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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Kolonialherrschaft?

"Freundschaft" mit Japan anch Englands ostastatischc Kolonialpolitik am aller¬
wenigsten retten.

Gerade in den Landstrichen, die England einstweilen sür sich beiseite stellen
möchte als sein wirtschaftliches Interessengebiet, im mittleren Süden mit dem
Yangtsetal. besonders im Yangtsetal trifft es auf den japanischen Willen.
Und was es dort antrifft, ist nicht bloß lauernde Rivalität, sondern die stoßende
Wucht wirtschaftsorganischer Notwendigkeiten. Denn das wirtfchaftsorganische
Entwicklungsgefühl, das Japan ergriff, braucht die reiche chinesische Erde. In
den oberen Bodenstrecken des Yangtsetales liegen die bedeutendsten, noch un-
erschlossenen Schätze. Über die Mandschurei und Mongolei und ihre mineralischen
Werte finden sich die Japaner mit Nußland zurecht und mit den Widerständen
Nordamerikas ab. so gut es irgendwie geht; doch sie denken nicht im ent¬
ferntesten daran, das noch wertvollere Yangtsetal in fremde Hände fallen zu
lassen. Japan selbst empfindet sich China gegenüber durchaus nicht als "fremd".
Indem es dieses Land seinem eigenen, dem japanischen Eigennutz unterwirft,
ruft es die organische Wirtschaftsgemeinschaft Ostasiens hervor, aus der sich
eine moderne gelbe Weltmachteinheit von selber ergibt. Ob das letzte End¬
ergebnis dann mehr japanisch oder mehr chinesisch sein würde, bleibt freilich
eine spätere Frage.

Die japanische Politik ist von einer wundervollen Abrundung und Grad¬
linigkeit. Sie ist sich darüber so vollkommen klar, was sie wollen muß und
durchsetzen kann, daß sie sür uns -- wir mögen es ruhig zugeben -- vorbildlich
sein könnte. ES war bei uns üblich, die Einnahme Tsingtaus durch die Japaner
einen Raubzug zu nennen, und sie selbst nannten diesen Raubzug, als sie ihn
begannen, einen Verteidigungskrieg. Von ihrem Standpunkte aus haben sie
nicht ganz unrecht. Denn sie entfernten nur einen kultur- und kontinents¬
fremden Gegner aus einem Gebiet, das. wie sie meinen, in die von Natur
ihnen zukommende Entwicklungssphäre hineinfällt. Die Frage, ob die Japamr
das zur Führung berufene Keruvolk des gelben Ostasiens, wofür sie sich halten,
nun auch tatsächlich sind, haben nicht wir zu entscheiden. Doch es ist vorge¬
kommen, daß sie von deutschen Chinaleuten die Mandschus des zwanzigsten Jahr¬
hunderts genannt worden sind. Auf jeden Fall fassen sie ihre indirekte Be¬
teiligung an diesem Kriege nicht als eine erobernde, um jeden Preis extensiv
gerichtete Kolonialpoliti! alteuropäischen Stils auf. Die Eroberung Deutsch-
Ostafrikas z. B., wozu man sie in den ersten Kriegsmonaten von französischer
Seite aus einlud, wiesen sie mit derselben einsilbigen Entschiedenheit von sich,
mit der sie einen jeden positiven militärischen Eingriff in den eigentlichen
militärischen Kampf beharrlich abgelehnt haben. Sie taten das. weil sie die
Lage des japanischen Ziels und seiner Begrenzungen kennen und mit feinem
Gefühl die naturgewollte Scheidung politischer Lebenssphären empfinden. Aber
der Beginn des europäischen Krieges zog die europäischen Kräfte mehr und mehr
aus dem Wirkungskreis des japanischen Zieles heraus, und sie benutzten die


Kolonialherrschaft?

„Freundschaft" mit Japan anch Englands ostastatischc Kolonialpolitik am aller¬
wenigsten retten.

Gerade in den Landstrichen, die England einstweilen sür sich beiseite stellen
möchte als sein wirtschaftliches Interessengebiet, im mittleren Süden mit dem
Yangtsetal. besonders im Yangtsetal trifft es auf den japanischen Willen.
Und was es dort antrifft, ist nicht bloß lauernde Rivalität, sondern die stoßende
Wucht wirtschaftsorganischer Notwendigkeiten. Denn das wirtfchaftsorganische
Entwicklungsgefühl, das Japan ergriff, braucht die reiche chinesische Erde. In
den oberen Bodenstrecken des Yangtsetales liegen die bedeutendsten, noch un-
erschlossenen Schätze. Über die Mandschurei und Mongolei und ihre mineralischen
Werte finden sich die Japaner mit Nußland zurecht und mit den Widerständen
Nordamerikas ab. so gut es irgendwie geht; doch sie denken nicht im ent¬
ferntesten daran, das noch wertvollere Yangtsetal in fremde Hände fallen zu
lassen. Japan selbst empfindet sich China gegenüber durchaus nicht als „fremd".
Indem es dieses Land seinem eigenen, dem japanischen Eigennutz unterwirft,
ruft es die organische Wirtschaftsgemeinschaft Ostasiens hervor, aus der sich
eine moderne gelbe Weltmachteinheit von selber ergibt. Ob das letzte End¬
ergebnis dann mehr japanisch oder mehr chinesisch sein würde, bleibt freilich
eine spätere Frage.

Die japanische Politik ist von einer wundervollen Abrundung und Grad¬
linigkeit. Sie ist sich darüber so vollkommen klar, was sie wollen muß und
durchsetzen kann, daß sie sür uns — wir mögen es ruhig zugeben — vorbildlich
sein könnte. ES war bei uns üblich, die Einnahme Tsingtaus durch die Japaner
einen Raubzug zu nennen, und sie selbst nannten diesen Raubzug, als sie ihn
begannen, einen Verteidigungskrieg. Von ihrem Standpunkte aus haben sie
nicht ganz unrecht. Denn sie entfernten nur einen kultur- und kontinents¬
fremden Gegner aus einem Gebiet, das. wie sie meinen, in die von Natur
ihnen zukommende Entwicklungssphäre hineinfällt. Die Frage, ob die Japamr
das zur Führung berufene Keruvolk des gelben Ostasiens, wofür sie sich halten,
nun auch tatsächlich sind, haben nicht wir zu entscheiden. Doch es ist vorge¬
kommen, daß sie von deutschen Chinaleuten die Mandschus des zwanzigsten Jahr¬
hunderts genannt worden sind. Auf jeden Fall fassen sie ihre indirekte Be¬
teiligung an diesem Kriege nicht als eine erobernde, um jeden Preis extensiv
gerichtete Kolonialpoliti! alteuropäischen Stils auf. Die Eroberung Deutsch-
Ostafrikas z. B., wozu man sie in den ersten Kriegsmonaten von französischer
Seite aus einlud, wiesen sie mit derselben einsilbigen Entschiedenheit von sich,
mit der sie einen jeden positiven militärischen Eingriff in den eigentlichen
militärischen Kampf beharrlich abgelehnt haben. Sie taten das. weil sie die
Lage des japanischen Ziels und seiner Begrenzungen kennen und mit feinem
Gefühl die naturgewollte Scheidung politischer Lebenssphären empfinden. Aber
der Beginn des europäischen Krieges zog die europäischen Kräfte mehr und mehr
aus dem Wirkungskreis des japanischen Zieles heraus, und sie benutzten die


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[0071] Kolonialherrschaft? „Freundschaft" mit Japan anch Englands ostastatischc Kolonialpolitik am aller¬ wenigsten retten. Gerade in den Landstrichen, die England einstweilen sür sich beiseite stellen möchte als sein wirtschaftliches Interessengebiet, im mittleren Süden mit dem Yangtsetal. besonders im Yangtsetal trifft es auf den japanischen Willen. Und was es dort antrifft, ist nicht bloß lauernde Rivalität, sondern die stoßende Wucht wirtschaftsorganischer Notwendigkeiten. Denn das wirtfchaftsorganische Entwicklungsgefühl, das Japan ergriff, braucht die reiche chinesische Erde. In den oberen Bodenstrecken des Yangtsetales liegen die bedeutendsten, noch un- erschlossenen Schätze. Über die Mandschurei und Mongolei und ihre mineralischen Werte finden sich die Japaner mit Nußland zurecht und mit den Widerständen Nordamerikas ab. so gut es irgendwie geht; doch sie denken nicht im ent¬ ferntesten daran, das noch wertvollere Yangtsetal in fremde Hände fallen zu lassen. Japan selbst empfindet sich China gegenüber durchaus nicht als „fremd". Indem es dieses Land seinem eigenen, dem japanischen Eigennutz unterwirft, ruft es die organische Wirtschaftsgemeinschaft Ostasiens hervor, aus der sich eine moderne gelbe Weltmachteinheit von selber ergibt. Ob das letzte End¬ ergebnis dann mehr japanisch oder mehr chinesisch sein würde, bleibt freilich eine spätere Frage. Die japanische Politik ist von einer wundervollen Abrundung und Grad¬ linigkeit. Sie ist sich darüber so vollkommen klar, was sie wollen muß und durchsetzen kann, daß sie sür uns — wir mögen es ruhig zugeben — vorbildlich sein könnte. ES war bei uns üblich, die Einnahme Tsingtaus durch die Japaner einen Raubzug zu nennen, und sie selbst nannten diesen Raubzug, als sie ihn begannen, einen Verteidigungskrieg. Von ihrem Standpunkte aus haben sie nicht ganz unrecht. Denn sie entfernten nur einen kultur- und kontinents¬ fremden Gegner aus einem Gebiet, das. wie sie meinen, in die von Natur ihnen zukommende Entwicklungssphäre hineinfällt. Die Frage, ob die Japamr das zur Führung berufene Keruvolk des gelben Ostasiens, wofür sie sich halten, nun auch tatsächlich sind, haben nicht wir zu entscheiden. Doch es ist vorge¬ kommen, daß sie von deutschen Chinaleuten die Mandschus des zwanzigsten Jahr¬ hunderts genannt worden sind. Auf jeden Fall fassen sie ihre indirekte Be¬ teiligung an diesem Kriege nicht als eine erobernde, um jeden Preis extensiv gerichtete Kolonialpoliti! alteuropäischen Stils auf. Die Eroberung Deutsch- Ostafrikas z. B., wozu man sie in den ersten Kriegsmonaten von französischer Seite aus einlud, wiesen sie mit derselben einsilbigen Entschiedenheit von sich, mit der sie einen jeden positiven militärischen Eingriff in den eigentlichen militärischen Kampf beharrlich abgelehnt haben. Sie taten das. weil sie die Lage des japanischen Ziels und seiner Begrenzungen kennen und mit feinem Gefühl die naturgewollte Scheidung politischer Lebenssphären empfinden. Aber der Beginn des europäischen Krieges zog die europäischen Kräfte mehr und mehr aus dem Wirkungskreis des japanischen Zieles heraus, und sie benutzten die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/71>, abgerufen am 01.07.2024.