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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Kolonialherrschaft?

Fraglos ist der Mitteleuropa- und Berlin--Bagdad-Gedanke noch immer
"beliebt". Gewiß, man weiß, daß es sich um eine Fortsetzung und Festigung
unserer militärischen Bündnispolitik in die Friedenszeiten hinaus und um ehre
wirtschaftlichen Vertiefungen handelt, und nicht das geringste hätte man dagegen
zu sagen. Aber die große Menge verfiel noch niemals auf die Erwägung, ob
nun diese bloße Wirtschafts- und Bündnispolitik mit der wirklich großen Politik
unserer eigenen Entwicklung in einem anderen, als nur indirekten Zusammen¬
hang stehe. Denn schließlich gehen die "Einzelheiten", wie gemeint wird, nur
Kaufleute und Militärs etwas an. Wer unter den Gebildeten der Masse des
deutschen Volkes -- abgesehen von den immerhin Wenigen, die sich mit chrer
Arbeit für oder gegen die Verwirklichung des Gedankens einsetzen. -- mag wohl
eine Vorstellung davon haben, wie sehr diese Verwirklichung ein selbständiges,
für sich gültiges Ergebnis des Krieges darstellen würde? Und wer von den
Vielen käme wohl von selber auf die Idee, daß es überhaupt das wesenhafte
und eigentliche Ergebnis dieses Krieges sein müßte?

Davon ist nichts in das Volksbewußtsein gedrungen. Und es hat nicht
zu einer inneren Angelegenheit der Nation werden können, weil nicht einmal
die volle Bedeutung des ganzen Problems klar hingestellt worden ist. Dre
Schuld daran liegt' zum großen Teile in folgendem Umstand. Im Grunde hat
sich niemand unter den Verlüudern der Mitteleuropa- und VorderasienpoKtt!
so recht getraut, es zu begreifen oder offen zu bekennen, daß diese Politik einen
Bruch mit unserer kolonialpolitischen Richtung aus der Zeit vor dem Kriege
hervorrufen würde. Diesen Entwicklungsgegensatz hatten indessen die Kolonial¬
politiker von Anbeginn sehr scharf verstanden. Die höfliche Zurückhaltung, die
sie äußerlich wahren, kann ihre ablehnende Kälte und den festen Nachdruck ihres
Mderstrebens durchaus nicht verbergen. Selbst alle Versuche einer bloßen
wirtschaftlichen Annäherung zwischen den Mächten des Vierbundes finden auch
heute noch unter den Kolonialpolitikern ihre vorsichtigsten Beurteiler und heim¬
lichen Gegner. Erst hinter diesen kolonialpolitischen Gründen suchen die Wirt¬
schaftsinteressenten, soweit sie sich sträuben. Deckung für ihre besonderen Motive.
Und diese Gegnerschaft unserer jungen kolonialpolitischen Tradition hat von
ihrem Standpunkte aus vollkommen recht. Denn sie beruht auf der richtigen
Erkenntnis, daß das Ganze eine Wandlung sein müßte, welche die Tradition
als solche aufhebt und ihr widerstreitet.

Am auffallendsten erschien eine Drehung oder Verschiebung der politischen
Front ins Kontinentale. Es liegt zwar keineswegs so, daß diese kontinentale
Drehung einen jeden Kolonialbetrieb überflüssig oder gar unmöglich macht.
Kolonialpolitik und das andere schließen sich nicht völlig aus, und es kann
keine Rede davon sein, als ob die Kolonien nun einfach abgeschafft und auf
Seegeltung Verzicht getan werden sollte. Die Fortsetzung unserer Flottenmacht
hat mit der Frage überhaupt nichts zu tun. Denn eine jede großpolitische
Betätigung würde durch ihre innere Logik stets wieder Seegewalt oder See-


Kolonialherrschaft?

Fraglos ist der Mitteleuropa- und Berlin—Bagdad-Gedanke noch immer
„beliebt". Gewiß, man weiß, daß es sich um eine Fortsetzung und Festigung
unserer militärischen Bündnispolitik in die Friedenszeiten hinaus und um ehre
wirtschaftlichen Vertiefungen handelt, und nicht das geringste hätte man dagegen
zu sagen. Aber die große Menge verfiel noch niemals auf die Erwägung, ob
nun diese bloße Wirtschafts- und Bündnispolitik mit der wirklich großen Politik
unserer eigenen Entwicklung in einem anderen, als nur indirekten Zusammen¬
hang stehe. Denn schließlich gehen die „Einzelheiten", wie gemeint wird, nur
Kaufleute und Militärs etwas an. Wer unter den Gebildeten der Masse des
deutschen Volkes — abgesehen von den immerhin Wenigen, die sich mit chrer
Arbeit für oder gegen die Verwirklichung des Gedankens einsetzen. — mag wohl
eine Vorstellung davon haben, wie sehr diese Verwirklichung ein selbständiges,
für sich gültiges Ergebnis des Krieges darstellen würde? Und wer von den
Vielen käme wohl von selber auf die Idee, daß es überhaupt das wesenhafte
und eigentliche Ergebnis dieses Krieges sein müßte?

Davon ist nichts in das Volksbewußtsein gedrungen. Und es hat nicht
zu einer inneren Angelegenheit der Nation werden können, weil nicht einmal
die volle Bedeutung des ganzen Problems klar hingestellt worden ist. Dre
Schuld daran liegt' zum großen Teile in folgendem Umstand. Im Grunde hat
sich niemand unter den Verlüudern der Mitteleuropa- und VorderasienpoKtt!
so recht getraut, es zu begreifen oder offen zu bekennen, daß diese Politik einen
Bruch mit unserer kolonialpolitischen Richtung aus der Zeit vor dem Kriege
hervorrufen würde. Diesen Entwicklungsgegensatz hatten indessen die Kolonial¬
politiker von Anbeginn sehr scharf verstanden. Die höfliche Zurückhaltung, die
sie äußerlich wahren, kann ihre ablehnende Kälte und den festen Nachdruck ihres
Mderstrebens durchaus nicht verbergen. Selbst alle Versuche einer bloßen
wirtschaftlichen Annäherung zwischen den Mächten des Vierbundes finden auch
heute noch unter den Kolonialpolitikern ihre vorsichtigsten Beurteiler und heim¬
lichen Gegner. Erst hinter diesen kolonialpolitischen Gründen suchen die Wirt¬
schaftsinteressenten, soweit sie sich sträuben. Deckung für ihre besonderen Motive.
Und diese Gegnerschaft unserer jungen kolonialpolitischen Tradition hat von
ihrem Standpunkte aus vollkommen recht. Denn sie beruht auf der richtigen
Erkenntnis, daß das Ganze eine Wandlung sein müßte, welche die Tradition
als solche aufhebt und ihr widerstreitet.

Am auffallendsten erschien eine Drehung oder Verschiebung der politischen
Front ins Kontinentale. Es liegt zwar keineswegs so, daß diese kontinentale
Drehung einen jeden Kolonialbetrieb überflüssig oder gar unmöglich macht.
Kolonialpolitik und das andere schließen sich nicht völlig aus, und es kann
keine Rede davon sein, als ob die Kolonien nun einfach abgeschafft und auf
Seegeltung Verzicht getan werden sollte. Die Fortsetzung unserer Flottenmacht
hat mit der Frage überhaupt nichts zu tun. Denn eine jede großpolitische
Betätigung würde durch ihre innere Logik stets wieder Seegewalt oder See-


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[0063] Kolonialherrschaft? Fraglos ist der Mitteleuropa- und Berlin—Bagdad-Gedanke noch immer „beliebt". Gewiß, man weiß, daß es sich um eine Fortsetzung und Festigung unserer militärischen Bündnispolitik in die Friedenszeiten hinaus und um ehre wirtschaftlichen Vertiefungen handelt, und nicht das geringste hätte man dagegen zu sagen. Aber die große Menge verfiel noch niemals auf die Erwägung, ob nun diese bloße Wirtschafts- und Bündnispolitik mit der wirklich großen Politik unserer eigenen Entwicklung in einem anderen, als nur indirekten Zusammen¬ hang stehe. Denn schließlich gehen die „Einzelheiten", wie gemeint wird, nur Kaufleute und Militärs etwas an. Wer unter den Gebildeten der Masse des deutschen Volkes — abgesehen von den immerhin Wenigen, die sich mit chrer Arbeit für oder gegen die Verwirklichung des Gedankens einsetzen. — mag wohl eine Vorstellung davon haben, wie sehr diese Verwirklichung ein selbständiges, für sich gültiges Ergebnis des Krieges darstellen würde? Und wer von den Vielen käme wohl von selber auf die Idee, daß es überhaupt das wesenhafte und eigentliche Ergebnis dieses Krieges sein müßte? Davon ist nichts in das Volksbewußtsein gedrungen. Und es hat nicht zu einer inneren Angelegenheit der Nation werden können, weil nicht einmal die volle Bedeutung des ganzen Problems klar hingestellt worden ist. Dre Schuld daran liegt' zum großen Teile in folgendem Umstand. Im Grunde hat sich niemand unter den Verlüudern der Mitteleuropa- und VorderasienpoKtt! so recht getraut, es zu begreifen oder offen zu bekennen, daß diese Politik einen Bruch mit unserer kolonialpolitischen Richtung aus der Zeit vor dem Kriege hervorrufen würde. Diesen Entwicklungsgegensatz hatten indessen die Kolonial¬ politiker von Anbeginn sehr scharf verstanden. Die höfliche Zurückhaltung, die sie äußerlich wahren, kann ihre ablehnende Kälte und den festen Nachdruck ihres Mderstrebens durchaus nicht verbergen. Selbst alle Versuche einer bloßen wirtschaftlichen Annäherung zwischen den Mächten des Vierbundes finden auch heute noch unter den Kolonialpolitikern ihre vorsichtigsten Beurteiler und heim¬ lichen Gegner. Erst hinter diesen kolonialpolitischen Gründen suchen die Wirt¬ schaftsinteressenten, soweit sie sich sträuben. Deckung für ihre besonderen Motive. Und diese Gegnerschaft unserer jungen kolonialpolitischen Tradition hat von ihrem Standpunkte aus vollkommen recht. Denn sie beruht auf der richtigen Erkenntnis, daß das Ganze eine Wandlung sein müßte, welche die Tradition als solche aufhebt und ihr widerstreitet. Am auffallendsten erschien eine Drehung oder Verschiebung der politischen Front ins Kontinentale. Es liegt zwar keineswegs so, daß diese kontinentale Drehung einen jeden Kolonialbetrieb überflüssig oder gar unmöglich macht. Kolonialpolitik und das andere schließen sich nicht völlig aus, und es kann keine Rede davon sein, als ob die Kolonien nun einfach abgeschafft und auf Seegeltung Verzicht getan werden sollte. Die Fortsetzung unserer Flottenmacht hat mit der Frage überhaupt nichts zu tun. Denn eine jede großpolitische Betätigung würde durch ihre innere Logik stets wieder Seegewalt oder See-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/63>, abgerufen am 01.07.2024.