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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Kolonialherrschaft?

geltung fordern, von welchem Gesichtspunkte aus immer man diese Betätigung
angelegt hätte. Dennoch handelt es sich in der Tat um einen notwendigen
Konflikt. Um den Konflikt zwischen Entwicklungsmöglichkeiten, deren Grund¬
richtungen nicht nur verschiedenartig sind, sondern so sehr auseinanderstreben,
daß sie gleichsam zwei gegensätzliche Ideen erzeugen. Nur in einer von beiden
Richtungen könnte der ausschlaggebende Charakter unserer Wirtschaftspolitik und
überhaupt die führende Idee unserer politischen Entwicklung verlaufen. Nur
eine kann zur Hauptsache werden, die den Schwerpunkt mit sich führt; alles
andere hätte sich dieser Hauptsache unterzuordnen und würde erst durch sie be¬
glaubigt. Die deutsche Nation steht zurzeit in der geschichtlichen Lage, sich ein
für allemal darüber entscheiden zu müssen, wo der Schwerpunkt ihrer Ent¬
wicklungsrichtung künftig liegt: ob in der kolonial-interozeanischen, an die man
sich gewöhnt hatte und die man aus der europäischen Vergangenheit kennt,
oder in jener anderen, von der wir die Witterung haben, daß sie etwas
Neues bedeutet.

AIs führender Eutwicklungsgedanke ist die Kolonialpolitik ein extensiv ge¬
richteter Imperialismus. Dieser Imperialismus hat erfahrungsgemäß immer
das Mutterland, den herrschenden Staat, dezentralisiert. Denn in einer solchen
imperialistischen Idee trifft ihre äußerste Folge, die sogenannte Weltmacht, un¬
mittelbar zusammen mit der Idee. Diese nimmt jene gewissermaßen vorweg.
Von vornherein setzt die Idee ihren Sinn in die letzten Wirkungen einer nach
außen gekehrten Gewalt, die den politischen Entwicklungsgedanken überhaupt
ausmachen und rechtfertigen muß. Endwirkung und das Wesenhafte in der
Entwicklung kommen überein: mit demselben Moment, in dem der Prozeß
anhebt, um sich zu entwickeln, trägt er sich selber, gleichsam seine Materie,, in
das etwaige Ergebnis hinaus, um dort erst nachträglich seine Bedingungen zu
etablieren. Darum stürzte jedesmal die imperialistische Stellung des Mutter¬
staates ein, sobald ein Geschick seinem Reiche den wesentlichen Kolonialbesitz
raubte; und es ist unser Glück gewesen in diesem Kriege, daß der deutsche
Kolonialbesitz noch so jung, so klein und geringfügig war. Es hat uns davor
bewahrt, unsere Wirkungsnotwendigkeiten zerstreuen zu müssen. Wir konnten
den Grund unserer politischen Bedeutung im Innern behalten, so daß der Verlust
der Kolonien den eigentlichen Sitz unserer Macht nicht im geringsten beein¬
trächtigt hat.

Es wird zu einem Verhängnis, wenn ein Volk um abenteuernder "Welt¬
geltung" willen die Sicherheit seines Bestandes preisgibt. Aber ebenso wird
es zu einem Verhängnis, wenn ein cntivicklungsfähiges Volk um seiner un¬
gestörten Sicherheit willen auf Weltwirkungen verzichtet. Und das ist der Vor¬
wurf, den man gegen den mitteleuropäisch-kontinentalen Gedanken erhebt. Der
Vorwurf, daß er unser politisches Gefühl verspießbürgern könnte: weil er selber
seinen Sinn hineinverlegt in einen vorgezeicheten und begrenzten Komplex, so
geschieht es, daß er unsere Entfaltungsmöglichkeiten umzäunt. Ohne Frage trifft


Kolonialherrschaft?

geltung fordern, von welchem Gesichtspunkte aus immer man diese Betätigung
angelegt hätte. Dennoch handelt es sich in der Tat um einen notwendigen
Konflikt. Um den Konflikt zwischen Entwicklungsmöglichkeiten, deren Grund¬
richtungen nicht nur verschiedenartig sind, sondern so sehr auseinanderstreben,
daß sie gleichsam zwei gegensätzliche Ideen erzeugen. Nur in einer von beiden
Richtungen könnte der ausschlaggebende Charakter unserer Wirtschaftspolitik und
überhaupt die führende Idee unserer politischen Entwicklung verlaufen. Nur
eine kann zur Hauptsache werden, die den Schwerpunkt mit sich führt; alles
andere hätte sich dieser Hauptsache unterzuordnen und würde erst durch sie be¬
glaubigt. Die deutsche Nation steht zurzeit in der geschichtlichen Lage, sich ein
für allemal darüber entscheiden zu müssen, wo der Schwerpunkt ihrer Ent¬
wicklungsrichtung künftig liegt: ob in der kolonial-interozeanischen, an die man
sich gewöhnt hatte und die man aus der europäischen Vergangenheit kennt,
oder in jener anderen, von der wir die Witterung haben, daß sie etwas
Neues bedeutet.

AIs führender Eutwicklungsgedanke ist die Kolonialpolitik ein extensiv ge¬
richteter Imperialismus. Dieser Imperialismus hat erfahrungsgemäß immer
das Mutterland, den herrschenden Staat, dezentralisiert. Denn in einer solchen
imperialistischen Idee trifft ihre äußerste Folge, die sogenannte Weltmacht, un¬
mittelbar zusammen mit der Idee. Diese nimmt jene gewissermaßen vorweg.
Von vornherein setzt die Idee ihren Sinn in die letzten Wirkungen einer nach
außen gekehrten Gewalt, die den politischen Entwicklungsgedanken überhaupt
ausmachen und rechtfertigen muß. Endwirkung und das Wesenhafte in der
Entwicklung kommen überein: mit demselben Moment, in dem der Prozeß
anhebt, um sich zu entwickeln, trägt er sich selber, gleichsam seine Materie,, in
das etwaige Ergebnis hinaus, um dort erst nachträglich seine Bedingungen zu
etablieren. Darum stürzte jedesmal die imperialistische Stellung des Mutter¬
staates ein, sobald ein Geschick seinem Reiche den wesentlichen Kolonialbesitz
raubte; und es ist unser Glück gewesen in diesem Kriege, daß der deutsche
Kolonialbesitz noch so jung, so klein und geringfügig war. Es hat uns davor
bewahrt, unsere Wirkungsnotwendigkeiten zerstreuen zu müssen. Wir konnten
den Grund unserer politischen Bedeutung im Innern behalten, so daß der Verlust
der Kolonien den eigentlichen Sitz unserer Macht nicht im geringsten beein¬
trächtigt hat.

Es wird zu einem Verhängnis, wenn ein Volk um abenteuernder „Welt¬
geltung" willen die Sicherheit seines Bestandes preisgibt. Aber ebenso wird
es zu einem Verhängnis, wenn ein cntivicklungsfähiges Volk um seiner un¬
gestörten Sicherheit willen auf Weltwirkungen verzichtet. Und das ist der Vor¬
wurf, den man gegen den mitteleuropäisch-kontinentalen Gedanken erhebt. Der
Vorwurf, daß er unser politisches Gefühl verspießbürgern könnte: weil er selber
seinen Sinn hineinverlegt in einen vorgezeicheten und begrenzten Komplex, so
geschieht es, daß er unsere Entfaltungsmöglichkeiten umzäunt. Ohne Frage trifft


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[0064] Kolonialherrschaft? geltung fordern, von welchem Gesichtspunkte aus immer man diese Betätigung angelegt hätte. Dennoch handelt es sich in der Tat um einen notwendigen Konflikt. Um den Konflikt zwischen Entwicklungsmöglichkeiten, deren Grund¬ richtungen nicht nur verschiedenartig sind, sondern so sehr auseinanderstreben, daß sie gleichsam zwei gegensätzliche Ideen erzeugen. Nur in einer von beiden Richtungen könnte der ausschlaggebende Charakter unserer Wirtschaftspolitik und überhaupt die führende Idee unserer politischen Entwicklung verlaufen. Nur eine kann zur Hauptsache werden, die den Schwerpunkt mit sich führt; alles andere hätte sich dieser Hauptsache unterzuordnen und würde erst durch sie be¬ glaubigt. Die deutsche Nation steht zurzeit in der geschichtlichen Lage, sich ein für allemal darüber entscheiden zu müssen, wo der Schwerpunkt ihrer Ent¬ wicklungsrichtung künftig liegt: ob in der kolonial-interozeanischen, an die man sich gewöhnt hatte und die man aus der europäischen Vergangenheit kennt, oder in jener anderen, von der wir die Witterung haben, daß sie etwas Neues bedeutet. AIs führender Eutwicklungsgedanke ist die Kolonialpolitik ein extensiv ge¬ richteter Imperialismus. Dieser Imperialismus hat erfahrungsgemäß immer das Mutterland, den herrschenden Staat, dezentralisiert. Denn in einer solchen imperialistischen Idee trifft ihre äußerste Folge, die sogenannte Weltmacht, un¬ mittelbar zusammen mit der Idee. Diese nimmt jene gewissermaßen vorweg. Von vornherein setzt die Idee ihren Sinn in die letzten Wirkungen einer nach außen gekehrten Gewalt, die den politischen Entwicklungsgedanken überhaupt ausmachen und rechtfertigen muß. Endwirkung und das Wesenhafte in der Entwicklung kommen überein: mit demselben Moment, in dem der Prozeß anhebt, um sich zu entwickeln, trägt er sich selber, gleichsam seine Materie,, in das etwaige Ergebnis hinaus, um dort erst nachträglich seine Bedingungen zu etablieren. Darum stürzte jedesmal die imperialistische Stellung des Mutter¬ staates ein, sobald ein Geschick seinem Reiche den wesentlichen Kolonialbesitz raubte; und es ist unser Glück gewesen in diesem Kriege, daß der deutsche Kolonialbesitz noch so jung, so klein und geringfügig war. Es hat uns davor bewahrt, unsere Wirkungsnotwendigkeiten zerstreuen zu müssen. Wir konnten den Grund unserer politischen Bedeutung im Innern behalten, so daß der Verlust der Kolonien den eigentlichen Sitz unserer Macht nicht im geringsten beein¬ trächtigt hat. Es wird zu einem Verhängnis, wenn ein Volk um abenteuernder „Welt¬ geltung" willen die Sicherheit seines Bestandes preisgibt. Aber ebenso wird es zu einem Verhängnis, wenn ein cntivicklungsfähiges Volk um seiner un¬ gestörten Sicherheit willen auf Weltwirkungen verzichtet. Und das ist der Vor¬ wurf, den man gegen den mitteleuropäisch-kontinentalen Gedanken erhebt. Der Vorwurf, daß er unser politisches Gefühl verspießbürgern könnte: weil er selber seinen Sinn hineinverlegt in einen vorgezeicheten und begrenzten Komplex, so geschieht es, daß er unsere Entfaltungsmöglichkeiten umzäunt. Ohne Frage trifft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/64>, abgerufen am 01.07.2024.