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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Äolonialherrjchaft?

Politik, die dadurch geschieht. Ihre technische Haltung erschiene verwandelt:
die Stelle des äußeren und prächtigen Sieges über die Entfernungen tritt ihre
Überwindung von innen.

Wie sie den afrikanischen Kontinent als Vorland anfügt, so öffnet sie den
Landweg nach dem ganzen südwestlichen Asien. Die Bagdadbahn stellt sich in
ehrlicher Absicht als eine entschlossene Fortsetzung der zentraleuropäisch-balkanischen
Verbindungen dar. Nun kann man es sich wenigstens denken, daß die größere
Billigkeit der Seefracht dereinst von einer gesteigerten und leistungsfähigeren Technik
des Eisenbahnwesens eingeholt sein wird. Sollte es einmal dahin kommen,
dann wäre der Wert des indischen Seeweges von der Bagdadbahn bald über-
boten. Aber das würde nichts geringeres heißen, als daß der Ver¬
kehr von Europa nach Indien und dem eigentlichen Asien sich auf seine uralte
Straße zurückfindet, die er vor knapp einem halben Jahrtausend verließ. Noch
heute ist die europäisch-indische Verkehrsoerbindung der Zentralweg im Weltver¬
kehr überhaupt; nur der direkte Wasserweg zwischen Europa und Amerika trat
neben ihre Bedeutung. Eine solche Rückkehr auf die ursprüngliche Straße in
dieser Form und Gestalt würde jedoch den Landweg von Europa nach Indien
erst neu erschaffen als moderne technische Handlung. Ihr Verkehrsereignis
träte gewaltig zusammengedrängt und mit höchst intensiver Wirksamkeit auf
gegenüber dem Einst. Löst es die Wasserverbindung, so gekürzt sie immerhin
sein mag. dann tatsächlich ab, so würde das mit einem Male ein Fortschritt
von solcher Heftigkeit sein, wie die Auffindung des indischen Seeweges selber
es war. Eine innere Achsendrehung des ganzen Weltverkehres, eine Umwälzung
von unabsehbaren Folgen müßte sich daraus ergeben.

Nicht durch die Entdeckung Amerikas war das Kolonialsystem alten Stils
M Anfang entstanden, sondern um einige Jahrzehnte vorher: diese Entstehung
und der Beginn der Erkundungen des Seeweges nach Indien fallen zeitlich und
ursachlich zusammen. Der planmäßige Beginn der Entdeckungsreisen, die nach
dem Vorgang Heinrichs des Seefahrers, eines portugiesischen Prinzen, König
Johann der Zweite von Portugal unternehmen ließ und die in der Fahrt des
Bartholomäus Diaz bis zum Kap der guten Hoffnung (1486) ihren vorläufigen
Abschluß erreichten, hatte mit seinem Ergebnis die, erste Gestaltung eines Kolonial¬
reiches gebracht. Die Idee des indischen Seeweges ist wie ein Symbol. Durch
diese Idee und ihre praktischen Folgen wurde das ehemalige Handels- und
Wirtschaftsleben aus den Angeln gehoben und der Grund gelegt für die mer¬
kantile Kolopialwirtschaft und ihre Zeit. Vielleicht ist diese Zeit für immer
vorüber und das Kolonialsystem bricht mit seiner rein händlerischen Wirtschafts¬
denkweise zusammen, sobald der Seeweg nach Ostindien wieder seine Bedeutung
verliert. Denn gerade er hatte so recht eigentlich die besondere und eigentüm¬
liche Leistung des vermittelnden Warenverkehrs ins Licht gesetzt und ihr Respekt
und Ehrerbietung verschafft. Er setzte den merkantilen Vorgang in die Breite
seiner Wirksamkeit ein. Aber diese Leistung würde durch ihren technisch!?:.


Äolonialherrjchaft?

Politik, die dadurch geschieht. Ihre technische Haltung erschiene verwandelt:
die Stelle des äußeren und prächtigen Sieges über die Entfernungen tritt ihre
Überwindung von innen.

Wie sie den afrikanischen Kontinent als Vorland anfügt, so öffnet sie den
Landweg nach dem ganzen südwestlichen Asien. Die Bagdadbahn stellt sich in
ehrlicher Absicht als eine entschlossene Fortsetzung der zentraleuropäisch-balkanischen
Verbindungen dar. Nun kann man es sich wenigstens denken, daß die größere
Billigkeit der Seefracht dereinst von einer gesteigerten und leistungsfähigeren Technik
des Eisenbahnwesens eingeholt sein wird. Sollte es einmal dahin kommen,
dann wäre der Wert des indischen Seeweges von der Bagdadbahn bald über-
boten. Aber das würde nichts geringeres heißen, als daß der Ver¬
kehr von Europa nach Indien und dem eigentlichen Asien sich auf seine uralte
Straße zurückfindet, die er vor knapp einem halben Jahrtausend verließ. Noch
heute ist die europäisch-indische Verkehrsoerbindung der Zentralweg im Weltver¬
kehr überhaupt; nur der direkte Wasserweg zwischen Europa und Amerika trat
neben ihre Bedeutung. Eine solche Rückkehr auf die ursprüngliche Straße in
dieser Form und Gestalt würde jedoch den Landweg von Europa nach Indien
erst neu erschaffen als moderne technische Handlung. Ihr Verkehrsereignis
träte gewaltig zusammengedrängt und mit höchst intensiver Wirksamkeit auf
gegenüber dem Einst. Löst es die Wasserverbindung, so gekürzt sie immerhin
sein mag. dann tatsächlich ab, so würde das mit einem Male ein Fortschritt
von solcher Heftigkeit sein, wie die Auffindung des indischen Seeweges selber
es war. Eine innere Achsendrehung des ganzen Weltverkehres, eine Umwälzung
von unabsehbaren Folgen müßte sich daraus ergeben.

Nicht durch die Entdeckung Amerikas war das Kolonialsystem alten Stils
M Anfang entstanden, sondern um einige Jahrzehnte vorher: diese Entstehung
und der Beginn der Erkundungen des Seeweges nach Indien fallen zeitlich und
ursachlich zusammen. Der planmäßige Beginn der Entdeckungsreisen, die nach
dem Vorgang Heinrichs des Seefahrers, eines portugiesischen Prinzen, König
Johann der Zweite von Portugal unternehmen ließ und die in der Fahrt des
Bartholomäus Diaz bis zum Kap der guten Hoffnung (1486) ihren vorläufigen
Abschluß erreichten, hatte mit seinem Ergebnis die, erste Gestaltung eines Kolonial¬
reiches gebracht. Die Idee des indischen Seeweges ist wie ein Symbol. Durch
diese Idee und ihre praktischen Folgen wurde das ehemalige Handels- und
Wirtschaftsleben aus den Angeln gehoben und der Grund gelegt für die mer¬
kantile Kolopialwirtschaft und ihre Zeit. Vielleicht ist diese Zeit für immer
vorüber und das Kolonialsystem bricht mit seiner rein händlerischen Wirtschafts¬
denkweise zusammen, sobald der Seeweg nach Ostindien wieder seine Bedeutung
verliert. Denn gerade er hatte so recht eigentlich die besondere und eigentüm¬
liche Leistung des vermittelnden Warenverkehrs ins Licht gesetzt und ihr Respekt
und Ehrerbietung verschafft. Er setzte den merkantilen Vorgang in die Breite
seiner Wirksamkeit ein. Aber diese Leistung würde durch ihren technisch!?:.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/73>, abgerufen am 01.07.2024.