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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Diplomatennot und Auswärtiges Amt

wirtschaftlichen Dingen ungenügend vorbereitetes diplomatisches Korps auf die
Handelsbeziehungen losgelassen worden, wenn vielmehr diese Arbeit ruhig dem
hervorragend vorgebildeten Konsulatspersonal vorbehalten geblieben wäre. Hat
doch die Methode dazu geführt: nicht rückten entsprechend begabte Konsuln zu
diplomatischen Posten auf. sondern zum diplomatischen Dienst nicht für geeignet
befundene Elemente erhielten höhere Konsulatsposten, -- natürlich nach außen
umgeben von dem Nimbus ihrer bisherigen Laufbahn und darum um so
gefährlicher I

Die bisher beliebte Ausbildung der Diplomaten und ihre Arbeitsgebiete
forderten für den diplomatischen Dienst entschieden überragende Persönlichkeiten,
keine Durchschnittsmenschen. Überragende Persönlichkeiten gibt es überhaupt
nur wenig, also dürfte die Zahl unserer Diplomaten nur eine ganz bescheidene
sein. So sollte das Überragende bei uns ersetzt werden durch Geburt und Geld!
Tatsächlich bekommen wir dadurch keine Diplomaten, sondern im besten Falle
schlechte Journalisten.

Ein Graf oder Baron U- bearbeitet als ständiger Hilfsarbeiter und
Vortragender Rat der Politischen Abteilung alle Vorgänge des politischen Lebens
jedes Landes, fällt Urteile über soziale, wirtschaftliche, pädagogische, religiöse,
kirchliche Vorgänge, über den Einfluß von Eisenbahnbauten, Meliorationen,
Erfindungen und Entdeckungen, über Literatur und Theater und stellt alle diese
Erscheinungen zu einem Bilde zusammen, nach dem politische Entschlüsse gefaßt
und Diplomatische Aktionen eingeleitet werden. Die Tatsachen sür seine Be¬
weise sucht er sich ähnlich wie der Reporter der Tageszeitungen zusammen, wo
er sie findet, manchmal kritischer im einzelnen, manchmal weniger kritisch, --
nie erschöpfend; häufig tendenziös! je nach dem Maße der Vertrauens, das
er seinen verschiedenen Gewährsmännern entgegenbringt.

Der Mangel an Kenntnissen ist auch einer der Hauptgründe für die
Ängstlichkeit unserer Diplomaten, anzustoßen, über die mit Recht so oft geklagt
wird. Nur wer sich in dem ihm zugewiesenen Arbeitsfelde genau auskenne,
wird sich auf ihm frei bewegen! Zustände in Se. Petersburg seit dem Fortgange
des Fürsten Radolin 1897 mögen zur Verbildlichung herangezogen werden.
Die deutsche Botschaft zu Se. Petersburg hatte kein diplomatisches Organ, das
geeignet gewesen wäre, eine direkte Verbindung mit der großen Volksbewegung
aufrechtzuerhalten, die das Herannahen der Revolution von 1905 bis 1907 an-
kündete! Ja, Journalisten, die die Verbindung besaßen, wurden häufig genug
vor die Frage gestellt, den Verkehr entweder mit dem Botschaftspersonal oder
mit den liberalen Kreisen aufzugeben. Indessen scheuten sich die englischen und
französischen Diplomaten nicht im mindesten, Zusammenkünfte der Liberalen,
sei es in der Kaiserlichen Ökonomischen Gesellschaft, sei es in einem Privat¬
hause zu besuchen. Die Journalisten Dr. Dillon und Mr. Wilton konnten in
ihrer Presse ganz offen gegen die Regierung Plewes schreiben --, es wurde
ihnen kein Haar gekrümmt. Die Beziehungen Englands und Frankreichs zu


Diplomatennot und Auswärtiges Amt

wirtschaftlichen Dingen ungenügend vorbereitetes diplomatisches Korps auf die
Handelsbeziehungen losgelassen worden, wenn vielmehr diese Arbeit ruhig dem
hervorragend vorgebildeten Konsulatspersonal vorbehalten geblieben wäre. Hat
doch die Methode dazu geführt: nicht rückten entsprechend begabte Konsuln zu
diplomatischen Posten auf. sondern zum diplomatischen Dienst nicht für geeignet
befundene Elemente erhielten höhere Konsulatsposten, — natürlich nach außen
umgeben von dem Nimbus ihrer bisherigen Laufbahn und darum um so
gefährlicher I

Die bisher beliebte Ausbildung der Diplomaten und ihre Arbeitsgebiete
forderten für den diplomatischen Dienst entschieden überragende Persönlichkeiten,
keine Durchschnittsmenschen. Überragende Persönlichkeiten gibt es überhaupt
nur wenig, also dürfte die Zahl unserer Diplomaten nur eine ganz bescheidene
sein. So sollte das Überragende bei uns ersetzt werden durch Geburt und Geld!
Tatsächlich bekommen wir dadurch keine Diplomaten, sondern im besten Falle
schlechte Journalisten.

Ein Graf oder Baron U- bearbeitet als ständiger Hilfsarbeiter und
Vortragender Rat der Politischen Abteilung alle Vorgänge des politischen Lebens
jedes Landes, fällt Urteile über soziale, wirtschaftliche, pädagogische, religiöse,
kirchliche Vorgänge, über den Einfluß von Eisenbahnbauten, Meliorationen,
Erfindungen und Entdeckungen, über Literatur und Theater und stellt alle diese
Erscheinungen zu einem Bilde zusammen, nach dem politische Entschlüsse gefaßt
und Diplomatische Aktionen eingeleitet werden. Die Tatsachen sür seine Be¬
weise sucht er sich ähnlich wie der Reporter der Tageszeitungen zusammen, wo
er sie findet, manchmal kritischer im einzelnen, manchmal weniger kritisch, —
nie erschöpfend; häufig tendenziös! je nach dem Maße der Vertrauens, das
er seinen verschiedenen Gewährsmännern entgegenbringt.

Der Mangel an Kenntnissen ist auch einer der Hauptgründe für die
Ängstlichkeit unserer Diplomaten, anzustoßen, über die mit Recht so oft geklagt
wird. Nur wer sich in dem ihm zugewiesenen Arbeitsfelde genau auskenne,
wird sich auf ihm frei bewegen! Zustände in Se. Petersburg seit dem Fortgange
des Fürsten Radolin 1897 mögen zur Verbildlichung herangezogen werden.
Die deutsche Botschaft zu Se. Petersburg hatte kein diplomatisches Organ, das
geeignet gewesen wäre, eine direkte Verbindung mit der großen Volksbewegung
aufrechtzuerhalten, die das Herannahen der Revolution von 1905 bis 1907 an-
kündete! Ja, Journalisten, die die Verbindung besaßen, wurden häufig genug
vor die Frage gestellt, den Verkehr entweder mit dem Botschaftspersonal oder
mit den liberalen Kreisen aufzugeben. Indessen scheuten sich die englischen und
französischen Diplomaten nicht im mindesten, Zusammenkünfte der Liberalen,
sei es in der Kaiserlichen Ökonomischen Gesellschaft, sei es in einem Privat¬
hause zu besuchen. Die Journalisten Dr. Dillon und Mr. Wilton konnten in
ihrer Presse ganz offen gegen die Regierung Plewes schreiben —, es wurde
ihnen kein Haar gekrümmt. Die Beziehungen Englands und Frankreichs zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/50>, abgerufen am 29.06.2024.