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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Martin Luther, der deutsche Reformator

um die Seligkeit, stets unbedingt entschlossen, die letzte Wahrheit und Wirklich¬
keit zu ergründen, sich nichts vormachen zu lassen und sich selbst nichts vor¬
zumachen. Das ist die Krone der Wahrhaftigkeit. Wahrheit zu finden, Wahr¬
heit zu verbreiten, in der Wahrheit zu stehen, war Kern und Stern seines
Lebens.

Martin Luther ist wahr und zugleich fromm. Seine Frömmigkeit aber
trägt unverkennbar deutsche Wesensmerkmale. Die Blüte seiner tiefempfundenen
Mystik fiel verhältnismäßig bald ab, und der letzte Grund ist wohl der, daß
alle Mystik, auch in der edlen Form der "deutschen Theologie", deutschem
Empfinden fremd bleibt. Denn sie fängt wohl an mit Herzensüberschwang
und innigem Genießen, aber sie kann dabei nicht stehen bleiben und endet in
der deutschem Gemüt unerträglichen Wüste abstrakter Spekulation -- schon am
Anfang des Weges ahnt die feinfühlige Seele das Ziel --, dazu ist sie allzu¬
hochgespannt in ihrem Begehren, drängt sich zu nahe an Gott heran und
möchte am liebsten die Distanz zwischen Schöpfer und Geschöpf ganz aufheben.
Die Geschichte der Mystik führt über den Neuplatonismus hinüber zum Orient.
Deutsche Religion kennzeichnen Ehrfurcht und Vertrauen. Luthers ganzes Wesen
war auf Ehrfurcht angelegt. Sein Verhältnis zu seinem Vater, seine treu¬
herzige Unterwürfigkeit unter Ordensobere. Bischof, Fürst und Kaiser in allen
Stücken, die mit der Religion nichts zu tun haben, zumal aber die Qual, die
ihm seine Loslösung von der katholischen Kirche bereitet, beweisen das. Gott
ist für Martin Luther nicht ohne weiteres der gütige Vater, so daß ihn sehen
und lieben eins wäre; der erste Eindruck, der von ihm ausgeht, ist tiefes Er¬
schauern, denn Gott ist überirdische Majestät und allmächtiger Wille und ganz
in undurchdringliches Geheimnis gehüllt. Er offenbart sich dem Sünder in
Christo als verzeihende Liebe; das ist selige Wahrheit, aber in gewissem Sinne
doch nur Vordergrund. Luther vergißt nie, daß hinter den freundlichen und
sonnigen Hügeln riesenhaft, steinern und von Nebeln verhangen das un¬
zugängliche Hochgebirge der Gottheit aufragt, vor dessen Urgewalt der Mensch
in Staub und Asche niedersinken muß. Man lese darüber nach die Ausführungen
in Professor Ottos neuem, an Geist und Anregungen reichen Buche "Das
Heilige" (Kap. 14).*) Gewiß. Luthers Ehrfurcht ist kindlich, aber auch die kind¬
liche Furcht zittert und erschauert in schweigender Andacht vor dem Gott, der
nicht bloß lächelt und segnet und zudeckt und womöglich krumm gerade sein
läßt, sondern auch zürnt und donnert und in seiner Heiligkeit ein verzehrendes
Feuer ist. "Wir sollen Gott fürchten und lieben." Daran freilich kann kein
Zweifel sein, daß die Seele der Religion Luthers liebendes Vertrauen ist. Nicht
Vertraulichkeit, aber höchstes, stärkstes Vertrauen. Weh das Herz voll ist, des
geht der Mund über. In überwältigender Fülle immer neuer Worte und
Wendungen hat Luther von der Religion, deren Herzschlag Vertrauen ist.



") Verlag von Trewendt und Graner, Breslau 1917.
Martin Luther, der deutsche Reformator

um die Seligkeit, stets unbedingt entschlossen, die letzte Wahrheit und Wirklich¬
keit zu ergründen, sich nichts vormachen zu lassen und sich selbst nichts vor¬
zumachen. Das ist die Krone der Wahrhaftigkeit. Wahrheit zu finden, Wahr¬
heit zu verbreiten, in der Wahrheit zu stehen, war Kern und Stern seines
Lebens.

Martin Luther ist wahr und zugleich fromm. Seine Frömmigkeit aber
trägt unverkennbar deutsche Wesensmerkmale. Die Blüte seiner tiefempfundenen
Mystik fiel verhältnismäßig bald ab, und der letzte Grund ist wohl der, daß
alle Mystik, auch in der edlen Form der „deutschen Theologie", deutschem
Empfinden fremd bleibt. Denn sie fängt wohl an mit Herzensüberschwang
und innigem Genießen, aber sie kann dabei nicht stehen bleiben und endet in
der deutschem Gemüt unerträglichen Wüste abstrakter Spekulation — schon am
Anfang des Weges ahnt die feinfühlige Seele das Ziel —, dazu ist sie allzu¬
hochgespannt in ihrem Begehren, drängt sich zu nahe an Gott heran und
möchte am liebsten die Distanz zwischen Schöpfer und Geschöpf ganz aufheben.
Die Geschichte der Mystik führt über den Neuplatonismus hinüber zum Orient.
Deutsche Religion kennzeichnen Ehrfurcht und Vertrauen. Luthers ganzes Wesen
war auf Ehrfurcht angelegt. Sein Verhältnis zu seinem Vater, seine treu¬
herzige Unterwürfigkeit unter Ordensobere. Bischof, Fürst und Kaiser in allen
Stücken, die mit der Religion nichts zu tun haben, zumal aber die Qual, die
ihm seine Loslösung von der katholischen Kirche bereitet, beweisen das. Gott
ist für Martin Luther nicht ohne weiteres der gütige Vater, so daß ihn sehen
und lieben eins wäre; der erste Eindruck, der von ihm ausgeht, ist tiefes Er¬
schauern, denn Gott ist überirdische Majestät und allmächtiger Wille und ganz
in undurchdringliches Geheimnis gehüllt. Er offenbart sich dem Sünder in
Christo als verzeihende Liebe; das ist selige Wahrheit, aber in gewissem Sinne
doch nur Vordergrund. Luther vergißt nie, daß hinter den freundlichen und
sonnigen Hügeln riesenhaft, steinern und von Nebeln verhangen das un¬
zugängliche Hochgebirge der Gottheit aufragt, vor dessen Urgewalt der Mensch
in Staub und Asche niedersinken muß. Man lese darüber nach die Ausführungen
in Professor Ottos neuem, an Geist und Anregungen reichen Buche „Das
Heilige" (Kap. 14).*) Gewiß. Luthers Ehrfurcht ist kindlich, aber auch die kind¬
liche Furcht zittert und erschauert in schweigender Andacht vor dem Gott, der
nicht bloß lächelt und segnet und zudeckt und womöglich krumm gerade sein
läßt, sondern auch zürnt und donnert und in seiner Heiligkeit ein verzehrendes
Feuer ist. „Wir sollen Gott fürchten und lieben." Daran freilich kann kein
Zweifel sein, daß die Seele der Religion Luthers liebendes Vertrauen ist. Nicht
Vertraulichkeit, aber höchstes, stärkstes Vertrauen. Weh das Herz voll ist, des
geht der Mund über. In überwältigender Fülle immer neuer Worte und
Wendungen hat Luther von der Religion, deren Herzschlag Vertrauen ist.



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[0152] Martin Luther, der deutsche Reformator um die Seligkeit, stets unbedingt entschlossen, die letzte Wahrheit und Wirklich¬ keit zu ergründen, sich nichts vormachen zu lassen und sich selbst nichts vor¬ zumachen. Das ist die Krone der Wahrhaftigkeit. Wahrheit zu finden, Wahr¬ heit zu verbreiten, in der Wahrheit zu stehen, war Kern und Stern seines Lebens. Martin Luther ist wahr und zugleich fromm. Seine Frömmigkeit aber trägt unverkennbar deutsche Wesensmerkmale. Die Blüte seiner tiefempfundenen Mystik fiel verhältnismäßig bald ab, und der letzte Grund ist wohl der, daß alle Mystik, auch in der edlen Form der „deutschen Theologie", deutschem Empfinden fremd bleibt. Denn sie fängt wohl an mit Herzensüberschwang und innigem Genießen, aber sie kann dabei nicht stehen bleiben und endet in der deutschem Gemüt unerträglichen Wüste abstrakter Spekulation — schon am Anfang des Weges ahnt die feinfühlige Seele das Ziel —, dazu ist sie allzu¬ hochgespannt in ihrem Begehren, drängt sich zu nahe an Gott heran und möchte am liebsten die Distanz zwischen Schöpfer und Geschöpf ganz aufheben. Die Geschichte der Mystik führt über den Neuplatonismus hinüber zum Orient. Deutsche Religion kennzeichnen Ehrfurcht und Vertrauen. Luthers ganzes Wesen war auf Ehrfurcht angelegt. Sein Verhältnis zu seinem Vater, seine treu¬ herzige Unterwürfigkeit unter Ordensobere. Bischof, Fürst und Kaiser in allen Stücken, die mit der Religion nichts zu tun haben, zumal aber die Qual, die ihm seine Loslösung von der katholischen Kirche bereitet, beweisen das. Gott ist für Martin Luther nicht ohne weiteres der gütige Vater, so daß ihn sehen und lieben eins wäre; der erste Eindruck, der von ihm ausgeht, ist tiefes Er¬ schauern, denn Gott ist überirdische Majestät und allmächtiger Wille und ganz in undurchdringliches Geheimnis gehüllt. Er offenbart sich dem Sünder in Christo als verzeihende Liebe; das ist selige Wahrheit, aber in gewissem Sinne doch nur Vordergrund. Luther vergißt nie, daß hinter den freundlichen und sonnigen Hügeln riesenhaft, steinern und von Nebeln verhangen das un¬ zugängliche Hochgebirge der Gottheit aufragt, vor dessen Urgewalt der Mensch in Staub und Asche niedersinken muß. Man lese darüber nach die Ausführungen in Professor Ottos neuem, an Geist und Anregungen reichen Buche „Das Heilige" (Kap. 14).*) Gewiß. Luthers Ehrfurcht ist kindlich, aber auch die kind¬ liche Furcht zittert und erschauert in schweigender Andacht vor dem Gott, der nicht bloß lächelt und segnet und zudeckt und womöglich krumm gerade sein läßt, sondern auch zürnt und donnert und in seiner Heiligkeit ein verzehrendes Feuer ist. „Wir sollen Gott fürchten und lieben." Daran freilich kann kein Zweifel sein, daß die Seele der Religion Luthers liebendes Vertrauen ist. Nicht Vertraulichkeit, aber höchstes, stärkstes Vertrauen. Weh das Herz voll ist, des geht der Mund über. In überwältigender Fülle immer neuer Worte und Wendungen hat Luther von der Religion, deren Herzschlag Vertrauen ist. ") Verlag von Trewendt und Graner, Breslau 1917.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/152>, abgerufen am 01.09.2024.