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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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und Wahlrechtsfragen in einem Atem zu nennen, so ist das unter allen
Umständen ein Verstoß gegen das konservative Programm, denn die Wahl-
rcchtsgesetzgebung ist doch klarerweise ein Teil der Gesetzgebung überhaupt
im Sinne des Tivoliprogramms. Daß aber die lediglich auf der Steuer¬
leistung beruhende plutokratische Gestaltung des preußischen Wahlrechts keinen-
falls mit dem Geist der christlichen Lebensanschauung zu vereinbaren ist, darüber
mag sich Herr Graef, wenn er mich nicht als vollgültigen Zeugen betrachten
will, von dem "Reichsboten" belehren lassen, der oft genug auf diesen wurden
Punkt des preußischen Wahlrechts hingewiesen hat. Ich glaube, es gibt heute
kaum noch einen einzigen Geistlichen, sei er Protestant oder Katholik, der. zumal
nach der gewaltigen Vermögensverschiebung, die im Kriege eingetreten ist, es
für möglich hielte, die Steuerleistung als wesentlich- Grundlage des Wahlrechts
festzuhalten. Herr Vraef glaubt einen großen Trumpf gegen mich auszuspielen,
indem er darauf hinweist, daß doch auch ich das Wahlrecht auf die "gesamte
staatliche und soziale Leistung und Bewährung" habe gründen wollen; eine
Abstufung nach staatlicher Leistung aber komme auf nichts anderes als auf eine
Abstufung nach der Steuerleistung hinaus. Diesen Satz, von dem ich nur
dringend wünschen kann, daß er nicht die Meinung der konservativen Partei
vorstelle, muß ich auf das entschiedenste bestreikn; meine Vorschläge wiesen
jedenfalls der Steuerleistung nur ein bescheidenes Eckchen innerhalb der staat¬
lichen und sozialen Gesamtleistung zu. Im übrigen bin ich heute der Ansicht,
die schon in meinen offenen Briefen anklang, daß gerade infolge der Haltung
der konservativen Partei, die vor Jahr und Tag bei rechtzeitigen Entgegen¬
kommen einem abgestuften Wahlrecht den Weg hätte ebnen können, die Zeit
für ein Pluralwahlrecht verpaßt ist. Zu Spalt zu Spalt so tönt es heute in
immer lauterer Tonart. Ich darf in dieser Beziehung ans die Erklärung hin¬
weisen, die ich am 30. Juni im Verein mit so hervorragenden Männern, wie
Hans Delbrück. A. v. Harnack. Friedrich Mein-cke. E. Troeltjch und andere
öffentlich abgegeben habe. Keiner von diesen Männern ist. so viel ich weiß,
von Haus ein Freund des gleichen Wahlrechts, so wenig wie ich selbst gewesen,
wenn wir uns dennoch zu dem Entschluß durchgerungen haben, für das gleiche
Wahlrecht einzutreten, und wenn die gleiche Überzeugung sich jetzt mit elementarer
Kraft Bahn bricht, so hat sich das ganz gewiß nicht zuletzt Herr von HerMrand
mit seiner Herforder Rede zuzuschreiben.

Bei dem dritten konservativen Kardinalpunkt. der Autorität, brauche ich
nur ganz kurz zu verweilen. Daß die Herforder Rede des Herrn von Heyde-
bmnd. daß die mehr als bittere Kritik, die von einem Tert der konservativen
Presse bis in die letzten Tage hinein an der Regierung geübt worden ist. ge¬
eignet gewesen sei. die Autorität der Staatsleituug zu fördern, wird niemand
behaupten wollen; das hat auch Herr Graef nicht in Anspruch zu nehmen
gewagt. Selbstverständlich bin ich der letzte, einen blinden Autoritätsglauben
zu fordern; freimütige und entschiedene Kritik darf sein, soll sein und muß sein.


und Wahlrechtsfragen in einem Atem zu nennen, so ist das unter allen
Umständen ein Verstoß gegen das konservative Programm, denn die Wahl-
rcchtsgesetzgebung ist doch klarerweise ein Teil der Gesetzgebung überhaupt
im Sinne des Tivoliprogramms. Daß aber die lediglich auf der Steuer¬
leistung beruhende plutokratische Gestaltung des preußischen Wahlrechts keinen-
falls mit dem Geist der christlichen Lebensanschauung zu vereinbaren ist, darüber
mag sich Herr Graef, wenn er mich nicht als vollgültigen Zeugen betrachten
will, von dem „Reichsboten" belehren lassen, der oft genug auf diesen wurden
Punkt des preußischen Wahlrechts hingewiesen hat. Ich glaube, es gibt heute
kaum noch einen einzigen Geistlichen, sei er Protestant oder Katholik, der. zumal
nach der gewaltigen Vermögensverschiebung, die im Kriege eingetreten ist, es
für möglich hielte, die Steuerleistung als wesentlich- Grundlage des Wahlrechts
festzuhalten. Herr Vraef glaubt einen großen Trumpf gegen mich auszuspielen,
indem er darauf hinweist, daß doch auch ich das Wahlrecht auf die „gesamte
staatliche und soziale Leistung und Bewährung" habe gründen wollen; eine
Abstufung nach staatlicher Leistung aber komme auf nichts anderes als auf eine
Abstufung nach der Steuerleistung hinaus. Diesen Satz, von dem ich nur
dringend wünschen kann, daß er nicht die Meinung der konservativen Partei
vorstelle, muß ich auf das entschiedenste bestreikn; meine Vorschläge wiesen
jedenfalls der Steuerleistung nur ein bescheidenes Eckchen innerhalb der staat¬
lichen und sozialen Gesamtleistung zu. Im übrigen bin ich heute der Ansicht,
die schon in meinen offenen Briefen anklang, daß gerade infolge der Haltung
der konservativen Partei, die vor Jahr und Tag bei rechtzeitigen Entgegen¬
kommen einem abgestuften Wahlrecht den Weg hätte ebnen können, die Zeit
für ein Pluralwahlrecht verpaßt ist. Zu Spalt zu Spalt so tönt es heute in
immer lauterer Tonart. Ich darf in dieser Beziehung ans die Erklärung hin¬
weisen, die ich am 30. Juni im Verein mit so hervorragenden Männern, wie
Hans Delbrück. A. v. Harnack. Friedrich Mein-cke. E. Troeltjch und andere
öffentlich abgegeben habe. Keiner von diesen Männern ist. so viel ich weiß,
von Haus ein Freund des gleichen Wahlrechts, so wenig wie ich selbst gewesen,
wenn wir uns dennoch zu dem Entschluß durchgerungen haben, für das gleiche
Wahlrecht einzutreten, und wenn die gleiche Überzeugung sich jetzt mit elementarer
Kraft Bahn bricht, so hat sich das ganz gewiß nicht zuletzt Herr von HerMrand
mit seiner Herforder Rede zuzuschreiben.

Bei dem dritten konservativen Kardinalpunkt. der Autorität, brauche ich
nur ganz kurz zu verweilen. Daß die Herforder Rede des Herrn von Heyde-
bmnd. daß die mehr als bittere Kritik, die von einem Tert der konservativen
Presse bis in die letzten Tage hinein an der Regierung geübt worden ist. ge¬
eignet gewesen sei. die Autorität der Staatsleituug zu fördern, wird niemand
behaupten wollen; das hat auch Herr Graef nicht in Anspruch zu nehmen
gewagt. Selbstverständlich bin ich der letzte, einen blinden Autoritätsglauben
zu fordern; freimütige und entschiedene Kritik darf sein, soll sein und muß sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/57>, abgerufen am 01.07.2024.