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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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damit bricht die katholische Gesetzlichkeit zusammen -- Gehorsam übt. liebt und
dient. Alles übrige ergibt sich von selbst, so der idealistische Kirchenbegriff --
die Kirchenverfassung ist Nebensache, kann den Umständen angepaßt werden,
alles kommt auf rechte Wortverkündigung an --. die Gewissensfreiheit, das all-
gemeine Priestertum. die neue positive Berüfsethik. Das ist unser evangelisches
Christentum, in seinen Grundzügen, dessen unbestrittener Vater Luther ist.
, Zwingli. Calvin, die Täufer stehen sämtlich auf seinen Schultern, Sie haben
wichtige und charakteristische Modifikationen angebracht. Konsequenzen gezogen,
"l einzelnen Punkten auch wohl rückschrittlich seinen Geist verleugnet, aber aufs
Große und Ganze gesehen, sind sie sämtlich in seine Gefolgschaft einzureihen.

Luther ist ferner Bahnbrecher der modernen Kultur. Diese ist freilich eine
vielfältig zusammengesetzte Größe und hat mehr als eine Wurzel. Solche
Wurzeln, die sich bloßlegen lassen, sind die Renaissancestimmung des fünfzehnten
und sechzehnten Jahrhunderts, die neue mathematische Naturwissenschaft, das
Aufkommen der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Eine der saftreichsten Wurzeln
aber ist der Geist unseres Reformators. Aus seiner tiefen Glaubenserfahrung
entsprang das Ideal der freien, autonomen Persönlichkeit, das ohne Zweifel
im Mittelpunkt der modernen Kultur steht. Man mag darüber streiten, von
woher der modernen Kultur der stärkste- Beitrag zugeflossen ist. Sicher ist
jedenfalls das eine, daß Martin Luther die Pforte der modernen Z-et auf¬
gebrochen hat. und nicht Erasmus. Kopernikus oder Kolumbus. Die Seele
und das einigende Band der mittelalterlichen Kultur war die Religion von
der Religion her konnte und mußte sie aufgebrochen werden. Luther setzt d.e
Brechstange am entscheidenden Punkte an. Die anderen konnten steh. le e^ auf
seinem Gehecke schürfend und bohrend, auf °"ers°ut Kompromisse mlass .
Der Mann der Religion kann das nicht. Wer wie Luther denkt: "Einer
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selig werden will, soll also gesinnt sein, als sei kein Mensch s°use ^ E d
denn er allein, und daß aller Trost und Zusagung Gottes hin und wied
^r Heiligen Schrift ihn allein angehe", und: "Niemand lasse den Glaube
daran fahren, daß Gott durch ihn -me große Tat tun null." wer wie Luther
sol. schlicht und ernst und ganz konzentriert ist auf das eme. das not tut
der bricht durch Nur auf den Trümmern der katholischen Hierarchie und des
katholischen asketischen Lebensideals - im buchstäblichen Sinne oder nicht, denn
auch wo diese Größen äußerlich aufrecht blieben, war doch ihr geistiger Bann
gebrochen - konnte die moderne Welt erstehen. Luther hat an dem Aufbau
der neuen Welt tiefeingreifend und bestimmend mitgewirkt, er ist der Zer¬
trümmerer der alten. . .

^^Luther ist der Vater des evangelischen Christentums, der Bahnbrechend r
modernen Kultur. Beides ist er geworden, ohne es zu wollen. Seine nächste
geschichtliche Wirkung ist jedoch eine andere. Noch eine andere Lebensleistung
h°t er hinterlassen, ein Werk, an dem er mit bewußtem Willen, mit mel Sorge
und Mühe gearbeitet, und das gerade darum beschränkt und vergänglich ist.


damit bricht die katholische Gesetzlichkeit zusammen — Gehorsam übt. liebt und
dient. Alles übrige ergibt sich von selbst, so der idealistische Kirchenbegriff —
die Kirchenverfassung ist Nebensache, kann den Umständen angepaßt werden,
alles kommt auf rechte Wortverkündigung an —. die Gewissensfreiheit, das all-
gemeine Priestertum. die neue positive Berüfsethik. Das ist unser evangelisches
Christentum, in seinen Grundzügen, dessen unbestrittener Vater Luther ist.
, Zwingli. Calvin, die Täufer stehen sämtlich auf seinen Schultern, Sie haben
wichtige und charakteristische Modifikationen angebracht. Konsequenzen gezogen,
"l einzelnen Punkten auch wohl rückschrittlich seinen Geist verleugnet, aber aufs
Große und Ganze gesehen, sind sie sämtlich in seine Gefolgschaft einzureihen.

Luther ist ferner Bahnbrecher der modernen Kultur. Diese ist freilich eine
vielfältig zusammengesetzte Größe und hat mehr als eine Wurzel. Solche
Wurzeln, die sich bloßlegen lassen, sind die Renaissancestimmung des fünfzehnten
und sechzehnten Jahrhunderts, die neue mathematische Naturwissenschaft, das
Aufkommen der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Eine der saftreichsten Wurzeln
aber ist der Geist unseres Reformators. Aus seiner tiefen Glaubenserfahrung
entsprang das Ideal der freien, autonomen Persönlichkeit, das ohne Zweifel
im Mittelpunkt der modernen Kultur steht. Man mag darüber streiten, von
woher der modernen Kultur der stärkste- Beitrag zugeflossen ist. Sicher ist
jedenfalls das eine, daß Martin Luther die Pforte der modernen Z-et auf¬
gebrochen hat. und nicht Erasmus. Kopernikus oder Kolumbus. Die Seele
und das einigende Band der mittelalterlichen Kultur war die Religion von
der Religion her konnte und mußte sie aufgebrochen werden. Luther setzt d.e
Brechstange am entscheidenden Punkte an. Die anderen konnten steh. le e^ auf
seinem Gehecke schürfend und bohrend, auf °«ers°ut Kompromisse mlass .
Der Mann der Religion kann das nicht. Wer wie Luther denkt: „Einer
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selig werden will, soll also gesinnt sein, als sei kein Mensch s°use ^ E d
denn er allein, und daß aller Trost und Zusagung Gottes hin und wied
^r Heiligen Schrift ihn allein angehe", und: „Niemand lasse den Glaube
daran fahren, daß Gott durch ihn -me große Tat tun null." wer wie Luther
sol. schlicht und ernst und ganz konzentriert ist auf das eme. das not tut
der bricht durch Nur auf den Trümmern der katholischen Hierarchie und des
katholischen asketischen Lebensideals - im buchstäblichen Sinne oder nicht, denn
auch wo diese Größen äußerlich aufrecht blieben, war doch ihr geistiger Bann
gebrochen - konnte die moderne Welt erstehen. Luther hat an dem Aufbau
der neuen Welt tiefeingreifend und bestimmend mitgewirkt, er ist der Zer¬
trümmerer der alten. . .

^^Luther ist der Vater des evangelischen Christentums, der Bahnbrechend r
modernen Kultur. Beides ist er geworden, ohne es zu wollen. Seine nächste
geschichtliche Wirkung ist jedoch eine andere. Noch eine andere Lebensleistung
h°t er hinterlassen, ein Werk, an dem er mit bewußtem Willen, mit mel Sorge
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/155>, abgerufen am 01.09.2024.