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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Kolonialherrschaft?

den amerikanischen Einmischungen gegenüber vorsichtiger waren, verfolgten und
verfolgen vielleicht noch heute das Ziel: die herkömmliche Kolonialpolitik euro¬
päischer Mächte einzuspannen in die Zwecke des neubritischen Imperialismus,
damit Englands angelsächsische Vormachtstellung in der pazifischen See sich
gleichsam durch die Vermittlung "gemeinsamer" Chinainteressen hindurch breiter
an einen europäischen Rückhalt anlehnen kann. Diese Neigung scheint sich gegen
uns am allerwenigsten zu richten. Man soll wieder nach China und auf die
Südseeinseln hinausgelockt werden, um als europäische Kraft für die zuletzt rein
englische Absicht allgegenwärtig zu sein. Als für die englische Absicht ein-
gefangene europäische Kraft soll man in Zukunft mit den eigenen Interessen
und -- nötigenfalls -- mit dem eigenen Blute haftbar gemacht werden können.

Der Übereifer des angelsächsischen Gewissens in der Union hat diese Künste
weggewischt. Aber damit ist noch nicht gesagt, daß sie nun für immer auf¬
gehört hätten, im stillen zu spielen. Sie mögen sich unter den Oberflächen
halten, um später, wenn ihre Zeit gekommen sein sollte, wieder gleißend empor-
Mtcmchen. damit sie die Deutschen verführen. Niemals darf eine solche Ver¬
führung gelingen. Denn Englands Interessen sind dem wahrhaft europäischen
Interesse'der Festlandmächte vollkommen fremd, und eine universale Gemein¬
samkeit der Kolonialpolitik weißer Herkunft gibt es heute nicht mehr, weil es
keine Einheit der weißen Rasse mehr gibt. Eine deutsche Politik, die ihrer
Zentralisation im Kern Europas inne geworden ist und darüber Bescheid weiß,
daß sie an der pazifischen See, wenn es darauf ankommt, doch nichts aus¬
richten kann, hat dort nichts mehr zu suchen. Sicher hatten wir den größten
Irrtum und verhängnisvollsten Fehler unserer kolonialimperialistischen Sprünge
begangen, als sich das Deutsche Reich -- es war gegen 1898 -- aus seinen
afrikanischen Anfängen, die nämlich der Idee "Vom Kap bis Kairo" unbequem
wurden, in den Glanz der sogenannten Weltpolitik auf dem Großen und Stillen
Ozean wegloben ließ. Und es läge wenig Sinn darin, wollten wir uns mit
blinden Blicken darüber täuschen,' daß eben unsere Tsingtau- und Samoa-
Herrlichkeit nun wieder aufgehört hat. Gewiß mag es unserem beleidigten
Selbstgefühl hart ankommen, das einzugestehen; aber es hilft nichts.

Es hat keinen Zweck, davor die Augen zu schließen, daß der Europäer im
ganzen pazifischen Gebiet mit Ostasien feine Funktion als weißer Mensch an
den Nordamerikaner oder Angelsachsen abtreten muß. Das politische Bewußtsein
des Nordamerikanertums wird sich mit feinem Kulturgefühl immer mehr angli¬
sieren. Vorläufig zeigt der imperialistische Amerikanismus der Union noch
zwei verschiedene Tendenzen. Eine spezifisch nordamerikanische, sehr angelsächsisch
betonte Richtung, die darauf ausgeht, für "die Welt", nun sagen wir einmal:
vorbildlich zu sein; und einen panamerikanischen Amerikanismus, dessen Begierde
sich auf den Kontinent des Südens erstreckt. Aber beide Tendenzen vertragen
sich ganz gut. die eine bedient sich der anderen. Im übrigen bezweckt die
letztere von ihnen ihre Macht mehr durch wirtschaftliche als durch kultur-


Kolonialherrschaft?

den amerikanischen Einmischungen gegenüber vorsichtiger waren, verfolgten und
verfolgen vielleicht noch heute das Ziel: die herkömmliche Kolonialpolitik euro¬
päischer Mächte einzuspannen in die Zwecke des neubritischen Imperialismus,
damit Englands angelsächsische Vormachtstellung in der pazifischen See sich
gleichsam durch die Vermittlung „gemeinsamer" Chinainteressen hindurch breiter
an einen europäischen Rückhalt anlehnen kann. Diese Neigung scheint sich gegen
uns am allerwenigsten zu richten. Man soll wieder nach China und auf die
Südseeinseln hinausgelockt werden, um als europäische Kraft für die zuletzt rein
englische Absicht allgegenwärtig zu sein. Als für die englische Absicht ein-
gefangene europäische Kraft soll man in Zukunft mit den eigenen Interessen
und — nötigenfalls — mit dem eigenen Blute haftbar gemacht werden können.

Der Übereifer des angelsächsischen Gewissens in der Union hat diese Künste
weggewischt. Aber damit ist noch nicht gesagt, daß sie nun für immer auf¬
gehört hätten, im stillen zu spielen. Sie mögen sich unter den Oberflächen
halten, um später, wenn ihre Zeit gekommen sein sollte, wieder gleißend empor-
Mtcmchen. damit sie die Deutschen verführen. Niemals darf eine solche Ver¬
führung gelingen. Denn Englands Interessen sind dem wahrhaft europäischen
Interesse'der Festlandmächte vollkommen fremd, und eine universale Gemein¬
samkeit der Kolonialpolitik weißer Herkunft gibt es heute nicht mehr, weil es
keine Einheit der weißen Rasse mehr gibt. Eine deutsche Politik, die ihrer
Zentralisation im Kern Europas inne geworden ist und darüber Bescheid weiß,
daß sie an der pazifischen See, wenn es darauf ankommt, doch nichts aus¬
richten kann, hat dort nichts mehr zu suchen. Sicher hatten wir den größten
Irrtum und verhängnisvollsten Fehler unserer kolonialimperialistischen Sprünge
begangen, als sich das Deutsche Reich — es war gegen 1898 — aus seinen
afrikanischen Anfängen, die nämlich der Idee „Vom Kap bis Kairo" unbequem
wurden, in den Glanz der sogenannten Weltpolitik auf dem Großen und Stillen
Ozean wegloben ließ. Und es läge wenig Sinn darin, wollten wir uns mit
blinden Blicken darüber täuschen,' daß eben unsere Tsingtau- und Samoa-
Herrlichkeit nun wieder aufgehört hat. Gewiß mag es unserem beleidigten
Selbstgefühl hart ankommen, das einzugestehen; aber es hilft nichts.

Es hat keinen Zweck, davor die Augen zu schließen, daß der Europäer im
ganzen pazifischen Gebiet mit Ostasien feine Funktion als weißer Mensch an
den Nordamerikaner oder Angelsachsen abtreten muß. Das politische Bewußtsein
des Nordamerikanertums wird sich mit feinem Kulturgefühl immer mehr angli¬
sieren. Vorläufig zeigt der imperialistische Amerikanismus der Union noch
zwei verschiedene Tendenzen. Eine spezifisch nordamerikanische, sehr angelsächsisch
betonte Richtung, die darauf ausgeht, für „die Welt", nun sagen wir einmal:
vorbildlich zu sein; und einen panamerikanischen Amerikanismus, dessen Begierde
sich auf den Kontinent des Südens erstreckt. Aber beide Tendenzen vertragen
sich ganz gut. die eine bedient sich der anderen. Im übrigen bezweckt die
letztere von ihnen ihre Macht mehr durch wirtschaftliche als durch kultur-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/69>, abgerufen am 01.07.2024.