Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Freimaurer-Jubiläum

Abenteurer Garibaldi und der neue "Tyrtäus des vierten italienischen Be¬
freiungskrieges" Rappazi vulgo "Gabriele d'Anunzio" find.

Die germanische Freimaurerei hat ihren Wirkungskreis hauptsächlich in
Deutschland, Holland. Norwegen, Schweden. Dänemark, der Schweiz und in
Ungarn. Die Zahl ihrer Johannislogen -- so nennt man die einzelnen Ge¬
meinden, welche zu verschieden großen Gruppen vereinigt die Großlogen
bilden -- betrug vor Ausbruch des Weltkrieges 736 mit etwa 90000 Mit-
gliedern, davon in Deutschland 491 Johannislogen mit 54000 Mitgliedern.
Seit der Metternichschen Reaktionszeit ist die Freimaurerei in Österreich und in
Rußland verboten. Die trotzdem nicht geringe Zahl der Freimaurer, welche
in diesen Ländern wohnen, zerstreut sich unter die Mitglieder ausländischer
Logen, die Österreicher meist unter die der ungarischen. In Österreich werden die
Logen durch Vereine ersetzt, die aus Grund des Vereinsgesetzes bestehen,
während die Logen in den anderen Ländern durch besondere Bestimmungen
oder landesherrliche Privilegien der öffentlichen Polizeiaufsicht entzogen sind,
weil ihre Großlogen für sie der Regierung ihres Landes gegenüber haften.
Für diese Gruppe ist die Entwicklung der deutschen Freimaurerei im ganzen
wegweisend, und vom Urteil über unsere Freimaurerei wird im letzten Grunde
auch das Urteil über die ganze Institution abhängen.

Dem Deutschen war die freimaurerische Idee nicht fremd. In den Stürme"
der Religionskriege war sie auf deutschem Boden erwachsen. Im deutschen
Gemüte hatte sie gekeimt und dem deutschen Herzen ist sie entsprossen. Aber
der Deutsche hatte in seinem Grübeln und Sinnen die Gelegenheit verpaßt,
seinem Pflegling die bestandfähige Form zu geben. Wie so manche andere
deutsche Idee, so hatte auch diese den Weg über den Kanal gesunden und war.
bei passender Gelegenheit dort aufgegriffen, englisch frisiert in die Erscheinung
getreten. Aus drei Richtungen -- über den Rhein, über den Kanal und über
Schweden -- fand dann das Kind des deutschen Gemütes als fremdes Gewächs
seinen Weg in die alte Heimat zurück. In dem fremden Gewände erkannte
sie aber der Deutsche nicht sogleich wieder als Geist von feinem Geiste. Er
staunte diese Freimaurerei mehr an. als daß er sie verstanden hätte. Er mußte
sie erst wieder in sein Empfinden übertragen und sie sich aufs neue innerlich
^ eigen machen. Dazu brauchte er Zeit. Englische Aufklärung und fran¬
zösische Aufmachung fanden zunächst begeisterte Aufnahme; englische Traum-
seligkeit und französische Begeisterung beherrschten die deutschen Logen im acht¬
zehnten Jahrhundert. Aber der Deutsche gab sich den fremden Einflüssen nicht
willenlos hin; er verarbeitete sie selbständig; denn er nahm die Kunst ernst
und wurde geistig und gemütlich aufs tiefste von ihr bewegt. Diese Bewegung
teilte sich dem ganzen deutschen Geistesleben mit und wurde umgekehrt von
diesem befruchtet; denn die besten Geister unseres Volkes waren es. welche von
der Bewegung mit fortgerissen wurden. Ein Teil der deutschen Freimaurer
mühte sich ab. die neuen Eindrücke symbolisch zu verwerten und kam dabei


Grenzboten III 1917 6
Freimaurer-Jubiläum

Abenteurer Garibaldi und der neue „Tyrtäus des vierten italienischen Be¬
freiungskrieges" Rappazi vulgo „Gabriele d'Anunzio" find.

Die germanische Freimaurerei hat ihren Wirkungskreis hauptsächlich in
Deutschland, Holland. Norwegen, Schweden. Dänemark, der Schweiz und in
Ungarn. Die Zahl ihrer Johannislogen — so nennt man die einzelnen Ge¬
meinden, welche zu verschieden großen Gruppen vereinigt die Großlogen
bilden — betrug vor Ausbruch des Weltkrieges 736 mit etwa 90000 Mit-
gliedern, davon in Deutschland 491 Johannislogen mit 54000 Mitgliedern.
Seit der Metternichschen Reaktionszeit ist die Freimaurerei in Österreich und in
Rußland verboten. Die trotzdem nicht geringe Zahl der Freimaurer, welche
in diesen Ländern wohnen, zerstreut sich unter die Mitglieder ausländischer
Logen, die Österreicher meist unter die der ungarischen. In Österreich werden die
Logen durch Vereine ersetzt, die aus Grund des Vereinsgesetzes bestehen,
während die Logen in den anderen Ländern durch besondere Bestimmungen
oder landesherrliche Privilegien der öffentlichen Polizeiaufsicht entzogen sind,
weil ihre Großlogen für sie der Regierung ihres Landes gegenüber haften.
Für diese Gruppe ist die Entwicklung der deutschen Freimaurerei im ganzen
wegweisend, und vom Urteil über unsere Freimaurerei wird im letzten Grunde
auch das Urteil über die ganze Institution abhängen.

Dem Deutschen war die freimaurerische Idee nicht fremd. In den Stürme»
der Religionskriege war sie auf deutschem Boden erwachsen. Im deutschen
Gemüte hatte sie gekeimt und dem deutschen Herzen ist sie entsprossen. Aber
der Deutsche hatte in seinem Grübeln und Sinnen die Gelegenheit verpaßt,
seinem Pflegling die bestandfähige Form zu geben. Wie so manche andere
deutsche Idee, so hatte auch diese den Weg über den Kanal gesunden und war.
bei passender Gelegenheit dort aufgegriffen, englisch frisiert in die Erscheinung
getreten. Aus drei Richtungen — über den Rhein, über den Kanal und über
Schweden — fand dann das Kind des deutschen Gemütes als fremdes Gewächs
seinen Weg in die alte Heimat zurück. In dem fremden Gewände erkannte
sie aber der Deutsche nicht sogleich wieder als Geist von feinem Geiste. Er
staunte diese Freimaurerei mehr an. als daß er sie verstanden hätte. Er mußte
sie erst wieder in sein Empfinden übertragen und sie sich aufs neue innerlich
^ eigen machen. Dazu brauchte er Zeit. Englische Aufklärung und fran¬
zösische Aufmachung fanden zunächst begeisterte Aufnahme; englische Traum-
seligkeit und französische Begeisterung beherrschten die deutschen Logen im acht¬
zehnten Jahrhundert. Aber der Deutsche gab sich den fremden Einflüssen nicht
willenlos hin; er verarbeitete sie selbständig; denn er nahm die Kunst ernst
und wurde geistig und gemütlich aufs tiefste von ihr bewegt. Diese Bewegung
teilte sich dem ganzen deutschen Geistesleben mit und wurde umgekehrt von
diesem befruchtet; denn die besten Geister unseres Volkes waren es. welche von
der Bewegung mit fortgerissen wurden. Ein Teil der deutschen Freimaurer
mühte sich ab. die neuen Eindrücke symbolisch zu verwerten und kam dabei


Grenzboten III 1917 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0093" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332372"/>
          <fw type="header" place="top"> Freimaurer-Jubiläum</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_308" prev="#ID_307"> Abenteurer Garibaldi und der neue &#x201E;Tyrtäus des vierten italienischen Be¬<lb/>
freiungskrieges" Rappazi vulgo &#x201E;Gabriele d'Anunzio" find.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_309"> Die germanische Freimaurerei hat ihren Wirkungskreis hauptsächlich in<lb/>
Deutschland, Holland. Norwegen, Schweden. Dänemark, der Schweiz und in<lb/>
Ungarn. Die Zahl ihrer Johannislogen &#x2014; so nennt man die einzelnen Ge¬<lb/>
meinden, welche zu verschieden großen Gruppen vereinigt die Großlogen<lb/>
bilden &#x2014; betrug vor Ausbruch des Weltkrieges 736 mit etwa 90000 Mit-<lb/>
gliedern, davon in Deutschland 491 Johannislogen mit 54000 Mitgliedern.<lb/>
Seit der Metternichschen Reaktionszeit ist die Freimaurerei in Österreich und in<lb/>
Rußland verboten. Die trotzdem nicht geringe Zahl der Freimaurer, welche<lb/>
in diesen Ländern wohnen, zerstreut sich unter die Mitglieder ausländischer<lb/>
Logen, die Österreicher meist unter die der ungarischen. In Österreich werden die<lb/>
Logen durch Vereine ersetzt, die aus Grund des Vereinsgesetzes bestehen,<lb/>
während die Logen in den anderen Ländern durch besondere Bestimmungen<lb/>
oder landesherrliche Privilegien der öffentlichen Polizeiaufsicht entzogen sind,<lb/>
weil ihre Großlogen für sie der Regierung ihres Landes gegenüber haften.<lb/>
Für diese Gruppe ist die Entwicklung der deutschen Freimaurerei im ganzen<lb/>
wegweisend, und vom Urteil über unsere Freimaurerei wird im letzten Grunde<lb/>
auch das Urteil über die ganze Institution abhängen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_310" next="#ID_311"> Dem Deutschen war die freimaurerische Idee nicht fremd. In den Stürme»<lb/>
der Religionskriege war sie auf deutschem Boden erwachsen. Im deutschen<lb/>
Gemüte hatte sie gekeimt und dem deutschen Herzen ist sie entsprossen. Aber<lb/>
der Deutsche hatte in seinem Grübeln und Sinnen die Gelegenheit verpaßt,<lb/>
seinem Pflegling die bestandfähige Form zu geben. Wie so manche andere<lb/>
deutsche Idee, so hatte auch diese den Weg über den Kanal gesunden und war.<lb/>
bei passender Gelegenheit dort aufgegriffen, englisch frisiert in die Erscheinung<lb/>
getreten. Aus drei Richtungen &#x2014; über den Rhein, über den Kanal und über<lb/>
Schweden &#x2014; fand dann das Kind des deutschen Gemütes als fremdes Gewächs<lb/>
seinen Weg in die alte Heimat zurück. In dem fremden Gewände erkannte<lb/>
sie aber der Deutsche nicht sogleich wieder als Geist von feinem Geiste. Er<lb/>
staunte diese Freimaurerei mehr an. als daß er sie verstanden hätte. Er mußte<lb/>
sie erst wieder in sein Empfinden übertragen und sie sich aufs neue innerlich<lb/>
^ eigen machen. Dazu brauchte er Zeit.  Englische Aufklärung und fran¬<lb/>
zösische Aufmachung fanden zunächst begeisterte Aufnahme; englische Traum-<lb/>
seligkeit und französische Begeisterung beherrschten die deutschen Logen im acht¬<lb/>
zehnten Jahrhundert. Aber der Deutsche gab sich den fremden Einflüssen nicht<lb/>
willenlos hin; er verarbeitete sie selbständig; denn er nahm die Kunst ernst<lb/>
und wurde geistig und gemütlich aufs tiefste von ihr bewegt. Diese Bewegung<lb/>
teilte sich dem ganzen deutschen Geistesleben mit und wurde umgekehrt von<lb/>
diesem befruchtet; denn die besten Geister unseres Volkes waren es. welche von<lb/>
der Bewegung mit fortgerissen wurden. Ein Teil der deutschen Freimaurer<lb/>
mühte sich ab. die neuen Eindrücke symbolisch zu verwerten und kam dabei</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1917 6</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0093] Freimaurer-Jubiläum Abenteurer Garibaldi und der neue „Tyrtäus des vierten italienischen Be¬ freiungskrieges" Rappazi vulgo „Gabriele d'Anunzio" find. Die germanische Freimaurerei hat ihren Wirkungskreis hauptsächlich in Deutschland, Holland. Norwegen, Schweden. Dänemark, der Schweiz und in Ungarn. Die Zahl ihrer Johannislogen — so nennt man die einzelnen Ge¬ meinden, welche zu verschieden großen Gruppen vereinigt die Großlogen bilden — betrug vor Ausbruch des Weltkrieges 736 mit etwa 90000 Mit- gliedern, davon in Deutschland 491 Johannislogen mit 54000 Mitgliedern. Seit der Metternichschen Reaktionszeit ist die Freimaurerei in Österreich und in Rußland verboten. Die trotzdem nicht geringe Zahl der Freimaurer, welche in diesen Ländern wohnen, zerstreut sich unter die Mitglieder ausländischer Logen, die Österreicher meist unter die der ungarischen. In Österreich werden die Logen durch Vereine ersetzt, die aus Grund des Vereinsgesetzes bestehen, während die Logen in den anderen Ländern durch besondere Bestimmungen oder landesherrliche Privilegien der öffentlichen Polizeiaufsicht entzogen sind, weil ihre Großlogen für sie der Regierung ihres Landes gegenüber haften. Für diese Gruppe ist die Entwicklung der deutschen Freimaurerei im ganzen wegweisend, und vom Urteil über unsere Freimaurerei wird im letzten Grunde auch das Urteil über die ganze Institution abhängen. Dem Deutschen war die freimaurerische Idee nicht fremd. In den Stürme» der Religionskriege war sie auf deutschem Boden erwachsen. Im deutschen Gemüte hatte sie gekeimt und dem deutschen Herzen ist sie entsprossen. Aber der Deutsche hatte in seinem Grübeln und Sinnen die Gelegenheit verpaßt, seinem Pflegling die bestandfähige Form zu geben. Wie so manche andere deutsche Idee, so hatte auch diese den Weg über den Kanal gesunden und war. bei passender Gelegenheit dort aufgegriffen, englisch frisiert in die Erscheinung getreten. Aus drei Richtungen — über den Rhein, über den Kanal und über Schweden — fand dann das Kind des deutschen Gemütes als fremdes Gewächs seinen Weg in die alte Heimat zurück. In dem fremden Gewände erkannte sie aber der Deutsche nicht sogleich wieder als Geist von feinem Geiste. Er staunte diese Freimaurerei mehr an. als daß er sie verstanden hätte. Er mußte sie erst wieder in sein Empfinden übertragen und sie sich aufs neue innerlich ^ eigen machen. Dazu brauchte er Zeit. Englische Aufklärung und fran¬ zösische Aufmachung fanden zunächst begeisterte Aufnahme; englische Traum- seligkeit und französische Begeisterung beherrschten die deutschen Logen im acht¬ zehnten Jahrhundert. Aber der Deutsche gab sich den fremden Einflüssen nicht willenlos hin; er verarbeitete sie selbständig; denn er nahm die Kunst ernst und wurde geistig und gemütlich aufs tiefste von ihr bewegt. Diese Bewegung teilte sich dem ganzen deutschen Geistesleben mit und wurde umgekehrt von diesem befruchtet; denn die besten Geister unseres Volkes waren es. welche von der Bewegung mit fortgerissen wurden. Ein Teil der deutschen Freimaurer mühte sich ab. die neuen Eindrücke symbolisch zu verwerten und kam dabei Grenzboten III 1917 6

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/93
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/93>, abgerufen am 01.07.2024.