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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die Geschichte der Universität Wittenberg

zum Auftreten Luthers -- fortgeführt sein wird, mag Friedensburgs Arbeit
wenigstens als Teilersatz angesehen werden, neben der die Abrisse von Friedrich
Paulsen (in seinem Buche über die deutschen Universitäten und das Universitäts-
studium, 1902 und in dem Sammelwerke von Wilhelm Lexis, 1893) auch jetzt
noch ihren Platz behaupten. Die Darstellung Friedensburgs füllt eine lange
klaffende Lücke aus, die um so schmerzlicher empfunden wurde, als der große
Gegenstand an sich selbst zu seiner Bewältigung aufforderte; indem sie Univerr
sitätsverfassung, -Unterricht und -Leben in der Neuzeit beschreibt, läßt sie die
älteren Arbeiten hinter sich, die nur der einen oder anderen Seite in der Ent¬
wicklung unserer Hochschulen sich zuwandten, wie z. B. das Werk von August
Tholuck, dessen "Vorgeschichte des Rationalismus" im ersten Bande (1853) das
akademische Leben des siebzehnten Jahrhunderts zu schildern unternommen hat.
Die "Geschichte der Universität Wittenberg" geht ihrem zeitlichen Umfange eine
erhebliche Strecke dem Buche von Wilden Schrader über die Universität Halle
(1894) zur Seite und führt gleichsam zu ihm hin: immer wird es lehrreich
bleiben, die Schicksale und den Geist beider Hochschulen miteinander zu ver¬
gleichen. Jede von ihnen verkörpert eine besondere Entwicklungsstufe in der
Gesamtkultur des deutschen Volkes. Wittenberg die der Reformation und Halle
die der Aufklärung. Ihre Vereinigung im Jahre 1817 erfolgte wenig später
als die Zusammenlegung der Universitäten Frankfurt an der Oder (gegründet 15V6)
"ut Breslau (gegründet 1702) im Jahre 1811. die Neuerrichtung der Hoch¬
schule von Berlin (1809) und wenig früher als die von Bonn (1818); sie alle
gediehen unter dem Schutze des preußischen Staates, dessen politische Kraft mit
dem deutschen Geiste sich erfüllte. Die anheimelnde Größe aber dieses geistigen
Lebens in Preußen und in Deutschland überhaupt besteht nicht zuletzt darin,
daß es aus vielen Quellen zu gleicher Zeit und in regem Wetteifer gespeist
wurde --. wir kannten und kennen eben nicht jenen Druck der Zentralisation,
deren sich die Romanen rühmen; neidlos und wunschlos überlassen wir ihnen
solchen doch nur angeblichen Vorzug. Eine dieser Quellen hat Friedensburg zu
neuen, Leben geweckt, und Sache nicht nur der berufsmäßigen Forscher wird es
sein, ihn, den Dank dafür abzustatten. Sein stattliches Buch ist ein Zeugnis
zielsicheren Arbeitswillens, dem inmitten der Kriegsnöte Verleger und Drucker
sich freudig zur Verfügung stellten, eine Gabe zunächst für die Vereinigte
Friedrichs-Universität und nicht weniger für alle, die in der Ausprägung des
geistigen Lebens in unserem Volke sein Wesen und Können zu erfassen trachten.
Vermittelt aber alle geschichtliche Erkenntnis Mahnungen und Antriebe.
Warnungen und Verbote, so wird aus ihr nicht zuletzt der beschenkten Universität
das Pflichtbewußtsein sich verstärken, daß auch sie für die schweren Ausgaben
der Zukunft sich rüsten und bereit halten muß. Wenn einst der Frieden wieder
einkehrt und die zu Männern der Tat gereiften Studierenden aufs neue die
Hörsäle füllen, dann werden Sorgen und Nöte von mancherlei Art nicht aus¬
bleiben. Unsere akademische Jugend hat geblutet und gekämpft --, sie wird


Die Geschichte der Universität Wittenberg

zum Auftreten Luthers — fortgeführt sein wird, mag Friedensburgs Arbeit
wenigstens als Teilersatz angesehen werden, neben der die Abrisse von Friedrich
Paulsen (in seinem Buche über die deutschen Universitäten und das Universitäts-
studium, 1902 und in dem Sammelwerke von Wilhelm Lexis, 1893) auch jetzt
noch ihren Platz behaupten. Die Darstellung Friedensburgs füllt eine lange
klaffende Lücke aus, die um so schmerzlicher empfunden wurde, als der große
Gegenstand an sich selbst zu seiner Bewältigung aufforderte; indem sie Univerr
sitätsverfassung, -Unterricht und -Leben in der Neuzeit beschreibt, läßt sie die
älteren Arbeiten hinter sich, die nur der einen oder anderen Seite in der Ent¬
wicklung unserer Hochschulen sich zuwandten, wie z. B. das Werk von August
Tholuck, dessen „Vorgeschichte des Rationalismus" im ersten Bande (1853) das
akademische Leben des siebzehnten Jahrhunderts zu schildern unternommen hat.
Die „Geschichte der Universität Wittenberg" geht ihrem zeitlichen Umfange eine
erhebliche Strecke dem Buche von Wilden Schrader über die Universität Halle
(1894) zur Seite und führt gleichsam zu ihm hin: immer wird es lehrreich
bleiben, die Schicksale und den Geist beider Hochschulen miteinander zu ver¬
gleichen. Jede von ihnen verkörpert eine besondere Entwicklungsstufe in der
Gesamtkultur des deutschen Volkes. Wittenberg die der Reformation und Halle
die der Aufklärung. Ihre Vereinigung im Jahre 1817 erfolgte wenig später
als die Zusammenlegung der Universitäten Frankfurt an der Oder (gegründet 15V6)
»ut Breslau (gegründet 1702) im Jahre 1811. die Neuerrichtung der Hoch¬
schule von Berlin (1809) und wenig früher als die von Bonn (1818); sie alle
gediehen unter dem Schutze des preußischen Staates, dessen politische Kraft mit
dem deutschen Geiste sich erfüllte. Die anheimelnde Größe aber dieses geistigen
Lebens in Preußen und in Deutschland überhaupt besteht nicht zuletzt darin,
daß es aus vielen Quellen zu gleicher Zeit und in regem Wetteifer gespeist
wurde —. wir kannten und kennen eben nicht jenen Druck der Zentralisation,
deren sich die Romanen rühmen; neidlos und wunschlos überlassen wir ihnen
solchen doch nur angeblichen Vorzug. Eine dieser Quellen hat Friedensburg zu
neuen, Leben geweckt, und Sache nicht nur der berufsmäßigen Forscher wird es
sein, ihn, den Dank dafür abzustatten. Sein stattliches Buch ist ein Zeugnis
zielsicheren Arbeitswillens, dem inmitten der Kriegsnöte Verleger und Drucker
sich freudig zur Verfügung stellten, eine Gabe zunächst für die Vereinigte
Friedrichs-Universität und nicht weniger für alle, die in der Ausprägung des
geistigen Lebens in unserem Volke sein Wesen und Können zu erfassen trachten.
Vermittelt aber alle geschichtliche Erkenntnis Mahnungen und Antriebe.
Warnungen und Verbote, so wird aus ihr nicht zuletzt der beschenkten Universität
das Pflichtbewußtsein sich verstärken, daß auch sie für die schweren Ausgaben
der Zukunft sich rüsten und bereit halten muß. Wenn einst der Frieden wieder
einkehrt und die zu Männern der Tat gereiften Studierenden aufs neue die
Hörsäle füllen, dann werden Sorgen und Nöte von mancherlei Art nicht aus¬
bleiben. Unsere akademische Jugend hat geblutet und gekämpft —, sie wird


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[0425] Die Geschichte der Universität Wittenberg zum Auftreten Luthers — fortgeführt sein wird, mag Friedensburgs Arbeit wenigstens als Teilersatz angesehen werden, neben der die Abrisse von Friedrich Paulsen (in seinem Buche über die deutschen Universitäten und das Universitäts- studium, 1902 und in dem Sammelwerke von Wilhelm Lexis, 1893) auch jetzt noch ihren Platz behaupten. Die Darstellung Friedensburgs füllt eine lange klaffende Lücke aus, die um so schmerzlicher empfunden wurde, als der große Gegenstand an sich selbst zu seiner Bewältigung aufforderte; indem sie Univerr sitätsverfassung, -Unterricht und -Leben in der Neuzeit beschreibt, läßt sie die älteren Arbeiten hinter sich, die nur der einen oder anderen Seite in der Ent¬ wicklung unserer Hochschulen sich zuwandten, wie z. B. das Werk von August Tholuck, dessen „Vorgeschichte des Rationalismus" im ersten Bande (1853) das akademische Leben des siebzehnten Jahrhunderts zu schildern unternommen hat. Die „Geschichte der Universität Wittenberg" geht ihrem zeitlichen Umfange eine erhebliche Strecke dem Buche von Wilden Schrader über die Universität Halle (1894) zur Seite und führt gleichsam zu ihm hin: immer wird es lehrreich bleiben, die Schicksale und den Geist beider Hochschulen miteinander zu ver¬ gleichen. Jede von ihnen verkörpert eine besondere Entwicklungsstufe in der Gesamtkultur des deutschen Volkes. Wittenberg die der Reformation und Halle die der Aufklärung. Ihre Vereinigung im Jahre 1817 erfolgte wenig später als die Zusammenlegung der Universitäten Frankfurt an der Oder (gegründet 15V6) »ut Breslau (gegründet 1702) im Jahre 1811. die Neuerrichtung der Hoch¬ schule von Berlin (1809) und wenig früher als die von Bonn (1818); sie alle gediehen unter dem Schutze des preußischen Staates, dessen politische Kraft mit dem deutschen Geiste sich erfüllte. Die anheimelnde Größe aber dieses geistigen Lebens in Preußen und in Deutschland überhaupt besteht nicht zuletzt darin, daß es aus vielen Quellen zu gleicher Zeit und in regem Wetteifer gespeist wurde —. wir kannten und kennen eben nicht jenen Druck der Zentralisation, deren sich die Romanen rühmen; neidlos und wunschlos überlassen wir ihnen solchen doch nur angeblichen Vorzug. Eine dieser Quellen hat Friedensburg zu neuen, Leben geweckt, und Sache nicht nur der berufsmäßigen Forscher wird es sein, ihn, den Dank dafür abzustatten. Sein stattliches Buch ist ein Zeugnis zielsicheren Arbeitswillens, dem inmitten der Kriegsnöte Verleger und Drucker sich freudig zur Verfügung stellten, eine Gabe zunächst für die Vereinigte Friedrichs-Universität und nicht weniger für alle, die in der Ausprägung des geistigen Lebens in unserem Volke sein Wesen und Können zu erfassen trachten. Vermittelt aber alle geschichtliche Erkenntnis Mahnungen und Antriebe. Warnungen und Verbote, so wird aus ihr nicht zuletzt der beschenkten Universität das Pflichtbewußtsein sich verstärken, daß auch sie für die schweren Ausgaben der Zukunft sich rüsten und bereit halten muß. Wenn einst der Frieden wieder einkehrt und die zu Männern der Tat gereiften Studierenden aufs neue die Hörsäle füllen, dann werden Sorgen und Nöte von mancherlei Art nicht aus¬ bleiben. Unsere akademische Jugend hat geblutet und gekämpft —, sie wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/425>, abgerufen am 01.07.2024.