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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Kolonialherrschaft?
von v7. Uarl qoffmann

!s ist ein Entwicklungsgesetz in der Geschichte, daß eine jede politisch
! leistungsfähige Nation, sobald ihr Dasein sich "saturiert hat.
nach einer übernationalen Aufgabe greift. Man nennt das ihre
imperialistische Entfaltung. Das Imperium ist eine übernationale
^ Sozialschöpfung durch das vorherrschende Volk.

Als das Volk der Deutschen seinen hundertjährigen Traum erfüllt und
seine Einheit vollbracht hatte, sah es sich plötzlich als nationaler Großstaat
mitten in die WeMufte versetzt, ohne eine neue und selbständige Aufgabe zu
haben. Es fühlte den inneren Zwang, imperinmartig zu leben, und wußte
nicht, wie es das anfangen sollte. Darum machte es nach, was es bei den
anderen sah. Es begann, ein Kolonialreich herzustellen. So bescheiden die
Anfänge unserer bisherigen Kolonialpolitik nun immerhin blieben, sie sind doch
Anfänge einer prinzipiell gewollten. bewußten imperialistischen Entwicklungs¬
richtung gewesen. Und Kolonialpolitik als Prinzip des Imperialismus, das
bedeutet ihre Ausführung zu jenem überozeanischen und gleichsam universalen
System, wie es die neueren Völker Europas seit vier Jahrhunderten hervor¬
gebracht hatten. Sie bedeutet einen interkontinentalen Imperialismus zum
Zwecke der merkantilen Nutznießung unterworfener Länder, wie ihn das eng^
lische Reich in vollkommenster Weise zum Ausdruck bringt, mit all semen
Leistungsmöglichkeiten und seinen Schwächen. Wir können es getrost ein-
gestehen. daß wir in den Jahrzehnten vor dem Kriege diesen englischen Im¬
perialismus nachzuahmen versuchten. Gerade im letzten Jahrzehnt war der
Gedanke kolonialer Entfaltung über die Meere hinweg zu einem Gemeingut
des Volkes geworden. Unsere nationale Sehnsucht, zu gelten und gestalten zu
wollen, fand ihre Auslebung in liebgewordenen Bildern von der Seegewalt des
Reiches und von deutschen Kreuzern, die in allen Meeren heimisch sind und
schwarzen, bräunlichen und gelben Menschen Achtung und Furcht vor einem
großen weißen Sultan und dankbares Zutrauen zu der Überlegenheit deutschen
Könnens einflößen. Man nannte das Weltpolitik.

Für alle ehrlichen deutschen Imperialisten war England das Vorbild.
Aber nicht im geringsten ist es den Deutschen gelungen, ein stabiles Kolonial¬
reich oder auch nur die Grundlagen dafür zu erschaffen. Es gelang ihnen nur,
zwei kleine, sozusagen voneinander getrennte und in sich selbst nicht kompakte


Grenzboten III 1S17


Kolonialherrschaft?
von v7. Uarl qoffmann

!s ist ein Entwicklungsgesetz in der Geschichte, daß eine jede politisch
! leistungsfähige Nation, sobald ihr Dasein sich „saturiert hat.
nach einer übernationalen Aufgabe greift. Man nennt das ihre
imperialistische Entfaltung. Das Imperium ist eine übernationale
^ Sozialschöpfung durch das vorherrschende Volk.

Als das Volk der Deutschen seinen hundertjährigen Traum erfüllt und
seine Einheit vollbracht hatte, sah es sich plötzlich als nationaler Großstaat
mitten in die WeMufte versetzt, ohne eine neue und selbständige Aufgabe zu
haben. Es fühlte den inneren Zwang, imperinmartig zu leben, und wußte
nicht, wie es das anfangen sollte. Darum machte es nach, was es bei den
anderen sah. Es begann, ein Kolonialreich herzustellen. So bescheiden die
Anfänge unserer bisherigen Kolonialpolitik nun immerhin blieben, sie sind doch
Anfänge einer prinzipiell gewollten. bewußten imperialistischen Entwicklungs¬
richtung gewesen. Und Kolonialpolitik als Prinzip des Imperialismus, das
bedeutet ihre Ausführung zu jenem überozeanischen und gleichsam universalen
System, wie es die neueren Völker Europas seit vier Jahrhunderten hervor¬
gebracht hatten. Sie bedeutet einen interkontinentalen Imperialismus zum
Zwecke der merkantilen Nutznießung unterworfener Länder, wie ihn das eng^
lische Reich in vollkommenster Weise zum Ausdruck bringt, mit all semen
Leistungsmöglichkeiten und seinen Schwächen. Wir können es getrost ein-
gestehen. daß wir in den Jahrzehnten vor dem Kriege diesen englischen Im¬
perialismus nachzuahmen versuchten. Gerade im letzten Jahrzehnt war der
Gedanke kolonialer Entfaltung über die Meere hinweg zu einem Gemeingut
des Volkes geworden. Unsere nationale Sehnsucht, zu gelten und gestalten zu
wollen, fand ihre Auslebung in liebgewordenen Bildern von der Seegewalt des
Reiches und von deutschen Kreuzern, die in allen Meeren heimisch sind und
schwarzen, bräunlichen und gelben Menschen Achtung und Furcht vor einem
großen weißen Sultan und dankbares Zutrauen zu der Überlegenheit deutschen
Könnens einflößen. Man nannte das Weltpolitik.

Für alle ehrlichen deutschen Imperialisten war England das Vorbild.
Aber nicht im geringsten ist es den Deutschen gelungen, ein stabiles Kolonial¬
reich oder auch nur die Grundlagen dafür zu erschaffen. Es gelang ihnen nur,
zwei kleine, sozusagen voneinander getrennte und in sich selbst nicht kompakte


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[0061] [Abbildung] Kolonialherrschaft? von v7. Uarl qoffmann !s ist ein Entwicklungsgesetz in der Geschichte, daß eine jede politisch ! leistungsfähige Nation, sobald ihr Dasein sich „saturiert hat. nach einer übernationalen Aufgabe greift. Man nennt das ihre imperialistische Entfaltung. Das Imperium ist eine übernationale ^ Sozialschöpfung durch das vorherrschende Volk. Als das Volk der Deutschen seinen hundertjährigen Traum erfüllt und seine Einheit vollbracht hatte, sah es sich plötzlich als nationaler Großstaat mitten in die WeMufte versetzt, ohne eine neue und selbständige Aufgabe zu haben. Es fühlte den inneren Zwang, imperinmartig zu leben, und wußte nicht, wie es das anfangen sollte. Darum machte es nach, was es bei den anderen sah. Es begann, ein Kolonialreich herzustellen. So bescheiden die Anfänge unserer bisherigen Kolonialpolitik nun immerhin blieben, sie sind doch Anfänge einer prinzipiell gewollten. bewußten imperialistischen Entwicklungs¬ richtung gewesen. Und Kolonialpolitik als Prinzip des Imperialismus, das bedeutet ihre Ausführung zu jenem überozeanischen und gleichsam universalen System, wie es die neueren Völker Europas seit vier Jahrhunderten hervor¬ gebracht hatten. Sie bedeutet einen interkontinentalen Imperialismus zum Zwecke der merkantilen Nutznießung unterworfener Länder, wie ihn das eng^ lische Reich in vollkommenster Weise zum Ausdruck bringt, mit all semen Leistungsmöglichkeiten und seinen Schwächen. Wir können es getrost ein- gestehen. daß wir in den Jahrzehnten vor dem Kriege diesen englischen Im¬ perialismus nachzuahmen versuchten. Gerade im letzten Jahrzehnt war der Gedanke kolonialer Entfaltung über die Meere hinweg zu einem Gemeingut des Volkes geworden. Unsere nationale Sehnsucht, zu gelten und gestalten zu wollen, fand ihre Auslebung in liebgewordenen Bildern von der Seegewalt des Reiches und von deutschen Kreuzern, die in allen Meeren heimisch sind und schwarzen, bräunlichen und gelben Menschen Achtung und Furcht vor einem großen weißen Sultan und dankbares Zutrauen zu der Überlegenheit deutschen Könnens einflößen. Man nannte das Weltpolitik. Für alle ehrlichen deutschen Imperialisten war England das Vorbild. Aber nicht im geringsten ist es den Deutschen gelungen, ein stabiles Kolonial¬ reich oder auch nur die Grundlagen dafür zu erschaffen. Es gelang ihnen nur, zwei kleine, sozusagen voneinander getrennte und in sich selbst nicht kompakte Grenzboten III 1S17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/61>, abgerufen am 01.07.2024.