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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Sie Geschichte der Universität Wittenberg

dächtnis ihres dreihundertjährigen Bestehens mit der Hoffnung auf ersprießliche
Zukunft festlich begangen. In Wahrheit waren ihre Tage gezählt, feit Napoleon I.
im Jahre 1813 sie für aufgehoben erklärt hatte, seit die Stadt, der Stützpunkt
für die Militärischen Operationen des Korsen, die Lehrer und Hörer der
Universität nicht mehr schirmen konnte. So findet in der Darlegung aller
der Maßnahmen, die zur Vereinigung des Wittenberger Restbestandes
mit dem jüngeren, dem modernen Geiste aufgeschlossenen Halle führten,
Fnedensburgs Arbeit ihr naturgemäßes Ende. Der Stadt der Reformation
blieb das Predigerseminar, steigerte sich unter dem Schutze des preußischen
Staates die wirtschaftliche Kraft, die sie befähigte, zu einen: ansehnlichen und
regsamen Gemeinwesen sich emporzuschwingen.- Ihr Name weckt unzerstörbare
Erinnerungen an die gewaltige Umwälzung unserer nationalen Geschichte, die
von ihrer Schloßkirche und ihrem Elstertor den Ausgang nahm. Indem
Friedensburg ihrer Hochschule das Denkmal setzte, hat er es mit Geschick ver¬
mieden, einzig und allein den Lehrern an ihr, dazu ihren oft bewegten Lebens¬
läufen, ihrem Wechsel von Lehrstuhl zu Lehrstuhl oder von einer Fakultät zur
anderen seine Aufmerksamkeit zu schenken. Wie dem Charakter des Dozenten,
ihrem Unterricht und ihren hauptsächlichsten Schriften sucht er auch dem all¬
mählichen Ausbau der Universitätsinstitute gerecht zu werden, darunter der
immer -- und auch heute noch -- stiefmütterlich behandelten Universitäts¬
bibliothek. Er schildert das Leben und Treiben der Studierenden, ihre Bräuche
wie die kindischen Depositionen und den rohen Pennalismus, ihre Deklamationen
und Disputationen, ihre allmählich sich einstellenden Verbindungen, ihre Stipendien
und anderes mehr. Etwas zurück treten die Beziehungen der Universität zur
Stadt als Gemeinde, wie aber deren Schicksale die der ^ima muter beein¬
flußten, wird nicht allein aus den Schilderungen der Leiden Wittenbergs im
Dreißigjährigen und im siebenjährigen Kriege klar ersichtlich. In dichten Scharen
drängen sich die Einzelpersonen, die seit 1502 bis 1813 in Wittenberg lehrten
und lernten, nicht nur berühmte, sondern auch solche, deren Andenken der eine
Tag schuf und der andere wiederum zur Vergessenheit verurteilte. Ihrer aller
Zug spiegeln die drei Jahrhunderte wieder, deren Verschiedenheiten in Zielen
und Leistungen ihnen den Stempel aufgedrückt haben; die schwere Kunst, sie
historisch zu werten und aus ihrer Zeit heraus verständlich zu machen, hat
Friedensburg trefflich geübt.

Nur in den knappsten Umrissen konnte der Inhalt seines Werkes hier an¬
gedeutet werden --, um so weniger sei deshalb vergessen, daß es als Geschichte
einer einzelnen Universität fordern darf, auch unter den Beiträgen zur Geschichte
des deutschen Geisteslebens im allgemeinen begrüßt zu werden. Die große
Gefahr, Wittenberg ausschließlich zu würdigen und darüber seine Verwandtschaft
mit den übrigen Hochschulen hintanzustellen, ist als überwunden zu bezeichnen;
solange nicht "Die Geschichte der deutschen Universitäten" von Georg Kauf¬
mann -- sie reicht in zwei, seit 1888 und 1895 vorliegenden Bänden erst bis


Sie Geschichte der Universität Wittenberg

dächtnis ihres dreihundertjährigen Bestehens mit der Hoffnung auf ersprießliche
Zukunft festlich begangen. In Wahrheit waren ihre Tage gezählt, feit Napoleon I.
im Jahre 1813 sie für aufgehoben erklärt hatte, seit die Stadt, der Stützpunkt
für die Militärischen Operationen des Korsen, die Lehrer und Hörer der
Universität nicht mehr schirmen konnte. So findet in der Darlegung aller
der Maßnahmen, die zur Vereinigung des Wittenberger Restbestandes
mit dem jüngeren, dem modernen Geiste aufgeschlossenen Halle führten,
Fnedensburgs Arbeit ihr naturgemäßes Ende. Der Stadt der Reformation
blieb das Predigerseminar, steigerte sich unter dem Schutze des preußischen
Staates die wirtschaftliche Kraft, die sie befähigte, zu einen: ansehnlichen und
regsamen Gemeinwesen sich emporzuschwingen.- Ihr Name weckt unzerstörbare
Erinnerungen an die gewaltige Umwälzung unserer nationalen Geschichte, die
von ihrer Schloßkirche und ihrem Elstertor den Ausgang nahm. Indem
Friedensburg ihrer Hochschule das Denkmal setzte, hat er es mit Geschick ver¬
mieden, einzig und allein den Lehrern an ihr, dazu ihren oft bewegten Lebens¬
läufen, ihrem Wechsel von Lehrstuhl zu Lehrstuhl oder von einer Fakultät zur
anderen seine Aufmerksamkeit zu schenken. Wie dem Charakter des Dozenten,
ihrem Unterricht und ihren hauptsächlichsten Schriften sucht er auch dem all¬
mählichen Ausbau der Universitätsinstitute gerecht zu werden, darunter der
immer — und auch heute noch — stiefmütterlich behandelten Universitäts¬
bibliothek. Er schildert das Leben und Treiben der Studierenden, ihre Bräuche
wie die kindischen Depositionen und den rohen Pennalismus, ihre Deklamationen
und Disputationen, ihre allmählich sich einstellenden Verbindungen, ihre Stipendien
und anderes mehr. Etwas zurück treten die Beziehungen der Universität zur
Stadt als Gemeinde, wie aber deren Schicksale die der ^ima muter beein¬
flußten, wird nicht allein aus den Schilderungen der Leiden Wittenbergs im
Dreißigjährigen und im siebenjährigen Kriege klar ersichtlich. In dichten Scharen
drängen sich die Einzelpersonen, die seit 1502 bis 1813 in Wittenberg lehrten
und lernten, nicht nur berühmte, sondern auch solche, deren Andenken der eine
Tag schuf und der andere wiederum zur Vergessenheit verurteilte. Ihrer aller
Zug spiegeln die drei Jahrhunderte wieder, deren Verschiedenheiten in Zielen
und Leistungen ihnen den Stempel aufgedrückt haben; die schwere Kunst, sie
historisch zu werten und aus ihrer Zeit heraus verständlich zu machen, hat
Friedensburg trefflich geübt.

Nur in den knappsten Umrissen konnte der Inhalt seines Werkes hier an¬
gedeutet werden —, um so weniger sei deshalb vergessen, daß es als Geschichte
einer einzelnen Universität fordern darf, auch unter den Beiträgen zur Geschichte
des deutschen Geisteslebens im allgemeinen begrüßt zu werden. Die große
Gefahr, Wittenberg ausschließlich zu würdigen und darüber seine Verwandtschaft
mit den übrigen Hochschulen hintanzustellen, ist als überwunden zu bezeichnen;
solange nicht „Die Geschichte der deutschen Universitäten" von Georg Kauf¬
mann — sie reicht in zwei, seit 1888 und 1895 vorliegenden Bänden erst bis


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[0424] Sie Geschichte der Universität Wittenberg dächtnis ihres dreihundertjährigen Bestehens mit der Hoffnung auf ersprießliche Zukunft festlich begangen. In Wahrheit waren ihre Tage gezählt, feit Napoleon I. im Jahre 1813 sie für aufgehoben erklärt hatte, seit die Stadt, der Stützpunkt für die Militärischen Operationen des Korsen, die Lehrer und Hörer der Universität nicht mehr schirmen konnte. So findet in der Darlegung aller der Maßnahmen, die zur Vereinigung des Wittenberger Restbestandes mit dem jüngeren, dem modernen Geiste aufgeschlossenen Halle führten, Fnedensburgs Arbeit ihr naturgemäßes Ende. Der Stadt der Reformation blieb das Predigerseminar, steigerte sich unter dem Schutze des preußischen Staates die wirtschaftliche Kraft, die sie befähigte, zu einen: ansehnlichen und regsamen Gemeinwesen sich emporzuschwingen.- Ihr Name weckt unzerstörbare Erinnerungen an die gewaltige Umwälzung unserer nationalen Geschichte, die von ihrer Schloßkirche und ihrem Elstertor den Ausgang nahm. Indem Friedensburg ihrer Hochschule das Denkmal setzte, hat er es mit Geschick ver¬ mieden, einzig und allein den Lehrern an ihr, dazu ihren oft bewegten Lebens¬ läufen, ihrem Wechsel von Lehrstuhl zu Lehrstuhl oder von einer Fakultät zur anderen seine Aufmerksamkeit zu schenken. Wie dem Charakter des Dozenten, ihrem Unterricht und ihren hauptsächlichsten Schriften sucht er auch dem all¬ mählichen Ausbau der Universitätsinstitute gerecht zu werden, darunter der immer — und auch heute noch — stiefmütterlich behandelten Universitäts¬ bibliothek. Er schildert das Leben und Treiben der Studierenden, ihre Bräuche wie die kindischen Depositionen und den rohen Pennalismus, ihre Deklamationen und Disputationen, ihre allmählich sich einstellenden Verbindungen, ihre Stipendien und anderes mehr. Etwas zurück treten die Beziehungen der Universität zur Stadt als Gemeinde, wie aber deren Schicksale die der ^ima muter beein¬ flußten, wird nicht allein aus den Schilderungen der Leiden Wittenbergs im Dreißigjährigen und im siebenjährigen Kriege klar ersichtlich. In dichten Scharen drängen sich die Einzelpersonen, die seit 1502 bis 1813 in Wittenberg lehrten und lernten, nicht nur berühmte, sondern auch solche, deren Andenken der eine Tag schuf und der andere wiederum zur Vergessenheit verurteilte. Ihrer aller Zug spiegeln die drei Jahrhunderte wieder, deren Verschiedenheiten in Zielen und Leistungen ihnen den Stempel aufgedrückt haben; die schwere Kunst, sie historisch zu werten und aus ihrer Zeit heraus verständlich zu machen, hat Friedensburg trefflich geübt. Nur in den knappsten Umrissen konnte der Inhalt seines Werkes hier an¬ gedeutet werden —, um so weniger sei deshalb vergessen, daß es als Geschichte einer einzelnen Universität fordern darf, auch unter den Beiträgen zur Geschichte des deutschen Geisteslebens im allgemeinen begrüßt zu werden. Die große Gefahr, Wittenberg ausschließlich zu würdigen und darüber seine Verwandtschaft mit den übrigen Hochschulen hintanzustellen, ist als überwunden zu bezeichnen; solange nicht „Die Geschichte der deutschen Universitäten" von Georg Kauf¬ mann — sie reicht in zwei, seit 1888 und 1895 vorliegenden Bänden erst bis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/424>, abgerufen am 01.07.2024.