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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Aolomalhcrrschaft?

gute Gelegenheit, ihnen hinterdrein noch einen Stoß an der Stelle zu geben,
die sie augenblicklich für die richtigste hielten. Wie England, durch die Forde¬
rungen des Krieges genötigt, den besten Teil seiner ostasiatischen Seegeltung
leihweise an den japanischen Vorrang abtrat, ist zu einem Motiv unserer Witz¬
blätter geworden. Und einem jeden, der es noch nicht wußte, hat es der
Ostasienvertrag mit Nußland vom Sommer 1916 einleuchtend gemacht, daß die
Japaner mit ihrer Hilfe an Einzelleistung und Material sich bloß auf einem
Umwege die offizielle Anerkennung, Festlegung und Dehnung ihrer nordchinesischen
Position erkaufen wollten und erkauft haben. Sie schufen sich durch den euro¬
päischen Krieg für ihren ostasiatischen Gedanken und für den Austrag ihres
entwicklungsnotwendigen Gegensatzes zur überseeisch-angelsächsischen Macht -- in
den ersten Raten gegen das britische Kolonialwesen und die Union -- die
Vorausbedingungen einer freien Arena.

Instinktiv befolgen sie jenes Gebot, nach dem die deutschen Kolonial¬
imperialisten uns anlernen möchten, das Gebot, in Kontinenten zu denken.
Denn das "Denken in Kontinenten" heißt nicht, Hans Dampf in allen Gassen
sein und mit dem eigenen Geschick auf sämtlichen Erdteilen experimentieren und
spielen, sondern es bedeutet: tiefes Verstehen und inneres Erfassen der geo¬
graphischen Absicht einer kommenden Geschichtsperiode. Diese Absicht setzt die
Erdteile und ihren Wuchs als lebendige Kräfte ein in das politische Wirken.
Sie bringt zugleich eine ungeheure Ausspannung des räumlichen Vorstellens und
Fühlens hervor und sinnliche Bestimmtheit, indem sie das ausgespannte Raum¬
gefühl auf feine organischen Gegebenheiten zurückführt. Sie will eine Auf¬
züchtung des politischen Heimatsempfindens, damit es der kontinental vorge¬
zeichneten Lebensbereiche inne wird und sich mit seinen Schöpfungen in
sie begibt.

Mit der vollen Wirkung seiner geographischen Tatsachen reicht der mittel¬
europäisch-türkische Vierbund nicht nur an den Indischen Ozean heran, sondern
er greift ebenso über die Sinai-Halbinsel und das künftige Schicksal Ägyptens
hinweg in das Innere des afrikanischen Erdteils hinein. Der schwarze Erdteil
ist gleichsam der Alten Welt vorgelagert wie eine Terrasse. Er gehört mit zu
ihrem Lebensbereich, und ein zusammenhängender kolonialer Komplex im mittleren
Afrika vermag unseren Bedarf an tropischen Produkten zufriedenzustellen. Die
Heranführung an den Indischen Ozean aber würde eine solche Politik unmittelbar
vor das sogenannte Problem dieses Ozeans stellen. Das Problem des Indischen
Ozeans bedeutet, daß sein östlicher Rand die Grenze ist, zwischen der Alten
und der pazifischen Welt, sei es der angelsächsischen oder der gelben: wahr¬
scheinlich wird der künftige Kampf um seine Beherrschung einst den Ausschlag
geben in einem Ringen um das Übergewicht auf diesem Erdball.

Diese Raumznsammenhänge mit der Vorderasienpolitik sind leicht zu be¬
merken, und darum hob man sie häufig hervor. Aber was nicht bemerkt wurde,
das ist die völlige Umstellung des kolonialpolitischen Verkehrs und der Welt-


Aolomalhcrrschaft?

gute Gelegenheit, ihnen hinterdrein noch einen Stoß an der Stelle zu geben,
die sie augenblicklich für die richtigste hielten. Wie England, durch die Forde¬
rungen des Krieges genötigt, den besten Teil seiner ostasiatischen Seegeltung
leihweise an den japanischen Vorrang abtrat, ist zu einem Motiv unserer Witz¬
blätter geworden. Und einem jeden, der es noch nicht wußte, hat es der
Ostasienvertrag mit Nußland vom Sommer 1916 einleuchtend gemacht, daß die
Japaner mit ihrer Hilfe an Einzelleistung und Material sich bloß auf einem
Umwege die offizielle Anerkennung, Festlegung und Dehnung ihrer nordchinesischen
Position erkaufen wollten und erkauft haben. Sie schufen sich durch den euro¬
päischen Krieg für ihren ostasiatischen Gedanken und für den Austrag ihres
entwicklungsnotwendigen Gegensatzes zur überseeisch-angelsächsischen Macht — in
den ersten Raten gegen das britische Kolonialwesen und die Union — die
Vorausbedingungen einer freien Arena.

Instinktiv befolgen sie jenes Gebot, nach dem die deutschen Kolonial¬
imperialisten uns anlernen möchten, das Gebot, in Kontinenten zu denken.
Denn das „Denken in Kontinenten" heißt nicht, Hans Dampf in allen Gassen
sein und mit dem eigenen Geschick auf sämtlichen Erdteilen experimentieren und
spielen, sondern es bedeutet: tiefes Verstehen und inneres Erfassen der geo¬
graphischen Absicht einer kommenden Geschichtsperiode. Diese Absicht setzt die
Erdteile und ihren Wuchs als lebendige Kräfte ein in das politische Wirken.
Sie bringt zugleich eine ungeheure Ausspannung des räumlichen Vorstellens und
Fühlens hervor und sinnliche Bestimmtheit, indem sie das ausgespannte Raum¬
gefühl auf feine organischen Gegebenheiten zurückführt. Sie will eine Auf¬
züchtung des politischen Heimatsempfindens, damit es der kontinental vorge¬
zeichneten Lebensbereiche inne wird und sich mit seinen Schöpfungen in
sie begibt.

Mit der vollen Wirkung seiner geographischen Tatsachen reicht der mittel¬
europäisch-türkische Vierbund nicht nur an den Indischen Ozean heran, sondern
er greift ebenso über die Sinai-Halbinsel und das künftige Schicksal Ägyptens
hinweg in das Innere des afrikanischen Erdteils hinein. Der schwarze Erdteil
ist gleichsam der Alten Welt vorgelagert wie eine Terrasse. Er gehört mit zu
ihrem Lebensbereich, und ein zusammenhängender kolonialer Komplex im mittleren
Afrika vermag unseren Bedarf an tropischen Produkten zufriedenzustellen. Die
Heranführung an den Indischen Ozean aber würde eine solche Politik unmittelbar
vor das sogenannte Problem dieses Ozeans stellen. Das Problem des Indischen
Ozeans bedeutet, daß sein östlicher Rand die Grenze ist, zwischen der Alten
und der pazifischen Welt, sei es der angelsächsischen oder der gelben: wahr¬
scheinlich wird der künftige Kampf um seine Beherrschung einst den Ausschlag
geben in einem Ringen um das Übergewicht auf diesem Erdball.

Diese Raumznsammenhänge mit der Vorderasienpolitik sind leicht zu be¬
merken, und darum hob man sie häufig hervor. Aber was nicht bemerkt wurde,
das ist die völlige Umstellung des kolonialpolitischen Verkehrs und der Welt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/72>, abgerufen am 01.07.2024.