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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Nachklänge zu den offenen Briefen an Herrn von Heydebrand

Aber zwischen Kritik und systematischer Herabsetzung ist noch ein himmelweiter
Unterschiedi Meinerseits stehe ich auf dem Bismarckschen Standpunkte, den ich
schon in meinen offenen Briefen dargelegt habe, daß die konservative Partei,
zumal in einer so unsäglich schweren und verantwortungsvollen Zeit wie der
gegenwärtigen, die auch den Parteien eine um das Vielfache gesteigerte Ver¬
antwortung auferlegt, nie den Gesichtspunkt aus dem Auge verlieren darf,
daß ihre vornehmste Aufgabe immer ist und bleibt, die Autorität der Regierung
zu stützen, und daß sie darum auch mit ihrer Kritik vorsichtiger und zurück¬
haltender sein muß wie jede andere Partei.

Nach allen diesen Ausführungen glaube ich unbedingt in Anspruch nehmen
zu dürfen, daß ich bei meinen offenen Briefen an Herrn von Heydebrand von
rein konservativen Grundanschauungen ausgegangen bin. Ja, ich glaube, daß
ich mich selbst in taktischen Fragen wie in der Frage des Ausmaßes und des
Tempos unserer Sozialpolitik, in der Frage der Behandlung der Sozialdemokratie
von den besten Traditionen der konservativen Partei weniger weit entfernt
wie, vorsichtig ausgedrückt, ein Teil der heutigen konservativen Presse. Weiß
denn die "Kreuzzeitung" nicht mehr, wie freudig sie in den achtziger Jahren
einer kühn vorwärtsschreitenden Sozialreform zugestimmt hat. und wie bitter
sie es noch in den neunziger Jahren empfand, daß die Bureaukratie "die
großen Anregungen der beiden Kaiser Wilhelm auf sozialem Gebiete nach und
nach immer mehr im Sande verlaufen ließ," daß die Bureaukratie weiter -- auch
diese Reminiszenz ist heute am Platze -- "die Ansturme gegen die gefahr¬
drohende, stets zunehmende Latifundienbildung (I) im Keime erstickte?" Weiß
die "Kreuzzeitung" gar nicht mehr, wie sehr sie einst Stöcker zugejubklt hat,
der, mag man sonst zu ihm stehen wie man will, doch einer unserer gro߬
herzigsten, wärmsten und eifrigsten Sozialpolitiker gewesen ist? Freilich, eben
darum ist ja auch Stöckers Bleibens schließlich nicht mehr in der konservativen
Partei gewesen. Wie bitterlich hat es Stöcker in seiner Rede vom 24. Januar
1899 mit deutlichem Hinweis auf seine früheren Parteigenossen beklagt, daß
von dieser einstigen Größe, von diesem Christentum, von diesem Gewissensgeist
der sozialen Arbeit nur so wenig noch zu spüren sei. Was würde Stöcker erst
heutigen Tages sagen! Ich halte mich völlig überzeugt, daß ein Stöcker, daß
ein Heinrich Engel und die anderen konservativen Männer alle, die die großen
sozialen Traditionen der konservcitipen Partei verkörpern, heute gleich mir ihr
vornehmstes Ziel darin sehen würden, die Staatsfeindschaft der sozialdemokratisch
geführten Massen innerlich zu überwinden. Ich lebe sogar des Glaubens, daß
sie die von mir zu diesem Zweck eingeschlagenen Wege durchaus billigen würden;
hat doch auch ein Stöcker sich wiederholt für eine weitgehende Berücksichtigung
der Arbeitersorderungen, insbesondere auch für das volle und uneingeschränkte
Koalitionsrecht ausgesprochen! Das eine ist jedenfalls ganz gewiß, daß er
Auffassungen, wie sie der Abgeordnete Graef heute in der "Kreuzzeitung" vor-
n'ügt, auf das allerentschiedenste bekämpfen und verwerfen würde. Man traut


Nachklänge zu den offenen Briefen an Herrn von Heydebrand

Aber zwischen Kritik und systematischer Herabsetzung ist noch ein himmelweiter
Unterschiedi Meinerseits stehe ich auf dem Bismarckschen Standpunkte, den ich
schon in meinen offenen Briefen dargelegt habe, daß die konservative Partei,
zumal in einer so unsäglich schweren und verantwortungsvollen Zeit wie der
gegenwärtigen, die auch den Parteien eine um das Vielfache gesteigerte Ver¬
antwortung auferlegt, nie den Gesichtspunkt aus dem Auge verlieren darf,
daß ihre vornehmste Aufgabe immer ist und bleibt, die Autorität der Regierung
zu stützen, und daß sie darum auch mit ihrer Kritik vorsichtiger und zurück¬
haltender sein muß wie jede andere Partei.

Nach allen diesen Ausführungen glaube ich unbedingt in Anspruch nehmen
zu dürfen, daß ich bei meinen offenen Briefen an Herrn von Heydebrand von
rein konservativen Grundanschauungen ausgegangen bin. Ja, ich glaube, daß
ich mich selbst in taktischen Fragen wie in der Frage des Ausmaßes und des
Tempos unserer Sozialpolitik, in der Frage der Behandlung der Sozialdemokratie
von den besten Traditionen der konservativen Partei weniger weit entfernt
wie, vorsichtig ausgedrückt, ein Teil der heutigen konservativen Presse. Weiß
denn die „Kreuzzeitung" nicht mehr, wie freudig sie in den achtziger Jahren
einer kühn vorwärtsschreitenden Sozialreform zugestimmt hat. und wie bitter
sie es noch in den neunziger Jahren empfand, daß die Bureaukratie „die
großen Anregungen der beiden Kaiser Wilhelm auf sozialem Gebiete nach und
nach immer mehr im Sande verlaufen ließ," daß die Bureaukratie weiter — auch
diese Reminiszenz ist heute am Platze — „die Ansturme gegen die gefahr¬
drohende, stets zunehmende Latifundienbildung (I) im Keime erstickte?" Weiß
die „Kreuzzeitung" gar nicht mehr, wie sehr sie einst Stöcker zugejubklt hat,
der, mag man sonst zu ihm stehen wie man will, doch einer unserer gro߬
herzigsten, wärmsten und eifrigsten Sozialpolitiker gewesen ist? Freilich, eben
darum ist ja auch Stöckers Bleibens schließlich nicht mehr in der konservativen
Partei gewesen. Wie bitterlich hat es Stöcker in seiner Rede vom 24. Januar
1899 mit deutlichem Hinweis auf seine früheren Parteigenossen beklagt, daß
von dieser einstigen Größe, von diesem Christentum, von diesem Gewissensgeist
der sozialen Arbeit nur so wenig noch zu spüren sei. Was würde Stöcker erst
heutigen Tages sagen! Ich halte mich völlig überzeugt, daß ein Stöcker, daß
ein Heinrich Engel und die anderen konservativen Männer alle, die die großen
sozialen Traditionen der konservcitipen Partei verkörpern, heute gleich mir ihr
vornehmstes Ziel darin sehen würden, die Staatsfeindschaft der sozialdemokratisch
geführten Massen innerlich zu überwinden. Ich lebe sogar des Glaubens, daß
sie die von mir zu diesem Zweck eingeschlagenen Wege durchaus billigen würden;
hat doch auch ein Stöcker sich wiederholt für eine weitgehende Berücksichtigung
der Arbeitersorderungen, insbesondere auch für das volle und uneingeschränkte
Koalitionsrecht ausgesprochen! Das eine ist jedenfalls ganz gewiß, daß er
Auffassungen, wie sie der Abgeordnete Graef heute in der „Kreuzzeitung" vor-
n'ügt, auf das allerentschiedenste bekämpfen und verwerfen würde. Man traut


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[0058] Nachklänge zu den offenen Briefen an Herrn von Heydebrand Aber zwischen Kritik und systematischer Herabsetzung ist noch ein himmelweiter Unterschiedi Meinerseits stehe ich auf dem Bismarckschen Standpunkte, den ich schon in meinen offenen Briefen dargelegt habe, daß die konservative Partei, zumal in einer so unsäglich schweren und verantwortungsvollen Zeit wie der gegenwärtigen, die auch den Parteien eine um das Vielfache gesteigerte Ver¬ antwortung auferlegt, nie den Gesichtspunkt aus dem Auge verlieren darf, daß ihre vornehmste Aufgabe immer ist und bleibt, die Autorität der Regierung zu stützen, und daß sie darum auch mit ihrer Kritik vorsichtiger und zurück¬ haltender sein muß wie jede andere Partei. Nach allen diesen Ausführungen glaube ich unbedingt in Anspruch nehmen zu dürfen, daß ich bei meinen offenen Briefen an Herrn von Heydebrand von rein konservativen Grundanschauungen ausgegangen bin. Ja, ich glaube, daß ich mich selbst in taktischen Fragen wie in der Frage des Ausmaßes und des Tempos unserer Sozialpolitik, in der Frage der Behandlung der Sozialdemokratie von den besten Traditionen der konservativen Partei weniger weit entfernt wie, vorsichtig ausgedrückt, ein Teil der heutigen konservativen Presse. Weiß denn die „Kreuzzeitung" nicht mehr, wie freudig sie in den achtziger Jahren einer kühn vorwärtsschreitenden Sozialreform zugestimmt hat. und wie bitter sie es noch in den neunziger Jahren empfand, daß die Bureaukratie „die großen Anregungen der beiden Kaiser Wilhelm auf sozialem Gebiete nach und nach immer mehr im Sande verlaufen ließ," daß die Bureaukratie weiter — auch diese Reminiszenz ist heute am Platze — „die Ansturme gegen die gefahr¬ drohende, stets zunehmende Latifundienbildung (I) im Keime erstickte?" Weiß die „Kreuzzeitung" gar nicht mehr, wie sehr sie einst Stöcker zugejubklt hat, der, mag man sonst zu ihm stehen wie man will, doch einer unserer gro߬ herzigsten, wärmsten und eifrigsten Sozialpolitiker gewesen ist? Freilich, eben darum ist ja auch Stöckers Bleibens schließlich nicht mehr in der konservativen Partei gewesen. Wie bitterlich hat es Stöcker in seiner Rede vom 24. Januar 1899 mit deutlichem Hinweis auf seine früheren Parteigenossen beklagt, daß von dieser einstigen Größe, von diesem Christentum, von diesem Gewissensgeist der sozialen Arbeit nur so wenig noch zu spüren sei. Was würde Stöcker erst heutigen Tages sagen! Ich halte mich völlig überzeugt, daß ein Stöcker, daß ein Heinrich Engel und die anderen konservativen Männer alle, die die großen sozialen Traditionen der konservcitipen Partei verkörpern, heute gleich mir ihr vornehmstes Ziel darin sehen würden, die Staatsfeindschaft der sozialdemokratisch geführten Massen innerlich zu überwinden. Ich lebe sogar des Glaubens, daß sie die von mir zu diesem Zweck eingeschlagenen Wege durchaus billigen würden; hat doch auch ein Stöcker sich wiederholt für eine weitgehende Berücksichtigung der Arbeitersorderungen, insbesondere auch für das volle und uneingeschränkte Koalitionsrecht ausgesprochen! Das eine ist jedenfalls ganz gewiß, daß er Auffassungen, wie sie der Abgeordnete Graef heute in der „Kreuzzeitung" vor- n'ügt, auf das allerentschiedenste bekämpfen und verwerfen würde. Man traut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/58>, abgerufen am 01.07.2024.