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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Kolonialh errschaft?

koloniale Wesen zu bilden, das eine in Afrika und das andere in Ozeanien.
Und man muß sagen, daß das ozeanische Kolomalwesen weit methodischer als
das afrikanische angelegt wurde. Doch heute ist davon nichts mehr übrig.

Die Frage nach dem künftigen Schicksal unserer alten Kolonien und nach
neuem kolonialen Erwerb nimmt in der gegenwärtigen Erörterung der Kriegs¬
ziele einen ebenso breiten Raum ein. wie das Interesse für die neuen Reichs¬
grenzen und die Zukunft der eroberten Europagebiete. Beide Fragenkomplexe
stehen ja auch schließlich durch die Austauschmöglichkeiten in einer äußeren Be¬
ziehung. Für die innerliche Beschäftigung des Publikums mit diesen Dingen
hat auf jeden Fall der Gedanke der Kolonialpolitik immer noch oder schon
wieder ein viel stärkeres Gewicht, als es ein anderer politischer Gedanke, der
in den beiden Schlagwörtern "von Berlin bis Bagdad" und "Mitteleuropa"
enthalten liegt, jemals aufbringen könnte. Naumanns bekanntes Buch und die
Freilegung unserer Verbindung mit Konstantinopel brachten diese Schlagwörter
einst in die Öffentlichkeit. Der praktische Gehalt des ganzen Gedankens kreist
mit mannigfachen Zwischenstadien um zwei Extreme, die sich eben in jenen
beiden Schlagwörtern ausdrücken. Er spaltete sich von vornherein in eine
nüchterne Selbstbeschränkung und in eine ideologische Steigerung und Weitung.
Jene schließt das Schwergewicht ein in das Wirtschaftsleben des engeren Mittel¬
europa, und diese verlegt das Schwergewicht in das Politisch-Geniale. Die
am meisten Erfüllten schwärmten damals von einem neuen Ghibellinentum und
sahen schon das moderne ghibellinische Reich von Antwerpen und Hamburg
bis nach Arabien. Eine Wiedergeburt der Mittelmeer- und Orientpolitik der
Hohenstaufenkaiser wurde geweissagt. Aber nur eine schwankende oder vor¬
übergehende Zeitungsmodernität wurde erreicht. Das ungewiß Schwankende
dieser Anerkennung und Geltung drückt sich deutlich genug darin aus, daß schon
das bloße Interesse immer von den Kriegsereignissen abhängig blieb. Im Ver¬
laufe des Jahres 1915, während der östlichen Expansion unserer Heere und
der Balkan- und Dardanellenkämpfe, gruppierte sich das Interesse um ein kon¬
tinentales Motiv: es erwies sich für das "neue Ziel" einigermaßen empfänglich.
In jenen Monaten entstand auch die Frage nach der Ost- und Westorientierung
und nach dem "Hauptfeind". In demselben Grade aber, in dem man mehr
und mehr England als den Hauptfeind erkannte, wandte sich die Aufmerksamkeit
von den innereuropäischen und vorderasiatischen Angelegenheiten ab, um zurück¬
zukehren zu vorwiegend maritimen und kolonialpolitischen Dingen. Einfach auf
Grund einer Jdeenassoziation. Denn seit jeher waren dieselben Kreise, die
England gegenüber eine von Neid getragene Bewunderung oder von Bewun¬
derung getragene Feindschaft empfanden, auch die heftigsten Wortführer des
Kolonialimperialismus gewesen. Die mitteleuropäischen Wirtschaftsfragen haben
längst begonnen langweilig zu werden, und seit dem Verlust Bagdads möchte
man von Mesopotamien kein Wesen mehr machen und am liebsten so tun, als
ob man sich eigentlich gar nichts Großes dabei gedacht hätte.


Kolonialh errschaft?

koloniale Wesen zu bilden, das eine in Afrika und das andere in Ozeanien.
Und man muß sagen, daß das ozeanische Kolomalwesen weit methodischer als
das afrikanische angelegt wurde. Doch heute ist davon nichts mehr übrig.

Die Frage nach dem künftigen Schicksal unserer alten Kolonien und nach
neuem kolonialen Erwerb nimmt in der gegenwärtigen Erörterung der Kriegs¬
ziele einen ebenso breiten Raum ein. wie das Interesse für die neuen Reichs¬
grenzen und die Zukunft der eroberten Europagebiete. Beide Fragenkomplexe
stehen ja auch schließlich durch die Austauschmöglichkeiten in einer äußeren Be¬
ziehung. Für die innerliche Beschäftigung des Publikums mit diesen Dingen
hat auf jeden Fall der Gedanke der Kolonialpolitik immer noch oder schon
wieder ein viel stärkeres Gewicht, als es ein anderer politischer Gedanke, der
in den beiden Schlagwörtern „von Berlin bis Bagdad" und „Mitteleuropa"
enthalten liegt, jemals aufbringen könnte. Naumanns bekanntes Buch und die
Freilegung unserer Verbindung mit Konstantinopel brachten diese Schlagwörter
einst in die Öffentlichkeit. Der praktische Gehalt des ganzen Gedankens kreist
mit mannigfachen Zwischenstadien um zwei Extreme, die sich eben in jenen
beiden Schlagwörtern ausdrücken. Er spaltete sich von vornherein in eine
nüchterne Selbstbeschränkung und in eine ideologische Steigerung und Weitung.
Jene schließt das Schwergewicht ein in das Wirtschaftsleben des engeren Mittel¬
europa, und diese verlegt das Schwergewicht in das Politisch-Geniale. Die
am meisten Erfüllten schwärmten damals von einem neuen Ghibellinentum und
sahen schon das moderne ghibellinische Reich von Antwerpen und Hamburg
bis nach Arabien. Eine Wiedergeburt der Mittelmeer- und Orientpolitik der
Hohenstaufenkaiser wurde geweissagt. Aber nur eine schwankende oder vor¬
übergehende Zeitungsmodernität wurde erreicht. Das ungewiß Schwankende
dieser Anerkennung und Geltung drückt sich deutlich genug darin aus, daß schon
das bloße Interesse immer von den Kriegsereignissen abhängig blieb. Im Ver¬
laufe des Jahres 1915, während der östlichen Expansion unserer Heere und
der Balkan- und Dardanellenkämpfe, gruppierte sich das Interesse um ein kon¬
tinentales Motiv: es erwies sich für das „neue Ziel" einigermaßen empfänglich.
In jenen Monaten entstand auch die Frage nach der Ost- und Westorientierung
und nach dem „Hauptfeind". In demselben Grade aber, in dem man mehr
und mehr England als den Hauptfeind erkannte, wandte sich die Aufmerksamkeit
von den innereuropäischen und vorderasiatischen Angelegenheiten ab, um zurück¬
zukehren zu vorwiegend maritimen und kolonialpolitischen Dingen. Einfach auf
Grund einer Jdeenassoziation. Denn seit jeher waren dieselben Kreise, die
England gegenüber eine von Neid getragene Bewunderung oder von Bewun¬
derung getragene Feindschaft empfanden, auch die heftigsten Wortführer des
Kolonialimperialismus gewesen. Die mitteleuropäischen Wirtschaftsfragen haben
längst begonnen langweilig zu werden, und seit dem Verlust Bagdads möchte
man von Mesopotamien kein Wesen mehr machen und am liebsten so tun, als
ob man sich eigentlich gar nichts Großes dabei gedacht hätte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/62>, abgerufen am 01.07.2024.