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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Kolonialherrschaft?

eS ja zu: diese Entwicklung schwenkt entschlossen in eine bestimmt gegebene
Verhältnislage ein und in sie zurück, die zunächst nichts anderes, als eine lokal
vorgefundene und verwendbare Voraussetzung ist. Aber am Ende handelt es
sich darum, ob sie darin stecken bleiben würde, oder ob sich daraus eine politische
"Idee" und aus den Wirkungskräften dieser Idee eine Weltbedeutung ergibt.

Der mitteleuropäische Staatenverband bedeutet die wirtschafts- und macht¬
politische Konsolidierung Jnnerenropas zu einem Massiv. Für uns selber
hätte ein solches Ereignis die Wirkung, daß es unsere Politik auf ihre natür¬
lichen Machtgrundlagen im Innern Europas zurückführt. Aber seine allgemeine
und grundsätzliche Folge, sozusagen das objektive Geschichtsergebnis, wäre
immerhin mehr: dieses Massiv, als die erste Vorbereitung oder fragmentarische
Form eines europäischen Mächtekomplexes, würde eine innere Umschaffung des
Wcltmachtfattors "Europa" in Gang bringen können. Das ist sein wesenhaft
politischer Wert, daß es mit seinem Naumcharakter und durch seine genossen¬
schaftliche Organisation die eigentümlichen Kräfte des Europäertums wieder¬
herstellt gegenüber der Welt. Und daß dieser genossenschaftliche Imperialismus
unserer eigenen Politik, wenn sie sich anheischig macht, ihn in die Hand zu
nehmen oder zu leiten, am Ende el" europäisch bestimmtes Bewußtsein ein¬
geben sollte. Sobald es sich in Bewegung setzt, dieses Massiv, hätte es außer¬
halb Europas nicht mehr bloß staatliche oder nationale "Interessen" zu ver¬
treten, sondern europäisches Leben, und auf jeden Fall einen Geist seiner
innereuropäischen Kraft.

Mit der einen Ecke seines unmittelbaren Bereichs schiebt sich der Vierbund
auf einen Zusammengriff der alten Kontinente hinaus. Er verfügt durch
seinen Besitz Vorderasiens über die Festung des frühgeschichtlicheu Erdkreises.
Die Alte Welt hat man ihn einstmals genannt. Da der Vierbund mit seinen
südöstlichen Ausfallstoren dermaßen die alte Welt "strategisch beherrscht", so
öffnet sich die ganze ursprüngliche Sphäre unseres politischen Lebensbildes
seinem herrschenden Einfluß. Die Lage verpflichtet direkt zu einer Erneuerung
der entwicklungsgeschichtlichen Tradition "Alte Welt". Sie setzt sie in den
mitteleuropäischen Gedanken hinein. Damit stellt sie diese Tradition wie ehemals
wieder unter die Obhut europäisch bewußter und im Innern Europas ver¬
wurzelter Kraft. und den europäischen Funktionen im Erdraum schenkt sie ihre
volle Heimat zurück. Sie gibt ihnen ihre geschichtsgeographische und zukunfts-
politische Form: wo die Alte Welt aufhört, hat von Natur wegen der Wirkungs¬
radius europäischer Kräfte ein Ende. Beides, die Leistungsmöglichkeit und
der Wille zur Leistung, würden einander entsprechen und aufrechterhalten.

Die Grenze der Alten Welt läuft Amerika gegenüber durch den Atlantik,
und im Osten verläuft sie ungesähr da, wo die Meere mit den anliegenden
Landkomplexen sich scheiden: wo die Straße von Malakka und die Sundastraße
den Irdischen vom Stillen Ozean trennen. Was jenseits liegt, geht uns
politisch nichts an. Es ist das natürliche Wirkungsgebiet anderer Kulturen


Kolonialherrschaft?

eS ja zu: diese Entwicklung schwenkt entschlossen in eine bestimmt gegebene
Verhältnislage ein und in sie zurück, die zunächst nichts anderes, als eine lokal
vorgefundene und verwendbare Voraussetzung ist. Aber am Ende handelt es
sich darum, ob sie darin stecken bleiben würde, oder ob sich daraus eine politische
„Idee" und aus den Wirkungskräften dieser Idee eine Weltbedeutung ergibt.

Der mitteleuropäische Staatenverband bedeutet die wirtschafts- und macht¬
politische Konsolidierung Jnnerenropas zu einem Massiv. Für uns selber
hätte ein solches Ereignis die Wirkung, daß es unsere Politik auf ihre natür¬
lichen Machtgrundlagen im Innern Europas zurückführt. Aber seine allgemeine
und grundsätzliche Folge, sozusagen das objektive Geschichtsergebnis, wäre
immerhin mehr: dieses Massiv, als die erste Vorbereitung oder fragmentarische
Form eines europäischen Mächtekomplexes, würde eine innere Umschaffung des
Wcltmachtfattors „Europa" in Gang bringen können. Das ist sein wesenhaft
politischer Wert, daß es mit seinem Naumcharakter und durch seine genossen¬
schaftliche Organisation die eigentümlichen Kräfte des Europäertums wieder¬
herstellt gegenüber der Welt. Und daß dieser genossenschaftliche Imperialismus
unserer eigenen Politik, wenn sie sich anheischig macht, ihn in die Hand zu
nehmen oder zu leiten, am Ende el» europäisch bestimmtes Bewußtsein ein¬
geben sollte. Sobald es sich in Bewegung setzt, dieses Massiv, hätte es außer¬
halb Europas nicht mehr bloß staatliche oder nationale „Interessen" zu ver¬
treten, sondern europäisches Leben, und auf jeden Fall einen Geist seiner
innereuropäischen Kraft.

Mit der einen Ecke seines unmittelbaren Bereichs schiebt sich der Vierbund
auf einen Zusammengriff der alten Kontinente hinaus. Er verfügt durch
seinen Besitz Vorderasiens über die Festung des frühgeschichtlicheu Erdkreises.
Die Alte Welt hat man ihn einstmals genannt. Da der Vierbund mit seinen
südöstlichen Ausfallstoren dermaßen die alte Welt „strategisch beherrscht", so
öffnet sich die ganze ursprüngliche Sphäre unseres politischen Lebensbildes
seinem herrschenden Einfluß. Die Lage verpflichtet direkt zu einer Erneuerung
der entwicklungsgeschichtlichen Tradition „Alte Welt". Sie setzt sie in den
mitteleuropäischen Gedanken hinein. Damit stellt sie diese Tradition wie ehemals
wieder unter die Obhut europäisch bewußter und im Innern Europas ver¬
wurzelter Kraft. und den europäischen Funktionen im Erdraum schenkt sie ihre
volle Heimat zurück. Sie gibt ihnen ihre geschichtsgeographische und zukunfts-
politische Form: wo die Alte Welt aufhört, hat von Natur wegen der Wirkungs¬
radius europäischer Kräfte ein Ende. Beides, die Leistungsmöglichkeit und
der Wille zur Leistung, würden einander entsprechen und aufrechterhalten.

Die Grenze der Alten Welt läuft Amerika gegenüber durch den Atlantik,
und im Osten verläuft sie ungesähr da, wo die Meere mit den anliegenden
Landkomplexen sich scheiden: wo die Straße von Malakka und die Sundastraße
den Irdischen vom Stillen Ozean trennen. Was jenseits liegt, geht uns
politisch nichts an. Es ist das natürliche Wirkungsgebiet anderer Kulturen


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[0065] Kolonialherrschaft? eS ja zu: diese Entwicklung schwenkt entschlossen in eine bestimmt gegebene Verhältnislage ein und in sie zurück, die zunächst nichts anderes, als eine lokal vorgefundene und verwendbare Voraussetzung ist. Aber am Ende handelt es sich darum, ob sie darin stecken bleiben würde, oder ob sich daraus eine politische „Idee" und aus den Wirkungskräften dieser Idee eine Weltbedeutung ergibt. Der mitteleuropäische Staatenverband bedeutet die wirtschafts- und macht¬ politische Konsolidierung Jnnerenropas zu einem Massiv. Für uns selber hätte ein solches Ereignis die Wirkung, daß es unsere Politik auf ihre natür¬ lichen Machtgrundlagen im Innern Europas zurückführt. Aber seine allgemeine und grundsätzliche Folge, sozusagen das objektive Geschichtsergebnis, wäre immerhin mehr: dieses Massiv, als die erste Vorbereitung oder fragmentarische Form eines europäischen Mächtekomplexes, würde eine innere Umschaffung des Wcltmachtfattors „Europa" in Gang bringen können. Das ist sein wesenhaft politischer Wert, daß es mit seinem Naumcharakter und durch seine genossen¬ schaftliche Organisation die eigentümlichen Kräfte des Europäertums wieder¬ herstellt gegenüber der Welt. Und daß dieser genossenschaftliche Imperialismus unserer eigenen Politik, wenn sie sich anheischig macht, ihn in die Hand zu nehmen oder zu leiten, am Ende el» europäisch bestimmtes Bewußtsein ein¬ geben sollte. Sobald es sich in Bewegung setzt, dieses Massiv, hätte es außer¬ halb Europas nicht mehr bloß staatliche oder nationale „Interessen" zu ver¬ treten, sondern europäisches Leben, und auf jeden Fall einen Geist seiner innereuropäischen Kraft. Mit der einen Ecke seines unmittelbaren Bereichs schiebt sich der Vierbund auf einen Zusammengriff der alten Kontinente hinaus. Er verfügt durch seinen Besitz Vorderasiens über die Festung des frühgeschichtlicheu Erdkreises. Die Alte Welt hat man ihn einstmals genannt. Da der Vierbund mit seinen südöstlichen Ausfallstoren dermaßen die alte Welt „strategisch beherrscht", so öffnet sich die ganze ursprüngliche Sphäre unseres politischen Lebensbildes seinem herrschenden Einfluß. Die Lage verpflichtet direkt zu einer Erneuerung der entwicklungsgeschichtlichen Tradition „Alte Welt". Sie setzt sie in den mitteleuropäischen Gedanken hinein. Damit stellt sie diese Tradition wie ehemals wieder unter die Obhut europäisch bewußter und im Innern Europas ver¬ wurzelter Kraft. und den europäischen Funktionen im Erdraum schenkt sie ihre volle Heimat zurück. Sie gibt ihnen ihre geschichtsgeographische und zukunfts- politische Form: wo die Alte Welt aufhört, hat von Natur wegen der Wirkungs¬ radius europäischer Kräfte ein Ende. Beides, die Leistungsmöglichkeit und der Wille zur Leistung, würden einander entsprechen und aufrechterhalten. Die Grenze der Alten Welt läuft Amerika gegenüber durch den Atlantik, und im Osten verläuft sie ungesähr da, wo die Meere mit den anliegenden Landkomplexen sich scheiden: wo die Straße von Malakka und die Sundastraße den Irdischen vom Stillen Ozean trennen. Was jenseits liegt, geht uns politisch nichts an. Es ist das natürliche Wirkungsgebiet anderer Kulturen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/65>, abgerufen am 01.07.2024.