Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Diplomatennot uno Auswärtiges Amt

Rußland gewannen eine immer breitere Basis, indessen unsere Diplomaten die
Wehen der russischen Revolution durch die Brille russischer halbgebildeter
Polizeibravos verfolgten. Es fehlten in Petersburg Männer mit sachlichen
Interesse an den Vorgängen in Rußland, die mit den Sjemstwoleuten und
Professoren über ihre Nöte sachlich auf der Grundlage tiefen Wissens sprechen
konnten. Vielleicht wäre es den Briten doch nicht gelungen, die russische Ge¬
sellschaft restlos auf ihre Seite zu bringen, wie es zu unserm Nachteil geschehen,
wenn unsere Petersburger Botschaft mit entsprechendem Personal ausgerüstet
gewesen wäre. Die Russen, die so viel vom deutschen Wissen an unsern Hoch¬
schulen in sich aufgenommen hatten, mußten angesichts der ablehnenden Hal¬
tung unserer amtlichen Vertreter gegen alles, was aus dem Volk kam, und
angesichts der Polizeidienste, die wir dem alten Regime leisteten, zu dem
Glauben kommen, als sei die Politik des amtlichen Deutschland darauf
gerichtet. Rußland der Anarchie, dem Untergange zuzuführen --, wie von uns
feindlicher Seite behauptet wurde und wird. Die Russen sahen neben dem
teilnahmlosen Diplomaten nur den erwerbstüchtigen deutschen Kaufmann und
schöpften ihr Urteil über das Wesen der Deutschen aus dem Mißklang, den
die altdeutsche und demokratische Presse über die Welt verbreiteten. Unsere
Diplomatie schwamm in Rußland, trotz aller Routine in der Durchführung per¬
sönlicher Intrigen, bezüglich der Vorgänge im Lande im breitesten Dilettantis¬
mus, und dieser Dilettantismus kostet uns jetzt Hunderttausende gesunder
Männer, Milliarden des Volksvermögens und vielleicht den russischen Markt
auf Jahrzehnte. Also fort mit dem Dilettantismus!

Mancher Leser wird sagen: wozu dies alles jetzt im Kriege, noch dazu
am Vorabend der größten Schlachten, vielleicht Entscheidungen? man warte
doch bis nach dem Kriege, bis nach der Rückkehr des siegreichen Heeres in die
Heimati -- Sie irren, meine Herrenl Blicke man nur die drei Jahre zurück,
wie während des Krieges unsere Diplomatie fortwirkt, nur bedacht darauf, die
eigenen Blößen vor dem Lande zu verschleiern. In Berlin schlägt man sich
wegen Verfassungsänderung und Ministerverantwortlichkeit, -- Dinge, die wirklich
Zeit haben bis nach dem Kriege; in die Mysterien der politischen Abteilung
des Auswärtigen Amts wagt keiner hineinzuleuchten. Wenn noch während des Krieges
irgendwo mit Erfolg reorganisiert werden kann, so ist es im Auswärtigen Amt. Dort
istnichts Grundsätzliches umzustürzen,sondern nur zu reinigen und das gereinigte zweck¬
mäßiger anzuordnen. Vor allem Not tut die Ausgestaltung oder richtiger Rück¬
bildung der politischen Abteilung zu einem Kabinett des Staatssekretärs
des Äußern. Wenige tüchtige Fachmänner aus der Diplomatie sollten das
nach ihren Weisungen in den anderen Abteilungen oder technischen Ämtern vor¬
bereitete Material diplomatisch auswerten. Eine ausgestattete Personalab¬
teilung nähme Fühlung mit allen Universitäten, Ämtern, Selbstverwaltungen usw.
zur Heranziehung eines Nachwuchses für Konsulate, Presse- und Rechtabteilung,
aus dem dann nach gründlicher Vorbereitung und Erprobung die Diplomaten


Diplomatennot uno Auswärtiges Amt

Rußland gewannen eine immer breitere Basis, indessen unsere Diplomaten die
Wehen der russischen Revolution durch die Brille russischer halbgebildeter
Polizeibravos verfolgten. Es fehlten in Petersburg Männer mit sachlichen
Interesse an den Vorgängen in Rußland, die mit den Sjemstwoleuten und
Professoren über ihre Nöte sachlich auf der Grundlage tiefen Wissens sprechen
konnten. Vielleicht wäre es den Briten doch nicht gelungen, die russische Ge¬
sellschaft restlos auf ihre Seite zu bringen, wie es zu unserm Nachteil geschehen,
wenn unsere Petersburger Botschaft mit entsprechendem Personal ausgerüstet
gewesen wäre. Die Russen, die so viel vom deutschen Wissen an unsern Hoch¬
schulen in sich aufgenommen hatten, mußten angesichts der ablehnenden Hal¬
tung unserer amtlichen Vertreter gegen alles, was aus dem Volk kam, und
angesichts der Polizeidienste, die wir dem alten Regime leisteten, zu dem
Glauben kommen, als sei die Politik des amtlichen Deutschland darauf
gerichtet. Rußland der Anarchie, dem Untergange zuzuführen —, wie von uns
feindlicher Seite behauptet wurde und wird. Die Russen sahen neben dem
teilnahmlosen Diplomaten nur den erwerbstüchtigen deutschen Kaufmann und
schöpften ihr Urteil über das Wesen der Deutschen aus dem Mißklang, den
die altdeutsche und demokratische Presse über die Welt verbreiteten. Unsere
Diplomatie schwamm in Rußland, trotz aller Routine in der Durchführung per¬
sönlicher Intrigen, bezüglich der Vorgänge im Lande im breitesten Dilettantis¬
mus, und dieser Dilettantismus kostet uns jetzt Hunderttausende gesunder
Männer, Milliarden des Volksvermögens und vielleicht den russischen Markt
auf Jahrzehnte. Also fort mit dem Dilettantismus!

Mancher Leser wird sagen: wozu dies alles jetzt im Kriege, noch dazu
am Vorabend der größten Schlachten, vielleicht Entscheidungen? man warte
doch bis nach dem Kriege, bis nach der Rückkehr des siegreichen Heeres in die
Heimati — Sie irren, meine Herrenl Blicke man nur die drei Jahre zurück,
wie während des Krieges unsere Diplomatie fortwirkt, nur bedacht darauf, die
eigenen Blößen vor dem Lande zu verschleiern. In Berlin schlägt man sich
wegen Verfassungsänderung und Ministerverantwortlichkeit, — Dinge, die wirklich
Zeit haben bis nach dem Kriege; in die Mysterien der politischen Abteilung
des Auswärtigen Amts wagt keiner hineinzuleuchten. Wenn noch während des Krieges
irgendwo mit Erfolg reorganisiert werden kann, so ist es im Auswärtigen Amt. Dort
istnichts Grundsätzliches umzustürzen,sondern nur zu reinigen und das gereinigte zweck¬
mäßiger anzuordnen. Vor allem Not tut die Ausgestaltung oder richtiger Rück¬
bildung der politischen Abteilung zu einem Kabinett des Staatssekretärs
des Äußern. Wenige tüchtige Fachmänner aus der Diplomatie sollten das
nach ihren Weisungen in den anderen Abteilungen oder technischen Ämtern vor¬
bereitete Material diplomatisch auswerten. Eine ausgestattete Personalab¬
teilung nähme Fühlung mit allen Universitäten, Ämtern, Selbstverwaltungen usw.
zur Heranziehung eines Nachwuchses für Konsulate, Presse- und Rechtabteilung,
aus dem dann nach gründlicher Vorbereitung und Erprobung die Diplomaten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332330"/>
          <fw type="header" place="top"> Diplomatennot uno Auswärtiges Amt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_176" prev="#ID_175"> Rußland gewannen eine immer breitere Basis, indessen unsere Diplomaten die<lb/>
Wehen der russischen Revolution durch die Brille russischer halbgebildeter<lb/>
Polizeibravos verfolgten. Es fehlten in Petersburg Männer mit sachlichen<lb/>
Interesse an den Vorgängen in Rußland, die mit den Sjemstwoleuten und<lb/>
Professoren über ihre Nöte sachlich auf der Grundlage tiefen Wissens sprechen<lb/>
konnten.  Vielleicht wäre es den Briten doch nicht gelungen, die russische Ge¬<lb/>
sellschaft restlos auf ihre Seite zu bringen, wie es zu unserm Nachteil geschehen,<lb/>
wenn unsere Petersburger Botschaft mit entsprechendem Personal ausgerüstet<lb/>
gewesen wäre. Die Russen, die so viel vom deutschen Wissen an unsern Hoch¬<lb/>
schulen in sich aufgenommen hatten, mußten angesichts der ablehnenden Hal¬<lb/>
tung unserer amtlichen Vertreter gegen alles, was aus dem Volk kam, und<lb/>
angesichts der Polizeidienste, die wir dem alten Regime leisteten, zu dem<lb/>
Glauben kommen, als sei die Politik des amtlichen Deutschland darauf<lb/>
gerichtet. Rußland der Anarchie, dem Untergange zuzuführen &#x2014;, wie von uns<lb/>
feindlicher Seite behauptet wurde und wird. Die Russen sahen neben dem<lb/>
teilnahmlosen Diplomaten nur den erwerbstüchtigen deutschen Kaufmann und<lb/>
schöpften ihr Urteil über das Wesen der Deutschen aus dem Mißklang, den<lb/>
die altdeutsche und demokratische Presse über die Welt verbreiteten. Unsere<lb/>
Diplomatie schwamm in Rußland, trotz aller Routine in der Durchführung per¬<lb/>
sönlicher Intrigen, bezüglich der Vorgänge im Lande im breitesten Dilettantis¬<lb/>
mus, und dieser Dilettantismus kostet uns jetzt Hunderttausende gesunder<lb/>
Männer, Milliarden des Volksvermögens und vielleicht den russischen Markt<lb/>
auf Jahrzehnte. Also fort mit dem Dilettantismus!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_177" next="#ID_178"> Mancher Leser wird sagen: wozu dies alles jetzt im Kriege, noch dazu<lb/>
am Vorabend der größten Schlachten, vielleicht Entscheidungen? man warte<lb/>
doch bis nach dem Kriege, bis nach der Rückkehr des siegreichen Heeres in die<lb/>
Heimati &#x2014; Sie irren, meine Herrenl Blicke man nur die drei Jahre zurück,<lb/>
wie während des Krieges unsere Diplomatie fortwirkt, nur bedacht darauf, die<lb/>
eigenen Blößen vor dem Lande zu verschleiern. In Berlin schlägt man sich<lb/>
wegen Verfassungsänderung und Ministerverantwortlichkeit, &#x2014; Dinge, die wirklich<lb/>
Zeit haben bis nach dem Kriege; in die Mysterien der politischen Abteilung<lb/>
des Auswärtigen Amts wagt keiner hineinzuleuchten. Wenn noch während des Krieges<lb/>
irgendwo mit Erfolg reorganisiert werden kann, so ist es im Auswärtigen Amt. Dort<lb/>
istnichts Grundsätzliches umzustürzen,sondern nur zu reinigen und das gereinigte zweck¬<lb/>
mäßiger anzuordnen. Vor allem Not tut die Ausgestaltung oder richtiger Rück¬<lb/>
bildung der politischen Abteilung zu einem Kabinett des Staatssekretärs<lb/>
des Äußern. Wenige tüchtige Fachmänner aus der Diplomatie sollten das<lb/>
nach ihren Weisungen in den anderen Abteilungen oder technischen Ämtern vor¬<lb/>
bereitete Material diplomatisch auswerten. Eine ausgestattete Personalab¬<lb/>
teilung nähme Fühlung mit allen Universitäten, Ämtern, Selbstverwaltungen usw.<lb/>
zur Heranziehung eines Nachwuchses für Konsulate, Presse- und Rechtabteilung,<lb/>
aus dem dann nach gründlicher Vorbereitung und Erprobung die Diplomaten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0051] Diplomatennot uno Auswärtiges Amt Rußland gewannen eine immer breitere Basis, indessen unsere Diplomaten die Wehen der russischen Revolution durch die Brille russischer halbgebildeter Polizeibravos verfolgten. Es fehlten in Petersburg Männer mit sachlichen Interesse an den Vorgängen in Rußland, die mit den Sjemstwoleuten und Professoren über ihre Nöte sachlich auf der Grundlage tiefen Wissens sprechen konnten. Vielleicht wäre es den Briten doch nicht gelungen, die russische Ge¬ sellschaft restlos auf ihre Seite zu bringen, wie es zu unserm Nachteil geschehen, wenn unsere Petersburger Botschaft mit entsprechendem Personal ausgerüstet gewesen wäre. Die Russen, die so viel vom deutschen Wissen an unsern Hoch¬ schulen in sich aufgenommen hatten, mußten angesichts der ablehnenden Hal¬ tung unserer amtlichen Vertreter gegen alles, was aus dem Volk kam, und angesichts der Polizeidienste, die wir dem alten Regime leisteten, zu dem Glauben kommen, als sei die Politik des amtlichen Deutschland darauf gerichtet. Rußland der Anarchie, dem Untergange zuzuführen —, wie von uns feindlicher Seite behauptet wurde und wird. Die Russen sahen neben dem teilnahmlosen Diplomaten nur den erwerbstüchtigen deutschen Kaufmann und schöpften ihr Urteil über das Wesen der Deutschen aus dem Mißklang, den die altdeutsche und demokratische Presse über die Welt verbreiteten. Unsere Diplomatie schwamm in Rußland, trotz aller Routine in der Durchführung per¬ sönlicher Intrigen, bezüglich der Vorgänge im Lande im breitesten Dilettantis¬ mus, und dieser Dilettantismus kostet uns jetzt Hunderttausende gesunder Männer, Milliarden des Volksvermögens und vielleicht den russischen Markt auf Jahrzehnte. Also fort mit dem Dilettantismus! Mancher Leser wird sagen: wozu dies alles jetzt im Kriege, noch dazu am Vorabend der größten Schlachten, vielleicht Entscheidungen? man warte doch bis nach dem Kriege, bis nach der Rückkehr des siegreichen Heeres in die Heimati — Sie irren, meine Herrenl Blicke man nur die drei Jahre zurück, wie während des Krieges unsere Diplomatie fortwirkt, nur bedacht darauf, die eigenen Blößen vor dem Lande zu verschleiern. In Berlin schlägt man sich wegen Verfassungsänderung und Ministerverantwortlichkeit, — Dinge, die wirklich Zeit haben bis nach dem Kriege; in die Mysterien der politischen Abteilung des Auswärtigen Amts wagt keiner hineinzuleuchten. Wenn noch während des Krieges irgendwo mit Erfolg reorganisiert werden kann, so ist es im Auswärtigen Amt. Dort istnichts Grundsätzliches umzustürzen,sondern nur zu reinigen und das gereinigte zweck¬ mäßiger anzuordnen. Vor allem Not tut die Ausgestaltung oder richtiger Rück¬ bildung der politischen Abteilung zu einem Kabinett des Staatssekretärs des Äußern. Wenige tüchtige Fachmänner aus der Diplomatie sollten das nach ihren Weisungen in den anderen Abteilungen oder technischen Ämtern vor¬ bereitete Material diplomatisch auswerten. Eine ausgestattete Personalab¬ teilung nähme Fühlung mit allen Universitäten, Ämtern, Selbstverwaltungen usw. zur Heranziehung eines Nachwuchses für Konsulate, Presse- und Rechtabteilung, aus dem dann nach gründlicher Vorbereitung und Erprobung die Diplomaten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/51
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/51>, abgerufen am 01.07.2024.