Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kolonialherrschaft?

und Rassen, und alles Europäische erscheint ihm wesensentgegengesetzt und
fremdkontinental.

Als der Krieg anfing, sielen unsere pazifischen Kolonialbesitzungen dahin
wie herbstliche Blätter. Dem geheimnisvollen diplomatischen Druck, den die
Vereinigten Staaten auf Dänemark wegen der westindischen Inseln ausübten,
mußte sich dieses dänische Mutterland fügen. Nicht nur, weil es machtlos
und klein ist, sondern überhaupt als europäischer Staat. Denn als europäischer
Staat ist es der nordamerikanischen Union gegenüber in Amerika selbst eben
machtlos. Genau so, wie das weit stärkere und kolonialpolitisch erfahrene
Spanien im Kubakrieg bloß die Ehre zu wahren vermochte. Den Holländern
würde es mit Cura<zao, wenn es einmal dahin käme, nicht besser als den
Dänen ergehen. Und den Franzosen mit ihrem anamitischen Reiche nicht
besser als uns. Sobald irgendeine pazifische Macht, die das Zeug dazu in
sich fühlt, auf den Gedanken kommen sollte, den anamitischen Kolonialbesitz
haben zu wollen, könnte die französische Republik sich nicht erfolgreicher wehren,
als Spanien gegen die Vereinigten Staaten. Wie der amerikanische Kontinent
mit seiner alten Front nach Osten schon längst ein Kräftespielraum für sich ist,
so ist auch der pazifische Komplex dieses Erdballs ein Kräftespielraum für sich.
Oder vielmehr: der Spielraum auf ihm geborener und zum Widerstreit ge¬
zwungener Kräfte, deren Lebenskampf unser politisches Gefühl von Rechts
wegen kalt lassen sollte.

Das Raubgebiet des Stillen Ozeans entwickelt sich immer mehr zur Einheit
eines selbständigen Erdkreises. Zu der Sonderwelt der Gelben und der angel¬
sächsischen Art. Aber näher als der Ausgang ihrer innerlich notwendigen
Zwietracht berührt uns Europäer heute die Frage, wie sich dabei der im
Angelsachscntum vorhandene Dualismus ausgleichen wird.

Ohne Frage gibt es einen gesamtangelsächsischen Lebensbereich, der ebenso
das Nordamerikanertum wie die überseeischen Briten und eigentlichen Engländer
umgreift. Und ohne Frage gibt es auch ein Bewußtsein davon unter allen
englisch redenden Völkern, das Bewußtsein einer Zusammengehörigkeit, die
rassenhcift bestimmt und kulturell pointiert ist. Selbst die eigentlichen Engländer
und gerade sie, die Urangelsachsen, fühlen sich ganz und gar nicht mehr als
Glieder einer europäischen Nasse. Für das englische Gemütsleben ist der
Angelsachse nicht etwa "Germane", sondern eine insulare und interkontinentale,
überseeisch gewordene Besonderheit, die sich vom festländischen Europäertum
scharf unterscheidet. Der Kontinentale germanischer oder lateinischer Zunge gilt
dem englischen Menschen als fremdblütig und in Wahrheit kaum mehr als
irgendein farbiger Mann. Dagegen der Australier oder Nordamerikaner gilt
ihm -- mit einem gewissen Gefühl sozialer Distanz -- im wesentlichen als
seinesgleichen. Die Angelsachsen verstehen unter diesem alten germanischen
Stammesnamen ihre eigene, nachträglich entwickelte und zu etwas Neuem
gewordene Art, die ihnen den alteuropüischen Rassengruppen gegenüber als


Kolonialherrschaft?

und Rassen, und alles Europäische erscheint ihm wesensentgegengesetzt und
fremdkontinental.

Als der Krieg anfing, sielen unsere pazifischen Kolonialbesitzungen dahin
wie herbstliche Blätter. Dem geheimnisvollen diplomatischen Druck, den die
Vereinigten Staaten auf Dänemark wegen der westindischen Inseln ausübten,
mußte sich dieses dänische Mutterland fügen. Nicht nur, weil es machtlos
und klein ist, sondern überhaupt als europäischer Staat. Denn als europäischer
Staat ist es der nordamerikanischen Union gegenüber in Amerika selbst eben
machtlos. Genau so, wie das weit stärkere und kolonialpolitisch erfahrene
Spanien im Kubakrieg bloß die Ehre zu wahren vermochte. Den Holländern
würde es mit Cura<zao, wenn es einmal dahin käme, nicht besser als den
Dänen ergehen. Und den Franzosen mit ihrem anamitischen Reiche nicht
besser als uns. Sobald irgendeine pazifische Macht, die das Zeug dazu in
sich fühlt, auf den Gedanken kommen sollte, den anamitischen Kolonialbesitz
haben zu wollen, könnte die französische Republik sich nicht erfolgreicher wehren,
als Spanien gegen die Vereinigten Staaten. Wie der amerikanische Kontinent
mit seiner alten Front nach Osten schon längst ein Kräftespielraum für sich ist,
so ist auch der pazifische Komplex dieses Erdballs ein Kräftespielraum für sich.
Oder vielmehr: der Spielraum auf ihm geborener und zum Widerstreit ge¬
zwungener Kräfte, deren Lebenskampf unser politisches Gefühl von Rechts
wegen kalt lassen sollte.

Das Raubgebiet des Stillen Ozeans entwickelt sich immer mehr zur Einheit
eines selbständigen Erdkreises. Zu der Sonderwelt der Gelben und der angel¬
sächsischen Art. Aber näher als der Ausgang ihrer innerlich notwendigen
Zwietracht berührt uns Europäer heute die Frage, wie sich dabei der im
Angelsachscntum vorhandene Dualismus ausgleichen wird.

Ohne Frage gibt es einen gesamtangelsächsischen Lebensbereich, der ebenso
das Nordamerikanertum wie die überseeischen Briten und eigentlichen Engländer
umgreift. Und ohne Frage gibt es auch ein Bewußtsein davon unter allen
englisch redenden Völkern, das Bewußtsein einer Zusammengehörigkeit, die
rassenhcift bestimmt und kulturell pointiert ist. Selbst die eigentlichen Engländer
und gerade sie, die Urangelsachsen, fühlen sich ganz und gar nicht mehr als
Glieder einer europäischen Nasse. Für das englische Gemütsleben ist der
Angelsachse nicht etwa „Germane", sondern eine insulare und interkontinentale,
überseeisch gewordene Besonderheit, die sich vom festländischen Europäertum
scharf unterscheidet. Der Kontinentale germanischer oder lateinischer Zunge gilt
dem englischen Menschen als fremdblütig und in Wahrheit kaum mehr als
irgendein farbiger Mann. Dagegen der Australier oder Nordamerikaner gilt
ihm — mit einem gewissen Gefühl sozialer Distanz — im wesentlichen als
seinesgleichen. Die Angelsachsen verstehen unter diesem alten germanischen
Stammesnamen ihre eigene, nachträglich entwickelte und zu etwas Neuem
gewordene Art, die ihnen den alteuropüischen Rassengruppen gegenüber als


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0066" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332345"/>
          <fw type="header" place="top"> Kolonialherrschaft?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_213" prev="#ID_212"> und Rassen, und alles Europäische erscheint ihm wesensentgegengesetzt und<lb/>
fremdkontinental.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_214"> Als der Krieg anfing, sielen unsere pazifischen Kolonialbesitzungen dahin<lb/>
wie herbstliche Blätter. Dem geheimnisvollen diplomatischen Druck, den die<lb/>
Vereinigten Staaten auf Dänemark wegen der westindischen Inseln ausübten,<lb/>
mußte sich dieses dänische Mutterland fügen. Nicht nur, weil es machtlos<lb/>
und klein ist, sondern überhaupt als europäischer Staat. Denn als europäischer<lb/>
Staat ist es der nordamerikanischen Union gegenüber in Amerika selbst eben<lb/>
machtlos. Genau so, wie das weit stärkere und kolonialpolitisch erfahrene<lb/>
Spanien im Kubakrieg bloß die Ehre zu wahren vermochte. Den Holländern<lb/>
würde es mit Cura&lt;zao, wenn es einmal dahin käme, nicht besser als den<lb/>
Dänen ergehen. Und den Franzosen mit ihrem anamitischen Reiche nicht<lb/>
besser als uns. Sobald irgendeine pazifische Macht, die das Zeug dazu in<lb/>
sich fühlt, auf den Gedanken kommen sollte, den anamitischen Kolonialbesitz<lb/>
haben zu wollen, könnte die französische Republik sich nicht erfolgreicher wehren,<lb/>
als Spanien gegen die Vereinigten Staaten. Wie der amerikanische Kontinent<lb/>
mit seiner alten Front nach Osten schon längst ein Kräftespielraum für sich ist,<lb/>
so ist auch der pazifische Komplex dieses Erdballs ein Kräftespielraum für sich.<lb/>
Oder vielmehr: der Spielraum auf ihm geborener und zum Widerstreit ge¬<lb/>
zwungener Kräfte, deren Lebenskampf unser politisches Gefühl von Rechts<lb/>
wegen kalt lassen sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_215"> Das Raubgebiet des Stillen Ozeans entwickelt sich immer mehr zur Einheit<lb/>
eines selbständigen Erdkreises. Zu der Sonderwelt der Gelben und der angel¬<lb/>
sächsischen Art. Aber näher als der Ausgang ihrer innerlich notwendigen<lb/>
Zwietracht berührt uns Europäer heute die Frage, wie sich dabei der im<lb/>
Angelsachscntum vorhandene Dualismus ausgleichen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_216" next="#ID_217"> Ohne Frage gibt es einen gesamtangelsächsischen Lebensbereich, der ebenso<lb/>
das Nordamerikanertum wie die überseeischen Briten und eigentlichen Engländer<lb/>
umgreift. Und ohne Frage gibt es auch ein Bewußtsein davon unter allen<lb/>
englisch redenden Völkern, das Bewußtsein einer Zusammengehörigkeit, die<lb/>
rassenhcift bestimmt und kulturell pointiert ist. Selbst die eigentlichen Engländer<lb/>
und gerade sie, die Urangelsachsen, fühlen sich ganz und gar nicht mehr als<lb/>
Glieder einer europäischen Nasse. Für das englische Gemütsleben ist der<lb/>
Angelsachse nicht etwa &#x201E;Germane", sondern eine insulare und interkontinentale,<lb/>
überseeisch gewordene Besonderheit, die sich vom festländischen Europäertum<lb/>
scharf unterscheidet. Der Kontinentale germanischer oder lateinischer Zunge gilt<lb/>
dem englischen Menschen als fremdblütig und in Wahrheit kaum mehr als<lb/>
irgendein farbiger Mann. Dagegen der Australier oder Nordamerikaner gilt<lb/>
ihm &#x2014; mit einem gewissen Gefühl sozialer Distanz &#x2014; im wesentlichen als<lb/>
seinesgleichen. Die Angelsachsen verstehen unter diesem alten germanischen<lb/>
Stammesnamen ihre eigene, nachträglich entwickelte und zu etwas Neuem<lb/>
gewordene Art, die ihnen den alteuropüischen Rassengruppen gegenüber als</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0066] Kolonialherrschaft? und Rassen, und alles Europäische erscheint ihm wesensentgegengesetzt und fremdkontinental. Als der Krieg anfing, sielen unsere pazifischen Kolonialbesitzungen dahin wie herbstliche Blätter. Dem geheimnisvollen diplomatischen Druck, den die Vereinigten Staaten auf Dänemark wegen der westindischen Inseln ausübten, mußte sich dieses dänische Mutterland fügen. Nicht nur, weil es machtlos und klein ist, sondern überhaupt als europäischer Staat. Denn als europäischer Staat ist es der nordamerikanischen Union gegenüber in Amerika selbst eben machtlos. Genau so, wie das weit stärkere und kolonialpolitisch erfahrene Spanien im Kubakrieg bloß die Ehre zu wahren vermochte. Den Holländern würde es mit Cura<zao, wenn es einmal dahin käme, nicht besser als den Dänen ergehen. Und den Franzosen mit ihrem anamitischen Reiche nicht besser als uns. Sobald irgendeine pazifische Macht, die das Zeug dazu in sich fühlt, auf den Gedanken kommen sollte, den anamitischen Kolonialbesitz haben zu wollen, könnte die französische Republik sich nicht erfolgreicher wehren, als Spanien gegen die Vereinigten Staaten. Wie der amerikanische Kontinent mit seiner alten Front nach Osten schon längst ein Kräftespielraum für sich ist, so ist auch der pazifische Komplex dieses Erdballs ein Kräftespielraum für sich. Oder vielmehr: der Spielraum auf ihm geborener und zum Widerstreit ge¬ zwungener Kräfte, deren Lebenskampf unser politisches Gefühl von Rechts wegen kalt lassen sollte. Das Raubgebiet des Stillen Ozeans entwickelt sich immer mehr zur Einheit eines selbständigen Erdkreises. Zu der Sonderwelt der Gelben und der angel¬ sächsischen Art. Aber näher als der Ausgang ihrer innerlich notwendigen Zwietracht berührt uns Europäer heute die Frage, wie sich dabei der im Angelsachscntum vorhandene Dualismus ausgleichen wird. Ohne Frage gibt es einen gesamtangelsächsischen Lebensbereich, der ebenso das Nordamerikanertum wie die überseeischen Briten und eigentlichen Engländer umgreift. Und ohne Frage gibt es auch ein Bewußtsein davon unter allen englisch redenden Völkern, das Bewußtsein einer Zusammengehörigkeit, die rassenhcift bestimmt und kulturell pointiert ist. Selbst die eigentlichen Engländer und gerade sie, die Urangelsachsen, fühlen sich ganz und gar nicht mehr als Glieder einer europäischen Nasse. Für das englische Gemütsleben ist der Angelsachse nicht etwa „Germane", sondern eine insulare und interkontinentale, überseeisch gewordene Besonderheit, die sich vom festländischen Europäertum scharf unterscheidet. Der Kontinentale germanischer oder lateinischer Zunge gilt dem englischen Menschen als fremdblütig und in Wahrheit kaum mehr als irgendein farbiger Mann. Dagegen der Australier oder Nordamerikaner gilt ihm — mit einem gewissen Gefühl sozialer Distanz — im wesentlichen als seinesgleichen. Die Angelsachsen verstehen unter diesem alten germanischen Stammesnamen ihre eigene, nachträglich entwickelte und zu etwas Neuem gewordene Art, die ihnen den alteuropüischen Rassengruppen gegenüber als

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/66
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/66>, abgerufen am 01.07.2024.