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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Englands Ariegserfolge

rechtlich internationalen und neutralisierten Suezkanal, während es überdies
erklärte, den Nord-Ostsee-Kanal zum Schutze gegen den deutschen Militarismus
internationalisieren zu wollen. England begann also den Krieg gegen die
Türkei bereits damit, womit sonst andere Mächte einen siegreichen Krieg be¬
endigen, mit einer ungeheuerlichen Gebietserweiterung, die seine ausschließliche
Herrschaft im Mittelmeere sicher stellte.

Schon vorher war allerdings dem russischen Verbündeten der Besitz Kon¬
stantinopels und der Meerengen zugesichert worden, was Rußland als seinen
Hausschlüssel betrachtete. Dieses Zugeständnis wurde aber dadurch aufgewogen,
daß England sofort die vor den Dardanellen liegenden griechischen Inseln
Lemnos, Jmbros und Tenedos besetzte. Also, wenn Nußland seinen Haus¬
schlüssel haben sollte, nahm England wenigstens den Vorgartenschlüssel im voraus
in eigenen Besitz. Damals, als man die griechische Bundesgenossenschaft zu
gewinnen suchte, glaubte man noch äußerlich den Anstand wahren zu müssen.
Daher nahm man den Vorwand, daß diese Inseln von der Türkei an Griechen¬
land noch nicht förmlich abgetreten, also eigentlich doch noch türkisch, also feind¬
liches Staatsgebiet seien. Daß England diese Inseln freiwillig nie wieder
räumen wird, ist selbstverständlich. Es beherrscht damit den Zugang zu den
Dardanellen und das Ägäische Meer.

Im weiteren Verlaufe der Entwicklung wurde dann Griechenland überhaupt
geknebelt und liegt hilflos zu Füßen seiner Schutzmächte, deren uneigennützige
Absichten der griechische Ministerpräsident Zaimis bei der Entthronung des
Königs Konstantin ausdrücklich anerkannt hat. Unter den Schutzmächten ist
dermalen nur noch England zu verstehen. Denn Nußland scheidet aus, und
Frankreich ist selbst nur noch ein englischer Schutzstaat.

Damit beherrscht England von Gibraltar über Malta, Griechenland, Cypern
und Ägypten das ganze Mittelmeer mit allen Ein- und Ausgängen, soweit diese
Herrschaft nicht etwa durch deutsche Unterseeboote beeinträchtigt wird.

Zum Schutze seines belgischen und französischen Verbündeten besetzte Eng¬
land die ganze Kanalküste von Nieuport über Dünkirchen, Calais und über
Boulogne hinaus mit dem dazu gehörigen Hinterkante. Hier hat sich England
bereits so häuslich eingerichtet wie im eigenen Lande. Daß dieser Brückenkopf
bereits als englisch betrachtet wird, beweist am besten der Umstand, daß mau
sich jetzt ernstlich anschickt, den bisher stets bekämpften Tunnel von Dover nach
Calais zu bauen. Führt er doch jetzt nicht mehr ins Ausland, sondern ver"
bindet englische Gebiete. Die Franzosen sind hier nur noch geduldete Ein¬
geborene einer englischen Kronkolonie. Und wenn Frankreich fortfährt, unter
den Denksäulen seiner Städte die der verlorenen mit Trauerflor zu umgeben,
so muß es das künftig wie bei Straßburg und Metz auch bei Calais und
Boulogne tun. Deutschland soll bei einem Frieden ohne Annexionen und Ent¬
schädigungen das unschuldig vergewaltigte Belgien mit Antwerpen, Zeebrügge
und Ostende wieder räumen. Aber England wird die festländische Kanalküste


Englands Ariegserfolge

rechtlich internationalen und neutralisierten Suezkanal, während es überdies
erklärte, den Nord-Ostsee-Kanal zum Schutze gegen den deutschen Militarismus
internationalisieren zu wollen. England begann also den Krieg gegen die
Türkei bereits damit, womit sonst andere Mächte einen siegreichen Krieg be¬
endigen, mit einer ungeheuerlichen Gebietserweiterung, die seine ausschließliche
Herrschaft im Mittelmeere sicher stellte.

Schon vorher war allerdings dem russischen Verbündeten der Besitz Kon¬
stantinopels und der Meerengen zugesichert worden, was Rußland als seinen
Hausschlüssel betrachtete. Dieses Zugeständnis wurde aber dadurch aufgewogen,
daß England sofort die vor den Dardanellen liegenden griechischen Inseln
Lemnos, Jmbros und Tenedos besetzte. Also, wenn Nußland seinen Haus¬
schlüssel haben sollte, nahm England wenigstens den Vorgartenschlüssel im voraus
in eigenen Besitz. Damals, als man die griechische Bundesgenossenschaft zu
gewinnen suchte, glaubte man noch äußerlich den Anstand wahren zu müssen.
Daher nahm man den Vorwand, daß diese Inseln von der Türkei an Griechen¬
land noch nicht förmlich abgetreten, also eigentlich doch noch türkisch, also feind¬
liches Staatsgebiet seien. Daß England diese Inseln freiwillig nie wieder
räumen wird, ist selbstverständlich. Es beherrscht damit den Zugang zu den
Dardanellen und das Ägäische Meer.

Im weiteren Verlaufe der Entwicklung wurde dann Griechenland überhaupt
geknebelt und liegt hilflos zu Füßen seiner Schutzmächte, deren uneigennützige
Absichten der griechische Ministerpräsident Zaimis bei der Entthronung des
Königs Konstantin ausdrücklich anerkannt hat. Unter den Schutzmächten ist
dermalen nur noch England zu verstehen. Denn Nußland scheidet aus, und
Frankreich ist selbst nur noch ein englischer Schutzstaat.

Damit beherrscht England von Gibraltar über Malta, Griechenland, Cypern
und Ägypten das ganze Mittelmeer mit allen Ein- und Ausgängen, soweit diese
Herrschaft nicht etwa durch deutsche Unterseeboote beeinträchtigt wird.

Zum Schutze seines belgischen und französischen Verbündeten besetzte Eng¬
land die ganze Kanalküste von Nieuport über Dünkirchen, Calais und über
Boulogne hinaus mit dem dazu gehörigen Hinterkante. Hier hat sich England
bereits so häuslich eingerichtet wie im eigenen Lande. Daß dieser Brückenkopf
bereits als englisch betrachtet wird, beweist am besten der Umstand, daß mau
sich jetzt ernstlich anschickt, den bisher stets bekämpften Tunnel von Dover nach
Calais zu bauen. Führt er doch jetzt nicht mehr ins Ausland, sondern ver«
bindet englische Gebiete. Die Franzosen sind hier nur noch geduldete Ein¬
geborene einer englischen Kronkolonie. Und wenn Frankreich fortfährt, unter
den Denksäulen seiner Städte die der verlorenen mit Trauerflor zu umgeben,
so muß es das künftig wie bei Straßburg und Metz auch bei Calais und
Boulogne tun. Deutschland soll bei einem Frieden ohne Annexionen und Ent¬
schädigungen das unschuldig vergewaltigte Belgien mit Antwerpen, Zeebrügge
und Ostende wieder räumen. Aber England wird die festländische Kanalküste


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[0078] Englands Ariegserfolge rechtlich internationalen und neutralisierten Suezkanal, während es überdies erklärte, den Nord-Ostsee-Kanal zum Schutze gegen den deutschen Militarismus internationalisieren zu wollen. England begann also den Krieg gegen die Türkei bereits damit, womit sonst andere Mächte einen siegreichen Krieg be¬ endigen, mit einer ungeheuerlichen Gebietserweiterung, die seine ausschließliche Herrschaft im Mittelmeere sicher stellte. Schon vorher war allerdings dem russischen Verbündeten der Besitz Kon¬ stantinopels und der Meerengen zugesichert worden, was Rußland als seinen Hausschlüssel betrachtete. Dieses Zugeständnis wurde aber dadurch aufgewogen, daß England sofort die vor den Dardanellen liegenden griechischen Inseln Lemnos, Jmbros und Tenedos besetzte. Also, wenn Nußland seinen Haus¬ schlüssel haben sollte, nahm England wenigstens den Vorgartenschlüssel im voraus in eigenen Besitz. Damals, als man die griechische Bundesgenossenschaft zu gewinnen suchte, glaubte man noch äußerlich den Anstand wahren zu müssen. Daher nahm man den Vorwand, daß diese Inseln von der Türkei an Griechen¬ land noch nicht förmlich abgetreten, also eigentlich doch noch türkisch, also feind¬ liches Staatsgebiet seien. Daß England diese Inseln freiwillig nie wieder räumen wird, ist selbstverständlich. Es beherrscht damit den Zugang zu den Dardanellen und das Ägäische Meer. Im weiteren Verlaufe der Entwicklung wurde dann Griechenland überhaupt geknebelt und liegt hilflos zu Füßen seiner Schutzmächte, deren uneigennützige Absichten der griechische Ministerpräsident Zaimis bei der Entthronung des Königs Konstantin ausdrücklich anerkannt hat. Unter den Schutzmächten ist dermalen nur noch England zu verstehen. Denn Nußland scheidet aus, und Frankreich ist selbst nur noch ein englischer Schutzstaat. Damit beherrscht England von Gibraltar über Malta, Griechenland, Cypern und Ägypten das ganze Mittelmeer mit allen Ein- und Ausgängen, soweit diese Herrschaft nicht etwa durch deutsche Unterseeboote beeinträchtigt wird. Zum Schutze seines belgischen und französischen Verbündeten besetzte Eng¬ land die ganze Kanalküste von Nieuport über Dünkirchen, Calais und über Boulogne hinaus mit dem dazu gehörigen Hinterkante. Hier hat sich England bereits so häuslich eingerichtet wie im eigenen Lande. Daß dieser Brückenkopf bereits als englisch betrachtet wird, beweist am besten der Umstand, daß mau sich jetzt ernstlich anschickt, den bisher stets bekämpften Tunnel von Dover nach Calais zu bauen. Führt er doch jetzt nicht mehr ins Ausland, sondern ver« bindet englische Gebiete. Die Franzosen sind hier nur noch geduldete Ein¬ geborene einer englischen Kronkolonie. Und wenn Frankreich fortfährt, unter den Denksäulen seiner Städte die der verlorenen mit Trauerflor zu umgeben, so muß es das künftig wie bei Straßburg und Metz auch bei Calais und Boulogne tun. Deutschland soll bei einem Frieden ohne Annexionen und Ent¬ schädigungen das unschuldig vergewaltigte Belgien mit Antwerpen, Zeebrügge und Ostende wieder räumen. Aber England wird die festländische Kanalküste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/78>, abgerufen am 01.07.2024.