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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Martin Luther, der deutsche Reformator

das deutsche Ideal? Das Ideal des Franzosen ist der Mann von Geist und
Grazie, das des Engländers der Gentleman, der sich selbst zu beherrschen weiß,
kraftbewußt, gelassen und korrekt, das des Amerikaners der praktische Geschäfts¬
mann. Dem Deutschen, dessen ursprüngliches Gefühl nicht durch die Sturz¬
welle der modernen Kultur weggeschwemmt ist, stehen Aufrichtigkeit und Frömmig¬
keit am höchsten. Tapfer und gemütvoll ist er von selber, durch und durch
wahr und gottgläubig möchte er werden. Nichts auf Erden scheint uns so
hassenswert wie Heuchelei. "Uns Deutsche", sagt Luther, "hat keine Tugend
so hoch gerühmt und. wie ich glaube, bisher so hoch erhoben und erhalten, als
daß man uns für treue, wahrhaftige, beständige Leute gehalten hat. die da
haben ja ja und nein nein sein lassen, wie deß viel Historien und Bücher
Zeugen sind." Nichts berührt uns so frostig, bis in den Grund unseres Herzens
erkältend und ertötend wie dreiste Gottesleugnung. In beiderlei Hinsicht ver?
körpert Martin Luther das deutsche Ideal.
'

, In seinem kürzlich erschienenen gehaltvollen Buche. "Luthers Charakter",
hat Professor W. Walther die Wahrhaftigkeit als den Grundzug des Wesens
des Reformators vorangestellt und dafür aus seinem Leben und seinen Schriften
eine Menge von schlagenden Belegen beigebracht. Mag man in manchen Fällen
seine verblüffende Ehrlichkeit als ein naives Herausplatzen zu beurteilen geneigt
sein - kindlich einfältig blieb er bis an seines Lebens Ende --. so spürt man
doch immer wieder, daß seine Wahrhaftigkeit das Gepräge sittlichen Adels trägt.
Er hat sich, wie Walther ausführt, das vorsichtige Verschweigen seiner letzten
Überzeugung, zu dem er sich unter dem Einfluß seiner Freunde in Worms
widerwillig zwang -- er erklärte dort nämlich, wenn man ihn nicht durch
Schriftzeugnisse oder helle Vernunftgründe widerlege, werde er nicht widerrufen,
sagte aber nicht, daß man ihn. dessen sei er sicher, niemals werde widerlegen
können --, unter bitteren Selbstvorwürfen als schwere Sünde angerechnet.
Einmal und nie wieder! Die Diplomaten waren ihm von Stund an ein Greuel,
und nicht minder war er ihnen fürchterlich. Er lag ihnen wie ein Stein im
Wege, einerlei ob es Theologen. Juristen oder Fürsten waren; oft hat er
gänzlich unbekümmert um die Folgen in trotzigem Widerstand ihre Berechnungen
durchkreuzt. Mochte man ihn kleinlich, ängstlich. Übergewissenhast schelten
^ vielleicht sogar gelegentlich nicht ganz ohne Grund --. was er für unrecht
hielt, konnte und wollte er nie für recht ausgeben. Er spricht seine Fehler.
Zweifel und Nöte ebenso unumwunden aus wie sein erstaunliches Selbstbewußt¬
sein. "Seine Feinde wissen ihm unendlich viel Schlechtes nachzusagen", lesen
wir bei Walther. "Woher kennen sie dies, soweit es nicht rein erlogen ist?
Wüßten sie nichts weiter von ihm. als was seine Zeitgenossen, auch seine
bittersten Feinde, berichtet haben, so würde ihr Anklagestoff unendlich dürftig
"der ganz unbeweisbare Verleumdung sein. Fast ausschließlich durch ihn selbst
haben sie erfahren, was sie Ungünstiges über ihn vorzubringen vermögen."
Vor allem war Luther, das zeigt schon sein siebenjähriges klösterliches Ringen


Martin Luther, der deutsche Reformator

das deutsche Ideal? Das Ideal des Franzosen ist der Mann von Geist und
Grazie, das des Engländers der Gentleman, der sich selbst zu beherrschen weiß,
kraftbewußt, gelassen und korrekt, das des Amerikaners der praktische Geschäfts¬
mann. Dem Deutschen, dessen ursprüngliches Gefühl nicht durch die Sturz¬
welle der modernen Kultur weggeschwemmt ist, stehen Aufrichtigkeit und Frömmig¬
keit am höchsten. Tapfer und gemütvoll ist er von selber, durch und durch
wahr und gottgläubig möchte er werden. Nichts auf Erden scheint uns so
hassenswert wie Heuchelei. „Uns Deutsche", sagt Luther, „hat keine Tugend
so hoch gerühmt und. wie ich glaube, bisher so hoch erhoben und erhalten, als
daß man uns für treue, wahrhaftige, beständige Leute gehalten hat. die da
haben ja ja und nein nein sein lassen, wie deß viel Historien und Bücher
Zeugen sind." Nichts berührt uns so frostig, bis in den Grund unseres Herzens
erkältend und ertötend wie dreiste Gottesleugnung. In beiderlei Hinsicht ver?
körpert Martin Luther das deutsche Ideal.
'

, In seinem kürzlich erschienenen gehaltvollen Buche. „Luthers Charakter",
hat Professor W. Walther die Wahrhaftigkeit als den Grundzug des Wesens
des Reformators vorangestellt und dafür aus seinem Leben und seinen Schriften
eine Menge von schlagenden Belegen beigebracht. Mag man in manchen Fällen
seine verblüffende Ehrlichkeit als ein naives Herausplatzen zu beurteilen geneigt
sein - kindlich einfältig blieb er bis an seines Lebens Ende —. so spürt man
doch immer wieder, daß seine Wahrhaftigkeit das Gepräge sittlichen Adels trägt.
Er hat sich, wie Walther ausführt, das vorsichtige Verschweigen seiner letzten
Überzeugung, zu dem er sich unter dem Einfluß seiner Freunde in Worms
widerwillig zwang — er erklärte dort nämlich, wenn man ihn nicht durch
Schriftzeugnisse oder helle Vernunftgründe widerlege, werde er nicht widerrufen,
sagte aber nicht, daß man ihn. dessen sei er sicher, niemals werde widerlegen
können —, unter bitteren Selbstvorwürfen als schwere Sünde angerechnet.
Einmal und nie wieder! Die Diplomaten waren ihm von Stund an ein Greuel,
und nicht minder war er ihnen fürchterlich. Er lag ihnen wie ein Stein im
Wege, einerlei ob es Theologen. Juristen oder Fürsten waren; oft hat er
gänzlich unbekümmert um die Folgen in trotzigem Widerstand ihre Berechnungen
durchkreuzt. Mochte man ihn kleinlich, ängstlich. Übergewissenhast schelten
^ vielleicht sogar gelegentlich nicht ganz ohne Grund —. was er für unrecht
hielt, konnte und wollte er nie für recht ausgeben. Er spricht seine Fehler.
Zweifel und Nöte ebenso unumwunden aus wie sein erstaunliches Selbstbewußt¬
sein. „Seine Feinde wissen ihm unendlich viel Schlechtes nachzusagen", lesen
wir bei Walther. „Woher kennen sie dies, soweit es nicht rein erlogen ist?
Wüßten sie nichts weiter von ihm. als was seine Zeitgenossen, auch seine
bittersten Feinde, berichtet haben, so würde ihr Anklagestoff unendlich dürftig
«der ganz unbeweisbare Verleumdung sein. Fast ausschließlich durch ihn selbst
haben sie erfahren, was sie Ungünstiges über ihn vorzubringen vermögen."
Vor allem war Luther, das zeigt schon sein siebenjähriges klösterliches Ringen


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[0151] Martin Luther, der deutsche Reformator das deutsche Ideal? Das Ideal des Franzosen ist der Mann von Geist und Grazie, das des Engländers der Gentleman, der sich selbst zu beherrschen weiß, kraftbewußt, gelassen und korrekt, das des Amerikaners der praktische Geschäfts¬ mann. Dem Deutschen, dessen ursprüngliches Gefühl nicht durch die Sturz¬ welle der modernen Kultur weggeschwemmt ist, stehen Aufrichtigkeit und Frömmig¬ keit am höchsten. Tapfer und gemütvoll ist er von selber, durch und durch wahr und gottgläubig möchte er werden. Nichts auf Erden scheint uns so hassenswert wie Heuchelei. „Uns Deutsche", sagt Luther, „hat keine Tugend so hoch gerühmt und. wie ich glaube, bisher so hoch erhoben und erhalten, als daß man uns für treue, wahrhaftige, beständige Leute gehalten hat. die da haben ja ja und nein nein sein lassen, wie deß viel Historien und Bücher Zeugen sind." Nichts berührt uns so frostig, bis in den Grund unseres Herzens erkältend und ertötend wie dreiste Gottesleugnung. In beiderlei Hinsicht ver? körpert Martin Luther das deutsche Ideal. ' , In seinem kürzlich erschienenen gehaltvollen Buche. „Luthers Charakter", hat Professor W. Walther die Wahrhaftigkeit als den Grundzug des Wesens des Reformators vorangestellt und dafür aus seinem Leben und seinen Schriften eine Menge von schlagenden Belegen beigebracht. Mag man in manchen Fällen seine verblüffende Ehrlichkeit als ein naives Herausplatzen zu beurteilen geneigt sein - kindlich einfältig blieb er bis an seines Lebens Ende —. so spürt man doch immer wieder, daß seine Wahrhaftigkeit das Gepräge sittlichen Adels trägt. Er hat sich, wie Walther ausführt, das vorsichtige Verschweigen seiner letzten Überzeugung, zu dem er sich unter dem Einfluß seiner Freunde in Worms widerwillig zwang — er erklärte dort nämlich, wenn man ihn nicht durch Schriftzeugnisse oder helle Vernunftgründe widerlege, werde er nicht widerrufen, sagte aber nicht, daß man ihn. dessen sei er sicher, niemals werde widerlegen können —, unter bitteren Selbstvorwürfen als schwere Sünde angerechnet. Einmal und nie wieder! Die Diplomaten waren ihm von Stund an ein Greuel, und nicht minder war er ihnen fürchterlich. Er lag ihnen wie ein Stein im Wege, einerlei ob es Theologen. Juristen oder Fürsten waren; oft hat er gänzlich unbekümmert um die Folgen in trotzigem Widerstand ihre Berechnungen durchkreuzt. Mochte man ihn kleinlich, ängstlich. Übergewissenhast schelten ^ vielleicht sogar gelegentlich nicht ganz ohne Grund —. was er für unrecht hielt, konnte und wollte er nie für recht ausgeben. Er spricht seine Fehler. Zweifel und Nöte ebenso unumwunden aus wie sein erstaunliches Selbstbewußt¬ sein. „Seine Feinde wissen ihm unendlich viel Schlechtes nachzusagen", lesen wir bei Walther. „Woher kennen sie dies, soweit es nicht rein erlogen ist? Wüßten sie nichts weiter von ihm. als was seine Zeitgenossen, auch seine bittersten Feinde, berichtet haben, so würde ihr Anklagestoff unendlich dürftig «der ganz unbeweisbare Verleumdung sein. Fast ausschließlich durch ihn selbst haben sie erfahren, was sie Ungünstiges über ihn vorzubringen vermögen." Vor allem war Luther, das zeigt schon sein siebenjähriges klösterliches Ringen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/151>, abgerufen am 01.09.2024.