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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Freimaurer-Jubiläum

weltlichen Machthabern, und wieder beschützt von deren Gegnern; meist nach
kurzem Bestehen wieder verboten und spurlos vernichtet; aufs neue von Frank¬
reich aus wieder eingeführt, um bald wieder dem alten Schicksale anheimzu¬
fallen. Dazu die beständigen Zänkereien der eigenen Führer unter einander,
die sich bei den geringfügigsten Meinungsverschiedenheiten leidenschaftlich be¬
kämpften und dann auch jedesmal ihre Anhänger in die aus ihren ehr¬
geizigen Plänen entstandenen Streitigkeiten verwickelten. Endlich notdürftig
zusammengeflickt, zog der Grotzorient von Italien im Jahre 1870 an der Seite
des ersten Königs des geeinten Italien in die "ewige Stadt" ein, nur um
hier neue Sünden der alten Schuld hinzuzufügen. Beim Beginne des Welt¬
krieges gab es in Italien zweihundertfünfundneunzig Logen mit fünfzehntausend
Mitgliedern, davon dreizehn Logen in Rom.

Die Phrase macht sich in der italienischen Freimaurerei noch mehr breit
als in der französischen. Republik' und Ohnmacht der Kirche scheinen den
italienischen Brüdern die Flugzeuge zu sein, auf denen die Menschheit graden-
wegs in den Himmel der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit hineinfliegen
werde. Es gibt kein "Manifest", in dem dieses Evangelium nicht in den voll¬
tönendsten Redewendungen der Welt offenbart würde. Davon nur eine kleine
Probe aus einem dieser jüngsten Elaborate, das seine Entstehung der Großloge
von Mailand verdankt: "Angesichts des Weltkrieges und des Gedenktages der
italienischen Befreiung erwacht in allen Herzen der Wunsch, daß die Ströme
rinnenden Blutes nicht umsonst vergossen werden, sondern daß aus ihnen glor¬
reich ein neues von Thronen und Altären befreites Zeitalter der allgemeinen
Brüderlichkeit der Völker entstehen möge. Unserer Ernte Zeit ist gekommen,
jeder Bruder sei stark in dem schweigenden Opfer seiner persönlichen Über¬
zeugung. Von heute ab soll es keinen einzelnen Maurer mehr geben, sondern
nur noch den maurerischen Bau" usw. In ihren Logen feiern sie die fran¬
zösische Republik, "die vor wenigen Jahren gegen das klerikale Pfaffengesindel
vorging," als Führerin des "Geistes der Freiheit und des Fortschrittes" gegen
Deutschland und Österreich als die "Stützen des Obskurantismus"; hier be¬
schließen sie das Ende des "heiligen Gaukler in Rom" und "Krieg bis aufs
Messer" gegen die "preußischen Junker" und das "von Pfaffen beherrschte
Österreich." Das tun die Söhne der Väter, welche "dem großen Mitbürger
Napoleon" würdelos schmeichelten und die sich "als Brüder" unterwürfig an
Kaiser Wilhelm heranschlangelten. Die italienische Freimaurerei verdient diesen
Namen nicht. Selbst ihre Meister, die Franzosen, nehmen sie nicht ernst und
behandeln ihre italienischen Brüder wie Unmündige, die man leiten und denen
man Vorschriften machen muß, die man aber zu selbstsüchtigen Zwecken jederzeit
ausbeutet. Der Haß ihrer klerikalen Gegner erscheint daher zumal angesichts des
nicht sehr hohen Niveaus, auf dem die große Mehrheit gerade der italienischen
Freimaurer steht, nur schwer begreiflich. Die italienische Freimaurerei ist ein
knabenhaft unbesonnenes Revolutionsspielen, dessen typische Vertreter der alte


Freimaurer-Jubiläum

weltlichen Machthabern, und wieder beschützt von deren Gegnern; meist nach
kurzem Bestehen wieder verboten und spurlos vernichtet; aufs neue von Frank¬
reich aus wieder eingeführt, um bald wieder dem alten Schicksale anheimzu¬
fallen. Dazu die beständigen Zänkereien der eigenen Führer unter einander,
die sich bei den geringfügigsten Meinungsverschiedenheiten leidenschaftlich be¬
kämpften und dann auch jedesmal ihre Anhänger in die aus ihren ehr¬
geizigen Plänen entstandenen Streitigkeiten verwickelten. Endlich notdürftig
zusammengeflickt, zog der Grotzorient von Italien im Jahre 1870 an der Seite
des ersten Königs des geeinten Italien in die „ewige Stadt" ein, nur um
hier neue Sünden der alten Schuld hinzuzufügen. Beim Beginne des Welt¬
krieges gab es in Italien zweihundertfünfundneunzig Logen mit fünfzehntausend
Mitgliedern, davon dreizehn Logen in Rom.

Die Phrase macht sich in der italienischen Freimaurerei noch mehr breit
als in der französischen. Republik' und Ohnmacht der Kirche scheinen den
italienischen Brüdern die Flugzeuge zu sein, auf denen die Menschheit graden-
wegs in den Himmel der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit hineinfliegen
werde. Es gibt kein „Manifest", in dem dieses Evangelium nicht in den voll¬
tönendsten Redewendungen der Welt offenbart würde. Davon nur eine kleine
Probe aus einem dieser jüngsten Elaborate, das seine Entstehung der Großloge
von Mailand verdankt: „Angesichts des Weltkrieges und des Gedenktages der
italienischen Befreiung erwacht in allen Herzen der Wunsch, daß die Ströme
rinnenden Blutes nicht umsonst vergossen werden, sondern daß aus ihnen glor¬
reich ein neues von Thronen und Altären befreites Zeitalter der allgemeinen
Brüderlichkeit der Völker entstehen möge. Unserer Ernte Zeit ist gekommen,
jeder Bruder sei stark in dem schweigenden Opfer seiner persönlichen Über¬
zeugung. Von heute ab soll es keinen einzelnen Maurer mehr geben, sondern
nur noch den maurerischen Bau" usw. In ihren Logen feiern sie die fran¬
zösische Republik, „die vor wenigen Jahren gegen das klerikale Pfaffengesindel
vorging," als Führerin des „Geistes der Freiheit und des Fortschrittes" gegen
Deutschland und Österreich als die „Stützen des Obskurantismus"; hier be¬
schließen sie das Ende des „heiligen Gaukler in Rom" und „Krieg bis aufs
Messer" gegen die „preußischen Junker" und das „von Pfaffen beherrschte
Österreich." Das tun die Söhne der Väter, welche „dem großen Mitbürger
Napoleon" würdelos schmeichelten und die sich „als Brüder" unterwürfig an
Kaiser Wilhelm heranschlangelten. Die italienische Freimaurerei verdient diesen
Namen nicht. Selbst ihre Meister, die Franzosen, nehmen sie nicht ernst und
behandeln ihre italienischen Brüder wie Unmündige, die man leiten und denen
man Vorschriften machen muß, die man aber zu selbstsüchtigen Zwecken jederzeit
ausbeutet. Der Haß ihrer klerikalen Gegner erscheint daher zumal angesichts des
nicht sehr hohen Niveaus, auf dem die große Mehrheit gerade der italienischen
Freimaurer steht, nur schwer begreiflich. Die italienische Freimaurerei ist ein
knabenhaft unbesonnenes Revolutionsspielen, dessen typische Vertreter der alte


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[0092] Freimaurer-Jubiläum weltlichen Machthabern, und wieder beschützt von deren Gegnern; meist nach kurzem Bestehen wieder verboten und spurlos vernichtet; aufs neue von Frank¬ reich aus wieder eingeführt, um bald wieder dem alten Schicksale anheimzu¬ fallen. Dazu die beständigen Zänkereien der eigenen Führer unter einander, die sich bei den geringfügigsten Meinungsverschiedenheiten leidenschaftlich be¬ kämpften und dann auch jedesmal ihre Anhänger in die aus ihren ehr¬ geizigen Plänen entstandenen Streitigkeiten verwickelten. Endlich notdürftig zusammengeflickt, zog der Grotzorient von Italien im Jahre 1870 an der Seite des ersten Königs des geeinten Italien in die „ewige Stadt" ein, nur um hier neue Sünden der alten Schuld hinzuzufügen. Beim Beginne des Welt¬ krieges gab es in Italien zweihundertfünfundneunzig Logen mit fünfzehntausend Mitgliedern, davon dreizehn Logen in Rom. Die Phrase macht sich in der italienischen Freimaurerei noch mehr breit als in der französischen. Republik' und Ohnmacht der Kirche scheinen den italienischen Brüdern die Flugzeuge zu sein, auf denen die Menschheit graden- wegs in den Himmel der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit hineinfliegen werde. Es gibt kein „Manifest", in dem dieses Evangelium nicht in den voll¬ tönendsten Redewendungen der Welt offenbart würde. Davon nur eine kleine Probe aus einem dieser jüngsten Elaborate, das seine Entstehung der Großloge von Mailand verdankt: „Angesichts des Weltkrieges und des Gedenktages der italienischen Befreiung erwacht in allen Herzen der Wunsch, daß die Ströme rinnenden Blutes nicht umsonst vergossen werden, sondern daß aus ihnen glor¬ reich ein neues von Thronen und Altären befreites Zeitalter der allgemeinen Brüderlichkeit der Völker entstehen möge. Unserer Ernte Zeit ist gekommen, jeder Bruder sei stark in dem schweigenden Opfer seiner persönlichen Über¬ zeugung. Von heute ab soll es keinen einzelnen Maurer mehr geben, sondern nur noch den maurerischen Bau" usw. In ihren Logen feiern sie die fran¬ zösische Republik, „die vor wenigen Jahren gegen das klerikale Pfaffengesindel vorging," als Führerin des „Geistes der Freiheit und des Fortschrittes" gegen Deutschland und Österreich als die „Stützen des Obskurantismus"; hier be¬ schließen sie das Ende des „heiligen Gaukler in Rom" und „Krieg bis aufs Messer" gegen die „preußischen Junker" und das „von Pfaffen beherrschte Österreich." Das tun die Söhne der Väter, welche „dem großen Mitbürger Napoleon" würdelos schmeichelten und die sich „als Brüder" unterwürfig an Kaiser Wilhelm heranschlangelten. Die italienische Freimaurerei verdient diesen Namen nicht. Selbst ihre Meister, die Franzosen, nehmen sie nicht ernst und behandeln ihre italienischen Brüder wie Unmündige, die man leiten und denen man Vorschriften machen muß, die man aber zu selbstsüchtigen Zwecken jederzeit ausbeutet. Der Haß ihrer klerikalen Gegner erscheint daher zumal angesichts des nicht sehr hohen Niveaus, auf dem die große Mehrheit gerade der italienischen Freimaurer steht, nur schwer begreiflich. Die italienische Freimaurerei ist ein knabenhaft unbesonnenes Revolutionsspielen, dessen typische Vertreter der alte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/92>, abgerufen am 01.07.2024.