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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Martin tuthcr, der deutsche Reformator

Luther ist das geistige Haupt der altlutherischen Staatskirche und der damit
verbundenen Kultur, die die nächsten Jahrhunderte bis zum Zeitalter der Auf¬
klärung kennzeichnet. Das ist von E. Tröltsch in seinen "Soziallehren der
christlichen Kirchen und Gruppen" mit Meisterschaft und unter unerbittlicher
Hervorhebung der Schwächen und Einseitigkeiten des Reformators geschildert
worden. Es ist zu viel gesagt, wenn W. Köhler in seinem schönen Buch
"Martin Luther und die deutsche Reformation" (Teubner, "Aus Natur und
Geisteswelt") urteilt, daß Luther die objektive Begriffswelt des kirchlichen
Dogmas so völlig seelisch durchdrang, daß sie zwar nicht ihre Existenz, wohl
aber ihren Wert verlor, daß er die Theologie der Tatsachen durch eine Theologie
des Bewußtseins überwand. Jedenfalls hat er, durch und durch konservativ,
wie er war. das Dogma bestehen lassen, ja es gekräftigt und mit allem Nach¬
druck in Kopf und Herz seiner Anhänger hineingehämmert und es obendrein
vermehrt um eine spezifisch lutherische Schullehre, deren Ausprägung zu spitzen
Formeln er selbst begünstigte. Er hat an Stelle des Papstes die Heilige Schrift
auf den Thron gesetzt, damit dem Glauben, wie Köhler sich prägnant ausdrückt,
die Geschichte gerettet, aber der Schrift gegenüber die Freiheit seines ursprüng¬
lichen Glaubensstandpunktes, der ihm kecke Worte der Kritik erlaubte, nicht
festgehalten. Als er sah, daß seine anfängliche Überzeugung, daß das Wort
Gottes, wie er es verstand, sich nicht von selbst durch die Macht der Wahrheit
durchsetzen werde, hat er seine frühere These, der Christenkampf müsse mit
rein geistigen Waffen ausgefochten werden, zugunsten einer zwangsweise auf¬
recht erhaltenen Lehreinheit aufgegeben. Die Täufer haben das zu spüren be¬
kommen. Freilich ließ er diesen Zwang nicht von der Kirche selbst, die er gern
so spiritualistisch wie möglich erhalten wollte, ausüben, sondern durch den Staat und
sein Oberhaupt, den absoluten Fürsten, von dem er erwartete, daß er im Sinne
der Schrift und der Kirche seines Amtes walten werde. Es entstand das alt¬
lutherische Staatskirchentum mit all seinen Engen und Härten, Unklarheiten und
Seltsamkeiten. Ebensowenig wie das Dogma mit seinem religiösen Erleben hat
Luther das Weltleben und seine Güter und Aufgaben mit dem Geist seiner
christlichen Liebesethik durchdringen können. Er würdigte Obrigkeit. Politik,
Recht, Krieg, Wirtschaft als göttliche Ordnungen, denen der Christ sich im Ge¬
horsam zu unterwerfen, beziehungsweise in gewissenhaftester Erfüllung seiner
bürgerlichen Berufspflichten sich einzugliedern habe. Er weiß aber mit dem
allen noch nichts Rechtes anzufangen, einen Eigenwert vermag er den Gütern
und Aufgaben der weltlichen Kultur nicht einzuräumen. Der Christ, mit seinem
elenden Leib in die sündige Welt hineingestellt, kann nicht rein geistlich leben,
bei der Überzahl der Bösen erfordert die Aufrechterhaltung der Zucht hartes
Durchgreifen und strenge Bevormundung, aber das Ideal bleibt die reine
Geistigkeit der Forderungen der Bergpredigt. Die erste und zweite Tafel der
zehn Gebote, Gottesliebe und weltliches Recht, wollen sich nur schwer inein¬
ander schicken. Nicht mönchische Weltflucht, aber "in der Welt der Welt ent-


Martin tuthcr, der deutsche Reformator

Luther ist das geistige Haupt der altlutherischen Staatskirche und der damit
verbundenen Kultur, die die nächsten Jahrhunderte bis zum Zeitalter der Auf¬
klärung kennzeichnet. Das ist von E. Tröltsch in seinen „Soziallehren der
christlichen Kirchen und Gruppen" mit Meisterschaft und unter unerbittlicher
Hervorhebung der Schwächen und Einseitigkeiten des Reformators geschildert
worden. Es ist zu viel gesagt, wenn W. Köhler in seinem schönen Buch
„Martin Luther und die deutsche Reformation" (Teubner, „Aus Natur und
Geisteswelt") urteilt, daß Luther die objektive Begriffswelt des kirchlichen
Dogmas so völlig seelisch durchdrang, daß sie zwar nicht ihre Existenz, wohl
aber ihren Wert verlor, daß er die Theologie der Tatsachen durch eine Theologie
des Bewußtseins überwand. Jedenfalls hat er, durch und durch konservativ,
wie er war. das Dogma bestehen lassen, ja es gekräftigt und mit allem Nach¬
druck in Kopf und Herz seiner Anhänger hineingehämmert und es obendrein
vermehrt um eine spezifisch lutherische Schullehre, deren Ausprägung zu spitzen
Formeln er selbst begünstigte. Er hat an Stelle des Papstes die Heilige Schrift
auf den Thron gesetzt, damit dem Glauben, wie Köhler sich prägnant ausdrückt,
die Geschichte gerettet, aber der Schrift gegenüber die Freiheit seines ursprüng¬
lichen Glaubensstandpunktes, der ihm kecke Worte der Kritik erlaubte, nicht
festgehalten. Als er sah, daß seine anfängliche Überzeugung, daß das Wort
Gottes, wie er es verstand, sich nicht von selbst durch die Macht der Wahrheit
durchsetzen werde, hat er seine frühere These, der Christenkampf müsse mit
rein geistigen Waffen ausgefochten werden, zugunsten einer zwangsweise auf¬
recht erhaltenen Lehreinheit aufgegeben. Die Täufer haben das zu spüren be¬
kommen. Freilich ließ er diesen Zwang nicht von der Kirche selbst, die er gern
so spiritualistisch wie möglich erhalten wollte, ausüben, sondern durch den Staat und
sein Oberhaupt, den absoluten Fürsten, von dem er erwartete, daß er im Sinne
der Schrift und der Kirche seines Amtes walten werde. Es entstand das alt¬
lutherische Staatskirchentum mit all seinen Engen und Härten, Unklarheiten und
Seltsamkeiten. Ebensowenig wie das Dogma mit seinem religiösen Erleben hat
Luther das Weltleben und seine Güter und Aufgaben mit dem Geist seiner
christlichen Liebesethik durchdringen können. Er würdigte Obrigkeit. Politik,
Recht, Krieg, Wirtschaft als göttliche Ordnungen, denen der Christ sich im Ge¬
horsam zu unterwerfen, beziehungsweise in gewissenhaftester Erfüllung seiner
bürgerlichen Berufspflichten sich einzugliedern habe. Er weiß aber mit dem
allen noch nichts Rechtes anzufangen, einen Eigenwert vermag er den Gütern
und Aufgaben der weltlichen Kultur nicht einzuräumen. Der Christ, mit seinem
elenden Leib in die sündige Welt hineingestellt, kann nicht rein geistlich leben,
bei der Überzahl der Bösen erfordert die Aufrechterhaltung der Zucht hartes
Durchgreifen und strenge Bevormundung, aber das Ideal bleibt die reine
Geistigkeit der Forderungen der Bergpredigt. Die erste und zweite Tafel der
zehn Gebote, Gottesliebe und weltliches Recht, wollen sich nur schwer inein¬
ander schicken. Nicht mönchische Weltflucht, aber „in der Welt der Welt ent-


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[0156] Martin tuthcr, der deutsche Reformator Luther ist das geistige Haupt der altlutherischen Staatskirche und der damit verbundenen Kultur, die die nächsten Jahrhunderte bis zum Zeitalter der Auf¬ klärung kennzeichnet. Das ist von E. Tröltsch in seinen „Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen" mit Meisterschaft und unter unerbittlicher Hervorhebung der Schwächen und Einseitigkeiten des Reformators geschildert worden. Es ist zu viel gesagt, wenn W. Köhler in seinem schönen Buch „Martin Luther und die deutsche Reformation" (Teubner, „Aus Natur und Geisteswelt") urteilt, daß Luther die objektive Begriffswelt des kirchlichen Dogmas so völlig seelisch durchdrang, daß sie zwar nicht ihre Existenz, wohl aber ihren Wert verlor, daß er die Theologie der Tatsachen durch eine Theologie des Bewußtseins überwand. Jedenfalls hat er, durch und durch konservativ, wie er war. das Dogma bestehen lassen, ja es gekräftigt und mit allem Nach¬ druck in Kopf und Herz seiner Anhänger hineingehämmert und es obendrein vermehrt um eine spezifisch lutherische Schullehre, deren Ausprägung zu spitzen Formeln er selbst begünstigte. Er hat an Stelle des Papstes die Heilige Schrift auf den Thron gesetzt, damit dem Glauben, wie Köhler sich prägnant ausdrückt, die Geschichte gerettet, aber der Schrift gegenüber die Freiheit seines ursprüng¬ lichen Glaubensstandpunktes, der ihm kecke Worte der Kritik erlaubte, nicht festgehalten. Als er sah, daß seine anfängliche Überzeugung, daß das Wort Gottes, wie er es verstand, sich nicht von selbst durch die Macht der Wahrheit durchsetzen werde, hat er seine frühere These, der Christenkampf müsse mit rein geistigen Waffen ausgefochten werden, zugunsten einer zwangsweise auf¬ recht erhaltenen Lehreinheit aufgegeben. Die Täufer haben das zu spüren be¬ kommen. Freilich ließ er diesen Zwang nicht von der Kirche selbst, die er gern so spiritualistisch wie möglich erhalten wollte, ausüben, sondern durch den Staat und sein Oberhaupt, den absoluten Fürsten, von dem er erwartete, daß er im Sinne der Schrift und der Kirche seines Amtes walten werde. Es entstand das alt¬ lutherische Staatskirchentum mit all seinen Engen und Härten, Unklarheiten und Seltsamkeiten. Ebensowenig wie das Dogma mit seinem religiösen Erleben hat Luther das Weltleben und seine Güter und Aufgaben mit dem Geist seiner christlichen Liebesethik durchdringen können. Er würdigte Obrigkeit. Politik, Recht, Krieg, Wirtschaft als göttliche Ordnungen, denen der Christ sich im Ge¬ horsam zu unterwerfen, beziehungsweise in gewissenhaftester Erfüllung seiner bürgerlichen Berufspflichten sich einzugliedern habe. Er weiß aber mit dem allen noch nichts Rechtes anzufangen, einen Eigenwert vermag er den Gütern und Aufgaben der weltlichen Kultur nicht einzuräumen. Der Christ, mit seinem elenden Leib in die sündige Welt hineingestellt, kann nicht rein geistlich leben, bei der Überzahl der Bösen erfordert die Aufrechterhaltung der Zucht hartes Durchgreifen und strenge Bevormundung, aber das Ideal bleibt die reine Geistigkeit der Forderungen der Bergpredigt. Die erste und zweite Tafel der zehn Gebote, Gottesliebe und weltliches Recht, wollen sich nur schwer inein¬ ander schicken. Nicht mönchische Weltflucht, aber „in der Welt der Welt ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/156>, abgerufen am 01.09.2024.