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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Freimaurer-Jubiläum

der lateinischen Länder sind einig in der Begeisterung für "Demokratie" und
"Freiheit", worunter sie die republikanische Staatsform und die möglichste Un¬
abhängigkett von der Staatsgewalt verstehen. Die Wahngebilde, gegen die sie
kämpfen, nennen sie: Militarismus, Despotismus, Klerikalismus. Dabei be¬
friedigen sie den menschlichen Hang nach Ranggliederung, symbolischen Formen
und Abzeichen, also gerade die von ihnen verabscheute "Unfreiheit", durch ein
ausgiebiges Grad- und Ordenswesen. Die meisten ihrer freimaurerischen Systeme
haben einen Stufenbau von 33 Graden, in dem die Mitglieder allmählich auf¬
rücken. Je höher graduiert, um so mehr behängen sie sich mit Ordensschmuck,
und treiben einen Kultus mit Formeln, Begrüßungen und Anreden, die uns
"unfreie" Deutsche ganz vorweltlich anmutet. So ist die lateinische Freimaurerei
ein widerspruchsvolles Gebilde. Ju den Formen hierarchischer, als die von
ihnen gehaßten Kirchen und Staatsformen, in der Gesinnung der Herd un¬
klarer und vor der Wirklichkeit nicht standhaltender Freiheits- und Gleich¬
heitsphrasen.

Italien ist in den letzten Jahrhunderten durch seine Geschichte zum
klassischen Verschwörungslande geworden, und die Italiener haben sich mit der
Zeit an das Revolutions spielen gewöhnt. Hatten die Franzosen die Frei¬
maurerei zu einer nur Auserwählten zugängigen Vereinigung im Sinne eines
politischen Geheimbundes gemacht, so tauchte den Italienern schon gar kein
Zweifel mehr darüber auf, daß die Freimaurerei eigentlich ein idealer Ver¬
schwörerklub sei. Und war den Franzosen der Feind, gegen den sich die Frei¬
maurerei zu richten habe, noch ein unklares Gebilde, das an den Tyrannenhaß
der deutschen Stürmer erinnert, so waren die italienischen Freimaurer so
glücklich, zwei konkrete Feinde ausfindig zu machen, deren Untergang sie mit
glühender Begeisterung beschließen und bereden konnten. Diese beiden Feinde
waren das Königtum und das Papsttum.

Es ist eine wilde Entwicklung, welche die italienische Freimaurerei durch¬
zumachen hatte.*) Als im Jahre 1735 im Rom die erste Loge entstanden war,
erfolgte der erste Zusammenstoß mit der römischen Kirche. Papst Clemens der
Zwölfte richtete am 28. April 1738 seine Bulle "In eminent! Ap08t0la,tu8
"PLLula" gegen die Freimaurerei. Seitdem hat das Papsttum nicht aufgehört,
im Freimaurerbunde den ärgsten Feind der katholischen Kirche zu sehen. Acht
weitere Päpste folgten ihm bis auf Leos des Dreizehnter Encyklika "Nuirmnum
Mnu8". Dadurch haben die Päpste gegen ihre Absicht mitgewirkt, der Frei¬
maurerei immer neue Mitglieder zuzuführen und sie in diejenige Kampfstellung
"egen die katholische Kirche zu treiben, welche besonders in Frankreich und in
Italien zur Lebensaxfgabe und Lebenslust der Loge geworden ist. Wie nirgends
in der Welt hatte die Freimaurerei in Italien von der katholischen Kirche zu
leiden. Verfolgt von den Päpsten und den zu ihnen haltenden ewig wechselnden



*) Siehe S, 76 Fußnote.
Freimaurer-Jubiläum

der lateinischen Länder sind einig in der Begeisterung für „Demokratie" und
„Freiheit", worunter sie die republikanische Staatsform und die möglichste Un¬
abhängigkett von der Staatsgewalt verstehen. Die Wahngebilde, gegen die sie
kämpfen, nennen sie: Militarismus, Despotismus, Klerikalismus. Dabei be¬
friedigen sie den menschlichen Hang nach Ranggliederung, symbolischen Formen
und Abzeichen, also gerade die von ihnen verabscheute „Unfreiheit", durch ein
ausgiebiges Grad- und Ordenswesen. Die meisten ihrer freimaurerischen Systeme
haben einen Stufenbau von 33 Graden, in dem die Mitglieder allmählich auf¬
rücken. Je höher graduiert, um so mehr behängen sie sich mit Ordensschmuck,
und treiben einen Kultus mit Formeln, Begrüßungen und Anreden, die uns
„unfreie" Deutsche ganz vorweltlich anmutet. So ist die lateinische Freimaurerei
ein widerspruchsvolles Gebilde. Ju den Formen hierarchischer, als die von
ihnen gehaßten Kirchen und Staatsformen, in der Gesinnung der Herd un¬
klarer und vor der Wirklichkeit nicht standhaltender Freiheits- und Gleich¬
heitsphrasen.

Italien ist in den letzten Jahrhunderten durch seine Geschichte zum
klassischen Verschwörungslande geworden, und die Italiener haben sich mit der
Zeit an das Revolutions spielen gewöhnt. Hatten die Franzosen die Frei¬
maurerei zu einer nur Auserwählten zugängigen Vereinigung im Sinne eines
politischen Geheimbundes gemacht, so tauchte den Italienern schon gar kein
Zweifel mehr darüber auf, daß die Freimaurerei eigentlich ein idealer Ver¬
schwörerklub sei. Und war den Franzosen der Feind, gegen den sich die Frei¬
maurerei zu richten habe, noch ein unklares Gebilde, das an den Tyrannenhaß
der deutschen Stürmer erinnert, so waren die italienischen Freimaurer so
glücklich, zwei konkrete Feinde ausfindig zu machen, deren Untergang sie mit
glühender Begeisterung beschließen und bereden konnten. Diese beiden Feinde
waren das Königtum und das Papsttum.

Es ist eine wilde Entwicklung, welche die italienische Freimaurerei durch¬
zumachen hatte.*) Als im Jahre 1735 im Rom die erste Loge entstanden war,
erfolgte der erste Zusammenstoß mit der römischen Kirche. Papst Clemens der
Zwölfte richtete am 28. April 1738 seine Bulle „In eminent! Ap08t0la,tu8
«PLLula" gegen die Freimaurerei. Seitdem hat das Papsttum nicht aufgehört,
im Freimaurerbunde den ärgsten Feind der katholischen Kirche zu sehen. Acht
weitere Päpste folgten ihm bis auf Leos des Dreizehnter Encyklika „Nuirmnum
Mnu8«. Dadurch haben die Päpste gegen ihre Absicht mitgewirkt, der Frei¬
maurerei immer neue Mitglieder zuzuführen und sie in diejenige Kampfstellung
«egen die katholische Kirche zu treiben, welche besonders in Frankreich und in
Italien zur Lebensaxfgabe und Lebenslust der Loge geworden ist. Wie nirgends
in der Welt hatte die Freimaurerei in Italien von der katholischen Kirche zu
leiden. Verfolgt von den Päpsten und den zu ihnen haltenden ewig wechselnden



*) Siehe S, 76 Fußnote.
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[0091] Freimaurer-Jubiläum der lateinischen Länder sind einig in der Begeisterung für „Demokratie" und „Freiheit", worunter sie die republikanische Staatsform und die möglichste Un¬ abhängigkett von der Staatsgewalt verstehen. Die Wahngebilde, gegen die sie kämpfen, nennen sie: Militarismus, Despotismus, Klerikalismus. Dabei be¬ friedigen sie den menschlichen Hang nach Ranggliederung, symbolischen Formen und Abzeichen, also gerade die von ihnen verabscheute „Unfreiheit", durch ein ausgiebiges Grad- und Ordenswesen. Die meisten ihrer freimaurerischen Systeme haben einen Stufenbau von 33 Graden, in dem die Mitglieder allmählich auf¬ rücken. Je höher graduiert, um so mehr behängen sie sich mit Ordensschmuck, und treiben einen Kultus mit Formeln, Begrüßungen und Anreden, die uns „unfreie" Deutsche ganz vorweltlich anmutet. So ist die lateinische Freimaurerei ein widerspruchsvolles Gebilde. Ju den Formen hierarchischer, als die von ihnen gehaßten Kirchen und Staatsformen, in der Gesinnung der Herd un¬ klarer und vor der Wirklichkeit nicht standhaltender Freiheits- und Gleich¬ heitsphrasen. Italien ist in den letzten Jahrhunderten durch seine Geschichte zum klassischen Verschwörungslande geworden, und die Italiener haben sich mit der Zeit an das Revolutions spielen gewöhnt. Hatten die Franzosen die Frei¬ maurerei zu einer nur Auserwählten zugängigen Vereinigung im Sinne eines politischen Geheimbundes gemacht, so tauchte den Italienern schon gar kein Zweifel mehr darüber auf, daß die Freimaurerei eigentlich ein idealer Ver¬ schwörerklub sei. Und war den Franzosen der Feind, gegen den sich die Frei¬ maurerei zu richten habe, noch ein unklares Gebilde, das an den Tyrannenhaß der deutschen Stürmer erinnert, so waren die italienischen Freimaurer so glücklich, zwei konkrete Feinde ausfindig zu machen, deren Untergang sie mit glühender Begeisterung beschließen und bereden konnten. Diese beiden Feinde waren das Königtum und das Papsttum. Es ist eine wilde Entwicklung, welche die italienische Freimaurerei durch¬ zumachen hatte.*) Als im Jahre 1735 im Rom die erste Loge entstanden war, erfolgte der erste Zusammenstoß mit der römischen Kirche. Papst Clemens der Zwölfte richtete am 28. April 1738 seine Bulle „In eminent! Ap08t0la,tu8 «PLLula" gegen die Freimaurerei. Seitdem hat das Papsttum nicht aufgehört, im Freimaurerbunde den ärgsten Feind der katholischen Kirche zu sehen. Acht weitere Päpste folgten ihm bis auf Leos des Dreizehnter Encyklika „Nuirmnum Mnu8«. Dadurch haben die Päpste gegen ihre Absicht mitgewirkt, der Frei¬ maurerei immer neue Mitglieder zuzuführen und sie in diejenige Kampfstellung «egen die katholische Kirche zu treiben, welche besonders in Frankreich und in Italien zur Lebensaxfgabe und Lebenslust der Loge geworden ist. Wie nirgends in der Welt hatte die Freimaurerei in Italien von der katholischen Kirche zu leiden. Verfolgt von den Päpsten und den zu ihnen haltenden ewig wechselnden *) Siehe S, 76 Fußnote.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/91>, abgerufen am 01.07.2024.