutherischen Sitt¬
lichkeit. Die lutherische Kirche verknöchert in immer starrerer Orthodoxie, bleibt
organisations- und kraftlos, der landesherrlichen Willkür preisgegeben, und sie
vermag nicht eine Sittlichkeit hervorzubringen, die mit zielbewußter Kraft Kultur¬
arbeit verrichtet. Sie ist scheu und weltfremd und setzt der modernen Weiter¬
entwicklung der KuÜur. die eins ihrer Gebiete nach dem anderen verselbständigt
"ut nach eigenen Maßstäben umgestaltet, ängstlichen Widerstand entgegen, eine
Macht des Rückschrittes, nicht des Fortschrittes -- worüber jedoch nicht ver¬
gessen werden darf daß sie eine treue Hüterin des edlen ihr von Luther an¬
vertrauten Schatzes an religiöser Überzeugungstreue und Leidensfreudigkeit und
einer gemütvollen Innerlichkeit bleibt, aus der seinerzeit der philosophisch¬
künstlerische Idealismus des achtzehnten Jahrhunderts entsproß. Aus Tröltschs
grundlegenden Buche sei hier noch ein Zitat des gut protestantischen Historikers
Baumgarten angeführt das. wie bemerkt werden muß. aus den Jahren vor der
Einigung Deutschlands stammt. "Die ganz auf den inneren Menschen gerichtete
Art Luthers gab dieser Einseitigkeit unseres Wesens auf Jahrhunderte die un¬
bedingte Herrschaft. Auch unsere lutherischen Fürsten hatten eine Politik und
Zwar eine ganz neue, bis dahin nie gesehene Politik, die Pol del der moralischen
Bedenken, der hausväterlichen Gewissenhaftigkeit. der Tuchtigk-it im Kleinen und
der Ohnmacht im Großen, des emsigen Fleißes im engeren Kreise ,ab der
bornierten Trägheit, wo Großes auf dem Spiele stand Diese Politik hat das
solide Bürgertum unserer Städte, das behäbige Gebenden n^Blüte unserer Schulen und Universitäten, den gewissenhaften Fleiß unserer
Amtsstuben, deu Ernst unserer Wissenschaft, die Reinheit unsersb-gründet und gefördert, sie hat geschaffen oder doch ^ gebildet ^wir stolz sein können, was unser häusliches, prwatts. ökonomisch^ G nel aus
'"acht. Sie bat aber auch geschaffen jene erbärmliche Kemstaaterei. welche nur
N°um ge^ °ber den Mann, den ^ger Med
j°"es armselige Philistertum, das die Kraft unseres Wollens in Banden schlagt,
jene trauri^^WöMng unseres Geistes, in den kühnsten Phantasien d^Himmel zu stürmen und vor den kleinsten Hindernden der Erde mut s d e
Arme sinken zu lassen. Sie hat dem Staat das männerb'ldende Mark aus-
gesogen und ihn sozusagen in einen Kleinkindergarten verwandelt der uns ^°lieu Fährlichkeiten. aber auch vor aller Größe der bösen Welt dewas t h° .
Diese Zeichnung, die der Historiker von dem ganz mit luthenschem Ger te ge
tränkten deutschen Staats- und Volksleben bis auf Bismarck entwirf. w-alt
l°se den Eindruck, als habe der Haß den Griffel geführt. Aber es O nnn
einmal der Stolz des objektiven deutschen Forschers, daß sem rud.g beobachtender
Blick so scharf wie sonst nur der Haß zu sehen lernt.

^ Seltsam daß die Schöpfung des fraglos heroischsten der ^ in tora.
d°r mit der Kirche eine Einheit bildende lutherische. B"^'^-itorialstaat. solch schwächliche, kleinliche Züge zeigt, wahrend bewnnderungs-


Srenzchliten IV 1"17
Martin Luther, der deutsch« Reformator

fliehen", innerweltliche Askese, ist die Signatur der spezifisch lutherischen Sitt¬
lichkeit. Die lutherische Kirche verknöchert in immer starrerer Orthodoxie, bleibt
organisations- und kraftlos, der landesherrlichen Willkür preisgegeben, und sie
vermag nicht eine Sittlichkeit hervorzubringen, die mit zielbewußter Kraft Kultur¬
arbeit verrichtet. Sie ist scheu und weltfremd und setzt der modernen Weiter¬
entwicklung der KuÜur. die eins ihrer Gebiete nach dem anderen verselbständigt
«ut nach eigenen Maßstäben umgestaltet, ängstlichen Widerstand entgegen, eine
Macht des Rückschrittes, nicht des Fortschrittes — worüber jedoch nicht ver¬
gessen werden darf daß sie eine treue Hüterin des edlen ihr von Luther an¬
vertrauten Schatzes an religiöser Überzeugungstreue und Leidensfreudigkeit und
einer gemütvollen Innerlichkeit bleibt, aus der seinerzeit der philosophisch¬
künstlerische Idealismus des achtzehnten Jahrhunderts entsproß. Aus Tröltschs
grundlegenden Buche sei hier noch ein Zitat des gut protestantischen Historikers
Baumgarten angeführt das. wie bemerkt werden muß. aus den Jahren vor der
Einigung Deutschlands stammt. „Die ganz auf den inneren Menschen gerichtete
Art Luthers gab dieser Einseitigkeit unseres Wesens auf Jahrhunderte die un¬
bedingte Herrschaft. Auch unsere lutherischen Fürsten hatten eine Politik und
Zwar eine ganz neue, bis dahin nie gesehene Politik, die Pol del der moralischen
Bedenken, der hausväterlichen Gewissenhaftigkeit. der Tuchtigk-it im Kleinen und
der Ohnmacht im Großen, des emsigen Fleißes im engeren Kreise ,ab der
bornierten Trägheit, wo Großes auf dem Spiele stand Diese Politik hat das
solide Bürgertum unserer Städte, das behäbige Gebenden n^Blüte unserer Schulen und Universitäten, den gewissenhaften Fleiß unserer
Amtsstuben, deu Ernst unserer Wissenschaft, die Reinheit unsersb-gründet und gefördert, sie hat geschaffen oder doch ^ gebildet ^wir stolz sein können, was unser häusliches, prwatts. ökonomisch^ G nel aus
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N°um ge^ °ber den Mann, den ^ger Med
j°"es armselige Philistertum, das die Kraft unseres Wollens in Banden schlagt,
jene trauri^^WöMng unseres Geistes, in den kühnsten Phantasien d^Himmel zu stürmen und vor den kleinsten Hindernden der Erde mut s d e
Arme sinken zu lassen. Sie hat dem Staat das männerb'ldende Mark aus-
gesogen und ihn sozusagen in einen Kleinkindergarten verwandelt der uns ^°lieu Fährlichkeiten. aber auch vor aller Größe der bösen Welt dewas t h° .
Diese Zeichnung, die der Historiker von dem ganz mit luthenschem Ger te ge
tränkten deutschen Staats- und Volksleben bis auf Bismarck entwirf. w-alt
l°se den Eindruck, als habe der Haß den Griffel geführt. Aber es O nnn
einmal der Stolz des objektiven deutschen Forschers, daß sem rud.g beobachtender
Blick so scharf wie sonst nur der Haß zu sehen lernt.

^ Seltsam daß die Schöpfung des fraglos heroischsten der ^ in tora.
d°r mit der Kirche eine Einheit bildende lutherische. B»^'^-itorialstaat. solch schwächliche, kleinliche Züge zeigt, wahrend bewnnderungs-


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[0157] Martin Luther, der deutsch« Reformator fliehen", innerweltliche Askese, ist die Signatur der spezifisch lutherischen Sitt¬ lichkeit. Die lutherische Kirche verknöchert in immer starrerer Orthodoxie, bleibt organisations- und kraftlos, der landesherrlichen Willkür preisgegeben, und sie vermag nicht eine Sittlichkeit hervorzubringen, die mit zielbewußter Kraft Kultur¬ arbeit verrichtet. Sie ist scheu und weltfremd und setzt der modernen Weiter¬ entwicklung der KuÜur. die eins ihrer Gebiete nach dem anderen verselbständigt «ut nach eigenen Maßstäben umgestaltet, ängstlichen Widerstand entgegen, eine Macht des Rückschrittes, nicht des Fortschrittes — worüber jedoch nicht ver¬ gessen werden darf daß sie eine treue Hüterin des edlen ihr von Luther an¬ vertrauten Schatzes an religiöser Überzeugungstreue und Leidensfreudigkeit und einer gemütvollen Innerlichkeit bleibt, aus der seinerzeit der philosophisch¬ künstlerische Idealismus des achtzehnten Jahrhunderts entsproß. Aus Tröltschs grundlegenden Buche sei hier noch ein Zitat des gut protestantischen Historikers Baumgarten angeführt das. wie bemerkt werden muß. aus den Jahren vor der Einigung Deutschlands stammt. „Die ganz auf den inneren Menschen gerichtete Art Luthers gab dieser Einseitigkeit unseres Wesens auf Jahrhunderte die un¬ bedingte Herrschaft. Auch unsere lutherischen Fürsten hatten eine Politik und Zwar eine ganz neue, bis dahin nie gesehene Politik, die Pol del der moralischen Bedenken, der hausväterlichen Gewissenhaftigkeit. der Tuchtigk-it im Kleinen und der Ohnmacht im Großen, des emsigen Fleißes im engeren Kreise ,ab der bornierten Trägheit, wo Großes auf dem Spiele stand Diese Politik hat das solide Bürgertum unserer Städte, das behäbige Gebenden n^Blüte unserer Schulen und Universitäten, den gewissenhaften Fleiß unserer Amtsstuben, deu Ernst unserer Wissenschaft, die Reinheit unsersb-gründet und gefördert, sie hat geschaffen oder doch ^ gebildet ^wir stolz sein können, was unser häusliches, prwatts. ökonomisch^ G nel aus '«acht. Sie bat aber auch geschaffen jene erbärmliche Kemstaaterei. welche nur N°um ge^ °ber den Mann, den ^ger Med j°"es armselige Philistertum, das die Kraft unseres Wollens in Banden schlagt, jene trauri^^WöMng unseres Geistes, in den kühnsten Phantasien d^Himmel zu stürmen und vor den kleinsten Hindernden der Erde mut s d e Arme sinken zu lassen. Sie hat dem Staat das männerb'ldende Mark aus- gesogen und ihn sozusagen in einen Kleinkindergarten verwandelt der uns ^°lieu Fährlichkeiten. aber auch vor aller Größe der bösen Welt dewas t h° . Diese Zeichnung, die der Historiker von dem ganz mit luthenschem Ger te ge tränkten deutschen Staats- und Volksleben bis auf Bismarck entwirf. w-alt l°se den Eindruck, als habe der Haß den Griffel geführt. Aber es O nnn einmal der Stolz des objektiven deutschen Forschers, daß sem rud.g beobachtender Blick so scharf wie sonst nur der Haß zu sehen lernt. ^ Seltsam daß die Schöpfung des fraglos heroischsten der ^ in tora. d°r mit der Kirche eine Einheit bildende lutherische. B»^'^-itorialstaat. solch schwächliche, kleinliche Züge zeigt, wahrend bewnnderungs- Srenzchliten IV 1«17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/157>, abgerufen am 01.09.2024.